Reichsverwaltungsblatt

Wie man weiß, waren die Zeugen Jehovas im Naziregime nicht "wohlgelitten", um es mal vorsichtig zu formulieren. Man kann für den gleichen Tatbestand auch andere Vokabeln verwenden. Es trat nach 1933 eine Eskalation der Problematik ein. In der Grauzone, dass das Naziregime sogar gezwungen wurde, die materiellen Güter der Wachtturmgesellschaft, nach der ursprünglichen Beschlagnahmung wieder freizugeben, sind durchaus einige Kuriosa zu verzeichnen. So konnte die Wachtturmgesellschaft in Magdeburg in den Jahren 1934/35 sogar noch eigene Druckerzeugnisse herstellen - wenn auch "nur" unverfängliche Kalender. Bei Roser (S. 47) ist solch ein Kalender abgebildet. Die Verfügungsgewalt über die materiellen Konten der Wachtturmgesellschaft, ermöglichte deren Funktionär Hans Dollinger, noch einen anderen gewichtigen Schritt (zumindest zeitweise). Er setzte ein ganzes Heer von Rechtsanwälten in Bewegung, die bekanntlich nicht ohne Erstattung ihrer geforderten Honorarkosten in Aktion treten. Geld war aber offensichtlich ausreichend da. Das Naziregime musste sich nun mit der misslichen Sachlage auseinandersetzen, dass jene Anwälte es verstanden, die potentiellen juristischen Schwachpunkte heraus zu kristallisieren. Das Bibelforscher/Zeugen Jehovas-Verbot, fußte bekanntlich auf der berüchtigten Reichstagsbrandverordnung. Gegen die konnten die Anwälte auch nichts unternehmen. Aber sie erlaubten sich herauszuarbeiten, dass die Weimarer Verfassung, vom NS-Regime nicht formal aufgehoben sei, also rechtsgültig weiterbestünde. Sie machten darauf aufmerksam, dass § 137 jener Verfassung die Religionsfreiheit garantiere und das dieser § in der Liste der durch die Reichstagsbrandverordnung aufgehobenen Grundrechte, nicht mit enthalten sei.

Da befand sich nun das Naziregime in der Klemme. Aber in einer Bravouraktion setzte es sich auch über diese Einwände hinweg. Immerhin, es gab eine Diskussion darüber in Juristenkreisen. Das war keine Angelegenheit, die sich "innerhalb von 24 Stunden regeln liess". Es mussten juristische Gegenargumente formuliert werden, wollte man nicht schon gleich zu Anfang des Naziregimes, vor aller Welt den Offenbarungseid ablegen. Ein Beispiel für die diesbezügliche Diskussion kann man auch in der Ausgabe vom 31. 8. 1935 des "Reichsverwaltungsblattes" nachlesen. Diese Beitrag ist auch unter dem Gesichtspunkt interessant, wie seitens der Anwaltschaft, respektive der Zeugen Jehovas versucht wurde, den in der Luft liegenden Vorwurf der Wehrdienstverweigerung zu begegnen. Man sollte sich diesen Passus mal in aller Ruhe "auf der Zunge zergehen" lassen und mit dem vorangegangenen, bezüglich der Schweiz vergleichen.

In dem entsprechendem Abschnitt wurde ausgeführt:

"Das Gericht ist der Auffassung, dass beide Voraussetzungen, unter denen nach dem Punkt 24 (des NSDAP-Programmes) die Freiheit der religiösen Bekenntnisse eingeschränkt ist, vorliegen. Nämlich einmal gefährden die Bibelforscher durch ihre Lehre und Betätigung den Bestand des Staates und zum anderen verstoßen sie gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse.

Der letztgenannte Punkt ergibt sich am deutlichsten daraus, dass die ernsten Bibelforscher nach den Ausführungen in den Zeitschriften als Kriegsdienstverweigerer angesehen werden müssen.

Übrigens könne auch nicht das, was in den ausländischen Zeitschriften stehe, ihnen zur Last gelegt werden. Es sei nicht positive Lehre der Bibelforscher, den Kriegsdienst zu verweigern.

Das Gericht ist aber demgegenüber der Auffassung, dass gerade diese Zeitschriften zur Grundlage der Beurteilung der Bibelforscherlehren genommen werden müssen. Was in den Zeitschriften steht, verstößt jedenfalls gröblich gegen die Wehrauffassung des deutschen Volkes. Es wird mehr oder weniger deutlich die Forderung aufgestellt, dass man im Falle eines Krieges den Dienst mit der Waffe verweigern solle, es wird keine Einschränkung gemacht, dass es sich um einen reinen Verteidigungskrieg handelt. Unerheblich ist, ob jeder einzelne Angeklagte selbst etwa die deutsche Wehrhaftigkeit untergräbt oder den Kriegsdienst verweigert. Maßgebend ist lediglich, dass die ganz allgemein von den Bibelforschern vertretene Tendenz gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstößt. Das Gericht ist der Auffassung, dass eine solche Einstellung der deutschen Ehre, die eine der allerersten Grundlagen des nationalsozialistischen Denkens ist, krass zuwiderläuft. Das germanische Rassengefühl ist untrennbar mit dem Heldischen verbunden. Der Deutsche hat niemals ein Knechtsvolk sein wollen. Gegen diese grundlegenden Erkenntnisse verstoßen die von den Bibelforschern vertretenen Lehren."

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1935er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte