Nach Tisch las man es anders

Anfang 1925 schlug der "Wachtturm" (1925 S. 35) schon etwas zurückhaltendere Töne an:

"Das Jahr 1925 ist gekommen. Mit großer Erwartung haben Christen diesem Jahre entgegengesehen. Viele haben zuversichtlich erwartet, dass alle Glieder des Leibes Christi während des Jahres zu himmlischer Herrlichkeit verwandelt werden. Dies mag vielleicht erfüllt werden. Es mag vielleicht nicht so sein. … Zu seiner eigenen Zeit wird der Herr seine Absichten mit Bezug auf sein eigenes Volk vollbringen. Christen sollten nicht so tief bekümmert sein um das, was sich während dieses Jahres ereignen mag, so dass sie es daran fehlen ließen, freudig das zu tun, was der Herr möchte, dass sie es tun sollten."

Die Tendenz war klar: Zeit gewinnen hieß die Parole! So belehrte der "Wachtturm" etwa: (1925 S. 89): "Viele können sich erinnern, wie 'absolut sicher' einige mit Bezug auf 1914 waren. Ohne Zweifel hatte der Herr Wohlgefallen an dem Eifer, der von seinen Knechten geoffenbart wurde; aber hatten sie eine biblische Grundlage für alles, was sie erwarteten, dass in jenem Jahre sich zutragen würde? Lasst uns deshalb vorsichtig sein, Einzelheiten vorherzusagen. Der Herr wird sie klar machen, so schnell sie Speise zur rechten Zeit werden." 50 Jahre später verwandte ein herausragender Funktionär der Wachtturmgesellschaft, der es bis zu dessen Präsidentenamt brachte und der 1925 als Bibelforscher auch persönlich schon miterlebt hatte die Wischi-waschi-Formulierung: "Es könnte sein, es könnte sein. … Doch wir sagen das nicht". Damit meinte er dann aber 1975. Vergleicht man, so stellt man fest: Man hielt es 1925 schon so ähnlich!

Auch damals wurde erklärt: ("Wachtturm" 1925 S. 89): "Wieviel von all diesem im Jahre 1926 geschehen wird, ist nicht gesagt. Gegenwärtig finden wir kein bestimmtes Datum über 1926 hinaus in der Schrift angezeigt. Als die Bibelforscher den Zeitpunkt 1914 in der Bibel fanden, verkündeten sie es weit und breit, aber der Herr ließ den Vorhang nieder an jenem Zeitpunkt, bis wir ihn erreicht hatten. Gott setzte sein Siegel auf 1914, und das Werk, dass in jenem Jahre begonnen wurde, geht noch weiter. Wir finden den Zeitpunkt 1925 klar angezeigt in dem prophetischen Umriss, und der Herr hat den Vorhang nicht genügend für uns gehoben um klar darüber hinaus zu sehen. Viele von uns mögen während der Jahre 1925 und 1926 heimgerufen werden. Ob wir nun gerufen werden, oder ob Jehova einige von uns hier für ein weiteres Werk lassen wird, was macht das aus?"

Damals verkündete man der staunenden "Wachtturm"-Leserschaft weiter ("Wachtturm"1925 S. 86):

"Schon im Jahre 1876 und 1877 wurde gezeigt, dass die Bibel 1914 als den Schluss der Zeiten der Nationen vorausgesagt hatte. Viele Bibelforscher verkündeten 1914 als das Ende der Welt … Ende des Zeitalters oder der Herrschaft der Nationen. Viele können sich erinnern, dass schon 1890 Gerüchte eines großen europäischen Krieges auftauchten. Die Nationen begannen sich zum Kriege vorzubereiten. Aber Jahr auf Jahr verzog sich der Krieg, bis man allgemein glaubte, dass ein Krieg niemals kommen könnte. Es ist erklärt worden, dass Deutschland sich zum Kriege rüstete und einen Krieg im Jahre 1912 erwartete. Aber 1912 ging vorbei und kein Weltkrieg kam. Viele bemerkten, dass der Krieg zurückgehalten worden war wie durch eine unsichtbare Macht, und dies war der Fall. Plötzlich beinahe wie ein Donnerschlag aus heiteren Himmel, am 28. Juli 1914, erklärte Österreich Krieg gegen das kleine Serbien. Binnen zwei Tagen erklärte Russland um seinen Schützling Serbien zu beschirmen, Krieg gegen Österreich. Deutschland machte sofort gemeinsame Sache mit Österreich gegen Russland. England und Frankreich beeilten sich, Russland beizustehen. So plötzlich waren die Kriegsfurien losgelassen, dass um den fünften August alle Hauptnationen Europas in tödlichem Kampfe lagen, und das Werk der Entsetzung der Nationen begann. Wir sehen jetzt, warum Deutschland in den Weltkrieg nicht im Jahre 1912 verwickelt wurde. Es war nicht die Zeit Gottes. Die Zeiten der Nationen waren nicht völlig abgelaufen."

Nach 1925 las man es dann im "Wachtturm" noch etwas anders. Schuld waren jetzt jene, die diese Thesen vielleicht etwas zu wörtlich genommen hatten. So belehrte der "Wachtturm" (1928 S. 36, 37): "Bei anderen regt der Feind den Gedanken an, dass alle irdischen Güter vernachlässigt oder fortgegeben werden müssen, um in solcher Weise ein Opferleben zu führen und ergebungsvoll auf die Verherrlichung zu warten. Manche werden so träge und träumerisch, dass sie nicht mehr für die anständigen und ehrbaren Dinge für sich selbst und für die von ihnen Abhängigen arbeiten, sondern nur, wie sie sagen, auf den Herrn warten. Noch andere geraten in so tiefe Armut, dass sie verzweifeln und glauben, dass Gott sie vergessen hat.

Möge kein Kind Gottes sich durch eitle Erklärungen oder Lehren ehrgeiziger Männer wie zum Beispiel die Ankündigung von Monat und Tag, da das letzte Glied der Herauswahl in den Himmel genommen wird, täuschen lassen. Solche Lehren sind nicht nur eitel und töricht, sondern auch dem Herrn gegenüber anmaßend. Möge jeder mit vollem Vertrauen, dass der Herr seine Kinder zu seiner eigenen Zeit verherrlichen wird, inzwischen fleißig das ausführen, was Gott seinem Volke als die zu verrichtende Arbeit übertragen hat. Ob nun ein Jahr oder zehn Jahre erforderlich sind, dass Zeugniswerk zu vollenden, sollte auf die Stellungnahme des Knechtes des Herrn weiter keinen Einfluss haben."

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1925er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte