Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Meister der Verschiebung

Ein weiterer der CV der Nr. 69 entnommenen Kommentar:zum Thema 1975

Wie ist es möglich, daß die WTG seit ihrem ersten Datum für den Beginn der "Zeit des Endes" 1799 (Die Harfe Gottes, S. 215, WTG 1926) nun schon fast 200 Jahre lang Glauben für ihre Endzeitlehren findet, obwohl diese Zeit nur eine Generation dauern soll?

Ein Hauptgrund ist ohne Zweifel der Umstand, daß die Lehren nur allmählich verändert werden, schrittweise nie völlig auf einmal, nur stückweise, ohne radikale Umbrüche, insgesamt langsam umwälzend, oft eine Zeitlang noch parallel mit dem alten, was eigentlich schon nicht mehr gilt. Dabei wird dafür gesorgt, daß alle immer ausreichend mit Dingen, beschäftigt und ausgefüllt werden, die eigentlich immer gültig sind, die auch unabhängig von einer Endzeit Gegenstand für einen Christen sind. Auch wird dafür gesorgt, daß niemand sich eine wirklichkeitsgetreue Gesamtübersicht über die WTG-Lehrentwicklung machen kann, u. a. durch Einziehung der älteren Literatur. Die unumgänglichen WTG-eigenen Gesamtdarstellungen, ihre eigene "neuzeitliche Geschichte", ist jedesmal so frisiert, verpackt und entschärft, daß jemand, der die ursprünglichen Schriften, Bücher und Dokumente nicht mehr zur Hand nehmen kann, kaum stutzig werden kann. Dazu kommen dann noch einige andere Faktoren wie Leichtgläubigkeit, Schicksalsschläge, Führungsbedürfnis, Dankbarkeit, Einsamkeit, Gemeinschaftsbedürfnis, Selbstbestätigung, Geltungsbedürfnis, Hilflosigkeit, Trostbedürfnis, Leid oder gar Verzweiflungen vielfältiger Art, die dankbar zu jedem Rettungsanker greifen lassen ohne zunächst näher und kritisch zu prüfen.

Die Generation von 1914 war eigentlich schon 1945 überzogen, wenn wir von der biblischen Generationsdauer von 30 Jahren ausgehen. Die Wirren des zweiten Weltkrieges halfen der WTG, diese ihre Krise zu verdrängen. Nun aber, mit 1975, wieder 30 Jahre weiter, ist die 1914-Generation auch physisch am Ende. Nur noch wenige alte 70-80jährige leben verstreut in den Versammlungen. Krampfhaft bauscht die WTG zwar alle jetzigen Krisenerscheinungen … zu "endzeitlicher" Bedeutung auf. Aber die gesellschaftspolitische Entwicklung gibt trotz aller WTG-Anstrengungen nichts her, was durch entsprechende Deutung der WTG die Krise ersparen könnte, die nun auf sie zukommt, wenn "diese Generation" wieder vergangen ist.

Wir wollen nun näher betrachten, was die WTG im letzten Jahr vor ihrem Endzeitfehlschlagjahr 1975, im Jahre 1974, für wesentliche Veränderungen ihrer Endzeitlehre vorgenommen hat. Weil ja schließlich, wie immer, nichts weiter übrig bleibt, als weiter zu verschieben.

Die WTG wußte natürlich genau, mit welch gespannter Erwartung alle in das letzte Jahr vor 1975 eintreten, das in Wirklichkeit nichts bringen wird. "Gott handelt zur bestimmten Zeit" - mit dieser Thematik wird ein erster Dämpfer ausgeteilt: "Man kann Jehova auch nicht als launenhaft bezeichnen, nur weil es so scheint, als würde er die Erfüllung bestimmter Teile seines Vorhabens mit den Menschen hinauszögern. Vielmehr erweist sich das, was dem Menschen mit seinem begrenzten Urteilsvermögen als eine 'Verzögerung' erscheint, in gewisser Hinsicht als notwendig, damit sich die Segnungen einstellen können, die darauf folgen sollen." (WT 1. 1. 74, S. 4).

In klarem Deutsch heißt das, es "verzögert sich", es wird weiter verschoben. Wer das in seinem "begrenzten Urteilsvermögen" nicht hinnimmt, stellt sich gegen Gott. Auf diese Weise hat sich die WTG jedesmal die Hände in Unschuld gewaschen, wenn das, was sie "im Namen Jehovas" in die Welt posaunte, sich als falsch erwies, so 1914, 1925, 1945 und nun 1975.

Im WT vom 15. 3. 1974 erfolgte dann die ausführliche Besprechung des Jahrestextes 1974 - Habakuk 3:17, 18 - dessen entscheidende Bibeltextaussagen wohlweislich im Jahrestext selbst weggelassen werden: "Abgetrennt, wirklich keine Speise, kein Ertrag, Fehlschlag!" Dieser Jahrestext verfolgte das Ziel, eine innere Stimmung zu erzeugen, die etwa so aussieht: Und wenn nichts blüht, wenn unsere Hoffnung ohne Ertrag und Erfolg bleibt, und wenn sich die Endverkündigung wieder als Fehlschlag erweist, trotz alledem, dennoch! Mit dem Mut der Verzweiflung vorwärts! Dennoch jubeln! Eine Art Tanz auf dem Vulkan. Wie beim Untergang des Riesenpassagierdampfers "Titanic": Tanzend mit voller Bordmusik in die Tiefe! "Wie eine Hindin vor Freude springen!", heißt es dann auch im Kommentar (Jahrbuch 1974, S. 261). Die das überstehen, würde man dann schon irgendwie weiterführen.

Wohldurchdacht wurde auf diese Weise der Endzeitfehlschlag von 1975 gleichsam vorweggenommen. So vorbereitet gab es dann mit dem WT vom 1. 4. 1974 einen härteren Brocken. Ohne das zu erklären, erschien der WT in neuer Aufmachung: Das Wahrheitsquelle-Bild und der Name Zeugen Jehovas verschwanden von der Titelseite, die Zweckerklärung wurde verändert, indem u. a. der Unfehlbarkeitsbezug darin verschwand. Das wichtigste jedoch, kaum daß es ins Auge fiel: Mit der Streichung des Zitats "Sie werden alle von Jehova gelehrt sein" wurde der bisherige WTG-Anspruch, in göttlicher Autorität zu lehren, liquidiert. Wenn wir nur die Titelbildveränderungen nehmen. Das hat die WTG ja schon ein paarmal gemacht. Das Russell-WT-Bild war bis 1931, das anschließende Rutherford-WT-Bild bis 1951, das anschließende Knorr-WT-Bild ist nun 1974 liquidiert. Es zeichnen sich etwa Zwanzigjahr-Perioden ab. Wir können sicher sein, daß auch das neue Bild von 1974 für eine ähnliche Periode gedacht ist. So dient dies alles der auf der Tagesordnung stehenden weiteren Endzeitverschiebung.

Dann finden wir immer wieder solche Äußerungen in bestimmte WT-Artikel eingearbeitet: "Dieser Wechsel wird innerhalb dieser Generation eintreten, wenn es der Mensch wie das heute - der Fall ist - bis zum äußersten getrieben hat", und "Jehovas Zeugen sind nun seit einem Jahrhundert tätig", und "Gott ließ die vorsintflutliche Welt fünfzig Jahre oder länger . . eindringlich warnen" (WT 15. 7. 74, S. 420). Oder: "Gott beobachtet, wie sie zusammenarbeiten und die Watch Tower Society benutzen, um in jeden Winkel der Erde vorzudringen" (WT 1. 8. 74, S. 470). Solche Äußerungen verfolgen den Zweck, auf unterschwellige Weise jegliche Erwartungen zu zerstören, daß das Werk bald zu Ende sein könnte. Überlege nüchtern, was für eine gewaltige Zeitspanne noch erforderlich wäre, wollte die WTG tatsächlich "in jeden Winkel der Erde" vordringen! Und doch sagt sie es!

Nun erleben wir einen WTG-Schritt, der keinen Zweifel läßt: Auch die jetzige weitweite Endzeitverkündigung ist falsch, auch die jetzige Generation erlebt keine Vernichtung, kein Harmagedon, kein Ende! Bezeichnend ist, daß die WTG das in keinem WT veröffentlichte, sondern, soweit bekannt wurde, zunächst nur über die Aufseherschaft im antikommunistischen "Untergrund" bekannt werden ließ. Die betreffende WTG-Äußerung ist so brisant, daß sie zum Sprengstoff werden kann! Es handelt sich um eine neue Auslegung des Buches Jona. Im "Königreichsdienst" VIII/74 des WTG-Ostbüros in Wiesbaden, BRD, für die antikommunistische "Untergrundtätigkeit" des deutschen WTG-Zweiges heißt es in der Weisung "Aus dem Bericht über das Leben Jonas persönlichen Nutzen ziehen": "Was lernen wir daraus? Denken wir nicht so, wie Jona zuerst dachte, nämlich, daß es Jehova uns schulde, etwas Bestimmtes zu tun! Jehova mußte die Niniviten nicht einfach deswegen vernichten, weil Jona diese Botschaft gepredigt hatte. Wir sollten auf Jehova warten und das Beste für sie hoffen." Das ist das unverhüllte Eingeständnis der WTG, daß es auch diesmal keine Vernichtung, kein Harmagedon und kein Ende gibt! Warum wird dieser Zeitzünder auf diese Weise zuerst in der "Untergrundorganisation" der WTG gelegt?

Zugleich wird auch eine weitere Verschiebung der "Fürsten"-Erfüllung vorgenommen. Erst sollten die "Fürsten" 1914 auferstehen, dann 1925. Zuletzt hatte "Jehova gelehrt", daß sie schon längst auferstanden waren, seit 1919 in Gestalt der "Diener" in der WTG-Organisation! (WT 1. 3. 52, S.70f). Nun heißt es auf die Frage "Wer sind die Fürsten'?' so scheinbar ganz nebenbei: "Einige aus den Vorfahren Jesu . . . auch aus den treuen Männern der alten Zeit. .." und, "weitere 'Fürsten' werden aus denen hervorgehen, die die Vernichtung dieses Systems überleben . . ." (WT 15. 8. 74, S. 484).

Damit ist die 1919-"Erfüllung" liquidiert und auch dies alles weiter unbestimmt in die Zukunft verschoben. Wie erzitterten einst die Kongreßveranstaltungen in Jubel und Händeklatschen, als die WTG verkündete, daß die "Fürsten" seit 1919 schon "mitten unter uns" seien.

Der WT vom 15. 9. 74 setzt das Bemühen fort, alle wieder von dem 1975-Endzeittermin abzubringen. Wir lesen folgende gezielten Äußerungen: "Die Ewigkeit als Mittelpunkt unseres Gottesdienstes..... Nicht nur bis zu einem bestimmten Datum dienen..... Gott für immer dienen, ob die Drangsal nun in zwei oder drei Jahren oder noch später hereinbräche . . . Statt also Mutmaßungen über ein bestimmtes Datum anzustellen, als ob wir nur bis zu diesem Datum Gott dienen würden, konzentrieren wir uns auf die wichtige Predigttätigkeit . .. Und wir werden, wenn wir in die Zukunft blicken, nicht an ein bestimmtes Datum denken. sondern werden Gott dienen in der Hoffnung auf die Ewigkeit . . . (5. 568 ff). So wird auch das 1975-Ende wieder "verscheucht", wie WTG-Präsident N. H. Knorr das nennt (Dein Name werde geheiligt, S. 329, Abs. 14).

Und wer in Erkenntnis dieser Endzeitverschiebungen nicht mehr "weiter in dieser Richtung gehen" kann? Dem antwortet der WT drohend: "Vergessen wir nicht, daß sich Jehovas Organisation nicht ändern kann, um sich einzelnen Personen anzupassen." Ob solche Personen Recht haben könnten, wird überhaupt nicht diskutiert. Für "kritisieren oder zu bemängeln" gibt es für den WT nur eine Ursache: "Stolz ist die Wurzel des Problems . . . sogar eine gewisse Auflehnung gegen den heiligen Geist!" (WT 1. 10. 1974, S. 605). Dahinter verbirgt sich ein unnachsichtiges und gnadenloses Regiment. Man hat den Eindruck, als sei der anmaßende Leitsatz "Von Jehova gelehrt" nur zum Schein aus dem WT entfernt.

Fassen wir zusammen. Die unterschwellige Haupttendenz inmitten pausenloser Beschäftigung war 1974, alle Orientierung auf ein nahes Ende zu "verscheuchen" und wohldosiert einzuschleifen, daß auch "diese Generation" vergeht, daß es wieder keine Vernichtung, kein Harmagedon und kein nahes Ende gibt, sondern wieder auf unbestimmte Zeit weitergeht.

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