Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Willi Müller

Der "Wachtturm" veröffentlichte im Jahre 1919 (S. 196) auch einen mit Willi Müller gezeichneten Leserbrief. Es spricht einiges dafür, dass es sich dabei um jenen Müller handelt, der dereinst noch mal zu DDR-Zeiten aus Herausgeber der Zeitschrift "Christliche Verantwortung" in Erscheinung trat. Jedenfalls steht es fest, dass jener DDR-Müller sich in seinem Selbstverständnis als "tief religiös" betrachtete. Jener DDR-Müller nahm daher auch bereitwillig die ihm offerierte These an, dass DDR-Verbot der Zeugen Jehovas könne aufgehoben werden, wenn letztere nicht mehr "antikommunistisch" wirken würden. Politische Hintergründe zu durchschauen, dazu war dieser DDR-Müller nicht in ausreichendem Maße fähig. Seine Tragik bestand darin, dass er wie auch andere, als Werkzeug gebraucht und missbraucht wurde. Aber seine eigentliche Intention brachte er durchaus deutlich genug in jenem Leserbrief aus dem Jahre 1919 zum Ausdruck, wo er schrieb:

"Innigst geliebte, teure Geschwister in Christo!

Mit Psalm 103, 1-2 aus meinem Herzen sprechend, komme ich zu Euch, nachdem der getreue Herr so viele Wohltaten über mich ausgegossen. Möchte ich nur alle meine Gelübde bezahlen und in den verschiedensten Verhältnissen die Gelegenheiten auskaufen, um Ihm, der mich so geliebt, meine Treue zu beweisen. - Nachdem ihr Lieben nun wiederum meine Antworten auf die V.D.M Fragen geprüft habt, komme ich zu Euch um meinen herzlichen Dank für Eure Liebesmüh zu sagen. Wie freue ich mich, dass nunmehr die Antworten die erforderlichen 85 % enthalten. Aber möchte es mich mehr und mehr anspornen, noch tiefer einzudringen in die Breite und Länge und Höhe des glorreichen Planes unseres großen Gottes. Dazu gebe mir und allen, die die Erscheinung unseres Erlösers lieb haben, der gütige Vater in den Himmeln viel Kraft zur Hinausführung des letzten Werkes hier auf Erden und zur völligen Charakterentwicklung, damit bald ein liebliches 'Wohlgetan' das Ohr treffen möge. Dem aber, der über alles hinaus zu tun vermag, über die Maßen mehr, als was wir erbitten oder erdenken, nach der Kraft die in uns wirkt. Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter des Zeitalters hin - Amen (Eph. 3, 20.21). Indem auch Ich Euer täglich vor dem großen Thron der Gnade gedenke, grüße ich Euch in der Liebe des Christus als Euer geringster Bruder in Christo Jesu. Willi Müller."

Es waren eigentlich nicht so sonderlich viel Leserbriefe, die in der Frühzeit im "Wachtturm" so ausführlich wiedergegeben wurden. In jener Frühzeit machte man die Besetzung der Ältestenposten in den örtlichen Versammlungen von der Beantwortung der sogenannten VDM-Fragen im WTG-Sinne abhängig. Auch Müller entsprach dieser Auflage. Damit wird deutlich, dass er in seinen Jugendtagen in Konformität mit der WTG war und letztere ihn als einen aus der Masse der übrigen Bibelforscher herausgehobenen betrachteten.

Übrigens. Von jenem Willi Müller läßt sich noch ein zweiter Leserbrief im "Wachtturm" nachweisen. Und zwar schon in der September-Ausgabe 1915. Zu damaliger Zeit hatten die Bibelforscher keine Skrupel, Militärdienst zu absolvieren. Bekanntlich auch in den USA nicht. Prominentes Beispiel: Dwight Eisenhower, einer Bibelforscherfamilie entsprossen, später die Militärkarriere hochgeklettert, bis zum Kommandierenden General im Zweiten Weltkrieg. Auch Müller absolvierte im Ersten Weltkrieg den Militärdienst. Sein Sohn, der Zeugen Jehovas-Lehre nicht zugetan, schlug bemerkenswerterweise auch eine militärische Laufbahn ein. Aber kehren wir zu Müller im Jahre 1915 zurück. Sein Leserbrief den der "Wachtturm" veröffentlichte war überschrieben: "Aus dem Felde, den 11. Juli 1915". Weiter schrieb er:

"Meine Lieben in Jesu! Gott grüße Euch! Euer liebes Rundschreiben an uns Brüder im Felde habe ich mit viel Freude erhalten. Sehe ich doch wieder aufs neue, daß Ihr unser in großer Liebe gedenkt! Nehmt, liebe Geschwister, innigsten Dank, möge unser geliebter Herr Euch reichlich vergelten für all diese Liebe. Auch herzlichen Dank für die wohlgemeinten Erfahrungen, auszuharren bis ans Ende!

Ja, meine Lieben, wir wollen es wiederum aufs neue geloben, getreulich unserm geliebten Heiland nachzufolgen und unsere ganze Kraft zusammennehmen. Ihm immer ähnlicher zu werden; mögen uns auch noch schwere Prüfungen auferlegt werden, wir wollen mit des Herrn Hilfe stark sein und alles überwinden. Wenn ich mich der Worte des Apostels Paulus erinnere in Röm. 8:18: 'Denn ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit!', so erscheint es mir als ein 'leichter' Wettlauf und doch, wenn ich am Abend auf den vergangenen Tag zurückblicke, so ist es mir, daß ich viel zu wenig für des Herrn Sache getan habe, und dann soll es der nächste Tag wieder nachholen. So haben wir ständig einen Kampf gegen unser altes Fleisch, doch auch dieses will ich und muß ich durch des Herrn Gnade besiegen. Ja, Geliebte, welches Vorrecht haben wir doch, die herrliche Wahrheit schmecken zu dürfen und so den Liebesplan unseres geliebten himmlischen Vaters erkennen zu können!

Laßt uns unsere ganze Kraft zusammennehmen, daß wir für diese Liebe das darbringen können, was unser schwaches Fleisch darzubringen vermag. Ja, als lebendige Schlachtopfer! Doch wenn auch die allgemeine Menschheit etwas von dieser Wahrheit wüßte, wie könnte sie aufjauchzen und frohlocken ob der nahen Zukunft. Aber auch sie wird ja die Wahrheit erkennen, um einzugehen in das Leben. Ja, wahrlich, Gott ist die Liebe! Lob, Preis und Dank sei unserm Vater in alle Ewigkeit! Nun Euch dem Herrn anbefehlend, Geliebte, grüßt Euch alle Euer geringster Bruder

Willi Müller."

1919er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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