Erich Frost macht Meldung

Wenn man der Frage nachgeht, warum gerade Erich Frost es gewesen ist, der nach 1945 auf den höchsten Repräsentationsposten der Zeugen Jehovas in Deutschland geklettert ist, dann wird man sicher auch jenes zeitgenössische Dokument mit in Betracht ziehen müssen, dass der "Wachtturm" im Jahre 1937 (S. 139) veröffentlichte. In der für einen Zeugen Jehovas-Funktionär geforderten devoten Grundeinstellung, machte er da seinem Chef, Rutherford Meldung, über den Vollzug der Verbreitung der Luzerner Resolution am 12. 12. 1936 in Deutschland. Der Text beginnt schon mit der obligat devoten Anrede:

"Lieber Bruder Rutherford!

Es ist mein Vorrecht, Dir im Namen aller Geschwister in Deutschland den Bericht über die Tätigkeit während der letzten Wochen zu übersenden und gleichzeitig einen Ausdruck der großen Freude zu übermitteln, die uns alle bewegt."

Frost kommt dann als nächstes auf die Verbreitungsaktion der Luzerner Resolution zu sprechen:

"Wir hatten alle Sorgfalt angewandt, die Vorbereitungsarbeiten streng geheim zu halten. Die Resolutionen wurden bereitgemacht. Durch ihre Spitzel in H. hatte auch die deutsche Geheime Staatspolizei von der bevorstehenden Verteilung erfahren, doch über den von uns festgesetzten Zeitpunkt blieb sie völlig im dunkeln. Selbst die Geschwister wurden erst an dem der Verteilung vorangehenden Tage in Kenntnis gesetzt. Jeder erhielt sein Päckchen mit den einzeln in Briefumschläge gesteckten Resolutionen, sowie sein Arbeitsgebiet zugestellt, und am Sonnabend, den 12. Dezember, nachmittags Punkt 17 Uhr begann schlagartig die Arbeit, die bis 19 Uhr wieder beendet war. In sämtlichen Gegenden Deutschlands, in allen größeren und vielen kleinen Städten setzten zum selben Zeitpunkt 3 540 mutige Zeugen zum Sturmangriff ein. Es wurde ein großer Sieg, ein empfindlicher Schlag wider den Feind und eine unbeschreibliche Freude für die treuen Mitarbeiter.

Eineinviertel Stunde nach Beginn, also 18.15 Uhr, verkündete der Polizei-Rundfunk die Verteilung unserer Flugschriften, und binnen einer weiteren halben Stunde wurde die gesamte Polizei, SA und SS auf die Beine gebracht. Doch da war es schon zu spät. Unsere Arbeit war getan.

Die Wut des Feindes, überrumpelt worden zu sein, kennt keine Grenzen. Aber auch große Angst und Verwirrung hat ihn erfasst, und dies aus folgendem Grunde.

Er weiß nicht, wie viele solcher Flugblätter wir unter das Volk gebracht haben, sieht jedoch, dass dieselben in allen Gegenden des Reiches zu finden sind. Bei den Nachfragen, die die Polizei hielt, behaupten die meisten Leute, nichts erhalten zu haben. Nun glaubt man ihnen nicht, weil man ja längst weiß, dass weitaus die meisten Menschen in Deutschland Gegner des Hitlerregimes sind und sich freuen, wenn die Menschen die Wahrheit erfahren.

An einigen Orten holte die Polizei gerade diejenigen Geschwister ab, die sich nicht an der Arbeit beteiligt hatten, während die Mutigen verschont blieben.

Unter ihnen herrscht nun eine große Freude, wie sie eigentlich seit dem Verbot in Deutschland nie gewesen ist. Sie alle warten und fragen beständig nachdem nächsten Sturmangriff, und eine Anzahl derer, die sich diesmal aus Angst enthalten hatten, wünschen das nächste Mal mitzuarbeiten. …

Natürlich werden außer diesen Flugschriften nach wie vor Bücher und Broschüren verbreitet, die Jonadabe aufgesucht und in einzelnen Orten auch noch etwas Schallplattendienst durchgeführt.

Während des letzten Vierteljahres 1936 (1. Oktober bis 31. Dezember) ist der Tätigkeitsbericht folgender. Ungefähr 3 600 Arbeiter, 21 591 Stunden, 300 Bibeln, 9624 Bücher, 19 304 Broschüren.

In Haft befinden sich gegen 4 000 Geschwister. Gegenwärtig finden überall große Prozesse statt, die - da die Zeitungen jetzt mehr darüber berichten als früher - ebenfalls unter dem Volke viel Aufsehen erregen. … Trotz der harten Verfolgungen von Seiten der braunen und schwarzen Henkersknechte sind die Geschwister dennoch unverzagt … der entschlossene Wille zur treuen Pflichterfüllung auch angesichts des Todes wird immer nur stärker durch die zunehmende Hitze des Feuerofens, der in Deutschland wahrlich 'siebenfältig' geheizt ist."

Jene Luzerner Resolution und ihre Verteilung in Deutschland, wird von den Zeugen Jehovas, und den mit ihnen liierten "Gefälligkeitsaposteln" aus dem wissenschaftlichen Spektrum, im allgemeinen mit positiven Worten kommentiert, oder zumindest "neutral", unter Ausklammerung kritischer Akzente dazu. Eine Ausnahme von diesem Trend, stellte Friedrich Zipfel dar. Es ist einzuräumen, dass auch Zipfel Fehler beim recherchieren unterlaufen sind. Auch Zipfel ist Außenstehender, dass heißt, er hat nie eine persönliche Beziehung zu den Zeugen Jehovas gehabt. Ihn interessierte das Thema lediglich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten.

Allerdings nahm sich Zipfel auch die Freiheit, sich bei seinen Wertungen nicht als Lakai der Kirchen zu verstehen, die da teilweise belieben, als Feigenblatt für ihr eigenes Versagen in der NS-Zeit, das Thema Zeugen Jehovas hochzukochen, unter Eliminierung wesentlicher kritischer Gesichtspunkte. Ein herausragender Vertreter dieser Tendenz ist bekanntlich G. und seine Nachbeter. Jedenfalls, ich würde die Formulierungen von Zipfel auch so nicht übernehmen wollen. Zipfel ist im Gegensatz zu G., wieder "zu weit weg" von den Zeugen Jehovas. Dennoch halte ich jenes Statement von Zipfel für durchaus diskussionswürdig, der da in Kommentierung der Luzerner Resolution in seiner Studie "Kirchenkampf in Deutschland (S. 186) äußerte:

"Von geradezu verheerender Wirkung für die deutschen Bibelforscher war ein Beschluss, der von der mit den deutschen Verhältnissen nicht recht vertrauten ausländischen Leitung gefasst und von den deutschen Glaubensbrüdern fanatisch durchgeführt wurde."

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1937er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte