Wehrdienst in der Schweiz

Das Hitlerregime war ein totalitäres Regime. Es hielt nichts von Gewissensfreiheit. Seine Devise lautete kurz und knapp: "Und willst Du nicht mein Bruder sein - so schlage ich Dir den Schädel ein." Mehr noch, es gab einigen noch nicht einmal die "Chance" zu dessen Brüdern zu avancieren; wie beispielsweise den Juden. Also, um sich zu jenem Regime als in Opposition befindlich zu betrachten, dazu bedurfte es wahrlich keines besonderen Anlasses. Die Gründe dafür lagen mehr als genug "auf der Strasse". Solche Opposition artikulierte sich auch in religiöser Verbrämung. Ein herausragendes Beispiel dafür stellen bekanntlich die Zeugen Jehovas dar. Wenn letztere es auch als zu ihren Grundsätzen gehörend betrachteten, keinen Wehrdienst für ein verbrecherisches Regime leisten zu wollen, dann kann man diese Motivationslage durchaus nachvollziehen.

Nun wird man bei staatlichen Militärdienstforderungen noch differenzieren müssen. Zwischen solchen Forderungen in der Friedenszeit und dem eingetretenen Ernstfall, dem Kriege. 1935 war der Ernstfall noch nicht eingetreten, namentlich auch nicht in der Schweiz. Aber auch dort bestanden schon gesetzliche Vorschriften, die von den Bürgern die Ableistung bzw. die Ausbildung zum Militärdienst verlangten. Wie auch in anderen demokratisch verfassten Staaten vielfach feststellbar, artikulierten sich auch dort - in der Friedenszeit - Stimmen, die dem Militärdienst eine eindeutige Absage erteilten. Verständlich, dass solche Stimmen auch im Spektrum der Zeugen Jehovas nachweisbar sind. Nun ist es aber eines, als Einzelner, wenn auch als Mitglied einer Organisation, eine radikale Position in einem freiheitlichem Meinungsspektrum zu verkünden, die dann aber doch die Einzelmeinung des Betreffenden ist. Ein anderes ist es hingegen, welche Position die Leitung dieser Organisation zu solchen radikalen Einzelmeinungen bezieht und welche verbindliche Erklärung sie dazu der Öffentlichkeit gegenüber abgibt. Die Auseinandersetzung um eine solche Kontroverse ist in der Ausgabe vom 15. 8. 1935 des "Goldenen Zeitalters" nachweisbar. Die deutsche Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" erschien zu jener Zeit bekanntlich nur in der Schweiz.

Das "Goldene Zeitalter" berichtet nun über eine zugegangene Leserzuschrift radikalen Inhalts. Der Briefschreiber äußert unter anderem:

"Gottesdiener können und müssen sich heute vom Militär (-dienst und -steuer) fernhalten. Unter diesem Fernhalten meine ich die Verweigerung jeglicher Art Militärdienst und die Zahlungsverweigerung der direkten Militärsteuer … Es ist töricht, zu glauben, die Militärbehörden seien fähig, Gottesdiener zum Teufelsdienst, zur Gotteslästerung zu zwingen. Sie sind sogar unfähig, wahre Gottesdiener wegen ihrer Militärunterstützungsverweigerung zu bestrafen."

Mit diesem Leserbrief hatte die Redaktion des "Goldenen Zeitalters" ein bemerkenswertes Dokument in der Hand. Wie würde sie darauf reagieren? Es hätte in ihrer redaktionellen Freiheit gelegen, jenes Schreiben nur individuell zu beantworten, oder gar einfach unbeantwortet in den Papierkorb zu werfen. Niemand zwang sie dazu, in öffentlicher Form in ihren Spalten dazu Stellung zu nehmen. Dennoch entschied sie sich bewusst für letzteren Weg. Ihr war also durchaus bewusst, dass da einige Gedanken artikuliert worden waren, die schon mehr grundsätzlichere Bedeutung hatten. Zugleich hatte sie mit dieser Vorlage auch die Chance, gegenüber der Öffentlichkeit zu erklären, was ihre, die offizielle Position, zu dieser diffizilen Angelegenheit sei. Sie nahm diese Chance sehr bewusst war und antwortete dem Briefschreiber daher öffentlich:

"Darauf ist folgendes zu antworten: Der unüberlegte Eifer für eine gutgemeinte Sache (also für eine welche der Eiferer für gut hält) veranlasst manchmal die Menschen, sachliche und ruhige Beurteilung in den Wind zu schlagen. Dies ist Fanatismus. Saulus von Tarsus war ein solcher Eiferer. Derartiger Übereifer ist nicht gut, doch zeigt das Beispiel von Paulus, dass Fanatiker nicht durchaus schlechte Menschen sind.

Es geht zuweit, wenn jemand kühn behauptet, dass die Militärbehörden unfähig seien, Dienst- und Steuerverweigerung zu bestrafen, falls diese Verweigerer Gottesdiener sind. Die Tatsachen sind also bekannt, dass treue Diener Gottes als Dienstverweigerer aus Gewissensgründen hart bestraft werden, sogar in der Schweiz, geschweige in andern Ländern! Jesus lehrte, dass wir verfolgt werden, gleich wie er. Wir dürfen aber keinem wahren Diener Gottes befehlen, dass er sich als Dienstverweigerer bestrafen und als Verbrecher einsperren lassen muss. Dies ist dessen persönliche Angelegenheit. Wenn es nach seinem Gewissen erlaubt ist, als Sanitätssoldat Dienst zu tun, so soll ihm niemand einen Vorwurf machen, falls er nach seinem Gewissen handelt. Wer aber gegen sein eigenes Gewissen handelt, dem ist es Sünde.

Ein kurzsichtiges Urteil lautet so: Militärdienst ist vom Staat; der Staat ist vom Teufel; also ist Militärdienst verboten. Warum soll man nicht von der Eisenbahn oder der Post und Polizei genau dasselbe sagen? Sind sie nicht alle vom Staat? Es ist dem Einsichtigen klar, dass in solch kurzen Schlüssen Kurzsichtigkeit vorliegt. Fanatismus macht kurzsichtig oder gar blind. Sachliche Beurteilung, nicht religiöser Übereifer sollen unsere Erwägungen leiten!

Wer gezwungen wird, Militärdienst zu tun (bei Androhung schwerer Strafen im Weigerungsfall), braucht deswegen keinen Menschen zu töten, obwohl er im Töten von Menschen gründlich ausgebildet wird. Eisenbahn, Post etc. wie auch das Militär, dienen im Kriegsfalle der Landesverteidigung, also in der Schweiz der Verteidigung guter Rechte, ähnlich wie die Polizei unter Umständen mit Waffengewalt dem öffentlichen und privaten Recht dient.

Weil daran zunächst nichts Verwerfliches ist, mag manchen darum sein Gewissen erlauben, gezwungenermaßen Militärdienst zu tun. Weil aber das Militär fast immer dem organisierten Massenmord dient, darum ist es begreiflich, dass wahre Christen nichts damit zu tun haben wollen. Und manchen erlaubt das Gewissen überhaupt nicht, Militärdienst zu tun. Sie sind bereit, die Bestrafung durch den Machthaber Staat auf sich zu nehmen. … Im gleichen Buch, vom selben Manne Gottes, Mose geschrieben, wo die Anweisung steht: Du sollst nicht töten, finden sich die göttlichen Anweisungen, gewisse Verbrecher in Israel öffentlich zu steinigen. …"

"Das Goldene Zeitalter" 1. 7. 1935

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Eine Thematische Fortsetzung gab es dann noch im "Goldenen Zeitalter" vom 15. 8. 1935

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1935er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte