Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Licht und Leben

So der Titel einer heute noch erscheinenden Zeitschrift. Inhaltlich den sogenannten "Landeskirchlichen Gemeinschaften" innerhalb der Evangelischen Kirche nahestehend. Das sind vielfach Gruppen mit einer Art "Zwitterstellung". Die "Großkirchen" sind ihnen zu weltlich. Den Absprung zur Gründung einer eigenen Kirchenorganisation ausserhalb der Evangelischen Kirche indes scheuen sie. Sie beobachten aber aufmerksam das Spektrum sogenannter Freikirchen und sonstiger Religionsgemeinschaften, die die "Nabelschnur" zu den "Großkirchen" bereits gekappt haben. Inhaltlich sind alle drei (Freikirchen, Sekten, Landeskirchliche Gemeinschaften) eigentlich ziemlich nahestehend. Das schließt nicht aus, gerade in ihren Kreisen besonders ausgeprägte Polemiken gegen die Geistesverwandten die sich in dem anderen Lager befinden, vom Zaune zu brechen. "Sieben Sekten des Verderbens" titelte mal eine frühe Flugschrift aus dem Umkreis von "Licht und Leben". Da wurde die Konkurrenz nach allen Regeln der Kunst madig gemacht. Und schon zu einem Zeitpunkt abgehandelt, wo die eigentlichen "Großkirchen" es noch vorzogen, auf die Sekten lieber mit Stillschweigen zu reagieren.

In gewisser Hinsicht haben auch die "Landeskirchlichen Gemeinschaften" besonderen Grund, "sauer" auf die Sekten zu sein. Denn eine extrem hoher Prozentsatz in der Gründungsphase von Sekten, erweist sich bei Lichte besehen, als aus dem Kreise der Landeskirchlichen Gemeinschaften stammend. Später "verschwimmt" diese Wurzel zwar wieder etwas; indem einmal etablierte Sekten, auch einen wesentlichen Teil ihres Zuwachses über die eigene Jugend zu realisieren sich bemühen. Aber hat man nur die Anfangstage einer Sekte im Blick; erweist sich nicht selten. Die "Landeskirchlichen Gemeinschaften" waren ihre unfreiwilligen Ziehväter- und Mütter. Verständlich schon das da auch mal rauhe Worte fallen.

Dies ist auch im Falle der Bibelforscher auf deutschem Boden nachweisbar.

Sofern beide Gruppen miteinander noch "kommunizierten" war es vielfach in der Art und Weise, dem Widerpart per Einschreibebriefe Gegendarstellungen "abzutrotzen". Da dies in der Praxis jedoch nicht im gewünschten Sinne gelang; hiess die nächste Stufe Polemik nach allen Regeln der Kunst. So beklagt sich der Wachtturm (1907 S. 105) beispielsweise:

"Wir warten schon längere Zeit darauf, daß 'Der Gärtner' von Witten, 'Licht und Leben' von Schwerte, der 'Brüder-Bote' von Bayern, der 'Zionspilger' von Langnau, der 'Wahrheitszeuge' von Kassel, 'Der Saemann' von Elberfeld, 'Philadelphia' von Stuttgart, das 'Allianzblatt' von Blankenburg, das 'Barmer Sonntagsblatt', 'Das Volk' von Siegen und Berlin, der 'Christliche Volksbote' von Basel und das 'Berner Tageblatt' eine … Berichtigung bringen."

Offenbar war in Bibelforschersicht "Licht und Leben", dabei als besonders "verstockt" anzusehen; was auch die Bemerkung im "Wachtturm" (1907 S. 140) deutlich macht:

"'Licht und Leben' hingegen, redigiert von Pastor Dr. Wilh. Busch, hat in schändlicher Weise in der Mainummer die Sache nur zu verschlimmern versucht."

Ein Beispiel diesbezüglicher Polemik auch im "Wachtturm" 1908 (Dezemberausgabe).

"Herrn Pastor Gauger, Elberfeld.

Geehrter Herr: - in der Nummer 43 von 'Licht und Leben' erlauben Sie sich wieder einmal, eine Kritik über 'Milleniumstages-Anbruch' zu bringen. Das können wir Ihnen nicht verdenken; das mögen Sie ruhig noch mehr tun, wenn Sie sachlich bleiben. Wenn Sie aber behaupten, daß diese Schriften 'mit unlauteren Mitteln' verbreitet werden, dann läuft das auf eine Verleumdung hinaus, denn das ist eine Behauptung, die sie nicht beweisen können, weil sie völlig unwahr ist.

Wer gibt Ihnen das Recht, unseren Glauben öffentlich als 'Torheiten' zu stempeln, dem 'ein vernünftiger Mensch keinen Glauben schenken könne' - und uns als 'unvernünftige Menschen' zu schelten, und nicht allein uns, sondern sehr viele Gotteskinder, von deren Aufrichtigkeit und gesundem Menschenverstand wir die beste Überzeugung haben? Bedenken Sie nicht, das Sie denjenigen gleichen, die unsern Herrn Beelzebub hießen?

Wenn Sie uns besuchen wollen, sind wir gerne zu einer persönlichen Aussprache bereit, oder wir können auch zu Ihnen kommen. Falls Sie nicht antworten - in acht bis zehn Tagen -, werden wir andere Schritte tun müssen.' …

Hochachtungsvoll mit christlichem Gruß zeichnet,

Wachtturm, Bibel- und Traktat-Gesellschaft.

O. A. Koetitz.

Pfarrer Gaugers Antwort ist folgende:

Elberfeld, am 2. November 1908.

An die 'Wachtturm'-Gesellschaft in Barmen

Auf Ihren Brief vom 27. Oktober erwidere ich zunächst, daß ich nur einen Zeitverlust in persönlicher Aussprache sehen kann. Verständigen werden wir uns schwerlich.

Der Ausführung Ihrer Drohung sehe ich mit Ruhe entgegen.

Hochachtungsvoll Pfr. Gauger."

Dann gab es noch einen Nachsatz in jener Wachtturm-Replik. Ein Nachsatz, dass muss allerdings deutlich gesagt werden, der sich erheblich von der heutigen Praxis der WTG und ihres Anwaltes P. unterscheidet. Aber bekanntlich ist nichts so alt, wie "der Schnee von gestern". Damals jedenfalls meinte man noch erklären zu können:

"Da es sich für Christen nicht geziemt, vor der Welt 'wider einander' zu klagen, so haben wir nur diese Rechtfertigung und private Beantwortung von Briefen mittels oben gegebener Korrespondenz als 'Schritte' zu Gebote, um Römer 14,16 zu erfüllen. Wir alle aber, liebe Geschwister, wollen uns mit Jakobus 5, 8 trösten und aufmuntern: 'Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen, denn die Gegenwart des Herrn ist nahe.'"

Der Streit eskalierte dahingehend, dass "Licht und Leben" in seinem Jahrgang 1909 einen sich über diverse Ausgaben hinziehende Artikelserie des Heilbronner Stadtpfarrers Robert Geiges veröffentlichte. Friedrich Loofs erwähnt diese frühe Veröffentlichung auch; allerdings ohne sie einer näheren Kommentierung für wert zu befinden. Warum wohl? Nun Loofs als Theologieprofessor, in der Kirchengeschichte durchaus bewandert, stand eben nicht auf dem Boden des "Landeskirchlichen Gemeinschaften". Nicht zu unrecht drängte sich wohl schon Loofs die drängende Frage auf. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen denen und den Sekten? Sicherlich verfassungsmäßige, organisatorische Dinge - unbestritten. Inhaltlich jedoch stehen sie beide einander nahe und sind zugleich doch, vielleicht auch wegen ihrer Nähe, in heftigstem Bruderstreit verwickelt.

Und auch dies gilt es noch zu sagen. Durchaus nicht jeder, konnte sich auch in "Licht und Leben" artikulieren. Symptomatisch dafür ist auch die nachfolgende redaktionelle Antwort in "Licht und Leben" (1909 S. 336):

"Lehrer em. B. in M.

Sie schicken uns einen 'Offenen Brief an Herrn Stadtpfarrer Geiges in Heilbronn' und schreiben dazu:

'Den mitfolgenden offenen Brief hatte ich an die Wachtturm-Gesellschaft in Barmen geschickt. Ich habe aber die Nachricht erhalten: 'Für die Antwort an den Herrn Stadtpfarrer Geiges haben wir leider keine Verwertung. Wir halten es nicht für weise, soviel Notiz von dieser Kritik zu nehmen. Wir fahren ruhig fort, die Wahrheit zu verkündigen und 'wer Ohren hat zu hören, der höre.'

Da Sie die Aufsätze von Herrn Pastor Geiges angenommen haben, so meine ich, daß auch mein Brief in 'Licht und Leben' abgedruckt wird.'

Wir bitten Sie, lieber Herr B., uns nicht gram zu sein, daß wir anderer Ansicht sind als Sie. Erstlich haben wir hinsichtlich des 'Wachtturms' eine bestimmte Tendenz, nämlich, vor den Irrtümern des Wachtturms zu warnen. Schon aus diesem Grund können wir Ihre Erwiderung nicht aufnehmen. Zum anderen ist unser L. u. L. überhaupt kein Sprechsaal. Wir lassen gerne recht viele Stimmen zum Wort kommen; aber Voraussetzung ist immer, daß, wer spricht, auf unserer Grundlage steht.

Was würden Sie sagen, wenn wir heute den Professor Haeckel zum Wort kommen ließen, morgen den Sozialdemokraten Bebel, übermorgen einen liberalen Theologen, dann einen Monisten und so weiter?

Zum dritten: Wer das Wort nimmt, muß kurz sein. Ihre Einsendung ist aber so lang, daß selbst wir uns verwundert haben, obwohl wir an manches gewohnt sind, und wir haben Ihren ungeheuren Fleiß bewundert. Nach einem groben Überschlag haben Sie etwa 16000 Silben geschrieben. Damit könnten wir - ganz eng gedruckt - 11 Briefkastenseiten füllen. Wer nähme sich die Zeit, das zu lesen!! Und so wichtig ist die Milleniumssekte doch nicht, daß man unsern Lesern nun wieder 5 bis 6 Nummern durch Milleniumsartikel vorsetzen müßte. Es muß genügen, daß wir die Augen aufmachen und vor dem 'Zions Wachtturm' warnen."

Natürlich hatte "Licht und Leben" schon vor der Geiges'schen Artikelserie eine dezidierte Meinung in Sachen Bibelforscher. Im Jahre 1908 (S. 574) brachte man diese einmal in der Form eines Zitates aus einem anderen Presseorgan zum Ausdruck. Man konnte da lesen:

"Der Wachtturmgesellschaft wollen wir einstweilen noch zu bedenken gaben, was wir jüngst im 'Saemann' (1908, Nr. 30, S. 236f.) lasen:

'Das vergangene Jahr brachte wieder allerlei in mannigfachen Zeitströmungen; da möchten wir, daß manche unserer Geschwister noch vorsichtiger wären mit der Aufnahme von Leuten und Schriften unbekannter Herkunft.

Wo man hinkommt, wenn man sich mit geriebenen, unbekannten Leuten abgibt, lehrt folgende Geschichte. Eine Frau ließ sich - in Abwesenheit des Mannes, der zur Stadt war - von einem unbekannten Menschen, der vorgab Uhrmacher zu sein, bereden, die stillstehende alte Hausuhr reparieren zu lassen.

Da ging's an die Arbeit: es währte lang, indessen mußte tüchtig aufgetischt und hernach ordentlich gezahlt werden. Als der Fremde fort war, hatte die Frau natürlich eine rappelige Uhr und - zwei Rädchen, die nach dem Vorgeben des Uhrmachers zu viel im Uhrwerk gewesen, die er aber nicht mehr auf die rechte Stelle hatte bringen können.

Solche 'Uhrmacher' ziehen schon seit Jahren durch die Lande, wenden sich hauptsächlich an das unerfahrene, gutmütige Geschlecht; können bei schlechtem Verkauf sehr aufdringlich und dreist werden! Sie haben ihr Hauptbureau meist in Amerika, diesem Tummelplatz der schrankenlosen Freiheit und Wunderlichkeit. Wenn da irgend eine Person oder Richtung Einfluß und Geldmittel erreicht hat, gehört es zum Ehrenstand, auch in der alten Welt Europas Anhang zu haben. Also mit Seelenheil hat das nichts zu tun! Ehre bei den Großen und Geldgier bei den Kleinen ist der Beweggrund. Es ist alles Geschäft; die gute Meinung einiger einfältiger Leute, die mitlaufen, ausgenommen!

Und eine gewisse Richtung will uns, wie jener Uhrmacher auch erzählen, daß gewisse, bis dahin nötige Rädchen überflüssig, ja hinderlich seien, wie die Lehre von der Hölle, von dem unmittelbaren Fortleben nach dem Tode, von der ewigen Gottheit Christi usw. -

Wir verwerfen natürlich alle Übertreibung dieser ernsten und hohen Wahrheiten, wie sie hier und da im 'Volksmund' zuweilen vorkommt, brechen aber keinem Menschen zuliebe etwas von dem Ernst des Wortes Gottes ab: 'Nur, wer den Sohn hat, der hat das ewige Leben!'

Wir geben diese Worte dem Zionswachtturm einstweilen zur Überlegung."

Zwei weitere Leserbriefe in Sachen Bibelforscher, die in "Licht und Leben" veröffentlicht wurden und deren redaktioneller Intention im wesentlichen entsprachen, noch nachstehend:

("Licht und Leben" 1909 S. 156):

N. N. in H. schreibt: Was mir L. u. L. besonders lieb und wert macht, ist dieses: Es ist nicht nur ein Erbauungsblatt, sondern gibt z. B. auch Bericht über weltbewegende Fragen der Gegenwart. Es ist traurig, daß gerade besonders fromme Christen für öffentliche Angelegenheiten auf politischem und besonders sozialem Gebiet so wenig Verständnis haben. An den lieben Herrn und Bruder O. A. Koetitz möchte ich nun als Glied der evangelischen Landeskirche die Frage richten:

Entspricht es denn dem Sinn und Geist Jesu, wenn in 'Zions Wachtturm' die Landeskirche als Babel behandelt wird? Ist das brüderlich? Sind nicht auch in der Landeskirche noch genug Seelen, die ihre Kleider helle gemacht haben im Blut des Lammes? Hat oder haben die Landeskirchen nicht eine ganze Wolke von Zeugen in der Vergangenheit gehabt, und haben solche in der Gegenwart noch? Worum droht sich denn aber die Gegnerschaft zwischen L. u. L. und Z. WT?

Zwei Punkte möchte ich nur berühren. Zunächst woher nimmt oder nehmen die Verfechter der Milleniumslehren die Berechtigung, alle Andersdenkenden und Glaubenden als nicht mit der Schrift übereinstimmend zu behandeln und solche den Weltkindern gleichzustellen?

Was wird nicht in unserer Zeit den Christen alles zugemutet, als biblische Wahrheit anzunehmen. Man könnte dann wohl alle Monate zu einer anderen Gemeinde, Gemeinschaft oder Kirche gehen. Gilt denn aber nicht die Meinung des Apostels Paulus: Lasset euch nicht von jeglichem Wind der Lehre umtreiben? Eine neue, wenn auch alte Lehre ist es aber auch nur, was Tagesanbruch und Z. WT. Lehren.

Alle Landeskirchen sind geschichtlich gewordene Institutionen und Früchte der Reformation und haben jede ihre Blutzeugen. Unsere Väter haben widerstanden bis aufs Blut. Es ist wirklich viel verlangt, wenn von Leuten, die die Kirchen als Babel, ja nur als Babel behandeln, uns zugemutet wird, das Erbe unserer Väter, zu dem auch die Landeskirchen gehören, so gering zu bewerten und sich von ihr zu scheiden. Es ist heilige Pflicht gerade eines gläubigen Dieners der Kirche, gegen Irrtümer zu zeugen und die Stimme zu erheben. In der Form mag ja wohl manchmal gefehlt werden; aber die sich beleidigt fühlenden mögen an das alte wahre Sprichwort denken; was du nicht willst, was dir geschehe, das tu auch einem andern nicht.

Wer selber so oft zu Gericht sitzt über die Landeskirchen, hat wahrlich nicht Ursache, empfindlich zu sein, wenn er auch gerichtet wird.

Der Seelenschlaf ist die Hauptlehre vom Tagesanbruch. Der Mensch ist also nach dem Tode ganz tot, auch der HErr Jesus soll's gewesen sein die Zeit nach seinem Verscheiden bis zur Auferstehung. Dann müßte doch Mose, der Mann Gottes, noch heute im Todesschlaf liegen. Nun berichtet uns aber die Taborgeschichte: Es erschienen ihm aber Mose und Elia und besprachen sich mit Ihm (Jesus), was es mit Ihm sollte für einen Ausgang nehmen zu Jerusalem.

Zweitens: Der HErr Jesus ist doch hingegangen im Geist und hat den Geistern im Gefängnis gepredigt, die etwa nicht glaubten zu den Zeiten Noahs, da Gott Geduld hatte. Wie kann man angesichts solcher klaren Schriftzeugnisse, so ohne weiteres verlangen, diese neue oder auch alte Lehre anzunehmen, und die Lehre, zu der unsere Väter mit Verlust ihres Lebens und Hab und Gut sich bekannt haben, uns als Irrtümer und Schriftwidrig bezeichnen und behandeln zu lassen.

Nein und abermals nein. - Alle großen treuen Zeugen der Vergangenheit und Gegenwart haben gelebt und leben ihres Glaubens. Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Muß man doch immer wieder fragen. Wer die reformatorischen Lehren verwirft und die neueren als Schriftgemäßer hinstellt, richtet die alten Gotteszeugen aller Zeiten und mag zusehen, daß er nicht gerichtet wird. Hat Luther den Geist Gottes nicht gehabt?

Wenn die Lehre vom Todesschlaf wahr wäre, kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, so wäre das fast ein Evangelium für die Gottlosen zu nennen. Nach Milleniumslehre wird im tausendjährigen Reich allen, die schon einmal auf Erden gelebt haben, Gelegenheit gegeben werden, unter besseren Verhältnissen sich für oder wider Gott zu entscheiden. Wer dann nicht für Gott und seinen Gesalbten sich entscheidet, soll dem zweiten Tode anheimfallen und von Gott vernichtet werden.

Wäre das aber so, wäre doch die Strafe für ihre jetzige Gottlosigkeit keine große. Ein Gottloser, der jetzt hier nach seinen Herzensgelüsten lebt, läßt doch ja schon den lieben Gott einen frommen Mann sein. Solche Leute würden dann wohl noch leichtsinniger freveln und denken: nun werde ich einmal bloß von Gott vernichtet werden, was liegt daran? Dann bin ich doch nicht mehr, und von der Strafe ist nicht die Rede; dann nehme ich das Gewisse fürs beste und halte mich jetzt an das, was ich habe.

Die Gottlosen sagen doch bekanntlich: Es ist kein Gott. Nun, und wenn ja ein Gott sein sollte und er mich dann vernichtet, so ist eben alles aus, was mach ich mir daraus, ich will lieber das Leben hier in vollen Zügen genießen.

Ganz anders liegt doch aber wohl die Sache, wenn der volle und ganze Ernst einer Ewigkeit dem Sünder bezeugt wird. Doch genug, Bände ließen sich darüber schreiben; ich wollte nur damit andeuten, wie gerecht es ist, vor solchen Lehren zu warnen.

Im übrigen will ich nur noch bemerken, daß ich selber auch ein Anhänger der Lehre vom tausendjährigen Reich bin und auf die Wiederkunft des HErrn Jesu zur Aufrichtung dieses seines herrlichen Königreiches warte und darum bete, aber doch in ganz anderer Weise."

Der zweite Leserbrief ("Licht und Leben" 1909 S. 190):

"Pastor Gieseke in Solingen teilt uns mit:

In Ergänzung der trefflichen Milleniumsaufsätze von Stadtpfarrer Geiges möchte ich noch kurz an einem besonders drastischen Beispiele das oberflächliche und unlogische der Russellschen Bibelauslegung aufweisen.

Bekanntlich leugnet Russell nicht bloß die Hölle und ihre Qual, sondern er behauptet auch: in der Heiligen Schrift werde eine solche nicht gelehrt; das Wort Scheol bzw. Hades bedeute nichts weiter als Tod, Grab.

Da steht ihm nun unter anderm die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus entgegen. Wie wird er damit fertig? Höchst einfach! Die Geschichte ist halt ein Gleichnis.

Der reiche Mann ist die jüdische Nation, die von Gottes Gnade im Alten herrlich und in Freuden lebte, d. h. einen Weg zur Gerechtigkeit hatte; Lazarus sind die Zöllner und Sünder sowie etliche gottsuchende Heiden, die solches Segens entbehren. Daß Lazarus in Abrahams Schoß kommt, bedeutet das 'Evangeliums-Zeitalter' mit seiner apostolischen Einladung zum Heil; die Hölle und die Qual des reichen Mannes ist die Auflösung der jüdischen Nation seit der Zerstörung Jerusalems und ihre Leiden in der Zerstreuung unter die Völker.

Das klingt ja nun ganz schön, solange man nicht nachdenkt. Sobald man das tut, kriegt die Sache ein böses Loch.

Das Wesen des Gleichnisses nämlich besteht doch darin, daß etwas Unbekanntes, Neues, Verborgenes deutlich und anschaulich gemacht wird durch Vergleichung mit etwas Allbekanntem. Also selbst angenommen Russells Auslegung wäre richtig, so würde die Geschichte gerade als Gleichnis den klaren Beweis erbringen, daß Jesus eine Hölle, in der man nicht tot ist, sondern Qualen empfinden, um sich sehen und reden kann, als etwas vorausgesetzt hat, das seinen Zeitgenossen aus den Heiligen Schriften des Alten Testaments ganz geläufig war!

(Es wäre doch auch ein zu großer Unsinn: von einem den man - wenn auch nur gleichnisweise - im Grabe liegend und seelentot sich denkt, kann man doch wirklich nicht sagen: er leidet Qual und schaut sich um, redet mit andern Leuten und denkt an seine Brüder)

Item: Russell schlagt sich mit seiner Auslegung selbst."

1909er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

ZurIndexseite