Katholisches Österreich

Sie waren nicht besonders zahlreich, aber sie haben ohne Zweifel einen besonders hohen Blutzoll zahlen müssen; der prozentual noch den Deutschlands bei weitem überstieg. Wer? Die Zeugen Jehovas in Österreich, während der Nazidiktatur. Wer sich ihnen im genannten Zeitraum anschloss, tat es unter anderem auch aus der Motivation der Opposition zur übermächtigen katholischen Kirche. Es war offensichtlich, dass die Anonymität beispielsweise großstädtischer Verhältnisse dort vielfach fehlte. Wer sich dort zu dem Schritt durchrang Bibelforscher/Zeuge Jehovas zu werden, der fand sich vielfach ungewollt auf einer Art "Präsentierteller" wieder. Es war offensichtlich, dass ihnen Schutz vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Repression, von katholischer Seite nicht gewährt wurde.

Ein besonders übles Beispiel zeitgenössischer katholischer Publizistik, stellt jene, 1938 im Verlag "Corinthia" in Klagenfurt erschienene Broschüre dar, mit dem programmatischen Titel: "Von der Sekte der Bibelforscher und Widerlegung ihrer Irrlehren". Als Herausgeber dieses halbanonymen Pamphletes zeichnet die "Katholische Aktion". Weshalb die Formulierung "halbanonym"? Nun, ein Verfasser wird zwar namentlich nicht genannt, dafür aber um so beachtlicher, die kirchliche Imprimatur. Zitat:

"Empfehlung … Mit Rücksicht auf die Verbreitung dieser Sekte und die dadurch notwendig gewordene Aufklärung des katholischen Volkes wird die Broschüre kirchenbehördlich wärmstens empfohlen.

Klagenfurt, am 15. Jänner 1936

Fb Gurker Ordinariat

ZL 2584/37 Mit kirchlicher Druckerlaubnis. Klagenfurt, 15. 1. 1938".

Bezeichnend, auch einer der Schlusssätze dieser Broschüre: "Da seit dem 13. März 1938 der Anschluss Österreichs an Deutschland erfolgt ist, ist die Sekte der Bibelforscher auch in diesem Teile staatlich verboten."

Auch inhaltlich macht diese Broschüre keinen sonderlich "guten" Eindruck. Sie erschöpft sich in wüsten Verbalbeschimpfungen und unsensiblen Angriffen. Von "Überzeugungsarbeit" kann man bei ihr jedenfalls nicht reden. Bestenfalls stellt sie ein Konglomerat der gängigen Vorurteile aus katholischer Sicht dar. Wer als zeitgenössischer Zeuge Jehovas diese Broschüre je gelesen haben sollte, auf den wird sie in der Regel erschreckend substanzlos gewirkt haben. Er wird sich durch sie eher in seiner Entscheidung bestätigt gesehen haben, dass es richtig war, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren. So wird denn in dieser Broschüre auch mit ganz unverhüllten Drohungen gearbeitet. Das fängt schon mit dem Vorwort an:

"Wenn ein Haus niederbrennt oder ein ganzes Dorf ein Raub der Flammen wird, so ist das ein großes Unglück. Wenn der Hagel die reichbeladenen Ähren und gute Ernte versprechenden Saatfelder vernichtet, so ist das ein großer Schaden für die betreffenden Gegenden. Wenn Wölfe in die Schafherde einbrechen und diese zerfleischen, ist das für den Besitzer derselben ein schweres Übel. Aber unvergleichlich größer ist der Schaden und unberechenbarer das Unglück, wenn Wölfe in Schafpelzen kommen und die ahnungslosen, wenig unterrichteten Christen zum Abfall vom einzig wahren Glauben verführen unter dem Vorwande, ihnen eine bessere Religion darbieten und sie zu einem tugendhafteren Leben anleiten zu wollen, sie aber in der Tat dem ewigen Verderben zuführen. Das ist ein raffinierter Betrug und eine unverantwortliche Gewissenlosigkeit der sogenannten Bibelforscher. Unter den neuzeitlichen Sekten ist diese eine der gefährlichsten für Kirche und Staat. Weshalb sie einige Staaten, z. B. Deutschland und Italien, als staatsgefährlich bereits verboten haben.

Die anderen Irrlehren haben die eine oder die andere Glaubenswahrheit geleugnet. Diese untergraben die Fundamente jeder Religion, da sie mit einem Worte alles leugnen, auch das, was in der Bibel ist, obwohl sie nach ihrer Versicherung nur auf die Bibel glauben."

In dieser Tonlage geht es dann weiter. Einige Blüten daraus:

"Kurz charakterisiert, könnte die Lehre der Bibelforscher als eine Zusammensetzung der jüdischen, christlichen und gottlosen Religion bezeichnet werden, durch die politische Zwecke, nämlich die Weltherrschaft der Juden, vorbereitet werden soll" (S. 9).

"Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele wird von den Bibelforschern geleugnet. Mit dieser Leugnung wird der Hauptpfeiler des christlichen Glaubens untergraben" (S. 31).

"Neben Pest und Hungersnot gehört der Krieg zu den größten Übeln, um deren Abwendung wir in der Litanei Gott bitten. Wendet ihn der Allmächtige in seiner unerforschlichen Weisheit und Gerechtigkeit nicht ab und lässt ihn zu, so bildet er in seiner Hand eine Geißel und Zuchtrute für die Bösen und ein Heilmittel zu ihrer Besserung, für die Guten; aber er ist eine Prüfung und Förderung der Tugend" (S. 43).

"Wohl haben die Feldkuraten die Soldaten gesegnet, nicht aber die Waffen" (S. 45).

Bezeichnend auch die sogenannten Schlusserwägungen in dieser Broschüre:

"Hast du wohl gut überdacht den Schritt, den du getan, als du zu den Bibelforschern übergegangen bist? Willst du wirklich die Wahrheit suchen, die du bereits besessen, aber weggeworfen hast? Von der Wahrheit bist du abgefallen, die heiligen Sakramente, die Christus eingesetzt hat, hast du verworfen, vom Glauben bist du abgefallen und hast somit eine schwere Sünde begangen, dass sie ein gewöhnlicher Priester nicht nachlassen kann, sondern nur der Bischof!

Durch den Abfall hast du dir den Weg zum Himmel verrammelt! Maria, die Zuflucht der Sünder, hast du verworfen, die für dich in der Todesstunde ihre Fürbitte einstellen wollte.

Vielleicht in Kürze wirst du den Tod erleben müssen und wirst einsehen, wie schrecklich du dich betrogen hast. Und dann kommt die Ewigkeit, in der deine Seele ohne Ende fortexistieren wird, trotzdem du das leugnest. Von dort gibt es keine Rückkehr, um das Gefehlte wieder gutzumachen. Es gibt auch eine Hölle, trotzdem du sie leugnest, wo der Wurm (die Gewissensbisse nicht stirbt und das Feuer nie erlischt (Mark. 9:42). Fürchtest du dich nicht vor derselben?" (S. 46).

Es verwundert nicht im Geringsten, dass solche Art Publizistik völlig resonanzlos an den Zeugen Jehovas abgeprallt ist. Die Katholiken haben da eine Selbstbeweihräucherung übelster Art in Szene gesetzt. Ein Lehrer, der seinen Schülern ein Aufsatzthema zur Ausarbeitung stellt, würde dazu als Kommentar nur einen Satz sagen: "Das Thema total verfehlt!"

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1938er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte