Annotationen zu den Zeugen Jehovas

"Nur die Zeugen Jehovas haben es wieder einmal gewußt"

Ein Pressebericht aus München vom 11. 1. 1976 von Martina Stein

entnommen der CV Nr. 81 (April 1976)

"Von dem Tag aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, sondern allein mein Vater". (Matth. 24, 36). Nur die Zeugen Jehovas haben es wieder einmal gewußt zwar Tag und Stunde nicht, aber das betreffende Jahr. Nämlich das betreffende Jahr 1975, das nun hinter uns liegt, ohne daß - wie vorausgesagt - die Welt mit ihren Menschen in der "Schlacht von Harmagedon", der Einleitung des Jüngsten Gerichtes, vernichtet worden ist. In der Schlacht Gottes, in der alle Menschen, die nicht in der gegenbildlichen Arche Noah, der Neuen-Welt-Gesellschaft der Zeugen Jehovas, Zuflucht gesucht haben, ausgelöscht, für ewig vom Leben abgeschnitten werden sollten. Nicht nur vom irdischen, sondern auch vom ewigen Leben. Gleichgültig, ob schuldig oder unschuldig, ob Mann, Frau, Greis oder Kind.

Diesem Zeitpunkt fieberten die Zeugen Jehovas förmlich entgegen in der Sehnsucht und Erwartung, über diese Welt mit ihren Menschen, die ihnen zwar vereinzelt Achtung, mehr aber noch Spott und Nichtachtung beschert hatten, zu triumphieren, wie es uns einmal eine besonders erfolgreiche Zeugin mit zahlreichen Heimbibelstudien, Predigtdienststunden und hoher Literaturverkaufsquote gesagt hatte.

"Und wenn dann die Leichen, wie es in Hesekiel heißt, berghoch auf den Straßen liegen, mir tut das nicht leid. Jahrelang haben wir an ihren Türen gepredigt und sie gewarnt, aber sie haben uns ausgelacht, hinausgeworfen und waren verstockte Böcke, die nicht hören wollten. Nun geschieht es ihnen ganz recht, wenn Jehova das Gericht an ihnen vollzieht".

Nach den im Jahre 1966 stattgefundenen Bezirkskongressen, gingen die Zeugen Jehovas mit neuem Elan von Haus zu Haus, um den neuen Endtermin für den Untergang der Welt, für die "Vernichtung dieses Systems der Dinge" für das Jahr 1975 bekanntzumachen.

Viele Verkündiger waren in den vorangegangenen Jahren untätig geworden, bei zahlreichen haperte es mit der Erfüllung der Dienststundenquote von zwölf Predigtstunden im Monat; der Nachbesuchsquote und dem Verkauf der Literatur in Gestalt von monatlich zwölf Exemplaren der Zeitschriften "Wachtturm" und "Erwachet" und womöglich von einigen Büchern und Broschüren der Wachtturmgesellschaft. Anhand der auf eigens dazu vorgedruckten Formularen von jedem Zeugen auszufüllenden Rechenschaftsbericht über die Zahl der abgeleisteten Predigtdienststunden, der Nachbesuche, Bibelstunden und der Anzahl der verkauften Literatur an die Heimatversammlung war zu ersehen, daß die Mitarbeit nicht mehr so schwungvoll war, wie in den vergangenen Jahren. Sie bedurfte einer Ankurbelung durch einen neuen Endtermin - den dritten in diesem Jahrhundert - um die lahmgewordenen Mitglieder wieder auf Vordermann zu bringen und die durch die von der Gesellschaft abgefallenen Zeugen entstandenen Lücken wieder durch neue, den christlichen Kirchen abgejagte Schafe, aufzufüllen.

Das 1966 in Englisch veröffentlichte und später auch in Deutsch erschienene Buch "Ewiges Leben in der Freiheit der Söhne Gottes" bildete den Auftakt zu dem auf den Bezirkskongressen desselben Jahres verkündeten Endtermin, der eine neue Erfolgswelle an Predigtstunden und verkaufter Literatur einleitete und viele Zeugen, die sich bereits auf dem Sprungbrett in ihre vormals verlassenen Kirchen zurück befanden. bei der Stange hielten. Über Buch und Kongreß schrieb der "Wachtturm": "Es dauerte nicht sehr lange, bis man die Tabelle fand . . . . die zeigt, daß 6000 Jahre des Daseins der Menschen im Jahre 1975 enden. Erörterungen über dieses Jahr überschatteten nahezu alles andere." Die Kongreßbesucher waren überwältigt und tief beeindruckt von der Tatsache, daß Harmagedon schon so nahe sein sollte. Einer von ihnen, daraufhin angesprochen, sagte:

"Wir müssen jetzt alle unsere Kraft daransetzen, um die Chance nicht zu verlieren, miterrettet zu werden. Lange halten wir diesen Streß von fortwährendem Lernen und Studieren, von Beruf und Predigtdienst nicht mehr aus. Nun wird uns Jehova endlich zu einem ruhigeren Leben auf seine neue Erde hinüberretten. Aber wenn man hört, was manche Brüder sagen, daß danach der Predigtdienst erst so richtig anfange, könnte einem direkt vor der Zukunft grauen."

Der Vizepräsident der Gesellschaft versuchte in seiner öffentlichen Ansprache, die Euphorie der Massen etwas zu dämpfen. Obwohl die Wachtturmgesellschaft, wie wiederholt im "Wachtturm" und in den von der Wachtturmgesellschaft herausgegebenen Büchern behauptet wird, angeblich "Gottes Sprachrohr" in der Gegenwart sein soll, waren sich ihre Führer dessen wohl nicht ganz so sicher nach den zwei vorhergegangenen Pleiten von 1914 und 1925, wo die Wachtturmgesellschaft den Weltuntergang und die Aufrichtung von Gottes Neuem Himmel und einer Neuen Erde verkündigt hatte und, als dies ausblieb, 1925 die Aufrichtung von Gottes ewigem Königreich in den Himmel verlegte.

Der Vizepräsident sagte in seiner öffentlichen Ansprache unter anderem: "Ihr werdet die Tabelle in dem Buch gesehen haben. Sie zeigt, daß 6000 Jahre menschlicher Geschichte im Jahre 1975, in ungefähr neun Jahren, enden werden . . . Bedeutet es, daß Harmagedon dann vorüber und Satan bis zum Jahr 1975 gebunden ist? . . . Es könnte das bedeuten. Doch wir sagen das nicht. Alle Dinge sind bei Gott möglich. Doch wir sagen das nicht. Und möge auch niemand von euch sich irgendwie bestimmt äußern" (Wachtturm vom 1. Jan. 1967).

Dazu ein Zeuge an der Haustür (sie kamen damals alle paar Tage, getrieben von dem Bewußtsein ihres Sendungsauftrages, aber auch ihrer ehrlichen Liebe zu den Menschen, die ihrer Meinung noch unaufhaltsam dem vernichtenden Abgrund zutrieben): "Die Welt vergeht, zwar besteht die Erde nach Prediger 1,4 und nach Sprüche 2, 21 und 22 auf unabsehbare Zeit, doch werden im Jahre 1975 die Bösen vertilgt und nur die Rechtschaffenen auf der Erde übrigbleiben. Jehova Gott wird seine Engel aussenden, um, nach Jesu Gleichnis, das Unkraut von dem Weizen zu trennen. Wenn Sie Ihre Familie, wenn Sie Ihre Kinder lieben, dann ergreifen Sie die rettende Hand Jehovas in der Möglichkeit zum Hinüberleben in die Neue Welt, die Ihnen heute anhand eines kostenlosen Bibelstudiums angeboten wird."

Die Zeugen beobachteten in den letzten Jahren mit einer gewissen Genugtuung jede Naturkatastrophe, jeden Kriegsausbruch, die Mehrung der Verkehrstoten und der Kriminalität. Und sie sagten während ihres Predigtdienstes von Haus zu Haus: "Wie Sie aus den neuesten Nachrichten ersehen haben, hat sich schon wieder ein neues Zeichen des Endes dieses Systems der Dinge ereignet, wie es in Matthäus 24 geschrieben steht: 'Ihr werdet hören von Kriegen, erschrecket nicht, das muß zum ersten alles geschehen, aber es ist noch nicht das Ende. Denn es wird sich empören ein Volk wider das andere und, es werden sein Pestilenz und teure Zeiten und Erdbeben hin und wieder'." Auch der 2. Timotheusbrief, Kapitel 3, wurde zitiert.

Daß es Naturkatastrophen, Kriege, Seuchen und Ungehorsam der Jugend gegen die Eltern gegeben hat, solange die Welt besteht, bedarf keiner Erklärung. Die Menschen haben sich in ihrem Grundverhalten nicht geändert. Demnach hätte das Ende der Welt schon vor über 2000 Jahren eintreten müssen. Außerdem ist zu bedenken, daß wir erst heute auf Grund der Nachrichtenübermittlung durch Telefon, Rundfunk und Fernsehen binnen weniger Stunden über alle wichtigen Vorkommnisse in der Welt informiert werden. Wenn nun die Zeugen im Verlauf ihrer Predigt hinzufügen, daß "früher alles ganz anders gewesen sei", dann finden sie - namentlich bei älteren Zuhörern - reges Interesse. Denn, bis vor 50 Jahren ein Erdbeben in Südamerika, Afrika oder Zentralasien bei uns bekannt wurde, vergingen Jahre. Die Zeugen haben auf Grund der Erwartung des bevorstehenden Endes vermehrt gepredigt und all ihre freie Zeit dem vermeintlichen Dienst Jehovas gewidmet, nun sind sie wiederum enttäuscht worden. Doch dies wird die meisten, wie alle Fanatiker nicht hindern, den ihnen vorgeschriebenen Weg weiterzugehen. Es ist leichter, eine Lüge zu schlucken, als sein Lebensziel aufzugeben. Und die Wachtturmgesellschaft oder die "Neue-Welt-Gesellschaft", wie sie im internen Kreis genannt wird, die inzwischen im Geschäft des Weltuntergangs einige Erfahrung gesammelt hat, wird 1976 im "Wachtturm", wie sie es bereits nach 1925 getan hat schreiben - und dies, obwohl man bereits damals in Amerika für die Wiederkunft Abrahams, Isaaks, Jakobs und der Propheten Häuser gebaut hatte - daß es einige voreilige Brüder nicht erwarten konnten, indem sie Jehovas Ratschluß vorgriffen und mehr erwarteten, als zu erwarten berechtigt war. Wenn man Sündenböcke finden will, findet man sie. Auch darin hat die Wachtturmgesellschaft eine gewisse Übung.

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