Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Mittel zum Zweck

In der CV 71 wird eine Stellungnahme der Evang. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zitiert, die auf das "1975-Datum" bezogen ist.

Nachstehend die diesbezüglichen Kernaussagen:

"Für die Zeugen Jehovas wird 1975 ein besonderes Jahr sein. Denn: "Sechstausend Jahre Menschheitsgeschichte enden". Unter diesem Titel lasen Jehovas Zeugen in dem 1966 von der Wachtturmgesellschaft (WTG) freigegebenen Buch "Ewiges Leben in der Freiheit der Söhne Gottes" erstmals von der apokalyptischen Bedeutung des Jahres 1975. Dieses Jahr war in einer graphischen "Übersicht wichtiger Daten von der Erschaffung des Menschen bis zum Jahr 7000 Anno Mundi" ausgewiesen als das "Ende des sechsten 1000-Jahr-Tages der Existenz des Menschen". Dann folgte ein dicker Strich, und darunter stand. 2975 - Ende des siebenten 1000-.Jahre-Tages der Existenz des Menschen. Jedem Zeugen Jehovas war klar, was dies zu bedeuten habe.

Hier war jenes apokalyptische Ereignis angesprochen, auf das er mit Spannung hinlebt: der große Wechsel der Zeitalter die völlige Vernichtung des "gegenwärtigen bösen Systems der Dinge" im "Krieg des großen Tages Gottes, des Allmächtigen" und das Erscheinen der "von Gott verheißenen neuen Weltordnung, unter der hier auf Erden das Paradies "wiederhergestellt wird, in dem Menschen ewig in vollkommener Gesundheit leben werden" (aus einer Informationsschrift der WTG). - die neue Botschaft wurde daher "mit Begeisterung entgegengenommen", wie es im Wachtturm (WT 1967. S. 20) heißt.

In den Versammlungen entstanden "rege Debatten" (WT 1968, S. 686). Ja, es kam zu inneren Auseinandersetzungen, sogar zu einer Revolte im Hauptbüro in Brooklyn, in deren Verlauf 312 Zeugen Jehovas - das ist etwa ein Viertel der "Bethel-Familie" - auszogen bzw. ausgeschlossen wurden. Die Leitung der WTG merkte bald , daß die Ausgaben eines Endtermins ein Spiel. mit dem Feuer ist, und sie ergriff "konjunkturdämpfende Maßnahmen".

Von Jahr zu Jahr ließ sie sich weniger über "1975" und die diesem Datum zugrunde liegende Berechnung vernehmen. Dafür stellte sie ihre bisherige Endverkündigung erneut in den Vordergrund: "Wir stehen an der Schwelle Harmagedons". "In der unmittelbaren Zukunft werden sich die Ereignisse überstürzen … Es dauert höchstens noch ein paar Jahre...." (WT 1968, S. 464). Heute tut die WTG so, als hätte sie nie über den Anbruch des Millenniums im Jahre 1975 etwas gesagt. In ihrem Schrifttum der letzten beiden Jahre findet man so gut wie keinen Hinweis auf dieses apokalyptische Datum mehr.

Dieses Vorgehen ist nicht nur eigenartig, sondern entlarvend. Es erinnert zu sehr an das Verhalten der WTG unter Präsident Rutherford im Hinblick auf den zuletzt ausgegebenen Endtermin 1925. Hier wie dort stand ganz offensichtlich keine "biblische" Wahrheit im Hintergrund, die sich den Führern in Brooklyn so aufgedrängt hätte, daß sie sie verkünden mußten, weil sie selbst von ihr ergriffen waren. Allzu geschickt wurde hier regiert! Es ist die banale Notwendigkeit, eine apokalyptische Schar auf Trab zu halten, und es ist der feste Vorsatz, den eigenen Einflußbereich zu vergrößern, was dazu führt, die Bewegung das eine Mal anzuheizen und sie dann wieder zu dämpfen. Ob dies jeweils raffiniert ausgeklügelt wurde oder ob es mehr unbewußt geschah, sei hier nicht entschieden, in jedem Fall war die neu entdeckte apokalyptische Berechnung ein Mittel zum Zweck.

Was aber das "apokalyptische Jahr" 1975 anlangt, so haben augenscheinlich "innenpolitische" Erwägungen der WTG den Ausschlag gegeben. Wie man aus den statistischen Tabellen im "Wachtturm" ersehen kann, war, nach starkem Wachstum in den 50er Jahren, die Zunahme zu Beginn der 60er Jahre sehr zurückgegangen. Offensichtlich fehlte ein zugkräftiges Ziel! 1966 war dann die jahrliche Zuwachsrate auf 2,4 Prozent abgesunken (1950 gegenüber 1949: 18 Prozent). In der Bundesrepublik registrierte man sogar eine Abnahme von 1 Prozent (1950: 23 Prozent Zunahme!). Die "Gesellschaft" hatte sich gezwungen gesehen, in ihrem Jahrbuch 1967 erstmals auf diese negative Bilanz hinzuweisen. Als dann aber die Parole "1975" ausgegeben war, konnte wieder ein Ansteigen der Wachtumsrate verzeichnet werden (1968: 5,6 Prozent, 1969: 8,7, Prozent, 1970: 10,2 Prozent. In der BRD wieder durchschnittlich 3-4 Prozent). Die "Konjunkturpolitik" der Wachtturmgesellschaft bewährt sich offensichtlich!

Im weiteren Verlauf dieses Artikels zitiert die CV dann noch aus dem 1975er ZJ-Jahrbuch und verbindet damit eine kommentierende Anmerkung. Auch das sei nachstehend noch zitiert:

Wir lesen im Jahrbuch 1975, S. 240, 255, 256 dt. hierzu:

"Eine Vorkehrung zur rechten Zeit."

Zwischen 1960 und 1965 hatte es jährlich etwa 60 000 Täuflinge gegeben. Im Jahre 1966 indessen sank die Zahl auf 58 904. Unter diesen Umständen konnte man sich wirklich fragen, ob das Werk nachließe. Es zeigte sich aber, daß dies nicht der Fall war. Während des Dienstjahres 1967 wurden 74 981 Personen getauft. Dies war ein Aufschwung, der wieder Grund zu Optimismus gab. Dann kam das Jahr 1968 und mit ihm das Wahrheits-Buch und das sechsmonatige Bibelstudienprogramm. Edgar C. Kennedy sagte dazu: "Viele verbanden es mit der Ankündigung, die zwei Jahre zuvor gemacht worden war, daß 6000 Jahre (der Existenz des Menschen auf der Erde) 1975 enden würden".

C. W. Barber spricht gleichermaßen von der "Kürze und Dringlichkeit der Zeit" und bezeichnet das Jahr 1968 als einen "Wendepunkt". Er stellt fest: Überall wachten die Brüder auf und gingen kraftvoll daran mit Hilfe dieser 'leichteren Methode' die gute Botschaft zu verbreiten. Die Zahl der Verkündiger begann auf der ganzen Erde wieder anzusteigen.

Seitdem sind einige Jahre vergangen, aber dadurch ist die Dringlichkeit des Predigtwerkes nur noch größer geworden. Jehovas Diener wissen, daß sie sich nicht bis zu einem bestimmten Jahr hingegeben haben …"

Mit diesen Ausführungen gibt die WTG zu, daß "1975" eine "Vorkehrung", war allein um aus absinkenden Zahlen herauszukommen. Der WTG-Mitarbeiter E. C. Kennedy sagt das klipp und klar. "1975" war nichts weiter als ein Mittel zum Ankurbeln, zum Antreiben, Anspornen, damit die Zahlen wieder steigen. Nun ist der Zweck erreicht, das "bestimmte Jahr" kann wieder "verscheucht" werden! (Dein Name werde geheiligt, S. 329). …

Wenn Pfarrer Dr. Hans-Diether Reimer zurückhaltend ist, es sei hier nicht entschieden, ob die WTG das alles "raffiniert ausgeklügelt" hat. dann muß auf Grund der WTG-Einlassungen im Jahrbuch 1975 gesagt werden: Man hat "1975" in Brooklyn nur als Mittel zum Zweck benutzt, damit die Zahlen wieder ansteigen.

WTG-Präsident Rutherford hatte einst erklärt: "Jehovas Getreue wurden in ihren Erwartungen für die Jahre 1914, 1918 und 1925 enttäuscht. Später lernten die Treuen, daß sie keine Daten mehr festsetzen sollten" (Rechtfertigung Bd. I, S. 332. WTG Magdeburg 1932).

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