Proletarische Freidenker

Kirchliche Kreise wurden nicht müde, bei ihrer Bibelforscherkritik immer wieder eine Assoziation zu dem ihnen gleichfalls verhassten Freidenkertum herzustellen. Offensichtlich sprachen Freidenker und Bibelforscher die gleiche soziologische Klientel an. Die eine mit, die andere ohne religiöse Sozialisation. Er war ein "Schlaglicht", jener Artikel von einem gewissen Alfred Ihlau, der in der Ausgabe vom 1. November 1931 der Zeitschrift "Der proletarische Atheist" erschien. Seine inhaltliche Aussage überzubewerten wäre sicher unangebracht. Aber wer wirklich verstehen will, was die damals Handelnden "umtrieb", der sollte sich auch mal mit ihm auseinandersetzen. Man konnte also in der genannten Ausgabe lesen:

"Kommt da ein fünfzigjähriger Bayer an den Krankenkassenschalter. 'Ich will bloß wissen, ob der Arbeitgeber meine Frau abgemeldet hat. Wenn das wahr ist, dann hau i dem aber in sei Vaatzen nei! Aber freilich, meine Frau wird sagen: Mann laß! Der wird schon noch seinen Gladiatoren finden. Ich heiße Fuchs. Sehen Sie sich die ganze politische Geschichte an. Das ist alles schon in der Bibel vorgeahnt. Von dem Marx finden Sie es im Baruch, Kapitel 41, Vers 24 und von Hindenburg können Sie lesen im Baruch, Kapitel 42, Vers 25. Schauen Sie. Geben Sie mir einen Bleistift und Papier. Also da steht: 'Nehmt einen Balken. Und noch einen Balken. Und verbindet beide'. - Dabei malte er ein 'H' und fuhr fort: 'Das 'H' bedeutet Hindenburg mit 'H' und Hannover schreibt sich auch mit 'H'. Dann stützet die Balken.'

So entstand ein 'K'. 'Das heißt Karding', meinte der Bayer. 'Karding ist der Saupreuß, der uns allen die Steuer aufdrückte. Und weiter steht im Baruch: 'Gebt dem Ganzen einen Bogen als schützendes Dach.' Nun entstand ein 'P'. 'Da haben Sie es' fuhr Fuchs mit funkelnden Auge fort. 'Das ist der Vertreter vom Papst, der Paciavelli, der Haderlump. Ich bin auch katholisch. Aber das Gefährlichste war von jeher die katholische Kirche. Sie hat bei allen Kriegen die Hand im Spiele gehabt. Hören's. Kommen Sie zu uns Bibelforschern.'

Er nannte mir eine Adresse und mit einem freundlichen 'Grüß Gott' verabschiedete er sich. Na, dachte ich, wie ist das nur möglich, dass diese 'Bibelforscher' immer noch ihre Bude voll bekommen. Immerhin hatte er mich neugierig gemacht. Ich musste nachprüfen, was die genannten Bibelstellen sagen. Vor mir liegt das Buch Baruch. Man liest da, dass es die Reden sind, die Baruch, der Sohn Nerias, des Sohnes Mahasias, des Sohnes Sedechiar, des Sohnes Sedeis, des Sohnes Helchias in ein Buch geschrieben zu Babel, im 5. Jahr, am 7. Tage des Monats, zur Zeit, da die Chaldäer Jerusalem gewonnen und mit Feuer verbrannt hatten.

Was sehen meine müden Augen? Wörtlich im Kapitel 6, Vers 9: 'Und die Pfaffen stehlen das Gold und Silber von den Götzen und bringen es um mit den Huren im Hurenhause.' Im Kapitel 6, Vers 27, steht gar: 'Ihre Priester aber bringen das Opfer um, dass ihnen gegeben wird, desgleichen auch ihre Weiber prassen davon und geben weder den Armen noch den Kranken davon. Das Buch Baruch hat leider nur 6 Kapitel. 42 Kapitel, wie mir der feurige Bayer in Aussicht stellte, hätte ich gern von dieser Sorte veröffentlicht.

Von Marx und Hindenburg, von Kording und Paciavelli fand ich trotz gewissenhaften Suchens in meiner lutherischen Bibelübersetzung nichts. Ich bin eben kein Bibelforscher. Übrigens. Die Geschichte von den Pfaffen und Priestern lesen sich nicht übel. Böse Zungen behaupten, es habe sich eigentlich gegen früher wenig oder gar nichts geändert."
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