"Kristallnacht" a la WTG

Der 9. November 1938 ist unrühmlich in die Geschichte eingegangen. An jenem Tage ließ der entfesselte Nazimob in Deutschland seine Aggressionen in besonders übler Weise an den Juden aus. Die Bilder brennender Synagogen, nebst ärgerem gingen um die Welt. Jenes Fanal entstand nicht im "luftleeren Raum". Vorangegangen war dem schon die systematische, immer schärfer werdende Entrechtung und Stigmatisierung der Juden in Deutschland. Aber auch andere antisemitische Staaten, beispielsweise, der zu jener Zeit von den Nazis noch nicht annektierte polnische Staat, trugen ihren Teil zur Verschärfung der Gesamtlage bei. Das in dieser Situation ein jüdischer Attentäter, den Vorwand abliefern sollte, für die extrem verschärfte "härtere Gangart" der Nazis gegen die Juden, gehört zu den großen Tragödien des 20. Jahrhunderts. Also, man kann nicht nur auf den 9. November 1938 abstellen. Man muss deutlich sagen, dass er eine vielschichtige Vorgeschichte hatte. Auch eine publizistische.

Die Bibelforscher/Zeugen Jehovas waren einstmals als glühende Verfechter des Philosemitismus angetreten. Russells Kampagne vor Juden im New Yorker Hippodrom, oder der Titel der Rutherford-Schrift "Trost für die Juden" sind nur zwei Beispiele. Sie könnten um ein vielfaches vermehrt werden.

Im Vorfeld der Nazi-Machtergreifung hatte die WTG schon einmal vorexerziert, was sie in der Gegenwart auch bei ihrem Begehren, "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" werden zu wollen, in vielfältiger Weise dokumentiert hat. Um vermeintlicher Vorteile willen, redet man mit gespaltenen Zungen. Gegenüber den Mächtigen dieser Welt mit vermeintlichen "Engelszungen". Positionen von gestern, die auch den heutigen Machthabern anfechtbar erscheinen, werden stillschweigend oder auch laut formal revidiert.

So seinerzeit auch in der Frage des Philosemitismus, der stillschweigend oder auch laut, zu den Akten gelegt wurde.

Die Jahre nach 1933 lieferten der Weltöffentlichkeit übergenug Anschauungsbeispiele, was von der Nazi-Judenpolitik zu erwarten war. Eine ganze "Giftschrankabteilung" mit Literatur über das Judentum aus nazistischer Feder, kann beispielsweise von dem Gesamtarchiv deutschen Schrifttums, der Deutschen Bücherei, über diesen Zeitraum benannt werden. Mir scheint allerdings, einen Artikel hat die Deutsche Bücherei dabei vergessen zu indexieren. Und zwar stammt dieser Artikel aus der Feder einer Organisation, die einstmals unter dem Logo Philosemitismus angetreten war.

Jene Organisation schrieb in ihrer Zeitschrift "Trost" vom 15. 7. 1938 (S. 12, 13) unter der Überschrift "Die Juden in Palästina":

"Die Zeitungen in der Welt nehmen, sofern sie nicht antisemitisch sind, gewöhnlich einen einseitig projüdischen Standpunkt ein, wenn es sich um Fragen handelt, die Palästina betreffen. Wie schon gesagt, schreibt im allgemeinen die Weltpresse günstig für die Juden. Man sagt, ein jahrhundertealtes Unrecht müsse gutgemacht und den Juden Palästina wiedergegeben werden usw. usw., was meist einer Sentimentalität entspringt, die in gewissen 'christlichen' Sekten genährt wird, aber nicht berücksichtigt ist, dass die heutigen Menschen, die 'Juden' genannt werden, im Sinne der Bibel durchweg keine Juden sind. Sie üben zwar eine gewisse Form von jüdischer 'Religion' aus, haben aber keinen Glauben an Jehova, den allein wahren Gott, der die Juden einst als 'ein Volk für seinen Namen' erwählte.

Deshalb sind auch ihre Augen blind und die Ohren taub gegenüber Gottes Wahrheit. Was Gott vor alters durch seine Propheten einem abtrünnigen Volke sagen ließ, ist heute sehr zeitgemäß. So wie man sich vor Jahrtausenden auf den 'Stab Ägyptens' stützte, anstatt auf Jehova, so stützt man sich auf England. Englische Juden suchen mit aller Beredsamkeit die englische Regierung zu überzeugen, wie sehr England einen jüdischen Staat in Palästina aus englisch-imperialistischen Gründen benötige, und wie loyal die Juden dem englischen Weltreich gegenüber seien, und das sie auch heute wieder bereit wären, für dieses Reich ihr Blut zu vergießen.

Auch ist man sehr mit dem 'alten Weib' in Rom befreundet. Die jüdischen Blätter berichten wehleidig über die 'grausamen Verfolgungen armer Katholiken'; dass aber über 6000 Zeugen Jehovas in den Gefängnissen und Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands schmachten, hat man hier nicht gehört. Im Gegenteil muss natürlich jeder Deutsche hier, wenn er auch ein Zeuge Jehovas ist, verdächtigt werden, Nazispion zu sein. Auch schlagen darf man ihn ungestraft, da sich die jüdische Polizei hier nicht um 'jede kleine Schlägerei' kümmern kann!

So geht dieses Volk auch hier in seinem ehemaligen Heimatland einen Weg ohne Erkenntnis Jehovas und seines gesalbten Königs Jesus, des Messias. Mit menschlichen Mitteln und menschlichen Gedanken sucht man in den Besitz dieses Landes zu kommen und sieht nicht, wie Jehova 'die Räder des Wagens schwer macht', damit er nicht sein selbstgestecktes Ziel erreicht. Man schreit nach mehr 'Religiosität', wie die anderen Bundesgenossen in des Teufels Organisation. Blind sind die Juden auch dafür, dass das 'alte Weib' in Rom alles daransetzt, zu verhindern, dass die Juden hier selbstständig werden. Seine Priester sind die größten Hetzer; ihre 'heiligen Stätten' seien gefährdet, sollten die Juden zahlreicher werden! so schreien sie. Deshalb muss auch England in seiner Abmachung mit Italien 'die berechtigten italienischen (lies: katholischen) Interessen garantieren, d. h. dass das 'alte Weib' fernerhin durch seine Schulen und Klöster das arme Volk verdummen darf, um es dann auszusaugen.

Die Juden sind ein lebendiges Bild dafür, wie furchtbar es ist, den Segen Jehovas nicht zu besitzen. Abgeschnitten von der Gunst Gottes, sind sie auch hier ohne Ruhe. Wind säend, ernten sie Sturm! Wie lange noch?"

In dem eben zitierten Text findet sich auch der Passus: "Die jüdischen Blätter berichten wehleidig über die 'grausamen Verfolgungen armer Katholiken'; dass aber über 6000 Zeugen Jehovas in den Gefängnissen und Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands schmachten, hat man hier nicht gehört." Dem ist zu widersprechen. Beispielsweise hatte das "Israelitische Wochenblatt für die Schweiz" in seiner Ausgabe vom 19. 8. 1938 auch über das Zürcher-Buch "Kreuzzug gegen das Christentum" berichtet. Man konnte dort lesen:

"Ein ergreifender Bericht über moderne Christenverfolgungen - frei von jeder politischen Tendenz und Polemik. Die Wahrhaftigkeit dieses Buches kann nicht angezweifelt werden, denn der Verfasser, ein Christ, bürgt persönlich für die Zuverlässigkeit der von den Verfolgten selbst erzählten Begebenheiten, die aufs lebhafteste an die Verfolgungen des finsteren Mittelalters erinnern. Gegen 6000 dieser Christen halten in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern dem nationalsozialistischen Terror stand, erdulden alles für ihre Überzeugung und bekennen sich weiter zu ihrem Glauben. Diese Haltung muss allen Achtung einflößen, die für die Glaubens- und Gewissensfreiheit einstehen, und diese kostbaren Menschheitsgüter zu verteidigen, ist der Zweck dieses Buches."

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1938er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte