"Unpolitische" Antisemiten

Man gab und gibt vor "unpolitisch" zu sein. In Wahrheit ist man sehr wohl politisch. Nur eben nicht immer im Sinne des jeweilig herrschenden säkularen politischen Systems. Zu letzteren stand und steht man in Opposition. Wohl dem Lande, wo solche politische Opposition geduldet wird, wo sie das Recht hat, sich zu artikulieren, wo sie den Finger auf die Fehler und Versäumnisse der jeweils Herrschenden legt. Wie man weiß, ist die Geschichte mit solchen Regimen nicht sonderlich "reich" bestückt. Vielfach muss man registrieren, dass Opposition - in welcher Form sie auch immer sich artikulieren mag - rigoros niedergebügelt wird.

Auch Oppositionelle machen einen Entwicklungsweg durch. Das heißt, sie verändern schon mal ihre Thesen, aus welchen Gründen auch immer. Auch bei den indirekten Oppositionellen, den Bibelforschern/Zeugen Jehovas ist das registrierbar. Es wäre eigentlich naiv anzunehmen, dass sie keine Tageszeitungen lesen würden. Sie taten und tuen das sehr wohl. Sie sind also darüber informiert, was die jeweils Herrschenden der politischen Szene auf die Tagesordnung gesetzt haben. Auch in Brooklyn (USA) und in Bern (Schweiz) las man die entsprechenden Tageszeitungen. In beiden genannten Ländern konnte und kann sich die Presse relativ frei artikulieren. Mit anderen Worten sie stellte nicht nur ein staatliches Propagandainstrumentarium dar, sondern vermittelte auch Kenntnisse, die nicht unbedingt im Sinne von einigen säkularen Herrschern waren.

Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel die von den Nazis geprägte Vokabel "Greuelpropaganda". Mit anderen Worten, die Berichterstattung der ausländischen Presse, die nicht im Sinne der Nazis war, wurde mit diesem Schlagwort abgetan. Was aber war nach 1933 ein herausragendes Thema der ausländischen Presse bei ihrer Berichterstattung über das Hitlerregime? Ein herausragendes Thema war die aggressiven Maßnahmen, die seitens der Nazis gegen den jüdischen Bevölkerungsteil des deutschen Volkes in Szene gesetzt wurden. Die ausländische Presse stand diesen Erscheinungen fassungslos gegenüber und machte aus ihrer Kritik keinen Hehl. Haben die zeitgenössischen Zeugen Jehovas das nun ausreichend reflektiert? Man wird das wohl kaum sagen können. Eher ist das Gegenteil der Fall. Schon kurz vor Beginn der Naziherrrschaft hatten sie ihre Stellung zu den Juden grundlegend revidiert. Sie haben diese revidierte Fassung auch beibehalten, als die ausländische Presse voll von "Greuelmeldungen" war (um die Vokabel der Nazis aufzunehmen). Ja, sie ließen sich von diesen "Greuelmeldungen" in keiner Weise beeindrucken. Als wäre nichts geschehen, verbreiteten sie noch im Jahre 1935 eigene Meldungen dazu, worin sie sich selbst als nunmehrige Antisemiten outeten. Er ist schon makaber, dieser Text - der den damaligen zeitgenössischen Kontext in keiner Weise reflektierte.

In der Schweiz gedruckten Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" vom 15. 2. 1935 konnte man lesen:

"Frage: In Dr. Edgars 'Sozialismus und die Bibel' steht: 'Christus wird daher, wenn er wiederkommt um seine große Macht an sich zu nehmen, als 'der König der Juden' herrschen und die jüdische Nation wird alsdann an erster Stelle stehen.' Jesus sagte auch. 'Das Heil ist aus den Juden' - kurzum, Jesus soll ein neues jüdisches Königreich aufrichten. - Und da fragt man sich: Warum ausgerechnet ein Jüdisches? Sind etwa die Juden so sittsam, so moralisch vorbildlich, dass sie diese Gunst des Herrn verdienen? Soll man sie etwa in ihrem Tun, in ihrer Gold- und Geldgier, in ihrer Nichtbeachtung aller Schätze der Schöpfung nachahmen, damit auch wir der Gnade des Herrn teilhaftig werden? Und wodurch haben es die Juden verdient? Etwa für die Kreuzigung Jesu? Und warum … blieb Jesus nicht bei seinem Glauben und ließ sich taufen?

Antwort: Jahrelang glaubten Bibelforscher, dass die biblischen Prophezeiungen, welche von den Juden reden, sich auf die buchstäbliche jüdische Nation bezögen. Auch Dr. Edgar unterliegt diesem Irrtum. Im Buch 'Rechtfertigung' bei der Erklärung von Hes. 37 (Tal der verdorrten Gebeine) zeigt nun aber Richter Rutherford, dass mit den Ausdrücken 'Haus Israel' oder 'Juden" nicht das buchstäbliche jüdische Volk gemeint sein kann, wie wir früher meinten. 'Nicht alle, die sich Juden nennen sind Juden' (Offenb. 2:9). Die Juden von heute haben die günstige Gelegenheit, zum Glauben der Väter und ihrer Prophezeiungen über den Messias zurückzukehren, nicht benützt. Sie sind heute noch gegen Jehovas Gesalbten, gegen die Wahrheit vom Königreich Gottes und gegen Jesus Christus. Sie tun nichts zur Rechtfertigung des Namens Gottes und sind darum keine wahren Israeliten nach dem Geiste."

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1935er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte