Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Reformierte Kirchenzeitung

Einer Reflexion der Russell'schen Eheschwierigkeiten kann man auch in der Nr. 21/1907 der "Reformierten Kirchenzeitung" begegnen. Dort nimmt ein gewisser Rohleder unter der Überschrift "C.T. Russell" das zum Anlass, um mal ein paar Anmerkungen zum Bibelforscher-Thema zu machen, das ja zu dieser Zeit mindestens, noch relativ neu für Deutschland war. Bevor darauf eingegangen wird, sei noch aus einem anderen Artikel der gleichen Ausgabe der "Reformierten Kirchenzeitung" zitiert. Er hat zwar, vordergründig, überhaupt nichts mit dem Bibelforscher-Thema zu tun. Indirekt sagt es jedoch durchaus einiges aus über das "Geistesklima", in dem diese "Reformierte Kirchenzeitung" sich bewegt.

Dort kommentiert ein gewisser Kolfhaus:

"Wir in Deutschland haben noch nicht die scharf zugespitzten kirchlichen Verhältnisses des Nachbarlandes (Einfügung: damit ist Frankreich gemeint). Unser Liberalismus hat, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sich bisher noch nicht offen als Feind des Christentums hingestellt, er hält meistens noch mit einiger Pietät an der Kirche der Reformation fest und hat sich bisher von kirchlicher Sitte und Anstand nicht lossagen wollen. Aber auch der deutsche Liberalismus ist dem Gesetz unterworfen, daß verneinende und zerstörende Geistesbewegungen die Urbanität der Form und die Pietät gegenüber dem geschichtlich Gegebenen immer mehr einbüßen, je kraftloser sie sich fühlen an innerem Gehalt. So war es auf politischem Gebiet mit den Revolutionsparteien der französischen Revolution, so auf kirchlichen z. B. aus jüngster Vergangenheit mit den freiprotestantischen oder freireligiösen Gemeinden.

Sonst besaß bei uns im Westen der Liberalismus so viel kirchlichen Anstand, daß er sich bei Kirchenwahlen zurückhielt in dem richtigen Gefühl, daß Leute, die selbst nicht zur Kirche gehen, auch nicht in die Leitung der Gemeinde hineingehören. Die letzten Kirchenwahlen in Solingen und Köln zeigten uns den kirchlichen Liberalismus Arm in Arm mit der Sozialdemokratie, und ein sich selbst "evangelisch" nennendes Gemeindeblatt stand jubelnd daneben und frohlockte über den glänzenden Sieg."

Das also ist das geistige Level der "Reformierten Kirchenzeitung".

Da müsste man ja - oberflächlich betrachtet - nun annehmen, die Russell-Bewegung würde von ihr freudig begrüßt. Weit gefehlt indes. Gerade relativ Geistesverwandte Kreise, erweisen sich als die untereinander am streitsüchtigsten. Das sieht man schon beim Fall der Publizistik der Zeitschrift "Licht und Leben". Dieweil die Bibelforscher eben im selben Ungebildeten Niveau "grasen" und offenbar erfolgreich "grasen" ist man auf sie nicht gut zu sprechen. Mit Abstrichen registriert man nun ähnliches in der "Reformierten Kirchenzeitung". Letztere meinte nun in dem angekündigten Artikel:

"Der Herausgeber von "Zions Wachtturm" ist in Allegheny in Nordamerika ist durch Schwurgerichtsurteil von seiner Frau Marie Frances, geb. Ackley, geschieden worden. Die Schuld liegt aber nach den Ausführungen der Aprilnummer des Wachtturms weitaus und vor allem auf seiten Frau Russell, Sie war schon lange Mitarbeiterin des Wachtturms, eigentlich Mitredakteurin. Sie glaubte aber immer, sie sei doch nicht weit genug im Vordergrund. Sie wollte schließlich den Wachtturm allein redigieren. Als ihr Mann das nicht zugab, griff sie ihn öffentlich an. Erst mietete er ihr, als sie sich später von ihm trennte, eine Wohnung mit 10 Zimmern. Später setzte er ihr 40 Dollar für ihren Unterhalt aus.

Eine Zeit lang war Frau Russell stark für die Bestrebungen der Frauenrechtlerinnen eingenommen. Dann aber meinte sie immer, ihr Mann sei der Knecht in Matth. 24, 45-61. Und zwar glaubte sie, als er ihr die Leitung des Wachtturms nicht ganz überließ, er werde diese Stelle insofern erfüllen, als er als der ungetreue Knecht verworfen werde und - sie dann an seine Stelle zu treten berufen sei.

Schließlich reichte sie eine Scheidungsklage ein, indem sie auch seine eheliche Treue zu verdächtigen suchte. Die Untersuchung hat aber dargetan, daß es sich um völlig nichtige Beschuldigungen handelt, die alle sofort wieder aus dem Gerichtsprotokoll gestrichen wurden. Allerdings hat sich dabei auch ergeben, daß ein eigentliches eheliches Leben zwischen beiden nicht bestanden hatte. Sie hätten ihre Ehe nach 1. Kor. 7 Vers 1 und 30 geführt. Doch habe das, versicherte Russell, in ihrer Macht gestanden.

Die Geschworenen sprachen die Scheidung aus, weil sie glaubten, "daß keine Hoffnung auf eine Wiederaussöhnung vorhanden sei und daß sie beiden Parteien Gutes erzeigen würden, wenn sie sich für eine Scheidung entschliessen." Russell ließ durch seinen Rechtsvertreter Einspruch erheben. Er sei nicht dagegen, daß seine Frau eine Scheidung bekomme, wohl aber habe er protestiert, weil ihre Klage eine wahrheitswidrige und verleumderische war."

Nach dieser relativ sachlichen Darstellung, hängt Rohleder dann noch eine Zusammenfassung und Kommentierung der wesentlichen Russell-Lehren an. Sie stellen sich ihm wie folgt dar:

...Für die Gottlosen beginnt nach Russell eine neue Prüfungszeit. Sünder, die (nach Jes. 65,20) noch 100 Jahre widerstreben, sollen dann verflucht werden. Das bedeutet aber nach Russell nicht Verdammnis oder Hölle, sondern Vernichtung. Das stimmt weder mit der Schrift, noch mit den sonstigen Kundgebungen und Erfahrungen der neueren Zeit überein. Der Hauptertrag der spiritistischen Hochflut der Neuzeit ist doch wohl der Beweis, daß es Wesen außer dem Leib gibt, die aber nicht himmelwärts gravitieren, sondern erdgebunden oder unselig sind."

Zumindest nach der unmaßgeblichen Meinung eines Rohleders. Und abschließend äußert letzterer dann noch:

"In Russells Büchern herrscht Buchstabendienst, der den Geist tötet. Am bedenklichsten aber ist wohl, daß er den Ernst der göttlichen Strafgerechtigkeit abschwächt oder ganz aufzuheben scheint."

Letztere etwas verklausuliert formulierte Bemerkung, zielt dann ja wohl besonders auf das Mißfallen kirchlicher Kreise hin, dass Russell sich als potenter Ablehner der Höllenlehre erwies. Das aber ging für diese Kreise ans "Eingemachte". Deshalb und nur deshalb, sind auch sie sauer auf den Scharlatan Russell.

1907er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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