Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Russells Ehescheidung

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Sie war offenbar ein beliebtes Thema der kirchlichen Konkurrenz. Das auch andernorts manche Ehe kriselt, auch in kirchlichen Kreisen, darüber wurde in diesem Kontext in der Regel nicht reflektiert. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hierbei vielfach ein ideologischer Stellvertreterkrieg geführt wurde. Seine Eheschwierigkeiten werden benannt und treffen wollte man seine Lehren. Wenn solche Angriffe gar noch aus der Ecke jener kommen, die in ihren eigenen Reihen das Zölibat (partiell) praktizieren, dann ist man geneigt nur eines zu sagen: "Fasst euch erst einmal an die eigene Nase!"

Ein Beispiel dafür wie solche die Eheprobleme Russells ausnutzende Publizistik aussieht, konnte man unter anderem im "Deutschen Gemeinschaftsblatt" in seiner Ausgabe vom 8. September 1912 registrieren. Dort las man:

"Frau Russell hat sich von ihrem Manne scheiden lassen, wie verlautet wegen Ehebruch. (Sie ist) gegen ihren Mann, Pastor Russell, Gründer und Leiter der 'Zions Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft', sowie Herausgeber der 'Volkskanzel', wegen Unterhaltungsgeldes klagbar geworden. Das Gericht wies Pastor Russells Einwand, daß er mittellos und arm sei, zurück. Der Gerichtshof führte den Beweis, daß Russell ein Eigentum im Werte von 317 000 Dollar ( 1 341 250 Mk) der 'Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft', von welcher er Präsident ist, übertragen hat. Zu einer Veräußerung eines Eigentums an einen Scheriff im Werte von 20 000 Dollar (85 000 Mk.) für weniger den 200 Dollar (850 Mk.) sagte der Gerichtshof: 'Der Zweck dieser ganzen Veräußerung war, Frau Russell ihrer Mitgift zu berauben, und es ist ein Betrug an ihr.' Auch wurde festgestellt, daß er Vermögen angehäuft habe durch Aktien, Spekulationen und durch Schenkungen seitens seiner Anhänger, die gelehrt werden, zu glauben, daß das Millenium (tausendjähriges Reich) im Oktober 1914 beginnen wird."

Auf Grund dieses Artikels wurde das "Deutsche Gemeinschaftsblatt" gezwungen, eine von der WTG vorgegebene Gegendarstellung zu bringen. Diese Gegendarstellung existiert auch im Schrifttum der WTG und zwar in ihrer Flugschrift "Jedermanns Blatt" Nr. 2 (1913). Sie erschien im "Deutschen Gemeinschaftsblatt" vom 5. Januar 1913. Sie sei nachstehend kommentarlos zitiert:

"An den verantwortlichen Redakteur.

In einer kürzlichen Ausgabe Ihres Blattes erschien ein Artikel gegen mich, der verleumderisch ist. Unter anderem steht dort: 'Frau Russell wurde, wie verlautet, von ihrem Manne geschieden, auf Grund von Ehebruch.' Diese Darstellung ist durchaus falsch und verleumderisch. Ich verlange nun als einen Akt der Gerechtigkeit mir und meinen dortigen Freunden gegenüber, daß Sie folgende Tatsachen, die ich hiermit bezeuge, veröffentlichen:

Meine Frau, welche ehrgeizig und der Frauenrechtsbewegung verfallen war, verlangte meine Geschäftsangelegenheiten zu leiten und suchte, sie unter ihre Kontrolle zu bringen, womit ich mich nicht einverstanden erklären konnte. Sie wurde böse gegen mich und reichte eine Klage auf Trennung ein. Sie klagte nicht auf Ehescheidung, und so konnte ihr auch keine gewährt werden. Die Trennungsklage wurde einem Gerichtshof unterbreitet, der aus fühlenden Männern zusammengesetzt war und urteilte, daß, weil es nicht gut möglich sei, weiter in Eintracht zu leben, es besser sei, dem Antrag auf Trennung Folge zu leisten. Von der Zeit ab lebten wir getrennt von einander. Der Antrag, welchen meine Frau auf Trennung einreichte, enthielt keine Klage auf Ehebruch; diese Frage kam deshalb überhaupt nie vor Gericht; und so war der Urteilsspruch in keiner Weise von einer solchen Klage beeinflußt.

Die einzige Bezugnahme auf Ehebruch ist auf Seite 10 und 11 der gerichtlichen Protokolle enthalten und zwar in bezug auf das Zeugnis, welches ich hier wiedergebe:

Herr Porter (Rechtsanwalt der Frau Russell): 'Wir erheben keine Anklage auf Ehebruch.' Frage, welche Herr Porter an Frau Russell richtete: 'Sie meinen nicht, daß Ihr Mann des Ehebruchs schuldig sei?' Antwort: 'Nein'.

Niemand kann mich gerechterweise einer unsittlichen Handlung zeihen. Ich habe mich nie des Ehebruchs oder einer unsittlichen Handlung schuldig gemacht.

Ein neidischer Pfarrer schrieb an eine Chicagoer Zeitung, daß meine Frau eine Ehescheidung erhalten habe auf Grund von Ehebruch. Auf Anraten meines Anwalts verklagte ich das Blatt wegen Verleumdung, und als der Herausgeber den wahren Sachverhalt erfuhr, war er sofort bereit voll und ganz die Aussage zurückzunehmen.

Sie sind jedenfalls nicht davon unterrichtet, daß ich gegenwärtig eine Schadenersatzklage gegen den 'Brooklyn Eagle' vor Gericht habe, für verleumderische Artikel, welcher dieser gegen mich brachte. Meine Feinde, welche unzufrieden sind mit den biblischen Wahrheiten, welche ich verkündige, suchen durch einen Überfall auf mein Privatleben meinen Einfluß zu zerstören. Das waren stets die Methoden des Feindes. Es erinnert mich daran, daß ähnliche Methoden verfolgt wurden gegen unseren Herrn und seine getreuen Nachfolger, wie Luther, John Wesley und andere. Auf Grund dieser Tatsachen stellt es sich deutlich heraus, daß diese Ausfälle von bösen Motiven herstammen. Meine Freunde in Amerika und Europa wissen, daß diese Anklagen gegen mich grundlos sind und von solchen herrühren, 'welche das Licht hassen, weil ihre Werke böse sind.'

Die Beschuldigung, daß ich meine Frau betrogen hätte, indem ich mein Besitztum einer Gesellschaft vermachte, ist ebenfalls ungerecht und unwahr. Der Tatbestand ist folgender: Lange vor der Trennnungsklage hatten wir beide, meine Frau und ich, all unser Geld und Eigentum dem Herrn geweiht. Zum Zwecke der Verbreitung der frohen Botschaft wurde die Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft gegründet, und hernach vermachten wir all unsere irdische Habe der Gesellschaft, und jeder Dollar wurde dazu verwendet, das Evangelium von Jesu Christo durch Wort und Schrift zu verkündigen. Anstatt meine Frau um ihre Rechte zu betrügen, habe ich jede Fürsorge für sie getroffen. Das Gericht sprach ihr eine monatliche Rente zu, welche ihr auf 4 Jahre zum Voraus bezahlt wurde. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesem Schreiben eine ebenso weite Verbreitung gewähren würden, als es mit dem Artikel gegen mich der Fall war, und wenn Sie dieser Aufforderung nachkommen, will ich den Vorfall als erledigt betrachten.

Datiert und unterschrieben zu Brooklyn N. Y., 20. Sept. 1912.

Charles T. Russell, Pastor des London- und Brooklyn-Tabernacles."

Als eigene redaktionelle Anmerkung fügte das "Deutsche Gemeinschaftsblatt" noch hinzu:

"Wir bringen diese Entgegnung, um nur ja jede Gerechtigkeit zu erfüllen. Überzeugt sind wir nicht. Schon die von R(ussell) selbst angeführte Begründung, daß es nicht gut möglich sei, weiter in Eintracht zusammen zu leben, ist für uns eine Schmach für einen Gottesmann, und noch dazu für einen so hervorragenden, der sich selbst mit Luther und Wesley gleichstellt! Wir benutzen diese Gelegenheit, um unsere Freunde nochmals vor 'Zions Wachtturm', 'Volkskanzel' und auch der neuesten Gründung des geschäftskundigen Amerikaners 'Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher' dringend zu warnen."

1911er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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