"Rein christliche Verfechter"

In den Ausführungen "Zeitgenössisches Stimmungsbild (1923)" kam der prononciert antisemitische "Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund" mehr als genug zu Wort. Ein geflügeltes Wort besagt: "Eines Mannes Rede, ist keines Mannes Rede". Und so sei denn auch noch eine Art zeitgenössischer Gegendarstellung dazu zitiert. Der Antisemitismus war schon in der Weimarer Republik eine ernst zu nehmende Erscheinung. Verständlich, dass jüdische Kreise über ihn im besonderen Maße besorgt waren. Sie artikulierten ihre Besorgnis auch in publizistischer Form. Symptom für diese Sachlage war auch, dass ihre bis Ende 1922 erscheinende Monatsschrift "Im Deutschen Reich", ab 1923 in eine Wochenschrift umgewandelt wurde unter einem anderen Titel. Sie nannte sich nunmehr CV-Zeitung. Wobei das CV als Abkürzung für "Central Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" diente. In der Nr. 28/1923 der "CV-Zeitung" ging der Rabbiner Dr. M. Salomonski auch auf das Bibelforscherthema ein. Aus seinen Ausführungen sei das nachfolgende zitiert:

"Seit etwa drei Jahren gehen uns von Freunden aus dem ganzen Reiche Mitteilungen über Versammlungen zu, die die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher abhält. Da der Central-Verein bisher der Ansicht war, dass die Streitigkeiten um diese christliche Sekte die Judenheit nichts angehen, so hat er trotz vieler Angriffe und Verdächtigungen geschwiegen. Infolge verschiedener Vorgänge der letzten Zeit erscheint es nunmehr zweckmäßig, alle Freunde der Wahrheit über die Bewegung kurz aufzuklären und uns gegen die Verleumdungen der Judengegner, die die Judenheit mit der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher fortgesetzt in Zusammenhang bringen, zu wehren.

Wenn unsere Widersacher recht hätten, dann haben religiöse und politische Beweggründe, der geplante Sturz der Kirche und die Thronerhebung des Bolschewismus die Juden in Amerika und der ganzen Welt veranlasst, die Agitation der Ernsten Bibelforscher zu unterstützen und unter Aufwendung großer Geldmittel sogar zu gründen. Ein angeblich jüdisches Bankhaus soll die weitverzweigte Institution, deren Schöpfer Charles Taze Russell, ein 'rassenbewußter Jude' genannt wird, speisen. … Gegenüber diesen Phantasien ergeben die Untersuchungen des bekannten Hallenser evangelischen Professors Geheimrat D. Dr. Friedrich Loofs, ganz andere Tatsachen.

In Deutschland ist Russell predigend, kurz vor dem Kriege als moderner Apostel aufgetreten, der kaufmännisch, mit dem umfangreichen Büro eines Warenhausmagnaten und Preislisten arbeitete.

Wir werden nun die Ernsten Bibelforscher mit dem Judentum zusammengebracht? Obwohl sie, wie die überwiegende Mehrzahl aller Juden, Revolution, Gewalt und Anarchismus glatt ablehnen, werden sie als Bolschewisten abgestempelt, die in jüdischem Solde stehen. Und fragt man nach dem Schatten eines Beweises, dann berufen sich die Interpreten auf das jüdische Bankhaus Hirsch in New York, dessen Existenz uns bis jetzt unbekannt ist. Aber selbst wenn es bestände, warum soll es möglicherweise nicht auch Geld christlicher Bibelforscher verwalten? Vertraut doch sogar mancher völkischer Edelling sein Geld beruhigter sogenannten Judenbanken an!

Und nun setzt eine merkwürdige Kampfgemeinschaft gegen uns ein, zu der gewisse kirchliche und kirchenfeindliche deutsche Kreise deutschvölkischer Prägung sich treffen. Beiden ist anscheinend auffällig und unerwünscht, dass die Vereinigung Ernster Bibelforscher sich ziemlich abseits von dem großen Kesseltreiben gegen die Juden hält und auf ihre in Palästina schneller erhoffte Bekehrung zum Christentum vertraut. Darin wittern die sonderbaren Verbündeten eine große Gefahr

Darum ein Wort an die, welche der Einsicht ihr Ohr nicht verschließen. Es gibt dogmatisch keinen größeren Gegensatz als Judentum und Ernste Bibelforscher!

Damit dieser Darlegung der heitere Ausklang nicht fehle, sei erwähnt, dass Hans Lienhardt in seiner Broschüre 'Ein Riesenverbrechen' usw. auch den katholischen Jesuitenorden als ein von jüdischer Seite gespieltes Instrument bei der Durchführung der Bibelforscher-Ideen bezeichnet. Um so verwunderlicher wirkt dann, wenn der katholische Geistliche Fritz Schlegel für sein umfangreiches Buch 'Die Wahrheit über die Ernsten Bibelforscher' das Imprimatur erhalten hat. Denn auch er behauptet, dass wir Juden hinter den Bibelforschern stehen, und enthüllt zwar keinerlei Wissenschaft, aber einen bösen Hass, dem die zum Segnen berufene Hand das Siegel der Billigung aufdrückte.

'Nur tief erschrocken', um Schlegel zu zitieren, kann man diesen wütenden Hass betrachten, der nicht zu überbietenden Oberflächlichkeit in ihm und allen anderen judenfeindlichen Gegnern dieser Sekte. … Mit Entrüstung weisen wir Juden den verwerflichen Versuch zurück, unbequeme Irrlehren uns in die Schuhe zu schieben und ihre rein christlichen Verfechter uns aufzuhalsen."

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1923er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte