Hoheitsträger

Die Nazis hatten auch eine Zeitschrift namens "Der Hoheitsträger". Laut Impressum "Nur für den Dienstgebrauch - Vertraulich. Vom Empfänger unter Verschluss zu halten." In deren Ausgabe Nr. 6/1938 war auch mal ein Artikel abgedruckt mit dem Titel "Die Ernsten Bibelforscher als Sendboten des jüdischen Bolschewismus". Inhaltlich enthielt er die sattsam bekannten Nazithesen, die man auch an anderer Stelle nachlesen kann. Jonak von Freyenwald lässt darin grüßen. Er wird zwar nicht besonders genannt; sehr wohl aber seine Grundthese kolportiert: "Die Lehre der Internationalen Bibelforscher ist in Wahrheit keine rein religiöse, wie immer wieder von ihrer Seite behauptet wird, sondern ein Gemisch von Religion und Politik, wobei die Religion nur das Mittel und die Politik der Zweck ist …"

In der Ausgabe vom August 1938, gab es dann noch eine Ergänzung zu dem vorgenannten Artikel. Laut redaktioneller Einleitung eine Ergänzung "durch eine besonders aufschlussreiche und von sachkundiger Stelle kommende Darstellung." Dieser "Sachkenner" gibt dann schon einleitend seine Einschätzung zum besten:

"Es ist zwar bekannt, dass eine Betätigung für die Sekte der internationalen 'Bibelforscher' seit 1933 verboten ist, der Grund dürfte jedoch den wenigsten Parteigenossen geläufig sein. So erklärt sich auch die weitverbreitete Auffassung, dass es sich bei den Bibelforschern um verblendete Volksgenossen handele, die lediglich in ihrer Einfältigkeit heute noch dieser Irrlehre treu seien; diese 'harmlosen' Menschen könnten doch wohl kaum den Bestand des Staates gefährden. Diese Beurteilung der Bibelforscher ist bewusst und systematisch im Volke von interessierter Seite verbreitet worden. Da es sich hier wieder um eine der üblichen Tendenzlügen des internationalen Judentums handelt, ist es dringend erforderlich, sich einmal eingehend mit den wirklichen Wesen und Ziel, sowie den Arbeitsmethoden dieser internationalen Sekte zu befassen."

Dieser "Sachkenner" bringt neben den üblichen nazistischen Propagandathesen, dann auch noch eine Referierung, wie sich die Sachlage nach dem Verbot weiter entwickelte. So vermerkt er auch: "Am 10. Oktober 1935 wurde zwischen Vertretern der Watch Tower Bible & Tract Society (Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft) Brooklyn-New York, der amerikanischen Handelskammer in Deutschland und der Geheimen Staatspolizei eine Vereinbarung betreffend Vermögensfreigabe des Bibelhauses in Magdeburg und dessen Liquidation getroffen." Er kommt dann als nächstes darauf zu sprechen, dass die Luzerner Resolution vom Oktober 1934 das Fanal war, für den aktiven Aufbau einer Untergrundorganisation in Deutschland. Er erwähnt auch, dass die Zeugen Jehovas in einer Protestaktion, das Hitlerregime mit tausenden von Telegrammen aus aller Welt bombardiert hatten. Sein Kommentar dazu: "Diese Telegramme waren eine offene Kampfansage gegen den nationalsozialistischen Staat und gleichzeitig eine Sabotage der staatlichen Anordnungen."

Als nächstes kommt er dann auf die illegale Organisation in Deutschland zu sprechen. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind als die vielleicht interessantesten anzusehen. In seinen Worten: "Es stellte sich jedoch heraus, dass in Deutschland eine zentrale illegale Leitung der IBV vorhanden sein musste. Im August 1936 gelang es dann, die 1. Illegale Organisation der Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) aufzudecken und zu zerschlagen.

Zu dem Zentraleuropäischen Büro mit Sitz in Bern gehörte auch das Deutsche Reich. Verantwortlich für das 'Deutsche Werk' war ein Reichsleiter (RL), der das deutsche Gebiet in 13 Bezirke eingeteilt hatte. An der Spitze dieser Bezirke standen die sogenannten Bezirksdienstleiter (BDL). Diese hatten wiederum, der Größe ihres Bezirkes entsprechend, ihre Bezirks-, Gruppen- und Zellendiener. Eine Zelle ist die kleinste Einheit und umfasst 4-6 Glaubensbrüder.

Gleich nach Bekanntwerden des allgemeinen Betätigungsverbotes im Jahre 1933 hatten die Funktionäre der IBV es verstanden, riesige Bücherbestände aus dem Bibelhaus in Magdeburg fortzuschaffen, die in den verschiedensten Städten des Reiches aufbewahrt wurden. Es bestanden zum Beispiel Bücherlager in Berlin, München, Breslau, Erfurt, Elberfeld, Hannover usw., die Bestände von über 100 000 Bücher und Broschüren enthielten. Diese Bestände wurden vor allem im Jahre 1936/37 ergänzt durch Bücher, die durch gewerbsmäßige Schmuggler aus der Tschechoslowakei bzw. aus der Schweiz über die 'grüne Grenze' ins Reich eingeschmuggelt wurden. Es handelt sich hier um illegale IBV-Schriften, die in den Jahren 1934, 1935 und 1936 in deutscher Sprache in Prag bzw. in Bern gedruckt wurden.

Die Bücher wurden über die Dienstleiter an die Gruppen- und Stellenleiter und von diesen an die einzelnen Glaubensbrüder zum weiteren Verkauf verteilt.

Berechnet wurden für die Bücher 1, 50 bzw. 1,60 RM, für die Traktate durchschnittlich 0,25 RM. Allein im Jahre 1936/37 sind weit über 100 000 Bücher und Broschüren in Deutschland auf diese Weise zur Verteilung und zum Verkauf gelangt.

Wohl die wichtigste Arbeit der illegalen IBV war die Herstellung und der Vertrieb der verbotenen Zeitschrift 'Der Wachtturm' (WT). 'Der Wachtturm' erscheint monatlich zweimal, kostete je Nummer 0,25 RM und wird vierteljährlich bezahlt. Bei der 1. illegalen Organisation der IBV kamen in das deutsche Reichsgebiet 13 Exemplare dieses WT, die durch einen hierfür besonders eingesetzten Schmuggler aus der Schweiz nach Deutschland eingeschmuggelt wurden. Durch den Vertrauensmann des Reichsleiters wurden diese 13 Original-WTs den 13 Bezirksdienstleitern zur Vervielfältigung zugeschickt. Diese hatten jeder für sich eine besondere Vervielfältigungsstelle, dass heißt eine Werkstatt, in der die WTs auf Matrizen geschrieben und vervielfältigt wurden. Dann wurden die vervielfältigten WTs durch Kuriere den einzelnen Dienstleitern, Gruppenleitern und Zellenleitern zugesandt, die die letzte Verteilung an die Glaubensbrüder vornahmen.

Die WTs enthielten religiöse Abhandlungen, willkürliche Bibelauslegungen und Hetzartikel politischer Art, die gegen die nationalsozialistische Regierung in Deutschland gerichtet waren. Die Glaubensbrüder wurden in dieser Zeitschrift ständig zum Ungehorsam gegen den Staat aufgefordert; es wurde ihnen immer wieder eingeimpft, dass sie Gott mehr zu gehorchen hätten als den Menschen.

Ein beliebtes Propagandamittel war weiterhin die Einführung von Schallplatten. In einzelnen Ländern (vorwiegend in Amerika) besitzen die Bibelforscherorganisationen eigene Radiosender und machen eine entsprechend große und wirkungsvolle Rundfunkpropaganda. Da in Deutschland eine offizielle Betätigung verboten ist, hat man bisher von der Aufstellung eines solchen Senders Abstand genommen, zumal eine derartige Einrichtung einerseits zu teuer, andererseits zu gefährlich für die Bibelforscher wäre.

Aus diesem Grunde war man dazu übergegangen, Schallplatten herzustellen, die mit Vorträgen des Richters Rutherford besprochen waren. Die Schallplattenfabrik befand sich in Hennigsdorf bei Berlin. Gleichzeitig hatte man eine eigene Grammophonfabrik zur Herstellung der erforderlichen Sprechapparate eingerichtet. Die Leiter dieser beiden Fabriken waren alte, erprobte Bibelforscher. Durch ein raffiniert ausgeklügeltes Verteilungssystem wurden die Schallplatten den einzelnen Glaubensbrüdern durch ihnen unbekannte Leute zugestellt und durchschnittlich nach 4-6 Wochen wiederum von anderen, ebenfalls unbekannten Glaubensbrüdern abgeholt und dann an neue Adressen weitergeleitet. Hatte ein Glaubensbruder ein solches Grammophon mit 10 bis 15 Schallplatten erhalten, so versammelte er in seiner Wohnung ihm bekannte Glaubensbrüder und hörte sich mit diesen die ihm zugesandten Platten an. Für die Platten wurde eine Leihgebühr von durchschnittlich 1,25 bis 1,75 RM gezahlt, die Benutzung des Grammophons war unentgeltlich.

Durch ihre Botschaft vom 7. Oktober 1934 hatten die Bibelforscher dem Staat erklärt, dass sie zukünftig weiterhin, trotz Verbot, sich zusammenfinden würden, um sich am Worte Gottes, wie es die Heilige Schrift lehre, zu erbauen. An diesen Versammlungen oder sogenannten Erbauungsstunden, welche meistens in den Privatwohnungen einzelner Mitglieder stattfanden, nahmen durchschnittlich 6 bis 10 Personen teil. Der Polizei gegenüber wurden derartige Versammlungen, falls sie kontrolliert wurden, fast immer als 'Kaffeekränzchen' oder 'Geburtstagsfeiern' ausgelegt.

Bezeichnend für die Kampfesmethoden der illegalen IBV ist weiterhin die Tatsachen, dass sämtliche Funktionäre sich Decknamen zugelegt hatten und gleichzeitig über mehrere Deckadressen verfügten um vor den Zugriffen der Polizei sicher zu sein. Alle 4 bis 6 Wochen fanden besondere Zusammenkünfte, sogenannte Treffs, statt, bei denen der 'Reichsleiter' die Arbeit der kommenden Woche festlegte, sowie die Ergebnisse der bisher geleisteten Arbeit mit den einzelnen Bezirksdienern besprach. Bei dem Haupttreffs wurden von jedem Bezirksdienstleiter das vereinnahmte Geld abgeliefert. Es handelte sich hier um die Überschüsse, die die einzelnen BDL erzielt hatten, und zwar durch den Verkauf von Büchern, Broschüren und Traktaten, für den Verkauf der WTs, der Schallplatten und durch Spenden von Glaubensbrüdern, den sogenannten Gute-Hoffnung-Spenden. … Von den eingegangenen Geldern bestritten die Bezirksdiener dann ihren Lebensunterhalt und bezahlten ihre Unkosten für Farbe, Druckmaschinen und Verfielfältigungspapier, nebst Porto sowie eine Eisenbahnnetzkarte 2. Klasse, die monatlich 100 RM kostete. Den erzielten Überschuss rechneten sie mit ihrem 'Reichsleiter' ab. Dieser sammelte die eingegangenen Gelder und schickte alle 6 bis 8 Wochen durch einen Sonderkurier etwa 6 000 bis 8 000 RM über die grüne Grenze zum Bibelhaus Bern (Schweiz).

Von diesen Geldern, die durchschnittlich von armen und bedürftigen Volksgenossen stammten, unterschlug der 'Reichsleiter' (Fritz Winkler) etwa 25 000 Reichsmark und verbrauchte sie für sich. Während die einfachen und bedürftigen Glaubensbrüder der Meinung waren, dass ihre Spenden, die sie sich in den meisten Fällen vom Munde absparen mussten, ein Gotteswohlgefälliges Werk darstellten und zu der Aufrichtung des Königreiches Gottes beitrugen, haben die führenden Funktionäre dieser illegalen Organisation herrlich und in Freuden gelebt. Diese Betrügereien und Gaunereien wurde im August 1936 durch das Eingreifen der Geheimen Staatspolizei ein Ende gemacht.

Eine zweite illegale IBV wurde im März 1937 aufgedeckt und zerschlagen. Auch dies mal blieben einige wenige Funktionäre in Freiheit. Diese haben versucht, eine dritte illegale Organisation aufzubauen, doch wurde auch dieser Versuch rechtzeitig erkannt und vereitelt. …" Der Artikel schließt dann wieder mit den üblichen nazistischen Propagandathesen. Vielleicht noch ein Satz daraus: "Ihre Tätigkeit ähnelt sehr derjenigen der illegalen KPD, ja, sie übertrifft diese noch durch den Fanatismus ihrer Anhänger."

Auszugsweise, seien denn mal nachstehend ein paar Faksimiles, aus beiden genannten Heften vorgestellt:

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1938er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte