Die "Wahrheit" der "Wahrheitsfreunde"

Nicht nur in der Schweiz gab es solche Schismen. Auch Deutschland blieb von ihnen nicht verschont. Wurde schon beim Fall Jakob Weber festgestellt, dass für ihn die 1925-Verkündigung existentiell war, dass er sein ganzes Sein oder Nichtsein mit ihr verband, so wird man sagen können auch in Deutschland ist ähnliches feststellbar. Im Prinzip war das 1925-Datum nur die Spitze des Eisberges. All die Jahre nach 1914 hatte man aus nichtigsten Gründen einer ähnlichen Erwartung nachgefiebert. Rutherford hatte dann "klar Schiff" gemacht, indem er eine Theorie für verbindlich erklärte und massenwirksam verbreiten ließ. Rutherford hatte zwar schon mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass er auf dem Wege zum absolutistischen Diktator war; indes bis er dieses Ziel in Vollendung erreichte, säumten auch symbolische Leichen seinen Karriereweg.

Es gab da Bibelforscher die waren das schon, wo der Name Rutherford überhaupt noch nicht genannt wurde. Einige von ihnen hatten sich auch zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickelt. Da sie sich nicht rechtzeitig genug geistig verbogen, fanden sie sich sehr schnell außerhalb der von der Wachtturmgesellschaft geleiteten Bibelforscher wieder. In Deutschland gaben einige aus diesen Kreisen seit etwa 1923 auch eine Zeitschrift heraus, die sich "Der Wahrheitsfreund" nannte. In einer Ausgabe aus dem Jahre 1925 dieses Blattes wurden drei Personen als verantwortliches Redaktionskollegium genannt: Fritz Christmann; Franz Egle und Ewald Vorsteher. Letzterer ist als der Kopf des Unternehmens anzusehen. Sieht man sich diese Zeitschrift an, kann man sich des Eindruckes eines gewissen rechthaberischen Getues nicht erwehren.

Insonderheit fällt Vorstehers Steckenpferd auf, in Bezug auf 1925 "genauer" zu rechnen und so für ähnliche Erwartungen 1926 zu postulieren. Aus heutiger Sicht drängt sich die zynische Frage auf, wer bei dieser ganzen 1925/26 Rechnerei denn nun den "Regen" und wer denn nun die "Traufe" repräsentiert. Einer aus dem genannten Redaktionskollegium (Egle) zog es denn auch nach einiger Zeit wieder vor, vom Regen in die Traufe zu wechseln. Oder meinetwegen auch von der Traufe in den Regen. Als die drei noch zusammen die Redaktion ihres Blattes betrieben, da gaben sie unter der Überschrift "In letzter Stunde" auch einen Sonderdruck heraus. Auch er spart nicht an Polemik. Er offenbart aber zugleich, dass eine wirkliche Abnabelung vom WTG-Gedankengut durch Vorsteher nicht erfolgt ist. In seiner Polemik lässt Vorsteher auch mal ein paar frühere Endzeiterwartungen Revue passieren. Er kann es sich nicht verkneifen darzulegen, dass er mit seinem 1926 Datum mehr "Recht" hätte. Es ist offensichtlich, angesichts solcher noch stärker als bei den Bibelforschern ausgeprägten terminlichen Fixierung, dass es mit dem "Wahrheitsfreund" nach 1926 eindeutig organisatorisch bergab ging. Er wusste sich nicht von den entscheidenden Grundgedanken wirklich abzunabeln. Damit war sein Untergang eingeläutet.

Aber in der genannten Zeitschrift (Nr. 1/1925) tönte man noch:

"Viele solcher, welche sich Christen nennen, haben einen Ekel an dem prophetischen Wort, sonderlich an den Zeitprophezeiungen. Diese Toren (wie sie der Herr bezeichnet …) alle diese Verächter irgend einer Speise des heiligen Gotteswortes werden beschämt werden und Schaden leiden."

In dem zitierten Sonderdruck wurde dann ausgeführt:

"Besehen wir uns die vielen unbiblischen Prophezeiungen dieser Sekte: 1918 sollte die kleine Herde eingegangen sein, aber - 'der Herr verzog'. Dann wurde es bezüglich 1921 behauptet, aber - 'der Herr verzog'. Zwischen 1918 und 1921 gab es viele tolle unbiblische Prophezeiungen, aber immer wieder - 'der Herr verzog'. Denken wir an die Behauptung, 'Jericho' würde fallen, wenn siebenmal (sieben weltweite Zeugnisse) um 'Jericho' herumgezogen sei. Als 'der Herr verzog' faselte man weiter, es müsse 13 mal um 'Jericho' herumgezogen werden. Als wieder 'der Herr verzog', bekehrten sich die Führer dieser Sekte nicht, sondern sie faselten sich andere Ideen zusammen, und so hat es Jahr für Jahr fortgegangen bis heute, und immer wieder erwiesen sich die Führer dieser Sekte als falsche Propheten, und 'der Herr verzog' immer wieder.

Nichts ja gar nichts von den unbiblischen Prophezeiungen dieser Sekte erfüllte sich. Seit 1923 wurden diese falschen Propheten weiter darauf aufmerksam gemacht, dass ihre von Br. Hal Kaup aus dem Jahre 1911 übernommene Berechnung auf 1925 einen kleinen Fehler hatte, sodass ca. 1. Oktober 1926 erst die 70 Jahre voll seien. Aber mit blindem Eifer verkündigten diese Propheten weiter das Jahr 1925, ca. 1. Okt., als den Zeitpunkt, wo die alte Weltordnung völlig abgerissen sei und dann niemand mehr sterben werde. Präsident Rutherford sagte um die Sache vor der Welt sensationell zu machen, auf diesem Zeitpunkt voraus, dass die Zähne und die Haare der Alten wieder wachsen beginnen würden und viele andere Sensationskitzel mehr. Und heute sagen die Lehrer der W.-G. sogar mit dem Munde, 'der Herr verzieht'. Aber immer noch weigern sie sich hartnäckig, zuzugeben, dass sie sich in der Berechnung auf 1925 geirrt haben und dass 1926 das biblisch angezeigte Datum ist, weil sie dann zugeben müssten, dass der Herr das Licht über diesen Punkt denjenigen Geschwistern gab, welche von diesen Führern der W.-G. als Abtrünnige, von der Wahrheit Abgeirrte, Rotte Korah, Zweitetodkandidaten usw. benannt werden."

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1925er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte