Annotationen zu den Zeugen Jehovas

"Für ihn war eigentlich alles ganz unkompliziert."

Der Fall Ernst Seliger

Ernst Seliger, ein deutscher WTG-Funktionär (1985 verstorben), schon in der Weimarer Republik-Zeit für sie hauptamtlich tätig, nach den Repressionen im Naziregime erneut in der "DDR" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er 10 Jahre absitzen musste, bevor er nach dem Westen abgeschoben wurde. Von besagtem Herrn Seliger ließ die WTG im Jahre 1975 im "Wachtturm" einen Erlebnisbericht veröffentlichen. Nicht sonderlich aussagekräftig, aber das kennt man ja schon zur Genüge von anderen von der WTG veröffentlichten Berichten. Sie sollen nur ein Ziel verfolgen: Ehrfurchtsvolles Staunen zu bewirken und die WTG-Organisation im "höheren Glanze" erscheinen zu lassen. Oder anders formuliert, "erbaulich" zu wirken, auch wenn der Sachverhalt durchaus nicht dazu angetan sein mag.

Der CV war der Fall Seliger auch einen Kommentar wert (CV 83). Einen parteiischen Kommentar indem die Wut mit durchschwingt, dass der Fall Seliger faktisch sich auch personalisieren lässt auf den Grundkonflikt Zeugen Jehovas/DDR. Wie gesagt es ist ein parteiischer Kommentar, dass kann nicht bestritten werden. Er sei nachstehend wiedergegeben. Einige Kürzungen erschienen mir trotzdem unabdingbar. Auch so ist der Kommentar noch parteiisch genug.

Dieweil sich der Endzeitbankrott der WTG mit 1975 auf alle herniederzusenken beginnt, lesen wir im "Wachtturm" vom 15. Oktober 1975 etwas "von Ernst Seliger erzählt". Es bestünde keine Veranlassung, zu Ernst Seliger als führenden deutschen Vertreter der Watch Tower Society (WTG) etwas zu sagen, wenn er nicht persönlich in der WTG-Millionenzeitschrift an die Öffentlichkeit treten würde. Er stellt seine jetzige "Erzählung" unter das Thema "Standhaft trotz Verfolgung durch die Geistlichkeit, die Nationalsozialisten und die Kommunisten" und stellt sich so selbst öffentlich als Beispiel auch für den WTG-Antikommunismus und WTG-Antisowjetismus dar, wie er unter Mißbrauch des christlichen Glaubens an Gott betrieben wird: "Wir, meine Frau und ich, haben zusammen über vierzig Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern zugebracht. Weshalb? Nicht wegen eines Verbrechens oder politischer Betätigung, sondern wegen unseres standhaften Glaubens an Gott. Ich wurde sowohl von der Geistlichkeit als auch von den Nationalsozialisten und den Kommunisten angefeindet, weil ich mich an der Verkündigung des Königreiches Gottes beteiligte. Doch ich hielt während dieser Jahre standhaft an meinem Wunsch fest, meinem Gott treu zu dienen", faßt Ernst Seliger sein Leben "unter der Leitung der Watch Tower Society" zusammen.

Als sich Ernst Seliger im Februar 1964 dem BRD-"Deutschlandfunk" für eine antikommunistische und DDR-feindliche Rundfunksendung zur Verfügung stellte, charakterisierte ihn der Rundfunk-Kommentator: " . . . für ihn war eigentlich alles ganz unkompliziert." Wenn es so ist, dann ist das wohl die Tragik seines Lebens "unter der Leitung der Watch Tower Society", wie er es selbst formuliert. …

Wenn Ernst Seliger schildert, was ihm alles "unter der Leitung der Watch Tower Society" widerfahren ist, so fällt auf, daß er dabei nie auf genaue Ursachen und Zusammenhänge eingeht. Er hat nicht nur schlicht "das Vorrecht" gehabt, "bei der Neuorganisierung des Predigtwerkes der Zeugen Jehovas in der Deutschen Demokratischen Republik mitzuhelfen" und als "Kreisaufseher" zu dienen. Redlicherweise hätte er "Diener für die Brüder" oder "Kreisdiener" sagen müssen, denn "Kreisaufseher" gab es damals überhaupt nicht. … Ernst Seliger war langjähriger hauptamtlicher Mitarbeiter des deutschen WTG-Zweigbüros in Magdeburg und dann auch Vertreter des Zweigdiener Erich Frost für die damalige Ostzone Deutschlands und dann DDR, während Frost u. a. in Wiesbaden in der amerikanischen Zone unter Täuschung der sowjetischen Besatzungsmacht ein neues gesamtdeutsches Zweigbüro aufbaute, mit direkter Hilfe der amerikanischen Militärregierung. Ernst Seliger war noch mehr.

Kommen wir aber zuerst zu seinem jüngeren Bruder Martin, von dem er schreibt, daß er 1943 wegen Kriegsdienstverweigerung durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Ernst Seliger hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß er es war, der Martin zuvor "zur Wahrheit" gebracht habe, so daß er auf diese Weise in den Tod ging. Die Bibel bezeugt von den Urchristen, daß sie den Dienst mit der Waffe nicht verweigerten, wie es das Beispiel des römischen Hauptmanns Cornelius zeigt. Auch die Jünger Christi waren eine bewaffnete Gruppe. Märtyrertod durch Waffendienstverweigerung ist also nicht das, was Jesus und die Apostel forderten. … Es ist jedenfalls sehr fragwürdig, sich öffentlich zu rühmen, seinen jüngeren Bruder damals gewissermaßen unter das Fallbeil gebracht zu haben …

Ernst Seliger schweigt darüber, auf welche Weise er das das "Predigtwerk" der WTG damals aufbauen half. Ergänzen wir das. Er war Mitglied des siebenköpfigen "Gründungskomitees" der WTG-Organisation in Magdeburg für ganz Deutschland, zusammen mit … Erich Frost, Johannes Schindler und Wilhelm Schumann. Ernst Seliger gehörte zu den Unterzeichnern des von diesem Komitee verfaßten "Gründungsprotokolls".

Indem er mit jenen … gemeinsam beschloß, alle aus der WTG-Organisation zu entfernen und fernzuhalten, die sich "irgendwie zu Werkzeugen der Nazis gemacht haben", dieweil Frost, Schindler und Schumann zu Hauptwerkzeugen der Gestapo geworden waren. …

Als Vertreter von Zweigdiener Erich Frost gehörte Ernst Seliger zu den Hauptverantwortlichen für den Aufbau der antikommunistischen WTG-Untergrundorganisation schon seit 1949 in der DDR. Bekanntlich hatte sich die WTG seit 1947 wieder in die Front des Antikommunismus, jetzt im Rahmen des kalten Krieges, eingereiht, wie die antikommunistischen politischen Hetzartikel seit 1947/48 in ihren Massenzeitschriften veranschaulichen. In seiner Funktion als "Kreisdiener" gehörte Ernst Seliger auch zu den Verantwortlichen, die den als "kirchlichen Nachrichtendienst" (KND) getarnten geheimen Kurier- und Informationsdienst der WTG in der DDR aufbauten. Wenn man an die Verketzerung und Verteufelung alles Kirchlichen durch die WTG denkt, tritt der Mißbrauch des Begriffs "kirchlich", der zunächst den Verdacht auf die anderen Kirchen lenkt, umso krasser hervor. … Ernst Seliger sammelte selbst überall solche "Nachrichten" für die WTG ein, bis hin zu politischen und militärischen "Vorkommnissen", die dann über die "amerikanische Militärpost" (Wachtturm 15. 2. 48), letztlich also durch die Hände des USA-Geheimdienstes, zum WTG-Hauptbüro Brooklyn, New York, gelangten.

Ernst Seliger war direkt verantwortlich für die damalige Verbreitung der WTG-"Predigten", der WTG-Zeitschriften mit ihrer antikommunistischen politischen Propaganda. Er wird sich sicherlich noch sehr gut an solche Thesen erinnern wie: "…unheilkündender Schatten des Kreml . . . die Bolschewisten warten nur auf einen günstigen Augenblick, um sich mit vernichtender Gewalt zu Herren ganz Europas aufzuschwingen" (Erwachet 8. 12. 1948) u. a. m. Dabei blutete die Sowjetunion damals noch aus allen Kriegswunden durch den deutschen Faschismus und seine Verbündeten und verfolgte kein sehnlicheres Ziel, einen neuen Krieg zu verhindern und die Wunden wieder zu heilen. Was für eine Gewissenlosigkeit, angesichts dessen jene antibolschewistische WTG-Hetzpropaganda zu verbreiten und mit dem Siegel unpolitischen Gottesdienstes zu versehen! Oder ist das wirklich Einfältigkeit? Unfähigkeit, die Dinge objektiv zu beurteilen? Und wieviel einfache Verkündiger wurden auf diese Weise ins Feuer getrieben? Es ist nur schwerlich glaubhaft, Einfältigkeit und "Unkompliziertheit" anzunehmen, so daß man nicht begreift, was dieses oder jenes, das man tut, für eine Auswirkung und Bedeutung hat. Ernst Seliger wird sich in diesem Zusammenhang an spezielle Gespräche mit Zweigdiener Erich Frost und Betheldiener Paul Großmann erinnern. Letzterer war auch unter dem Spitznamen "lebender RTO" (Rat über Theokratische Organisation) bekannt. Frost hatte dabei kein Hehl daraus gemacht, daß die WTG eine "Kampfstellung" gegen den "kommunistischen Staat" bezogen habe. Großmann hatte dann zu diesem Problem geäußert, daß die Reaktion der DDR daraufhin verständlich sei, "von ihrem Standpunkt aus habe sie Recht" in der Beurteilung der politischen Bedeutung der WTG-Tätigkeit. Wie soll man da die jetzige öffentliche Behauptung von Ernst Seliger einschätzen, keine "politische Betätigung" betrieben zu haben? Bedenkt Ernst Seliger nicht, daß seine WT-Veröffentlichungen Führung oder Irreführung Hunderttausender gutgläubiger WT-Leser bedeuten?

Ernst Seliger ist 1922 zur Watch Tower Society gekommen. Er wurde 1923 getauft. Er hat also den Endzeitbankrott von 1914/18 aus nächster Nähe kennengelernt. Er hat den nächsten Endzeitbankrott von 1925 leichtgläubig mit vorbereitet, selbst erlebt und "überstanden". Den nächsten Endzeitbankrott von 1939/45 mag er weniger bewußt durchstanden haben durch die relative Abgeschnittenheit von der WTG bis 1945. Doch die Materialien und Berichte vom ersten Europa-Kongreß der WTG danach, Pfingsten 1945 in Zürich, hat er als einer der ersten in der Hand gehabt, wo man das "1939/45Harmagedon" wieder "verscheuchte" und der Welt ein "Verziehen" für höchstens zwanzig Jahre verkündete (Trost 1. Juni 1945, Bern). Als diese zwanzig Jahre auch um waren, predigte Ernst Seliger - immer objektiv gesehen - ab 1966 den nächsten Endzeitbankrott "unter der Leitung der Watch Tower Society", das Jahr 1975. Noch im Bankrottjahr 1975 machte er das, u. a. auf dem Kongreß 1975 in Westberlin mit dem Thema "Die Freude am Dienste Jehovas". Will er wirklich weiter die WTG-Endzeitlügen schlucken, nur um sein "Lebensziel" nicht aufzugeben? Aber ist dieses "Lebensziel", dem er "unter der Leitung der Watch Tower Society" folgt, nicht längst durch die vielen Endzeitbankrotte der WTG als haltlos und unglaubwürdig erwiesen? Was für Menschen können ihm dennoch allein weiter glauben?

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