"Sittlich verwahrlost"

Die führende Juristenzeitschrift "Deutsche Justiz" brachte in ihrer Ausgabe vom 17. 6. 1938 auch einen Bericht, der auf einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes München basiert. Ein Landwirtsehepaar, dass seit 1932 zu den Zeugen Jehovas gehört, geriet bezüglich seiner zwei Kinder in Konflikt mit dem Jugendamt. Letzteres hatte beantragt, dass seine Kinder der Fürsorgeerziehung unterworfen werden. Der Fall zog sich über mehrere Justizinstanzen bis zum Oberlandesgericht München hin. In der diesbezüglichen gerichtlichen Einschätzung wurde ausgeführt:

"Die Anhänger dieser Lehre stehen dem heutigen Staat und der von ihm vertretenen völkischen Lebensauffassung feindlich gegenüber; sie lehnen die völkischen und nationalen Ziele der Staatsführung ab, versagen den der Erreichung dieser Ziele dienenden Gesetzen und Anordnungen den Gehorsam, leugnen jedes nationale Zusammengehörigkeitsgefühl und stellen sich in ihrem ganzen Denken und Handeln bewusst außerhalb der Volksgemeinschaft. Ihre Anschauungen sind so noch in hohem Grade volkszersetzend und staatsgefährlich. Die Vereinigung der Ernsten Bibelforscher ist denn auch wegen ihrer Staatsgefährlichkeit in allen deutschen Ländern aufgelöst und verboten worden. Bei dieser Sachlage steht außer Zweifel, dass ein deutsches Kind in seinem geistigen (sittlichen) Wohl schwer gefährdet wird, wenn es in den Anschauungen der Ernsten Bibelforscher erzogen wird. Eine Erziehung in diesen Grundsätzen führt dazu, dass das Kind seinem Vaterland und seinem Volk entfremdet wird, dass es zur Missachtung und zur Unbotmäßigkeit gegenüber den staatlichen Anordnungen und Maßnahmen geneigt gemacht wird und das es die Fähigkeit verliert, dereinst ein brauchbares Mitglied der Volksgemeinschaft zu werden und seine Pflichten gegenüber Staat und Gemeinschaft zu erfüllen. Besucht das Kind bereits die Schule, so kommt noch weiter hinzu, dass ihm einerseits in der Schule und andererseits im Elternhaus in allen Punkten völlig entgegengesetzte Lebensanschauungen als allein richtig und maßgebend hingestellt werden, es in einen inneren Zwiespalt gebracht und so in seiner seelischen Entwicklung beeinträchtigt wird. Aus alledem ergibt sich, dass ein deutscher Vater, der sein Kind in der Lehre der Ernsten Bibelforscher erzieht, seine Erziehungspflichten gröblich verletzt und damit das Recht der Sorge für die Person des Kindes missbraucht. Eine solche Erziehung, die ein noch unreifes, urteilsloses Kind durch Einprägung staatsfeindlicher Lehren für sein späteres Leben in einer sein Wohlergehen und Fortkommen aufs schwerste gefährdenden Gegensatz zu Staat und Volksgemeinschaft zu bringen vermag, verstößt so offensichtlich gegen Vernunft und staatliche Ordnung, dass der Erziehungsberechtigte trotz religiöser Bedenken bei pflichtgemäßer Überlegung dies unmöglich übersehen kann und das besonders dann, wenn er trotz Vorhalts und Belehrung über das Verkehrte seiner Handlungsweise auf ihr beharrt, und ohne weiteres angenommen werden muss, er handle wider bessere Einsicht, sein Sorgerechtmißbrauch sei also schuldhaft. …

Wenn die Gefahren, die einem Kind aus der Erziehung in der Bibelforscherlehre erwachsen nicht ausgeräumt werden, führen sie notwendig dazu, dass das Kind der sittlichen Verwahrlosung anheimfällt. Ein Kind, bei dem die oben geschilderten Folgen einer derartigen Erziehung eintreten, sinkt damit in einen Zustand herab, in dem es in erheblichem Grad derjenigen sittlichen Eigenschaften ermangelt, die bei einem Kind unter sonst gleichen Verhältnissen als Ergebnis einer ordnungsgemäßen Erziehung vorausgesetzt werden müssen und also ist sonach als sittlich verwahrlost zu erachten."

Auf den konkreten Fall bezogen wird dann noch ausgeführt:

"Hiernach haben die zwei Kinder bei der Feier des Tages der nationalen Arbeit unentschuldigt gefehlt, obwohl sie als Schülerinnen zur Teilnahme an der Feier verpflichtet waren. Sie haben ferner schon seit längerer Zeit die Erweisung des deutschen Grußes in der Schule mit dem bei den Bibelforschern üblichen Hinweis auf eine Bibelstelle verweigert. Ida hat die Frage eines Lehrers, ob sie sich hinter den Führer stelle, ausdrücklich verneint. Elise hat es ständig abgelehnt, dass Horst-Wessel-Lied zu singen und im Zeichenunterricht ein Hakenkreuz zu zeichnen. Ermahnungen und Schulstrafen waren bei den Kindern ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer selbst hat sich, ungeachtet wiederholter Aufforderungen und Verwarnungen von Seiten des Klassenlehrers, des Schulleiters und des Bürgermeisters hartnäckig geweigert, die Kinder zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen, und hat durch sein Vorbringen im gegenwärtigen Verfahren zu erkennen gegeben, dass er das Gebaren der Kinder billigt. "

Vorstehender Fall wurde in der Nazipresse als Präzedenzfall dargestellt. Auf ihn nahm auch Bezug das "Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern" in seiner Ausgabe vom 2. 3. 1938; sowie die Tageszeitung "Germania" vom 4. 3. 1938.

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1938er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte