F. W. Salter und Jesse Hemery

Im deutschsprachigen Bereich war es schon mal der seinerzeitige Leiter des Schweizer Büros der Bibelforscher, C. C. Binkele, der "außer Harmonie" mit der Wachtturmgesellschaft geriet. Im November 1924 befand er sich noch in den Schlagzeilen der Tagespresse, weil er für seinen Chef Rutherford eine Gerichtsverhandlung erzwungen hatte, die den Vorwurf zuückweisen sollte, die Bibelforscher seien "fremdfinanziert"; namentlich von den Freimaurern. Er hatte damit großes Aufsehen erregt, und der Komplex Bibelforscher war nunmehr in aller Munde, auch im Munde derjenigen, die vorher noch nichts von den Bibelforschern wussten. Kaum war die Publizistik darüber verklungen, ging es mit Binkele "abwärts". Sein Chef Rutherford setzte ihm einen US-Amerikaner, M. C. Harbeck als neuen Leiter für die Schweiz vor die Nase. Offenbar hat Binkele das nicht verkraftet. Jedenfalls nach einen kurzen Phase des "schwankens", fand sich auch Binkele auf der Oppositionsseite zu Rutherford wieder. Dies etwa seit Mitte 1925. Im Nachinein rechnete Rutherford im "Wachtturm" mit ihm mit den Worten mit ihm ab (1926 S. 352):

"Es ist offenbar, dass er jetzt in Opposition zur Wahrheit steht. Mehr zu sagen ist nicht nötig. ... Ich lenke die Aufmerksamkeit der Geschwister jetzt darauf, und mögen sie nun C. C. Binkele als einen Verbündeten der Ränke des Feindes betrachten und sich dementsprechend verhalten." So endete also jener WTG-Funktionär, der kurz zuvor noch versucht hatte, für die WTG in der Finanzierungsfrage "die Kastanien aus dem Feuer zu holen". Vielleicht wußte er zuviel und hätte Rutherford noch unbequem werden können. Also zog es Rutherford vor, ihn unmittelbar nach dem Berner Bibelforscherprozeß, durch das Vorsetzen eines neuen Funktionärs (Harbeck) zu entmachten. Kurze Zeit schwankte Binkele noch, ob er sich in die neuen Gegebenheiten einfügen könne. Offenbar fühlte er sich dazu nicht in der Lage!

Auch der vormalige kanadische Zweigdiener der Zeugen Jehovas, F. W. Salter, hatte sich in den dreißiger Jahren von der Rutherford'schen WTG gelöst. Aufgrund seiner Stellung in der WTG-Hierarchie kannte er Rutherford persönlich und auch einige interessante Interna. So vermittelte er auch einen Überblick darüber, wie der deutsche Bibelforscherhäuptling Balzereit ernannt wurde. Nach Salter wurden in Deutschland nach dem Tode von Otto Albert Koetitz (1916) zwei Kandidaten aufgestellt als Nachfolger im Amte des verantwortlichen deutschen Zweigdieners der WTG. Zu diesem Zwecke habe Rutherford eine Zusammenkunft von sieben deutschen „Pilgerbrüdern" (also faktisch hauptamtlichen Mitarbeitern der WTG) arrangiert. Als Kandidaten wurden aufgestellt Bernhard Buchholz und Paul Balzereit. Als Wahlsieger wurde der Paul Balzereit genannt.

William Schnell, der Salter interviewt hat, kommentierte dazu:

„Einige Tage später jedoch traten fünf der Pilgerbrüder an Brd. Buchholz heran und sagten, dass sie alle für ihn gestimmt haben und das es nicht zu verstehen sei, wie Balzereit mit einem Stimmenverhältnis 6 zu 1 gewählt werden konnte. Rutherford enthüllte vor Brd. Salter, wie das gekommen war. Er, Rutherford, selbst habe die Auszählung der Stimmzettel vorgenommen. Das Ergebnis war zugunsten von Brd. Buchholz gewesen. Doch weil Rutherford meinte, Balzereit wäre ein besserer Bruder, hat er ihn einfach für gewählt erklärt, angeblich um des Werkes willen."

Der Vollständigkeit halber sollte man auch noch jenen Hinweis hinzufügen, der auf der seinerzeitigen Homepage der „Aktion Freie Geschichtsforschung" nachlesbar war. Danach war der Buchholz vorbestraft. In gewissem Umfang kann man es schon verstehen, dass eine solche Persönlichkeit auf einem Repräsentationsposten problematisch sein kann. Die Frage bleibt dann allerdings offen, warum wurde er als Kandidat aufgestellt?

Unter der Überschrift „Der böse Knecht", wurde dann im „Wachtturm" vom 1. 5. 1938 (S. 140) verlautbart:

„Einem gewissen Anderson ist 'der Mund übergegangen' und er hat, was seine Mitverschworenen anbetrifft, aus der Schule geplaudert. Er sprach in Anwesenheit zuverlässiger Zeugen und sagte unter anderem folgendes: Die römisch-katholische Hierarchie habe dem Museum in London für $ 550 000,- eine richtige Handschrift der gesamten Bibel verkauft und sie gedenke, an Hand dieses kürzlich entdeckten Bibel-Manuskriptes zu zeigen, dass die Watch Tower-Schriften alle falsch seien; ein gewisser Salter treffe im Verein mit gewissen Geistlichen oder Priestern der römisch-katholischen Organisation in Kanada und anderswo Vorbereitungen, gewisse Dinge zu veröffentlichen, die, wie sie meinen, die Watch Tower-Schriften entkräftigen und für die Gesellschaft im allgemeinen nachteilig seien.

Er berichtet, dass Salter mit katholischen Priestern überaus rührig zusammen arbeite in der Bereitung ihrer Munition für einen gemeinsamen baldigen Angriff. Diese Mitteilung soll allen, die dem Herrn und seinen Königreichsinteressen ergeben sind, anraten, sich nicht beunruhigen zu lassen, ungeachtet dessen, was immer auch die aus der Geistlichkeit und der 'bösen Knecht'-Klasse bestehende Klasse des 'Menschen der Sünde' veröffentlichen mag."

 

Schon im "Wachtturm" vom 15. Mai 1937 (S. 159) war eine umfangreiche Polemik gegen Salter enthalten. Unter der Überschrift "Böser Knecht" konnte man dort lesen:

"Zwanzig Jahre oder länger bekleidete ein gewisser W. F. Salter den Vertrauensposten eines Vertreters der Organisation Gottes auf Erden, der Watch Tower Bible and Tract Society. Während er vorgab, an die Gegenwart des Herrn Jesus Christus zu glauben und dies oft bekannte, und während er angeblich im Dienste der Organisation des Herrn stand, befand sich dieser Mann in einer Verschwörung, um des Herrn Werk zu vernichten und den Tod etlicher Diener des Herrn herbeizuführen. Sein Doppelspiel wurde offenbar, und wegen seiner Untreue wurde er seines Amtes und seiner Obliegenheiten in der Organisation des Herrn enthoben. Ungefähr ein Jahr später ging derselbe Mann eine weitere Verschwörung ein mit dem Feinde, um ein weiteres Unrecht zu tun.

Er ließ jemand einen Artikel schreiben mit dem Versuch, zu beweisen, der Herr Jesus Christus sei nicht gegenwärtig. Er ließ jenen Artikel drucken und unter den Dienern des Herrn in verschiedenen Teilen der Erde mit einem Begleitschreiben verbreiten und gab sowohl dem Schreiben als dem Artikel den Anschein, als kämen sie vom Hauptbüro der Watch Tower Bible and Tract Society. Dies wurde offensichtlich so getan, um die Treuen zu täuschen und zu betrügen. Er ließ die Sachen in den Vereinigten Staaten drucken und ließ die Schreiben in Brooklyn, New York, auf die Post geben.

In seinem sogenannten 'Instruktionsschreiben', das den Anschein hatte, als wären die Instruktionen vom Hauptbüro, wird gefordert, dass der Brief und der Artikel von den verschiedenen Gruppen zu einer bestimmten Zeit gelesen werden sollten, und es wird des weiteren erklärt, dass Organisationsstrukturen Befehle sind und man solche Instruktionen befolgen und das Schreiben lesen müsse.

Dann veröffentlichte er ein weiteres Zirkular, ließ es drucken und überall an die verschiedenen Büros und Diener der Watch Tower Bible and Tract Society senden. In diesem Schreiben gebraucht er Lügen und offenbart einen böswilligen, gehässigen Geist der Verleumdung, indem er den Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society angreift und viele Erklärungen abgibt, von denen er zur selben Zeit wusste, dass sie vorsätzliche Lügen sind. Er verlangte, dass sein Schreiben durch den 'Wachtturm' beantwortet werde. Die Spalten des 'Wachtturms' sind nicht geöffnet für die Erörterung von Angelegenheiten derer, die sich dem Herrn widersetzen, und sicherlich nicht, um das Argument eines Menschen gegen die Gegenwart des Herrn abzudrucken, da doch diese Frage über die Gegenwart des Herrn in den Schriften der Gesellschaft gründlich behandelt worden ist."

Rutherford schließt seine, mit einigen tendenziösen Bibelstellen garnierte Polemik, dann noch mit den Worten:

"Dieser Sache und dem ruchlosen Vorgehen würde keine Beachtung geschenkt werden, wenn es nicht darum ginge, das Volk des Herrn zu schützen, das Salter zu täuschen sucht. Dies ist die Antwort des 'Wachtturms' und die des Präsidenten der Gesellschaft auf die vorerwähnten Veröffentlichungen."

Der Fall Salter war mit dieser Polemik noch nicht abgeschlossen. Dienstbeflissen meldeten sich einige Zeugen Jehovas mit devoten Briefen an Rutherford, nach dem Motto: "Hallo, ich weiß was". Einer von ihnen verlautbarte in seiner prompt im "Wachtturm" (1937 S. 172) abgedruckten Meldung:
"Dass Salter vom Wege abgewichen war, nahm ich im Januar 1933 wahr, als er von Mexiko nach Kanada reiste. An jedem Orte, wo er sich aufhielt, verursachte er unter den Geschwistern viel Verwirrung, nicht nur in Dingen der Lehre, sondern auch durch seine geringschätzigen Äußerungen über die von der Gesellschaft getroffene Einrichtung von Divisions-Feldzügen und überdies durch sein Lächerlich machen der 'Wachttower'-Artikel'.
Salter hatte ganz offensichtlich seine Drucksachen, unter missbräuchlicher Benutzung der Absenderangabe der Wachtturmgesellschaft versandt. Es hätte ihm eigentlich klar sein können, dass ein solches Manöver einem "Schuss in den eigenen Ofen" gleichkommt. Wie nicht anders zu erwarten, wurde diese Sachlage erkannt und postwendend als Waffe gegen Salter verwandt. Es war daher für die WTG ein leichtes, ihre Anhängerschaft gegen Salter zu mobilisieren.
Die nächste Phase in diesem Trauerspiel war die Einberufung einer speziellen Versammlung in Toronto (Kanada), mit der erklärten Zielsetzung, ihn anlässlich dieser Zusammenkunft offiziell zu exkommunizieren. Auch darüber berichtete der "Wachtturm" (1937 S. 173f.).
Circa 300 bis 400 Anwesende waren zugegen. In der Regel alles WTG-Claquere. Es gab aber auch einsam auf weiter Flur - Gegenstimmen. Über solch eine Fall vermerkt der Bericht:
"A. G. Cameron, der frühere Gruppendiener und Freund W. F. Salter, gab von seiner Zustimmung zu dem Briefe Ausdruck und sagte unter anderem: 'Der fragliche (Salter) Artikel ist mir bekannt. Ich habe ihn gelesen, ja ihn aufmerksam gelesen. Es ist wahr, Bruder Salter hat Bruder Rutherford herausgefordert, ihn Punkt um Punkt zu beantworten, und ich fordere nun Dich, Bruder Chapman, heraus, Punkt um Punkt zu beantworten und getreulich behandeln zu lassen; denn ich glaube bestimmt, die Kirche ist an Kreuzwegen angelangt. Wir alle sind Menschen gefolgt, blinden Blindenleitern, denen alle die Gruppe wartet. Es kann nicht bestritten werden, dass wir als Organisation in der Vergangenheit oft geirrt haben, und es kann auch nicht abgeleugnet werden, dass wir heute im Irrtum sind.'"
Als Kommentar zu dieser freimütigen Meinungsäußerung wurde vermerkt:
"Auf diese Äußerung erwiderte der Vorsitzende: 'Ich bin froh, dass Du dich endlich geoffenbart hast, Bruder Cameron! Es hat zwölf Monate gedauert, bist Du Dich im wahren Lichte gezeigt hast.' Ein ungewohnter, plötzliches Händeklatschen der Gruppe zeigte ihr Einverständnis."
Im weiteren Bericht wird dann noch ausgeführt, dass dem genannten Cameron und einer Schwester die als Stenographistin bei Salter gearbeitet hatte, das Wort verweigert wurde. Die WTG-Claquere hatten jene Versammlung voll im Griff und setzten anschließend das Verlesen der vorbereiteten Ausschluss-Resolution gegen Salter durch.
Triumphierend vermerkt der "Wachtturm" dass es lediglich drei Gegenstimmen gab. "Diese betrafen Cameron, seine Tochter und G. Richardson".

Selbst Jahre danach, sind noch Nachwirkungen des Salter'schen "Erdbebens" registrierbar. So gibt es eine Meldung die besagt, dass auch in der Untergrundliteratur der Zeugen Jehovas in den 40er Jahren in Deutschland, auf ihn Bezug genommen wurde. Das "Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des WT" vom Juli 1942; sowie das "Drama der Rechtfertigung" 6. Teil notieren gleichfalls des Ausschluss des Salter wegen Opposition gegen die WTG.

Hemery

Salter war nicht der einzigste vormals prominente WTG-Funktionär, der in Distanz zur WTG-Organisation geriet. Das gleiche Schicksal ereilte auch seinem Londoner Berufskollegen Jesse Hemery, die dort gleichfalls das WTG-Zweigbüro leitete.

Nachdem Rutherford im Jahre 1938 die Parole ausgegeben hatte, dass die Wahlältesten zu beseitigen seien und dass „Die Gesellschaft" (sprich: die Wachtturmgesellschaft) zukünftig alle Personalentscheidungen in eigener Machtvollkommenheit durchführt, machte sich Hemery zum Sprachrohr der Kritik dieser nun eingetretenen Entwicklung. Am 12. 9. 1938 schrieb er dazu an Rutherford einen Brief. Er wird im „Wachtturm" nicht dokumentiert; sehr wohl aber die Reaktion darauf.

In der WTG-Antwort an ihn hieß es: „Du sprichst von Deiner Besorgnis, dass der Gebrauch des Wortes 'Diktator' durch etliche Brüder, wenn sie von dem Verhältnis der Gesellschaft zu den Geschwistern und ihren Gefährten, den Jonadab-Genossen, sprechen, den Geschwistern zum Schaden sein werde, und Du hegst gewisse Befürchtungen, dass diktatorische Methoden in der Leitung des Königreichsdienstes angewandt werden könnten.

Jehova, der große Theokrat, muss notwendigerweise der Diktator sein in allen Angelegenheiten Zions. Das ist der erste Grundsatz seiner Regierung und muss von allen, die ihm dienen und seine Gunst und seinen Segen haben möchten, bereitwillig anerkannt werden." („Wachtturm" 1938 S. 383).

Hemery gehörte auch, dem zwischenzeitlich kaltgestellten formalen Herausgeberkomitee des „Wachtturms" an. Man wagte in dieser Konstellation nicht, seine Kritik „sofort auf der Stelle" zu ahnden. Aber es war den Brooklyner WTG-Chargen klar, dass dies nur eine Galgenfrist sein würde. Man begnügte sich erst einmal damit ihn unmerklich, aber zielbewusst, weiter kaltzustellen. Rutherford's Nachfolger Knorr, sorgte dann im Jahre 1947 für „klare Verhältnisse". Er gab die juristisch verbindliche Anweisung, dass Hemery das Londoner Bethel der WTG zu verlassen habe. Seine an die Wachtturmredaktion eingereichten Artikel wurden schon davor, seit längerer Zeit prinzipiell nicht mehr angenommen. Damit war auch das Schicksal von Hemery besiegelt.

Über die Hintergründe des Falles Hemery, machte letzterer selbst mal nähere Angaben in einem veröffentlichten Brief aus dem Jahre 1952 an Roy D. Goodrich in den USA:
"Lieber Bruder Goodrich.
Seit meinem ersten Kontakt mit der Wahrheit, wie sie im Buch 'Der Plan der Zeitalter' von Bruder Russell veröffentlicht wurde, war ich überzeugt, dass Gott ein neues Werk unter seinem Volk begonnen hat. Das war im Jahre 1888, und bis zum heutigen Tage habe ich diesen Glauben behalten. Im Jahr 1895 sandte mir Bruder Russell eine sehr kleine Liste mit britischen Namen und bat mich, einige der kleinen Versammlungen zu besuchen. Im Jahre 1901 wurde ich gefragt, ob ich das kleine Londoner Büro übernehmen könnte. Das Vorrecht wurde froh angenommen und von diesem Jahr bis 1947 hatte ich die Hauptverantwortung für das Londoner Zweigbüro und Bethelheim. Ich habe niemals den geringsten Zweifel daran gehabt, dass das von Bruder Russell begonnene Werk etwas anderes als das Werk des Herrn sei, aber vom ersten Tage an war ich imstande, durch die Gnade Gottes dieses Werk objektiv zu sehen. Die Änderungen der Lehre schon in den frühen Tagen und die vielen Änderungen, die in den Jahren folgten, wurden von mir selbst gebetsvoll gesehen, sie wurden nicht als vom Herrn 'nötig', sondern als von ihm 'erlaubt' angesehen.


Es war im letzten Teil der Präsidentschaft von Bruder Rutherford, dass ich begann, den Kurs der Gesellschaft irgendwie zweifelnd zu betrachten. Später auf der Hauptversammlung in Washington 1935, als er den Brüdern sagte, der Wachtturm würde nun der Kirche weniger Aufmerksamkeit schenken, zugunsten der Neuen Klasse, die man Jonadab-Brüder nannte, begann ich zu erkennen, dass ein Missverstehen des Vorhabens des Herrn unter der Leitung von Bruder Rutherford zu bestimmen begann. Nach seinem Tode und als Bruder Nathan Knorr in sein prominentes Amt gewählt wurde, schrieb dieser mir, dass er wüsste, wie freimütig ich mit Bruder Rutherford verbunden war und er sagte, er würde froh sein, wenn dieses weiter so sein würde zwischen ihm und mir, wenn ich fühlen würde, dass irgend etwas geschrieben werden müsste. Einige Dinge gingen vorüber, von denen ich glaubte, sie würden ihm dienen sowie den Brüdern um ihn, aber sie wurden als unannehmbar betrachtet.

Als die Hauptversammlung 1947 in London abgehalten wurde, entfachte Bruder Knorr einige Aufregung um mich, als einen, der die Brüder verwirrt. Mir wurde nicht gesagt, um was es eigentlich ging, ich verneinte und sagte, es könnte niemand gefunden werden, dessen Glauben und Dienst für die Gesellschaft ich beeinträchtigt hätte. Aber es wurde eine Zusammenkunft eingesetzt, um meinen Rücktritt zu erreichen und jedes Glied des Rates dieser Zusammenkunft stellte sich aus Bruder Knorrs Seite. Er erreichte, was er wollte, und ich begann des Herrn Wille in dieser Sache zu sehen.
Da ich fortfuhr nachzudenken und einiges zu schreiben, was an den Präsidenten zu gehen hatte, begann ich zu erkennen, dass mir der Herr etwas gab, was sicherlich dienlich wäre, die Brüder zu erleuchten, und das nicht nur innerhalb der Organisation, sondern für sein ganzes Volk. Mein Lesen, Beten und Nachdenken führte mich zu klarer Erkenntnis über das Wort des Herrn bezüglich seiner Wiederkunft und zu dem, was ich nun in seiner Nacktheit sah, 'das Dogma von der unsichtbaren Wiederkunft.' Das Fallenlassen dieses Dogmas war wie das Zurückwerfen eines schweren Vorhanges. Das Licht machte das Vorhaben der Offenbarung des Herrn an Johannes klar, und auch die große Prophezeiung auf dem Ölberg. Das Dogma hatte uns veranlasst, unsere Blicke vergangenen Ereignissen zuzuwenden, während die Schrift vorwärts weist auf Dinge, die kommen sollen.


Das Öffnen der Schrift durch Bruder Russells Dienst war kein Beweis der Wiederkunft des Herrn, wie wir gelehrt wurden, zu glauben. Wäre sein ganzer Dienst vom Herrn gewesen, dann wären die ernsten Änderungen in den Lehren über seinen Bund nicht nötig, noch würden Irrtümer in den chronologischen Feststellungen erfolgt sein, und vielleicht noch etwas schwerwiegender, der umwölkenden Wirkung der unsichtbaren Gegenwart, das Dogma der geheimen Parusie wäre nicht entstanden und eine Barriere gegen das Licht des Wortes Gottes geworden und zur Ursache des Abfalls, wie es sich erwies.
Es kam durch die Ereignisse auf der Hauptversammlung in Philadelphia Ende 1947, die mich erkennen ließen, dass die Gesellschaft unter ihren Direktoren abgewichen ist vom Pfad, der für sie in den ersten Tagen eröffnet wurde. Eine Resolution wurde von der Versammlung zur Annahme gebracht, die die Gesellschaft an die Deklaration band, der Herr Jesus sei 1914 im Himmel als König über die ganze Erde inthronisiert worden. Wer errettet werden wollte, müsste dieser Deklaration glauben. Es entstand eine Situation vergleichbar mit dem, was Paulus in seinem Brief an die Galater (Gal. 5:4) sagte. Als das zur offiziellen Lehre der Gesellschaft wurde, wusste ich sehr gut, dass alles, was ich schrieb, und was zum Präsidenten gehen musste, nur noch weitere Feindseligkeiten verursachen würde. Ich schrieb aber weiter und wartete auf den Herrn. Die Entscheidung des Präsidenten, dass ich das Bethel zu verlassen hätte, war die Führung des Herrn für mich. …"

 

Um den Fall Hemery richtig zu würdigen, sollte man auch noch die Ausführungen von James Penton in seinem Buch "Apokalypse Delayed" mit einfließen lassen.

Schon unmittelbar nach Russell's Tod begannen die Machtkämpfe um seine Nachfolge. Mit der bedeutendste Kontrahent für Rutherford war der lutherische Geistliche jüdischer Abkunft, namens P. S. L. Johnson. Letztere war im Auftrag der WTG nach Großbritannien gereist. Dort versuchte er allerdings seine Opposition gegen Rutherford, in organisatorische Bahnen zu lenken. Die übrige Anhängerschaft befand sich in der Zerreißprobe, auf wessen Seite sie sich in diesem Machtkampf stellen sollte. In diesem Kontext führt Penton aus:

"Rutherford gelangte zu der Überzeugung, Johnson sei geisteskrank, und telegrafierte ihm, er solle nach Amerika zurückkehren. Daraufhin sandte Johnson ein Telegramm an den Watch Tower-Vizepräsidenten Alfred I. Ritchie sowie an den Sekretär-Kassierer William E. Van Amburgh, die anderen beiden Mitgliedern des Triumvirats, in dem er Rutherfords Autorität nicht anerkannte. Er machte Gebrauch von seiner Vollmacht, die ihm erteilt worden war, als er nach Großbritannien geschickt wurde, unterwarf das Bankkonto der International Bible Students einer Verfügungsbeschränkung und übernahm die Londoner Büros der IBSA. Er und ein weiterer Bibelforscher namens Housden nahmen die ganze Post an sich, öffneten den Safe der Vereinigung und nahmen alles Bargeld. Daraufhin sandte Rutherford, inzwischen Präsident, einen schriftlichen Widerruf der Ernennung Johnsons ab, und der Anwalt Johnsons war gezwungen, ein Verfahren fallenzulassen, in dem Rutherfords treue Anhänger daran gehindert werden sollten, £ 800 zu gebrauchen, die zeitweise bei der Bank festgelegt waren.

Angeführt von Jesse Hemery, einem Rutherford-Getreuen, verbarrikadierte eine Gruppe von Bibelforschern in den Londoner Büros und der Niederlassung der IBSA Johnson in seinem Raum. Um zu entkommen, war er gezwungen, den Raum durch das Fenster zu verlassen und an einem außen angebrachten Regenrohr herunterzuklettern. Danach kehrte er nach New York zurück.

"Später stellte Rutherford nach zwei langen Besprechungen fest, daß Johnson in jeder Hinsicht völlig normal sei, nur in einer nicht, nämlich im Hinblick auf sich selbst.

Dann reorganisierte Rutherford das Werk der Gesellschaft in Großbritannien unter Hemery und schaffte Frieden. Johnson forderte weiterhin, daß man ihn zurück dorthin schickte, aber Rutherford weigerte sich, dies zu tun."

Soweit Penton.

Wie schon ausgeführt befand sich auch Hemery eines Tages in der Oppositionszene wieder.

William Schnell, inzwischen auch ein Oppositioneller, hervorgetreten durch sein Buch "Dreißig Jahre Sklave des Wachtturms" machte in einem Brief einmal eine nicht uninteressante Anmerkung, die wiederum das Bild von einem Zauderer, das man bisher von Hemery gewinnen kann, bestätigt. Schnell führt aus:

"Ich kannte ihn (Hemery) persönlich von Deutschland her. Ich traf ihn 1925 auf dem Magdeburger Hauptbahnhof und geleitete ihn zu Rutherford, welcher in Magdeburg weilte. Hemery übersetzte alle Ansprachen von Rutherford. Am Tage darauf unterbreitete ich in den Dienerbesprechungen die Vorträge von Rutherford. Hemery war enttäuscht über mich, als das Buch von mir erschien: '30 Jahre ein Sklave des Wachtturms'. Er meinte, es sei nicht gut, daß alles bekannt würde. Drei Jahre später teilte er mir mit, das er nun erkannt hat, daß mein Vorgehen richtig sei und ich nicht aufhören soll, weiter gegen die Leitung zu arbeiten."

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