Annotationen zu den Zeugen Jehovas

"Zuflucht zum Königreich"

"Zuflucht zum Königreich". So lautet der Titel einer jener vielen Broschüren, die Rutherford auch im Jahre 1933 veröffentlichen ließ. Im Impressum wird zwar auch das Magdeburger WTG-Büro als Kontaktadresse mit genannt; indes gedruckt wurde diese (deutschsprachige) Broschüre direkt in den USA. Schon seit Anfang 1933 überstürzten sich die Ereignisse in Deutschland für die WTG. Mit Ausnahme von Preußen, hatten bereits etliche deutsche Bundesländer Verbotsverfügungen herausgebracht, unter anderem auch das für die Bibelforscher wichtige Sachsen. Selbst das Magdeburger Büro wurde schon im April 33 zeitweilig geschlossen; wobei es der WTG dann allerdings nochmals gelang, eine Galgenfrist zu erstreiten. In dieser Konstellation ist es durchaus schon verständlich, dass der Druck dieser Broschüre nicht mehr in Deutschland erfolgte.

Inhaltlich ist es bemerkenswert, dass in ihr einige der bis dato aufgelaufenen Opposition gegen die WTG, beim Namen genannt wurde. Bezeichnenderweise wird der diesbezüglich auch relevante Fall Deutschland, darin mit keiner Silbe erwähnt. Auch ein Indiz für den nachweisbaren Kompromisskurs der WTG in jenem Jahre. Ganz offensichtlich glaubte man, noch etwas "retten zu können" und wollte sich diese Chance nicht durch scharfe Worte selbst verbauen. War man sich doch dessen bewusst, dass die Vorgängerbroschüre "Die Krise", bereits scharfe Reaktionen auf nazistischer Seite, aber auch andernorts, wie in Polen, heraufbeschworen hatte..

Nachstehend einige Auszüge aus dieser Broschüre:

Einleitend rühmt man sich, dass diese Ausführungen bereits über ein Netz von 230 Radiostationen in den USA, Frankreich und Holland gehalten worden sei. Zugleich sieht sich Rutherford genötigt, auf diesbezügliche Opposition zu sprechen zu kommen. Er glaubt zwar, dies noch von der "überlegenen Warte" aus tun zu können. Indes es ist offensichtlich, dass dies ihn sehr wohl "wurmt". Etwa wenn er äußert:

In Kanada, das einen Bestandteil der "Christenheit" bildet, haben Männer in hohen amtlichen Stellungen das Volk jenes Landes daran gehindert, Gottes Botschaft im Rundfunk zu hören. … Ich werde den Führer jener Kommission nicht durch Nennung seines Namens auszeichnen. Er hat mich nicht beleidigt und kann mich nicht beleidigen, weil die Botschaft, die ich überbringe, nicht meine Botschaft ist. Er kämpft gegen Gott.

Nachdem Rutherford seine Verkündigung dergestalt metaphysisch überhöht hat, sattelt er noch eins drauf:

Jehova Gott ist durch jenen in Kanada wohnenden überheblichen Zensor herausgefordert und sein Wort und sein Name sind geschmäht worden. Jehova Gott wird jenem gesetzlosen Menschen und seinen bösen Komplizen und Ratgebern gerechte Vergeltung erstatten. Er gibt zu, daß die Geistlichen seine Berater sind … Das Geschick, das solche Menschen erwartet, hat Jehova Gott angekündigt, und ich werde sogleich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken.

Und dann lässt Rutherford seinen sadistischen Intentionen freien Lauf:

Jene Kriege des Altertums sind … in der Bibel als bloße Beispiele für das aufgezeichnet worden, was über die Nationen der "Christenheit" kommen soll … Die große Schlacht des Tages Gottes, des Allmächtigen, wird im Vergleich mit andern Schlachten alle andern Kriege als Kinderspiel erscheinen lassen … daß Harmagedon der größte Krieg und das furchtbarste Blutbad sein wird, das der Mensch je gekannt hat.

Trotz seiner starken Worte, sieht sich Rutherford immer wieder genötigt, auf das ihn bedrückende Kardinalproblem zurückzukommen. Die Opposition gegen seine Verkündigung. Etwa wenn er klagt:

Nicht nur Kanada sucht zu verhindern, daß das Volk die Wahrheit über Gottes Königreich höre, sondern auch die zwei großen, dem Großgeschäft in Amerika gehörenden und von ihm betriebenen Radiokorporationen tun alles was sie können, zu verhüten, daß das Volk die Botschaft des Königreiches vernehme.

Triumphierend mein Rutherford weiter:

aber es gelingt ihnen nicht. Selbst wenn jede Rundfunkstation auf der Erde es ablehnte, die Königreichsbotschaft auszusenden, würde Gott sie dennoch zu den Menschen, die sie hören wollen, gelangen lassen. Sprechmaschinen werden jetzt hergestellt und in Amerika und andern Ländern weit verbreitet, wodurch den Menschen die Botschaft in lautverstärkter Form gegeben wird. Der Vortrag, den ich jetzt halte, wird auf elektrischem Wege auf eine Schallplatte übertragen, und so wird es den Völkern in der ganzen Christenheit ermöglicht, die Botschaft zu hören. Überdies wird diese Rede in gedruckter Form veröffentlicht und in Millionen Exemplaren verbreitet werden.

Und damit seine andächtige Zuhörerschaft weiterhin entsprechend motiviert sei, lässt er denn noch verlauten:

Das Zeugnis ist bereits in jeder Nation der "Christenheit" gegeben, und zu diesem Zwecke befinden sich jetzt über 140 Millionen die Botschaft enthaltende Bücher in den Händen der Menschen; das alles ist inmitten großer Anfeindung geschehen.

Das Stichwort Anfeindungen aufnehmend, liefert Rutherford selbst noch ein weiteres Beispiel, wenn er äußert:

Daß die Verkündiger des "Heiligen Jahres" Feinde Gottes und seines Königreiches sind, beweisen ihre Taten. Als kürzlich Jehovas Zeugen die Königreichsbotschaft in gedruckter Form nach Italien brachten, da taten der Pontifex und seine politischen Verbündeten der Verteilung dieser Botschaft Einhalt und beschlagnahmten und vernichteten die betreffenden Broschüren. England und Kanada haben verhindert, daß die Botschaft vom Königreiche Gottes durch den Rundfunk ausgesandt werde. In den Vereinigten Staaten haben die Geistlichkeit und ihre Bundesgenossen die sogenannten "hohen Herren", Befehl gegeben, daß die Botschaft vom Königreiche hierzulande von gewissen Radiostationen nicht ausgesandt werde und haben auf diese Weise auch die Aussendung der heutigen Botschaft gehindert.

Rutherford nannte es bereits, ein weiteres Stichwort: "Heiliges Jahr". Dafür hatte der römische Papst in der Tat das Jahr 1933 proklamiert. Was können solche Proklamationen bewirken? In der Regel nicht sonderlich viel. Sie sind eher als eine Art "Symbol" als eine Art "Demonstration" zu verstehen. Auch den Zeugen Jehovas ist solche Symbolik nicht fremd. Ihre New Yorker Kongresse von 1953 und 1957 (im Buch von Cole "verewigt") sind auch Ausdruck solcher Symbolik. Es wäre weltfremd anzunehmen, dass die katholische Kirche prinzipiell auf analoges "verzichten" würde. Wie man weiß tut sie das auch nicht.

Einen "heiligen Rock" beliebte sie zu Trier wallfahren zu laßen, Lourdes in Frankreich über das Emile Zola mal einen lesenswerten Roman schrieb sind auch Ausdruck solcher Symbolik. Und eben auch besagtes "Heilige Jahr 1933". Hätte der Papst im voraus gewußt, was sich auf der politischen Bühne des Jahres 1933 alles noch so abspielte; er wäre mutmaßlich etwas zurückhaltender diesbezüglich gewesen. Aber nun war es erst mal proklamiert und das "Prinzip Hoffnung" mit ihm eng verquickt.

Man kann es Rutherford durchaus konzedieren, dass er nicht gerade ein "Fan" jener Proklamation war. Wenn er sie also kritisierte, ist das durchaus legitim. Aber, und jetzt kommt das berühmte Aber, er ging in seiner diesbezüglichen Kritik zu weit. So äußerte er z. B. zum "Heiligen Jahr"

Die Einsetzung und Ausrufung eines "Heiligen Jahres" zur Herbeiführung von Frieden und Wohlfahrt ist eine vermessene Sünde vor Gott, dem Allmächtigen ist eine vermessene Sünde vor Gott, dem Allmächtigen - keinem Menschen und keiner Gruppe von Menschen ist die Leitung der Angelegenheiten Gottes so restlos übertragen worden, daß sie ermächtigt wären "Zeiten und Gesetz zu ändern", wie in Daniel 7:25 erklärt wird.

Und jetzt kommt der Kardinalsatz:

Friede und Wohlfahrt können in der gegenwärtigen ungerechten Welt nicht erwartet werden; denn Jehova hat beschlossen, daß sie zerstört werden soll.

Als Russell seine Bibelforscher gründete, da war eines seiner "Markenzeichen", dass er z. B. die konventionelle Höllen und auch Seelenlehre ablehnte. Beide genannten Elemente erwiesen sich und erweisen sich noch heute als existentiell in dem Sinne, das mit diesen Elementen der Charakter zur Jenseitsreligion festgeschrieben wird. Mag in dieser Welt noch so vieles aus dem Ruder laufen, im Jenseits erfolgt der entsprechende Ausgleich.

In einem quälend langen, keineswegs als "beendet" zu betrachtenden Prozess, haben sich nicht unwesentliche Teile des Christentums außerhalb der Zeugen Jehovas, allmählich von dieser Art "Philosophie" entfernt. Sie sind nolens, volens einzuräumen bereit, dass der Christ nicht nur eine Verantwortung für das Jenseits, sondern eben auch für die Gegenwart, für das hier und heute hat.

Demgegenüber stellt Rutherford die "glasharte" Alternative: Nur Orientierung auf das "Jenseits" (in der Zeugen Jehovas-Terminologie, die Zeit "nach Harmagedon"). Natürlich werden die Vokabeln vom "Jenseits" seitens der Zeugen Jehovas nicht verwandt. In der Sache läuft ihre "Philosophie" auf genau dass hinaus: Zerstörung dieser Welt. Hoffnung das dies zugleich den "positiven Urknall" bewirke.

Ein Karl Marx hätte mit seiner Religionsthese, von der Religion als dem Opium des Volkes, am Beispiel der Zeugen Jehovas, seine "hellste Freude" über dieses plastische Veranschaulichungsbeispiel!

Die Ära Rutherford

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