Philosemitismus

Besonders im Jahre 1925 wurde der Philosemitismus-Propaganda einen erhöhten Stellenwert zugewiesen. Sollten doch etliche der anvisierten "alttestamentlichen Überwinder" von Jerusalem über das Radio ihre Anweisungen verkünden, wie das den Bibelforscher in ihrer heiligen Einfalt gar von Rutherford verkündet wurde. Es war daher naheliegend, dass man sich auch aktiv in die Zionismuspropaganda einklinkte. Ein Mittel zu diesem Zweck war auch das 1925 erschienene Rutherford-Buch "Trost für die Juden". Darin wurde versucht, namentlich in jüdischen Kreisen "gutes Wetter" zu machen. Bei einem von ihnen hatte Rutherford offenbar besonderen Erfolg. Über ihn berichtete Jonak später einmal:

"Besonders interessant ist, dass Rutherford in diesem Buch einen an ihn von Nathan Strauß gerichteten Brief vom 14. August 1925 veröffentlicht. … Dieser Nathan Strauß ist ein in der Rheinpfalz geborener, nach Amerika ausgewanderter Jude, Teilhaber an großen Warenhäusern und war wiederholt Ehrenpräsident des American Jewish Congresses. Strauß spendet alljährlich größere Summen für zionistische, jüdische und philanthropische Zwecke. So schreibt das 'Jüdische Lexikon'. Er dürfte hernach wohl zu denjenigen zählen, die die Bibelforscher subventionieren, zu den Männern, 'die Gott und seine Sache lieben.'"

In der internen in der Schweiz erschienenen Bibelforscherschrift "Bulletin" konnte man in der Juli-Ausgabe 1926:

"Das erste Exemplar 'Trost für die Juden' wurde Herrn Nathan Strauß gesandt. Dieser bestätigte den Empfang mit folgendem Brief.

26. Dezember 1925,

Mein lieber Richter!

Ich kenne Ihr Interesse an der Absicht der Juden, das Heilige Land wieder aufzubauen. Ich schätze ihre Bemühungen dieses große Werk zu fördern, hoch ein und bin dankbar, zu lesen, was Sie dafür getan haben. Ich bestätige den Empfang des Buches 'Trost für die Juden', (das) eine Kopie enthaltend, den (Brief den) ich ihnen letzten August schrieb. Ich habe das Buch schon gelesen und füge es mit Freuden meiner Kollektion ähnlicher Literatur bei. Meinen besten Dank, dass Sie mir das erste gebundene Exemplar sandten. Ich erwidere Ihre guten Wünsche von Herzen und verbleibe mit freundlichen Grüßen.

Dieser Brief wurde abfotografieret und vervielfältigt, sodass ihn die Geschwister in den englisch sprechenden Ländern beim Anbieten zeigen können. Das Zeugnis von Herrn Strauß wurde von nahezu allen Juden anerkannt."

Damit auch die deutschsprachigen Bibelforscher für das gleiche Buch reklamewirksam werden können, wurde in der genannten "Bulletin"-Ausgabe, auch für sie noch ein entsprechender Werbetext zur Anpreisung dieser Rutherford-Schrift offeriert:

"Guten Tag! Kürzlich hat die Bibel-Forscher-Vereinigung, die ich vertrete, öffentliche Vorträge gehalten über das Thema: 'Palästina für die Juden - Warum?' Richter Rutherford, der Präsident dieser Vereinigung ist, hat ein Buch geschrieben über das Thema 'Trost für die Juden' … Dieses behandelt die heutige Aufbautätigkeit der Juden in Palästina und zeigt wie dies geschieht, in Erfüllung der Worte der Propheten, die vor vielen Jahrhunderten in den heiligen Schriften niedergeschrieben wurden. … Der Schreiber des Buches war zweimal in Palästina. Herr Nathan Strauß, populärer jüdischer Philanthrop und Zionist, schrieb Herrn Rutherford sehr anerkennend über seinen Radiovortrag über den Wiederaufbau Palästinas durch die Juden…"

Euphorisch wird in "Trost für die Juden" berichtet (S. 69): "Die erste ordnungsgemäße Volkszählung Palästinas wurde im Oktober 1922 vorgenommen, und die Zahl der dort wohnenden Juden wurde auf 83 794 geschätzt. Seitdem hat die jüdische Bevölkerung bedeutend zugenommen; im Herbst 1925 waren annähernd 135 000 Juden dort."

1925 war es den Zionisten möglich eine spezielle Dampferroute zwischen New York und Palästina zu eröffnen. Die Jungfernfahrt mit 350 Passagieren an Bord startete. Fast alles waren Juden. Als einer der wenigen Nichtjuden war auch ein Vertreter der Bibelforscher mit eingeladen. Zu dem Programm gehörte im Anschluss daran die Publikumswirksame Einweihung einer Jüdischen Universität in Jerusalem. Der diesbezügliche Bericht vermeldet:

"Die hervorragenden Persönlichkeiten auf der Tribüne waren Lord Balfour, Sirr Herbert Samuel, General Allenby, Dr. Weizmann, Dr. Magnus, Oberst Kisch, Dr. Ruppin, Dr. Levy und andere." Zu den geladenen handverlesenen Gästen gehörte auch der Bibelforschervertreter Macmillan. Ursprünglich sollte Rutherford höchstpersönlich diese Ehre wahrnehmen, der aber wegen anderweitiger Verpflichtungen verhindert war. Eine Absage wurde nicht erteilt, sondern eben Macmillan dafür gesandt. Letztere konnte sich darin sonnen, faktisch auch zu den "Honoratioren" gehört zu haben, anlässlich jener spektakulären Veranstaltung. Keine andere christliche Gruppierung war mit eingeladen worden. Nur die Bibelforscher. Damit wurde auch zionistischerseits ihr Engagement für deren Interessen gewürdigt. Eine besondere "Blüte" der sattsam bekannten Bibel- und Geschichtsklitterungen der Russell/Rutherford-Organisation, ist auch der Satz von Rutherford in "Trost für die Juden" (S. 100): "Ein menschliches Skelett besteht aus 206 Knochen. Der Zionismus wurde in Basel in der Schweiz im Jahre 1897 als Körperschaft organisiert. Auf der Konferenz, die die Organisation ins Leben rief, waren genau 206 Delegierte, genau die Zahl der Knochen des menschlichen Körpers. Das war kein Zufall, sondern vom Herrn angeordnet, und zeigt, dass Gott die kleinsten Angelegenheiten bezüglich der Wiederherstellung der Juden anordnete, um sie zurückzuführen."

Die Betonung des Philosemitismus gerade zu jener Zeit, muss auch als "Strohhalmeffekt" gewertet werden. Aus den 1925-Erwartungen wurde nichts. Dennoch war man unbußfertig genug an den diesbezüglichen Thesen modifiziert, weiter festzuhalten. Ein Beispiel dafür sind auch die nachfolgenden Ausführungen aus dem "Goldenen Zeitalter" (1926 S. 35, 36):

"Und nun? 1925 ist vorbei, und schon lassen sich Spötter vernehmen, die da sagen, das ist alles nichts … Es bleibt ja doch alles beim Alten, und das merkwürdige Goldene Zeitalter kommt noch lange nicht!

Die Wiederherstellung Palästinas ist ein weiterer gewaltiger und überwältigender Beweis, denn der große Meister erklärte feierlich, dass die Zertretung Palästinas aufhören werde, wenn die Zeiten der Nationen abgelaufen seien … dass also parallel mit dem Ende der Reiche dieser Welt die neue, bessere, auf Gerechtigkeit gegründete Weltordnung sich öffnen werde. Zuerst ganz unscheinbar, dann deutlicher und deutlicher. Die Bibel bezeugt ferner, dass dieser Anfang in Palästina zu erwarten sei … dass nicht selbstsüchtige Geldjuden oder Wucherer daran teilhaben werden, sondern vor allem jene treuen Helden der Vergangenheit, die uns als Glaubenshelden in Hebräer 11 aufgezählt werden usw. Und nun, werter Leser, wende doch bitte dein Auge hin nach diesem Lande. Siehst du nichts? Siehst du nicht, wie diese Stätte neu erblüht und sichtlich zubereitet wird für die ihrer wartende, erhabene Aufgabe! Siehst du nicht, wie gerade im vergangenen Jahre sichtbar die Gunst Gottes sich wieder diesem Lande zuwandte? Siehst du es nicht? Weißt du es nicht? Lass dir doch genaue Berichte geben über den mit Riesenschritten fortschreitenden Wiederaufbau Palästinas.

Gibt es noch Grund für Zweifel, dass die Zeit wirklich da ist und dass nur noch ein wenig Geduld zu üben ist? 'Wenn es verzieht, so harre sein, denn kommen wird es, es wird nicht ausbleiben.' - Habakuk 2:3. Aller Kleinglaube wird bald beschämt dastehen!"

Beschämt wurde dieser "Kleinglaube" allerdings schon bald - und zwar von Rutherford höchstpersönlich. Nachdem er noch 1929 in seinem Buch "Leben" die Philosemitismusthesen wiederholt hatte, tönte er in seinem 1932 erschienenen Buch "Rechtfertigung" plötzlich ganz anders. Die Bibelforscher, waren in Deutschland zu jener Zeit prozentual stärker vertreten als in den USA. Auch Rutherford registrierte das zu jener Zeit komentenhafte Erstarken der Nazis. Das letztere Antisemiten waren, war auch damals schon weltbekannt. Also war die Revidierung des Philosemitismusthese bei ihm angesagt, was mittels des genannten Buches "Rechtfertigung" dann auch praktiziert wurde.

"Man hat gedacht, dass das jetzt als Juden bezeichnete Volk im Königreich einen besonderen Vorzug genießen werde, doch wird diese Annahme von der Bibel nicht gestützt", hieß es jetzt. Kein Wort darüber, wer dieser "Man hat gedacht" in der Praxis war und was er alles für Thesen im Detail dazu schon verkündet hatte. Das war jetzt "Schnee von gestern". Und eine ehrliche Auseinandersetzung mit ihrem "Gewäsch von Gestern", hat es in dieser Organisation ohnehin noch nie gegeben!

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1925er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte