Frühe Nazipropaganda

Die Nazis sind in Deutschland nicht "vom Himmel gefallen". Anfang der zwanziger Jahre gegründet waren sie zuerst noch nicht in dem Maße relevant wie das ein Jahrzehnt später schon der Fall sein sollte. Man hat weiter zu konstatieren, dass es weitere politische Gruppen in Deutschland gab, die eine ähnliche Programmatik wie die Nazis hatten, jedoch von ihnen (vorerst) organisatorisch getrennt waren. In diese Rubrik ist auch die "Deutschvölkische Freiheitsbewegung" einzuordnen. Letztere hatte auch eine eigene Tageszeitung das "Deutsche Tageblatt". Im Jahre 1927 verbreitete man sich dort auch über die Bibelforscher. Das fing damit an, dass das berüchtigte Bräunlich-Buch über die Bibelforscher auf dem Büchermarkt erschienen war. In warm befürwortenden Worten wurde es am 21. 8. 1927 in besagtem "Deutschen Tageblatt" angepriesen. Zitat:

"Auf Grund einer sehr eingehenden Untersuchung der Veröffentlichungen der 'Ernsten Bibelforscher' führt er (Bräunlich) den Nachweis, dass die rätselhaften Gründer der Sekte bolschewistische Religionsspötter sind, die nach raffiniertem Plan darauf ausgehen, im Herzen der Kirchentreuen evangelischen Bevölkerung das Vertrauen zur Kirche zu vergiften, die Bibel der Lächerlichkeit auszuliefern und die haltlos gemachten Nachläufer dem Bolschewismus in die Arme zu treiben. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Feststellungen über den Anteil der 'Ernsten Bibelforscher' an der Kieler Matrosenrevolte."

Der Erste Weltkrieg war bekanntlich für Deutschland kein "Spaziergang". Man wollte de facto, das eigene Territorium erweitern, sich den vermeintlichen Anspruch auf einen "Platz an der Sonne" erzwingen. Es kam anders als die nationalistischen Hitzköpfe sich das vorgestellt hatten. De facto erweiterten andere ihr Territorium, deutsche Kolonien, davor noch vorhanden, gab es nach dem Weltkrieg nicht mehr. Und aus dem "Platz an der Sonne" wurde auch nichts. Auf dem saßen jetzt andere (beispielsweise die USA) und sie diktierten den deutschen Nationalisten ihre Bedingungen. Der Versailler Vertrag, Frucht dieser Situation, hatte es erst möglich gemacht, dass Deutschland sich nunmehr politisch erheblich stärker polarisierte. Gab es vor dem Ersten Weltkrieg kaum Pazifisten, so sah die Situation nach Ende der Weltkrieges durchaus anders aus. "Nie wieder Krieg" war eine Parole, mit der breite Bevölkerungsschichten sich nunmehr identifizieren konnten. Die Schwäche des Pazifismus war allerdings seine Unorganisiertheit. Jedenfalls ist zu registrieren, dass jene die sich den Bibelforschern anschlossen, in der Regel auch dem pazifistischen Gedankengut zugetan waren.

Die Gegenseite schlief indes nicht. Ihr Hauptinstrument vor dem Weltkrieg, der Alldeutsche Verband, konnte nach dem Weltkrieg keinen Blumentopf mehr gewinnen. Eine neue Verpackung für den alten Ungeist wurde notwendig. Einige Gruppen stritten darum, dies am besten zu können. Im Nachhinein wird man sagen können, von ihnen war die Hitlerbewegung am erfolgreichsten. Eines der wichtigsten Elemente des aufkommenden Nazismus, war seine eindeutige Absage an den Pazifismus. In dem "Nationalsozialistischen Jahrbuch" für das Jahr 1932 (S. 95) wurde das mal prägnant auf den Punkt gebracht, wenn man dort die Parole lesen konnte: "Nie wieder Krieg - heißt nie wieder Sieg! Heißt nie wieder frei - heißt Sklaverei!"

Wie schon gesagt: Die Nazis waren anfänglich eine von mehreren Gruppen. Auch andere vertraten ein ähnliches Gedankengut.

Im Jahre 1927 veranstalteten die Bibelforscher im damaligen Berliner "Sportpalast" eine große, Öffentlichkeitswirksame Veranstaltung. Rutherford höchstpersönlich, beliebte dort aufzutreten. Man kann sich das plastisch vorstellen. Rutherford, der deutschen Sprache nicht mächtig, legte aber doch Wert darauf, persönlich öffentlich vorzutragen. Also musste jeder seiner englischen Sätze, im Anschluss daran, noch von einem Dolmetscher wiederholt werden. Auch in der Gegenwart, begegnet man auf Großveranstaltungen der Zeugen Jehovas, noch solchen Vorgängen. Wer das schon mal mit "abgesessen" hat, wird die programmierte Langeweile solcher Vorträge kennen. Aber natürlich, wenn der höchste Repräsentant einer Religionsgemeinschaft, höchstpersönlich einen Vortrag hält, dann empfinden die gläubigen Anhänger das nicht so. Beweis sind dann ihre laufenden Ovationen bei den nichtigsten Anlässen. Und so war das auch im Jahre 1927.

Auch die öffentliche Presse besuchte jene 1927-er Rutherfordveranstaltung. Unter ihnen auch der damalige kommissarische Chefredakteur des "Deutschen Tageblattes". Am 1. 9. 1927 legte er dann in seiner Hauspostille umfänglich seine diesbezüglichen Eindrücke in kommentierter Form dar. Aus den Ausführungen dieses Erich Schlaikjer, seien nachstehend einige Passagen zitiert:

"Die Vereinigung der internationalen Bibelforscher hat soeben im Sportpalast in Berlin ihre diesjährige Generalberatung abgehalten, an der nicht weniger als 10 000 Vertreter aus allen Gegenden Deutschlands teilnahmen. Obwohl Berlin und die Vororte mit Flugblättern und religiösen Schriften geradezu überschwemmt wurden, so das man hinter der Vereinigung eine starke Geldmacht vermuten muss, und obwohl die Tendenz der Vereinigung die Gefahr des Landesverrats in sich bergen, hat die sogenannte 'große' Berliner Presse doch von der Tagung keine Notiz genommen. Während sie für die lächerlichsten Sportdinge die teuersten Telegramme und den riesigen Fettdruck zur Verfügung hat. Dieses Schweigen, im besonderen der jüdischen Berliner Presse spricht eine sehr beredte Sprache, und darum wollen wir jetzt die internationalen Bibelforscher aus dem Dunkel hervorholen, mit dem die jüdische Presse meint sie umgeben zu müssen.

In den Augen der Frau, die mir die Drucksachen in meine Vorortwohnung brachte, war religiöse Glut, vielleicht auch religiöser Wahn zu lesen, und soweit die unteren Anhänger der Bewegung in Frage kommen, wird man wohl ganz allgemein nur schwer entscheiden können, ob sie von einem Wahn umfangen sind.

Wenn man die verteilte Nummer der religiösen Zeitschrift liest, weiß man schlechterdings nicht mehr, was man eigentlich davon halten soll. Die internationalen Bibelforscher glauben, dass Gott eine irdische Herrschaft der Gerechtigkeit aufrichten werde, und für diesen Glauben ist in der Tat in der Heiligen Schrift ein Grund vorhanden. Der Heiland prophezeit dieses Reich der Gerechtigkeit aber nicht auf internationaler pazifistischer Grundlage, sondern er kündigt als Träger des Reichs ein Volk, das im Krieg s t ä r k e r sein werde als alle andern, so das es also eine völkische Herrschaft annimmt, die sich im Kampf behaupten muss.

Der Stein, sagt er, der von den Bauleuten verworfen wurde, etwa wie wir im Krieg von den Bauleuten der Welt verworfen wurden, soll der Eckstein des Reiches sein, und er führt dann fort (ich zitiere nach dem Gedächtnis): 'Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen, auf wen aber dieser Stein fällt, der wird erschlagen werden.' Mit anderen Worten: nach dem Heiland soll ein unbesiegbares Kriegervolk der Träger einer gerechten Weltherrschaft sein, während die internationalen Bibelforscher ein pazifistisches Gottesreich erwarten, und im Krieg ein Werk des Teufels sehen. In der religiös begründeten und darum doppelt gefährlichen Hetze gegen den Krieg liegt die ungeheure Gefahr der Bewegung, die von einem amerikanischen Richter Rutherford geführt wird.

Es ist durchaus möglich, dass die eigentlichen Träger der Bewegung aus einem ehrlichen religiösen Wahn heraus handeln, aber es ist mathematisch sicher, dass die jüdisch-pazifistische Macht in Deutschland sie zu einem Instrument des Landesverrats gegen uns machen wird. So wie im Krieg die berüchtigten 'Zimmerwalder' international waren, aber das 'Schwergewicht' ihrer Tätigkeit nach Deutschland verlegten, so das unser Heer unterwühlt wurde, die Heere der Feinde aber nicht, genau so werden die Bibelforscher bei uns zum Landesverrat gebracht werden, während man das in andern Ländern zu hindern wissen wird. … Wir fordern unsere Leser auf, sie überall scharf und schonungslos zu bekämpfen, sowohl aus vaterländischen wie aus religiösen Gründen. Um an einem Beispiel zu zeigen, wie sie gegen den Krieg arbeiten, drucken wir aus ihrer religiösen Zeitschrift die folgende Stelle ab:

'Der Krieg wurde zwischen verschiedenen Nationen erklärt, die alle sogenannte 'christliche' Nationen waren. Hat die Geistlichkeit dieser Länder bei ihren Regierungen gegen den Krieg Einspruch erhoben? Hat die Geistlichkeit dieser Länder ihre Gemeinden und alle Christen aufgefordert, sich zu weigern, am Kriege teilzunehmen? Nein, im Gegenteil, sie gaben sich hier und da, direkt oder indirekt zu Kriegswerbern her, und sie forderten die Herde auf, in den Kampf zu ziehen. Zahllose Gebete um Segen für erfolgbringendes Töten recht vieler Menschenleben wurden von den Geistlichen der verschieden sich feindlich gegenüberstehender 'christlichen' (!) Brudervölker gebetet zu dem selben Gott und je größer die Zahl der Toten, Verwundeten und Gefangenen, um so lauter und freudiger läuteten die Glocken der verschiedenen 'christlichen' Kirchen in den verschiedenen 'christlichen' Ländern. O grauenvolles Trugspiel der Unverstandenen!'

Wenn man nun die religiöse Begründung dieses Pazifismus liest, kommt man aus einem andauernden Kopfschütteln nicht heraus. Das Alte Testament ist in unseren Kreisen sehr umstritten, aber die Bibelforscher betrachten es als eine Offenbarung Gottes, und also ist es für sie verbindlich. Sie verehrten nicht nur die Männer, die im Dienst Jehovas standen, sie verehren sie sogar in erster Linie.

Sie bewundern David, aber ihr Pazifismus scheint nicht zu wissen, dass David seinen ersten Ruhm im Krieg gegen die Philister gewann und später ein Kriegführender Erobererkönig wurde. Sie verehren Gideon, aber sie belieben zu übersehen, dass Gideon ein Heerführer war, der durch Waffengewalt die alttestamentlichen Juden vom Druck der Midianiter befreite. Sie behaupten mit wahnverstärkter Dreistigkeit, dass der Krieg die Methode des Teufels sei, aber sie haben im Alten Testament nicht gelesen, dass Gideon unter der Parole focht: 'Hier Schwert des Herrn und Gideon.' Sie zitieren Joel 3, 9-10, aber den 11. Vers, indem der Prophet ausspricht, dass Gott selber seine Heere sammeln und gegen die Feinde führen werde, den lassen sie weg. Sie führen aus dem Hebräerbrief des Neuen Testaments aus dem 11. Kapitel die Verse 32-38 an. In diesen Versen wird ausgesprochen, dass man durch den Glauben an Gott stark sein könne im Krieg, also das man Königreiche bezwänge und die Heere der Fremden zurückwürfe. In der gleichen Nummer aber, in der sie das anführen, sprechen sie aus, dass der Krieg vom Teufel stamme, während nach dem Hebräerbrief die Kraft im Krieg umgekehrt aus dem Glauben an Gott stammt.

Ob die Führer der Bewegung in all dem nun lügen oder ob sie nur von einem Wahn befallen sind, können wir nicht wissen, aber die Erde ist so nicht gegründet als die Tatsache, dass die ganze Bewegung sowohl mit dem Alten wie mit dem Neuen Testament in einem furchtbaren Widerspruch ist und das sie also unter vaterländischen wie unter religiösen Gesichtspunkten eine Macht der Hölle darstellt, der man über den Weg zu leuchten hat, so oft sich hier nur ein Anlass bietet. Die jüdische Presse scheint daran interessiert zu sein, die Bewegung im Geheimen arbeiten zu lassen, aber wir sind am Gegenteil interessiert, und darum veröffentlichen wir auch dieses Alarmsignal."

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