Annotationen zu den Zeugen Jehovas

1799

Wer Russell's "Schriftstudien" selbst einmal gelesen hat, was man ja nur sehr empfehlen kann, und was zwischenzeitlich auch erheblich leichter geworden ist. Die Zeiten, wo man diese Schriften nur in wissenschaftlichen Bibliotheken einsehen konnte, sind glücklicherweise vorbei. Wer dieses grundlegende Dokument "Schriftstudien" also selbst gelesen hat, dem wird eine Besonderheit nicht entgangen sein. In Russells Sicht begann die vermeintliche "Endzeit" schon 1799 und sie sollte bis 1874 währen. Da sollte also Christus schon wiedergekommen sein und o Wunder, wer nach 1878 als treuer Christ verstarb, dem wurde gar eine sofortige Auferstehung (im Himmel) prophezeit.

Warum aber ausgerechnet 1799? Nun wer mit der Geschichte vertraut ist, der kann wissen das zu jenem Zeitpunkt just die 1789 ausgebrochene Große Französische Revolution die Gemüter beschäftigte. In ihren weiteren Verlauf wurde durch Napoleon Bonaparte 1799 mittels eines Staatsstreiches die Macht übernommen. Spektakulär in jenem Jahre war auch besonders die Gefangennahme des Papstes, der sich in Widerspruch zur französischen Politik gesetzt hatte. Eine ganze Reihe von religiösen Schriftstellern haben diese Vorgänge mit in ihr System eingebaut. Nicht nur Russell. Zu nennen sind da beispielsweise die Schriftstellerin Ellen G. White mit ihrem voluminösen Buch "Der große Kampf zwischen Licht und Finsternis". Ellen G. White ist der Religionsgemeinschaft der Siebenten Tags Adventisten zuzuordnen. Ihr Buch gilt dort nach wie vor als Standardwerk und wird immer wieder neu aufgelegt.

Auch zu DDR-Zeiten konnten die dortigen Siebenten-Tags-Adventisten eine Auflage dieses Buches (und anderer) herausbringen. Diese DDR-Ausgabe hatte allerdings einen entscheidenden Makel. Die Passagen bezüglich der Großen Französischen Revolution, sind dort der DDR-Zensur zum Opfer gefallen. Man kann dies jederzeit erkennen, wenn man jene Ausgabe mit anderen (reichlich vorhandenen) Auflagen jenes Buches vergleicht.

Dem DDR-Staat passte es nicht, dass jenes weltgeschichtliche Ereignis, durch die religiöse Brille deformiert, in diesem Buch dargestellt wird. Nun kann ich diese DDR-Vorbehalte sogar (ausnahmsweise) nachvollziehen. Diese Prokrustesbettdarstellung der Französischen Revolution bei Ellen G. White, findet auch nicht meine Sympathie.

Dennoch, dieses Buch von Frau White erschien schon zu einem Zeitpunkt, wo an eine "DDR" überhaupt noch nicht zu denken war. Dieser Zensureingriff ist daher mehr als bedenklich. Man hätte die Vorbehalte gegen diese religiöse Darstellung auch in der Form eines beigefügten Kommentars ansprechen können, hat dieses aber nicht getan.

Kehren wir zu 1799 zurück. Sowohl für Russell als auch für die Adventisten, war die Große Französische Revolution ein "Meilenstein", den sie entsprechend in ihre Systeme einfügten. Die heutigen können vielfach damit nicht sonderliches mehr anfangen. Dieses schulden sie dann allerdings dem Versäumnis, sich nicht genügend in die entsprechenden Gedankengänge hineinzuversetzen. Aus religiöser Sicht hatte die Große Französische Revolution auch ein sensationelles Ergebnis mit gezeitigt. Und zwar, das der Papst der katholischen Kirche gezwungen wurde, den Vatikan zu verlassen.

Auch in anderen Veröffentlichungen der Siebenten-Tags-Adventisten ist dies diverse male thematisiert worden. Eine sei hier noch besonders genannt. Und zwar das 1889 in Basel erschienene Buch von A. H. Waggoner "Vom Paradies zum Paradies. Ein biblischer und prophetischer Versuch". In einer Bildbeilage (S. 125) wird darin auch der Vertreibung des Papstes aus dem Vatikan gedacht. Dieses Bild, als visueller Eindruck, kann es schon eher verständlich machen, weshalb genannte Kreise, von diesem Ereignis so überaus tief beeindruckt waren.

Auch in der noch 1925 verlegten WTG-Broschüre „Was lehrt die Schrift über die Wiederkunft unseres Herrn seine Parusie Ephiphania und Apokalypse" (welche in ihrer 7. Auflage noch 1925 verlegt wurde, erste Auflage 1912), spielt das Datum 1799  eine gewichtige Rolle: Auch aus dieser noch einige Zitate: (S. 8, 31 parallel auch im deutschen "Wachtturm" Ausgabe Juni 1916 abgedruckt )

Eine thematisch ähnliche Broschüre von J. F. Rutherford (Magdeburg 1926) "Die Wiederkunft unseres Herrn seine parousia, epiphaneia und apokalypsis" konstatierte ab S. 23f.:

"Gott ließ Daniel besonders von den Geschehnissen zur Zeit des Endes berichten. Die „Zeit des Endes" bedeutet eine besondere Periode am Ende der Herrschaft der Nationen. „Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen; und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten und er wird in das Land der Zierde eindringen, und viele Länder werden zu Fall kommen; diese aber werden seiner Hand entrinnen: Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon." - Daniel 11: 40, 41.

Die Erfüllung dieser Prophezeiung ist bestimmend für den Anfang der „Zeit des Endes". Der Feldzug des großen Napoleon Bonaparte ist offenbar als geschichtliche Tatsache eine Erfüllung dieser Prophezeiung. Mit dem in dieser Prophezeiung erwähnten „König des Südens" scheint Ägypten gemeint zu sein, mit dem „König des Nordens" Großbritannien, daß früher unter römischen Einfluß stand. Napoleon war in Ägypten eingedrungen und kämpfte gegen die ägyptischen Armeen, die von Murat Bey geführt und von Napoleon geschlagen wurden. Sein Sieg rief nicht nur unter den Ägyptern, sondern auch in Afrika und Asien Bestürzung hervor, und alle umliegenden Stämme unterwarfen sich dem großen Eroberer. Während Napoleon dort siegreich vorwärts drang, vollführten die Briten im Norden unter der Führerschaft des Generals Nelson einen erfolgreichen Angriff auf Napoleons Streitkräfte zur See. Der ägyptische Feldzug begann 1798 und am 1. Oktober 1799 kam Napoleon nach Frankreich zurück. Dieser Feldzug ist kurz aber genau in Daniel 11: 40-41 beschrieben, und nach den Worten des Propheten bedeutet das Jahr 1799 den Anfang der „Zeit des Endes". …

In der Bildersprache der Bibel bedeutet eine Zeit ein Jahr von 360 Tagen. Jeder Tag [des 360 Tage zählenden Mondjahres] wird als ein Jahr gerechnet, wie der Prophet sagt: „Je einen Tag für ein Jahr habe ich dir auferlegt" (Hesekiel 4:6) Hier sind dreiundeinhalb Zeiten von je 360 prophetischen Tagen erwähnt, also insgesamt 1260 prophetische Tage, die dem Anfang des Endes der tierischen Ordnung zeigen. 1260 Jahre nach dem Jahre 539 bringen uns zu dem Jahre 1799. Wie wir bald sehen werden, ist dies ein weiterer Beweis dafür, daß an diesem Zeitpunkt „die Zeit des Endes" markiert wird. Das Zeigt uns auch, daß die prophetischen Tage Daniels tatsächlich von 539 an gezählt werden müssen.

Das wichtigste Geschehen, worauf alle Prophezeiungen hindeuten, ist das zweite Kommen unseres Herrn. Der Prophet beschreibt es als eine gesegnete Zeit und sagt: „Glückselig der, welcher harrt und tausenddreihundertfünfunddreißig [1335] Tage erreicht". (Daniel 12:12) Die Harrenden oder Wächter, von denen hier die Rede ist, sind zweifellos die, welche, vom Herrn belehrt, auf seine Wiederkunft warteten. Dieser Zeitpunkt also sollte, wenn recht verstanden, die Zeit der Wiederkunft unseres Herrn angeben. Wenn wir nun wiederum einen Tag für ein Jahr rechnen und vom Jahre 539 an zu zählen anfangen, kommen wir auf das Jahr 1874 als das Jahr, wo nach der Chronologie der Bibel das zweite Kommen des Herrn fällig ist. Wenn diese Berechnung richtig ist, sollten wir von jener Zeit an Beweise von der Gegenwart des Herrn finden.

Es sind hier zwei wichtige Zeitpunkte, die wir nicht verwechseln dürfen, vielmehr klar unterscheiden müssen, nämlich den Anfang der „Zeit des Endes" und der „Gegenwart des Herrn". Die „Zeit des Endes" dauert von 1799 bis zum völligen Sturze des Reiches Satans und der Aufrichtung des messianischen Königreiches. Die Zeit der zweiten Gegenwart des Herrn datiert von 1874 an. …

Was sollen wir nun wohl zur bestimmten Zeit erwarten? Gott antwortet: „Viele werden es [das Buch der Bibel] durchforschen [oder engl. Übers.: Viele werden hin und her rennen], und die Erkenntnis wird sich mehren." (Daniel 12:4) So sollten wir also erwarten, daß kurz nach dem Jahre 1799, dem Anfang der Zeit des Endes", eine Zunahme der Erkenntnis, besonders bezüglich der Bibel, zu bemerken sei. Vor jener Zeit wurde das Volk in Unwissenheit gehalten. … Im Jahre 1799 erhielt die Macht des „Tieres" Rom unter der Oberherrschaft des päpstlichen Systems eine tödliche Wunde. Das Volk war gelehrt worden, daß die Kaiser und Könige von Gott eingesetzt seien, und daß die Geistlichkeit ebenfalls ein göttliches Recht hätte, über die Gewissen der Menschen zu herrschen. Als Napoleon den Papst gefangen nahm und nach Frankreich abführte und sich später weigerte, sich vom Papst krönen zu lassen, sondern sich selbst die Krone auf das Haupt setzte und so die päpstliche Autorität mißachtete, begann dies den Menschen, Herrschern wie dem Volke, die Augen zu öffnen, sodaß ihnen die Erkenntnis dämmerte, daß der Papst in Wahrheit sein angemaßtes recht nicht von Gott bekommen hatte.

Kurze Zeit danach wurden die ersten Bibelgesellschaften gebildet. … Von jener Zeit an wurde eine große Zunahme der Erkenntnis in allen Schichten der Gesellschaft und auf allen Gebieten des Wissens bemerkbar. Die Volksschule, deren Gegner das Papsttum immer gewesen ist, wurde zu einem Mittel der Erziehung und der zunehmenden Erkenntnis aller Stände. Auf der ganzen Erde wurden Gymnasien und Universitäten errichtet, mit der wachsenden Erkenntnis auf allen Gebieten folgten zahlreiche Erfindungen, sodaß die Menschheit heute viele zeit- und arbeitssparende Maschinen u. a. m. besitzt.

Vor dem Jahre 1799 verfügte der Mensch noch über Verkehrsmittel, mit denen er an einem Tage nur eine geringe Entfernung zurücklegen konnte. … Im Jahre 1831 wurde die erste mit Dampf getriebene Lokomotive erfunden. Diese hat seitdem so wunderbare Fortschritte gemacht, daß man heute fast alle Teile der Erde mit dem Schnellzuge durcheilen kann. Später kamen elektrische Maschinen, Motore usw. sodaß heute die Erde mit den verschiedensten Fahrzeugen befahren wird. Es ist nichts Ungewöhnliches mehr, mit einer Geschwindigkeit von 120 - 160 Kilometern in der Stunde zu reisen; besonders trifft dies auf Flugzeuge, eine Erfindung unserer Tage, zu.

Der Prophet Gottes nennt diese Zeit den „Tag seines [Gottes] Rüstens." In Nahum 2: 3-6 beschreibt der Prophet die Vision eines Eisenbahnzuges, der mit großer Geschwindigkeit am „Tage seines Rüstens für die Aufrichtung des Königreiches Christi", dahergebraust kommt.

Im Jahre 1844 wurde der Telegraph erfunden und später das Telefon. … Diese große Zunahme der Erkenntnis und das gewaltige Hin- und Herrennen der Menschen in den verschiedenen Teilen der Erde sind zweifellos eine Erfüllung der Prophezeiung, ein Zeichen der „Zeit des Endes". Das sind unbestreitbare Tatsachen, die dem denkenden Menschen genügen müssen, um ihn zu überzeugen, daß wir seit 1799 in der „Zeit des Endes" befinden. …

Das Bild der im Osten aufgehenden und bis zum Westen hinleuchtenden Sonne, das unser Herr anwandte, um die Zeit seiner Gegenwart zu beschreiben, sehen wir jetzt als wahrhaftige Prophezeiung in Erfüllung gehen. Die arbeitende Klasse ist immer von der besitzenden Klasse, der Politik und Geistlichkeit, unterdrückt und in Abhängigkeit gehalten worden, aber im Jahre 1874, dem Zeitpunkt der Wiederkunft des Herrn, bildete sich die erste internationale Arbeiterorganisation. Von jener Zeit an hat auch das Licht in wunderbarer Weise zugenommen, und Erfindungen und Entdeckungen sind so zahlreich, daß wir sie hier nicht aufzuzählen vermögen. Doch seien einige der Fortschritte genannt, die als Beweise der Gegenwart des Herrn seit 1874 ans Licht gekommen sind. Diese sind, alphabetisch aufgezählt, z. B.: Additionsmaschinen, Aluminium, antiseptische Chirurgie, automatische Bahnkupplung, automatische Pflüge, Automobile, bewegliche Bilder, drahtlose Telegraphie, dunkles Afrika, Dynamit, Eisenbahnsignale, elektrische Eisenbahnen, elektrische Schweißmethoden, Erntemaschinen, feuerlose Kochapparate, Gaskochmaschinen, Göttlicher Plan der Zeitalter, Induktionsmotoren, künstliche Farben, Leuchtgas, Nordpol, Panamakanal, Pasteur'sche Schutzimpfung, Radium, Rahm-Separatoren, riesenhohe Geschäftsgebäude, Röntgen-Strahlen, Schreibmaschine, Schuhnähmaschinen, Setzmaschime, Sprechmaschine, Streichholzmaschine, Südpol, Telefon, Untergrundbahn, Vakuum-Teppichreiniger, Zelluloid, Zweiräder usw. usw. …

Wenn heut' Urahnen würden auferstehn,

Und Radio hören, Flugschiff fliegen sehen,

So möchten vor Erstaunen sie vergehn,

Wenn nicht die Bibel sie es ließ verstehen,

Daß alle diese Wunder nur geschah'n,

Weil Christi Königsherrschaft nun bricht an.

In einem Forumsbeitrag wurde festgestellt, dass es nahezu äuffällig sei, dass in neuerer WTG-Literatur überhaupt nichts mehr zu dem Jahr 1799 gesagt wird.

Statt dessen praktiziert man den Grundsätz. Der Dieb ruft "Haltet den Dieb!"

So etwa, wenn unter Totalverschweigung der eigenen früheren 1799-Auslegung, gar versucht wird der katholischen Kirche, nunmehr den "Schwarzen Peter" zuzuschieben. So geschehen im "Wachtturm" vom 1. 9. 1989, was mit dem Satz kommentiert wurde:

"Gibt es irgendwo noch ein vergleichbareres Beispiel an unverfrorener, unverschämter Kaltschnäuzigkeit?

Eine Impertinenz die seines gleichen sucht"

Band 3 der Russell'schen "Schriftstudien" hatte in vielfältiger Weise das Jahr 1799 thematisiert.

Einige Auszüge daraus:

In dessen 2. Kapitel wird auf 36 Seiten versucht zu beweisen, dass die „Zeit des Endes" („die letzten Tage") 1799 begannen und 1914, also 115 Jahre später, endeten.

Auch Seite 297 daselbst ist zu nennen, wo die damaligen Gedankengänge dazu entwickelt wurden.

 

Parsimony.19454

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