Anschauungsunterricht bieten die fundamentalistischen islamischen Regime ...

Gelesen im 1995 erschienenen Buch von Hugo Stamm: "Sekten. Im Bann von Sucht und Macht":

Die Sekten versprechen ihnen die heile Welt, die "endgültige Wahrheit" und die Erlösung von den diesseitigen und jenseitigen Problemen. Mit ihrem religiösen Fast-Food-Rezept helfen sie ihren Anhängern, die Visionen in den Alltag hinüberzuretten, die Wunschvorstellungen alltagstauglich zu machen. Tatsächlich bauen vereinnahmende Gruppen die perfekte mystische oder religiöse Gegenwelt für Leute auf, die den Anforderungen des Lebens schlecht gewachsen sind oder sich mit den vielfältigen Widersprüchen nicht abfinden können. Sekten wecken in ihren neuen Mitgliedern bei massensuggestiven Ritualen bewußt ein euphorisches Glücksempfinden, das als erster Schritt auf dem Weg zur Erlösung interpretiert wird. Die Betroffenen realisieren nicht, daß sie dabei die Scheinwelt definitiv verinnerlichen und sich darin einzurichten beginnen. Damit liefern sie sich geistig und emotional den vereinnahmenden Gruppierungen aus und werden von ihnen abhängig. Die Sicht auf die Wirklichkeit ist nun endgültig verbaut, das Netz um die Scheinwelt so eng geflochten, daß sie zum geistigen Gefängnis wird.

Die Anhänger vereinnahmender Gruppierungen holen ihre potentiellen Opfer bei ihren Sehnsüchten ab und nutzen die Ängste, Sinnkrisen und persönlichen Probleme geschickt aus, um letztlich ihre "frohe Botschaft" in Form eines individuell geschnürten Heilsprogramms zu verkünden und zu verkaufen.

Mit Love-Bombing wird das kritische Bewußtsein betäubt

Die Zeugen Jehovas loben die Unterwerfung sogar als ausgeprägte religiöse Tugend. In … "Der Wachtturm" vom 1. Juli 1994 heißt es unter dem Titel "Willige Unterwerfung unter die Souveränität Jehovas", der Schlüssel für eine willige Unterwerfung sei die Anerkennung legitimer Autorität. Dies aus der Überzeugung heraus, daß es für die Menschen nichts Besseres gibt. Der Artikel kommt zum Schluß: "Möchtest du von Jesus und seinem Vater geliebt werden? Dann unterwirf dich ihrer Autorität."

Es liegt im Wesen von Sekten und vereinnahmenden Gruppen, Macht in ihrer komplettesten Form anzustreben.

Die klassischen Sekten, die sich auf die Bibel berufen, deklarieren ihren Machtanspruch weniger offen und beschränken sich in ihren Schriften oft auf religiöse Dogmen. Denkt man ihren Absolutheitsanspruch auf die religiöse Wahrheit und den Missionsauftrag konsequent zu Ende, führen auch ihre Ideen direkt in einen "Gottesstaat" und letztlich zur Weltherrschaft unter dem Diktat der Sekte.

Streng genommen lassen sich sektiererische Ansprüche und Systeme mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbaren. Würde man die Sekten und totalitären Gruppen gewähren lassen und ihre Heilslehre zur Staatsreligion erklären, würden in jedem Fall diktatorische Regimes entstehen. Ihre "Wahrheit" ist nicht teilbar oder formbar; sie ist einzig und allein dazu da, bis ins Detail in der vorgeschriebenen Weise umgesetzt zu werden.

Anschauungsunterricht bieten die fundamentalistischen islamischen Regimes, in denen die religiösen Führer gleichzeitig die weltlichen Herrscher sind. Der Versuch, den Gottesstaat zu errichten, führt zwangsläufig zur Unterjochung und Indoktrination der Bevölkerung.

Keinen Hehl über ihre Ansprüche machen die Zeugen Jehovas. In "Der Wachtturm" vom 1. Juli 1994 schreiben sie unter dem Zwischentitel "Theokratische Unterordnung" wörtlich: "Theokratie bedeutet Gottesherrschaft".

Die meisten totalitären Gruppen hüten sich, den umfassenden Machtanspruch auszuformulieren. Sie wollen den Politikern und Behörden nicht auf die Nase binden, daß sie im Grunde genommen verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Die Führungsfiguren kleinerer Gruppen mit vereinnahmender Tendenz formulieren in der Aufbauphase den Machtanspruch in gemäßigter oder versteckter Form. Die schnelle Expansion und die Verehrung durch ihre Jünger fördern gleichzeitig den Realitätsverlust und Größenwahnsinn.

Im Gegensatz zur Gehirnwäsche, bei der die Gefangenen gegen ihren Willen und gewaltsam umprogrammiert werden, unterwerfen sich Mitglieder sektiererischer Organisationen in euphorischer Erwartung des Heils freiwillig und verstärken den Prozeß durch Autosuggestion. Sie ahnen nicht, daß sie sich einer Indoktrination aussetzen. Erkennen sie die manipulativen oder doktrinären Methoden gelegentlich ansatzweise, rechtfertigen sie sich mit dem Argument, daß die Praktiken zum Wohl der Gruppe und der Heilsziele angewendet werden. Sie sind vom guten Zweck überzeugt, der die Mittel heiligt. Die dekadente Welt hat ihrer Ansicht nach die Menschen derart degenerieren lassen, daß ihnen der Blick auf die Wahrheit, das religiöse Heil und die ethischen Werte ohne Hilfe der Gruppe versperrt bleiben. Daß sie selbstzerstörerische Beeinflussungsmethoden benutzen, bleibt ihnen verborgen, da sie Opfer der Indoktrination sind. Und weil sie später selbst neue Anhänger bearbeiten, reproduziert sich das Manipulationssystem und läuft nicht Gefahr, von innen her erschüttert oder entlarvt zu werden.

Wichtige Instrumente der Indoktrination sind Angst und Schuldgefühle, mit denen praktisch alle totalitären Gruppen arbeiten. Sie pflanzen ihren Anhängern auf schwer durchschaubare Weise diese lähmenden Gefühle ein. Dabei kaschieren Sekten und Kulte die Disziplinierungsmaßnahmen als Erlösungsritual. Häufig wird die falsch verstandene Demut, die zur Selbstaufgabe führen kann, als unabdingbare Funktion der religiösen oder spirituellen Läuterung gepriesen.

Gruppenanhänger, die von Ängsten und Schuldgefühlen verfolgt werden, sind bald verunsichert und verlieren das Selbstvertrauen. Sie sind einem extremen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: Auf die euphorischen Heilserlebnisse bei Massenveranstaltungen und Ritualen folgen unerwartete Rückschläge, die die Hoffnung auf die religiöse Läuterung und Erlösung jäh zerschlagen. Nun sind sie vollends desorientiert, und das Selbstwertgefühl schrumpft weiter. Deshalb sind sie erst recht gezwungen, die Ideologie und die Gruppe als Krücke für ihr Leben zu benutzen. Beide sollen ihnen den Weg aus dem bedrohlichen Labyrinth weisen. Wer einen Kern an Widerstandskraft und Selbstvertrauen bewahren kann und sich aufzulehnen beginnt, wird mit Strafen gemaßregelt, bis auch sein Wille gebrochen ist.

Wer die Indoktrination am besten verinnerlicht hat und sich bis zur Selbstaufopferung für den Kult abrackert, wird als Mustermitglied gelobt und mit einer Beförderung belohnt. Dabei ist eine der wichtigsten Aufgaben, die "Reinheit" der Heilslehre oder Ideologie zu garantieren. Geborgenheit und Zuneigung werden zu Funktionen der Heilslehre und Gruppenziele und haben nichts mit Liebe an sich zu tun. In den Genuß von Zuwendungen kommt nur, wer sich gruppenkonform und linientreu verhält.

Die gegenseitige Kontrolle wird als Dienst an den anderen Gruppenanhängern und als wichtiger Akt zum Wohl des Kollektivs empfunden. Den Mitgliedern wird eingeredet, sie müßten sich gegenseitig vor falschen oder schädlichen Gefühlen, Gedanken und Heilsvorstellungen bewahren und einander auf dem Weg zum mystischen oder religiösen Glück begleiten. Die Indoktrination wird somit als wohltätiger Akt im Dienst des einzelnen und der Gruppe getarnt. Die Anhänger schaufeln sich förmlich die eigene Falle.

Vom gleichen Autor noch nachstehend ein Internettext:

Geistgesalbte im Königreichsaal von HUGO STAMM

... Die 85jährige Berta S. quält sich keuchend die Treppe hinauf, begleitet von ihrer siebenjährigen Urenkelin Petra. Ein anstrengender Predigtdienst für die betagte Frau in diesem Stadtquartier mit den mehrstöckigen alten Häusern. Als Geistgesalbte der Wachtturm-Gesellschaft (WTG) mag sich die Zeugin Jehovas nicht über die Strapazen beklagen. Schließlich lebt sie in der Gewißheit, zur kleinen Elite jener 144 000 auserwählten Rechtgläubigen zu gehören, die nach dem Tod direkt in den Himmel übersiedeln und Teil der Herrschaft Gottes werden,wie es die Bibel verheißt. Berta S. zählt zum kleinen ,,Überrest" jener rund 7000 Geistgesalbten, die noch in den irdischen Sphären zu Hause sind. Auf die Gnade der Geistsalbung kann ihre Enkelin nicht hoffen, denn das himmlische Boot ist voll, das angeblich biblische Kontingent der 144 000 Gnadenmenschen seit 1931 ausgeschöpft.

Immerhin gehört die siebenjährige Petra als treue Zeugin der WTG zu den ,,anderen Schalen", die nach der in naher Zukunft erwarteten Schlacht von Harmageddon ins Paradies wechseln dürfen, das Jesus Christus auf der Erde errichten und persönlich regieren wird. Vorausgesetzt natürlich, daß sie weiterhin tapfer den Predigtdienst versieht, einmal pro Woche am Heimbibelstudium, zweimal pro Woche an den Versammlungen im Königreichsaal, an Kongerssen und als neuer an privaten Studien teilnimmt und die vielen Gebote und vor allem Verbote der WTG befolgt. Seit mehr als sechzig Jahren putzt Berta S. mindestens zweimal wöchentlich die Türklinken oder verteilt ihre Traktate am Bahnhof oder auf öffentlichen Plätzen. Woche für Woche wird sie mitleidig belächelt oder kaltschnäuzig an der Haustür abgebürstet. Die Demütigungen nimmt sie stoisch hin, weiß sie doch, daß hinter allen ,,Dingen des Systems" der Satan am Werk ist. Und sich für Gott erniedrigen zu lassen, ist ein Akt frommer Demut, der im Himmel mit besonderer Befriedigung vermerkt wird.

Berta S. hat im Lauf ihres Lebens 50 000, vielleicht 100 000 oder noch mehr Broschüren für die theokratische Organisation verteilt. Mit der Taufe zur Zeugin ging sie die Verpflichtung ein, mindestens zehn Wochenstunden für ihre religiöse Überzeugung einzusetzen. Als Geistgesalbte aber, hat sie das Gefühl, den doppelten Aufwand leisten zu müssen, auch finanziell. Schließlich ist einer der wenigen Stühle an der Seite Gottes für sie reserviert. Für jedes Traktat wirft sie aus steuerlichen Gründen ein paar Groschen in den Opferstock des Königreichsaals. Ihr ,,Spendenkonto" für die Hefte ist auf einige zehntausend Mark angewachsen. Ein Mehrfaches machen die übrigen Zuwendungen aus:

Monat für Monat hat sie zwanzig Prozent ihres Einkommens ,,für Gott' abgezweigt. In Erwartung des ewigen himmlischen Heils mag Berta S. allerdings keine solchen buchhalterischen Überlegungen anstellen, auch wenn sie unter dem Existenzminimum lebt (viele leben von Sozialhilfe).

Ein irdisches Verhältnis zu Zahlen hat hingegen die international tätige Wachtturmgesellschaft, die in Brooklyn/New York ansässige Watchtower Bible and Tract Society' mit ihren 200 000 Gläubigen in Deutschland, rund fünf Millionen weltweit, die unermüdlich die beiden l4tägig erscheinenden Publikationen Der Wachturm und Erwachet verteilen. Die Werbebotschaft hinter der Missionsstrategie dieser apokalyptischen Sekte ist ebenso einprägsam wie verführerisch: Lest, liebe Kunden, unsere Botschaft vom nahen Ende der Zeit und sichert euch einen Platz im Paradies!

Nach dieser Devise produzieren, drucken und versenden mehr als tausend Zeugen Jehovas in der modernen Druckerei der WTG in Selters im Taunus Bücher und Broschüren. Für Gotteslohn und ein aufgebessertes Taschengeld arbeiten die Anhänger, die sich als ,,Pioniere", also Vollzeitmissionare, bewährt haben müssen, im Bethel, dem ,,Haus Gottes". Sie produzieren jährlich etwa eine halbe Milliarde Erwachet und Der Wachtturm für rund achtzig Länder.

Die Wachtturmgesellschaft wurde zu dem Zweck gegründet, die bevorstehende Apokalypse zu verkünden. Versprochen wird ein nahtloser Übergang vom diesseitigen Jammertal zum göttlichen Paradies.

Heute hüten sich die Zeugen, ein exaktes Datum für die Wiederkunft Christi anzugeben. Offenbar haben sie aus ihrer Geschichte gelernt, die gespickt ist mit prophetischen Pannen. Jehovas Zeugen bekennen sich aber immer noch zu der Überzeugung, daß der Jüngste Tag unmittelbar bevorstehe. Als erster kündigte der WTG-Gründer, Charles Taze Russell (1852-1916) die Endzeit an. Der ,,Prophet" aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania verbreitete Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, Christus sei 1874 in die Weltsphäre eingetreten, um die Menschen vorzubereiten. Die Apokalypse sagte Russell für 1914 voraus. Diese Botschaft löste gleichermaßen Hoffnungen wie Ängste aus und erwies sich vor allem um die magische Jahrhundertwende als wirkungsvolles Missionsargument.

Als das ominöse Weltuntergangsjahr verstrichen war, relativierte Russell seine Vorhersage. Er datierte nun das Harmageddon auf 1918 - tatsächlich nicht das Ende der Welt, sondern das Ende des 1914 begonnenen Weltkrieges. Das Jahr seiner zweiten Prophezeiung erlebte Russell nicht mehr, er starb 1916. Den Machtkampf um sein Erbe entschied Joseph Franklin Rutherford (1868-1941) für sich. Er war es, der den Gläubigen versprach, sie würden am Jüngsten Tag exklusiv ins Reich Gottes eingehen. Als aber das ,,biblische" Kontingent von 144 000 ausgeschöpif war und sich das Ende der Zeit noch immer nicht abzeichnete, führte die WTG ein Zweiklassensystem ein.

Funktionäre,Würdenträger und eine Reihe Prominenter aus der Zeitgeschichte würden in den Himmel gelangen und zur Rechten Gottes sitzen, die übrigen Zeugen im Paradies wandeln, das Gott auf Erden einrichten werde, hieß es nun.

R utherford versuchte sich ebenfalls als Prophet und sagte das Weltende für 1925 voraus. Als das Jahr verstrichen war, versprach Rutherford, daß er sich in Zukunft zeitlich nicht mehr festlegen wolle. Allerdings veröffentlichte er in einer Schrift mit dem pragmatischen Titel ,,Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben", die WTG-Gläubigen würden vielmehr den Jüngsten Tag noch erleben und direkt ins Paradies eingehen.

Rutherfords Nachfolger Nathan Homer Knorr (1905-1977) verkündete, Adam sei im Jahre 4026 v. Chr. geboren, und die Menschheitsgeschichte werde nach seiner Bibelauslegung 6000 Jahre dauern. Folglich müsse sich die Apokalypse am Ende des Jahres 1975 ereignen. Als das besagte Jahr näher rückte, hielt die Wachtturmgesellschaff aber nicht mehr mit letzter Konsequenz daran fest. Unter ihrem vierten Präsidenten Frederick William Franz behauptete die WTG, Jesus habe 1914 den Thron der Himmelsregierung bestiegen, von dem aus er die Welt regiere. ,,Die Generation von 1914 wird nicht vergehen", hieß es Ende der siebziger Jahre im Wachtturm. Eine Generation dauere maximal siebzig Jahre, wurde geschrieben. Das Buch ,,Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben" (1982) machte aus der Wachtturm-These eine Lehrmeinung. Als auch das Jahr 1984 ergebnislos verlief, wurde die Dauer der ,,letzten Generation" auf achtzig Jahre ausgedehnt. Das Jahr 1994 kam und ging, und die Zeitung der Zeugen Jehovas mußte sich eine neue Ausrede einfallen lassen.

,,Da nun schon 80 Jahre seit 1914 vergangen sind, können wir offensichtlich sehr bald mit der Befreiung durch Gottes Königreich rechnen", versprachen die WTG Propheten in Erwachet vom 8. November 1994. Der Slogan, Millionen jetzt lebender Menschen würden niemals sterben, hatte sich als kurzlebig erwiesen: Millionen lebten ,,eine Generation lang" in der Überzeugung, noch zu Lebzeiten erlöst zu werden. Sie richteten ihren religiösen Einsatz und ihren Alltag aufdieses Ereignis aus. Und wer an der angeblich von Gott gegebenen Prophezeiung zweifelte, beging eine schwere Sünde, mit der er die versprochene Erlösung aufs Spiel setzte. Die Zeugen Jehovas verstehen sich als die wahren Christen und berufen sich jederzeit auf die Bibel. Was sie nicht auf das ,,Worte Gottes" gründen können, verbannen sie ins Reich Satans.

Sie haben eine beachtliche Virtuosität entwickelt, biblische Aussagen in einen willkürlichen Kontext zu stellen und eigenwillig zu interpretieren. Sie wollen nicht ,,Teil dieser Welt" sein, weil hinter dem „System der Dinge" nach ihrem Glauben der Antichrist lauert. Weltliche Autoritäten akzeptieren sie im Grunde nicht, sie dulden die staatliche Ordnung, geben dem Kaiser, was des Kaisers ist. Aber eine Teilnahme am politischen Leben kommt für sie nicht in Frage, nicht als Wähler, nicht als Gewählte, nicht als Revolutionäre. Sie verstehen sich als ,,Streitmacht" Gottes und können deshalb, selbst wenn Gefängnisstrafen drohen, strenggenommen weder Militärdienst noch Ersatzdienst leisten. In der Nazizeit waren die ,,Ernsten Bibelforscher", wie sie damals hießen, staatlicher Verfolgung ausgesetzt, viele wurden für ihre Weigerung, am Krieg teilzunehmen oder den Hitlergruß zu zeigen, in Konzentrationslager eingesperrt, viele kamen dort um.

In der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland steht den Zeugen nach bürgerlichem Recht jede Möglichkeit offen, für ihren Endzeitglauben um Anhänger zu werben. Der Versuch allerdings, die staatlichen Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen zu bekommen, scheiterte 1997 ... vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Bundesrichter vermißten jenes Mindestmaß an Bejahung und Loyalität gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat, das zur Verleihung der besonderer Körperschaftsrechte erforderlich ist.

Die WTG genießt in der breiten Öffentlichkeit einen vergleichsweise guten Ruf. Ihre Anhänger wirken nicht bedrohlich und erwecken oft Mitleid. Als Störfaktor erweist sich einzig das grelle Rampenlicht, in das die Zeugen jeweils geraten, wenn wieder einmal ein ,,Blutskandal" das Interesse der Öffentlichkeit weckt. Betroffene des Verbotes, Blut zu sich zu nehmen, sind jeweils Gläubige oder deren Kinder, die mit schweren Verletzungen auf dem Operationstisch liegen. Die WTG hat dafür ein Alarmsystem aufgebaut: In Notfällen treten speziell geschulte Zeugen und Anwälte auf den Plan, die mit moralischen und rechtlichen Argumenten den Patienten und die Ärzte beschwören, die ,,Gebote Gottes" zu respektieren. Die Zeugen grenzen sich, auch wenn dies im Alltag, etwa in der Schule, zu Konflikten führt, recht deutlich von ihrem gesellschaftlichen Umfeld, der ,,Welt" ab:

Kirchliche Feiertage wie Ostern und Weihnachten sind als nichtbiblisch oder heidnisch verpönt. In Geburtstagen, nationalen Feiertagen oder Muttertag sehen die Zeugen eine Art Götzendienst. Dies wirkt sich vor allem für die Kinder diskriminierend aus, die off auch nicht an Schulfesten teilnehmen oder im Schultheater mitspielen dürfen. Die Sehnsucht nach dem Jenseits entführt die Geistgesalbten und die ,,anderen Schafe" in eine Scheinwelt. Es mag ihnen als pure Zeitverschwendung erscheinen, in diesseitige Belange zu investieren. Angesichts der bevorstehenden Apokalypse ist beispielsweise die Berufsausbildung sekundär Die ,,Dinge des Systems" lenken doch nur davon ab, das Heilsziel mit letzter Konsequenz zu verfolgen. Junge Paare haben nicht selten Skrupel, Kinder in die Welt zu setzen. Vor allem die Frauen, die bei den Zeugen hienieden eine dienende Rolle spielen, werden häufig innerlich zerrissen. Das religiöse Gewissen verbietet manchen strenggläubigen Zeuginnen, ,,kurz vor Harmagedon" ein Kind zu bekommen. Zehntausende hörten in den vergangenen achtzig Jahren die biologische Uhr ticken und verwechselten sie mit dem apokalyptischen Glockenschlag.

Siehe auch: http://web.archive.org/web/20040404190133/http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/dirk.henke/4hzeugen.htm

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