Anntotationen zu den Zeugen Jehovas

Anmerkungen zur Wehrdienstverweigerung im Hitlerregime

ach so milde ...

Ein bei den Fachhistorikern heftigst umstrittenes Buch ist das 1977 erschienene des Otto Peter Schweling "Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus".

Ursprünglich mal vom Münchner "Institut für Zeitgeschichte" in Auftrag gegeben, lehnte es genanntes Institut dann letztendlich ab, es auch zu veröffentlichen. Einer der Hauptgründe. Apologetische Wertung. Die Militärrrichter in der Hitlerzeit, seien doch nach diesem Buch, alle nur "verkannte Wohltäter" gewesen. Das war selbst genanntem Institut, das gegebenenfalls einen Namen zu verlieren hat, zuviel.

Der Autor Schweling erlebte nicht mehr die tatsächliche Veröffentlichung des Buches. Nach dessen Tod nahm sich einer, der selbst Militärrichter im Naziregime war, der Herr Erich Schwinge, dieser Hinterlassenschaft an und brachte dann dieses Buch, außerhalb obigen Institutes dann noch auf den Markt.

Auch die Bibelforscher werden in einem Abschnitt darin mit abgehandelt. Mit vorstehenden Vorbehalten sei nachstehend, eine Passage zitiert, in der der Autor auch in Sachen Bibelforscher, die "ach so milden Militärrichter" glaubte wahrzunehmen.

Zitat:

Besonders instruktiv ist ein vom 3. Senat abgeurteilter, unveröffentlicht gebliebener Fall (III 67, 40):

Am 28. 1. 1940 war wieder einmal ein Zeuge Jehovas vor Gericht gestellt worden. Da er sich auf Zuspruch des Gerichts bereit erklärt hatte, seine Weigerung aufzugeben, wurde er statt zum Tode zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Schon am Tage danach widerrief er seine Erklärung. Die Folge war, daß das soeben ergangene Urteil nicht bestätigt wurde, so daß neue Verhandlung anberaumt werden mußte. Am 1. 4. 1940 wurde er daraufhin zum Tode verurteilt, und dieses Urteil wurde rechtskräftig. Bevor es zur Vollstreckung kam, wandte sich der Verurteilte mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens an das Gericht und begründete ihn damit, daß er jetzt zur Leistung des Wehrdienstes bereit sei. Dem Antrag wurde hinsichtlich der Straffrage stattgegeben.

In der neuen, also der dritten Hauptverhandlung zog der Angeklagte seine Bereitschaftserklärung wieder zurück. Diese Äußerung behandelte der Senat als nicht glaubhaft, bejahte die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 StGB und erkannte auf drei Jahren Zuchthaus. - Auch dieser Fall zeigt, wieviel Geduld die Senate gelegentlich aufbrachten, um von der Verhängung der Todesstrafe Abstand nehmen zu können.

Zitatende.

Herr Schweling vergas allerdings hinzuzufügen, was aus diesem Zeugen Jehovas denn letztendlich wurde. Wie man las, spielte sich das ganze im Jahre 1940 ab. Bekanntermaßen bestand das Hitlerregime aber noch bis 1945. Zeit also noch genug (mit oder ohne Urteil), noch eine Entscheidung zu realisieren, die möglicherweise eine andere Fratze offenbart, als wie dieser geschönte Bericht. Man beachte in diesem Zusammenhang auch noch das noch folgende Bastian-Dokument, wo klar ausgesagt wird, dass solcherart „Begnadigte" automatisch an die Front geschickt wurden.

Eines zeigt jedoch auch er. Auch Zeugen Jehovas schwankten. Dies soll nicht als Vorwurf verstanden werden. Mitnichten. Es gibt noch andere Belege für solches schwanken im Ernstfall. Das ist wahrlich kein Einzelfall. Redete die WTG-"Standhaft"-Kampagne auch davon? Wohl kaum. Dort gab und gibt es nur "Superhelden".

Noch eins. Dies ist das einzigste Einzelfallbeispiel das Schweling in Sachen Zeugen Jehovas vorstellt. Ohne Zweifel gab es auch andere, anders geartete Beispiele. Wer nur Schweling zur Kenntnis nimmt, erfährt nicht den Bruchteil einer Silbe davon.

Der Vorwurf gegen Schweling/Schwinge übelste Geschichtsklitterer zu sein; den kann man daher nur voll unterstreichen!

Noch ein Dokument sei (diesmal ohne Kommentar. Meinen Kommentar habe ich schon vorstehend abgegeben) zitiert.

Zum Schluss seines Buches zitiert der Autor noch "Auszüge aus Aufzeichnungen des Admirals Bastian, Präsident des Reichskriegsgerichts von 1939 - 1944". Und damit das alles noch die "rechte Würze" bekommt, bilden die Ausführungen von Bastian über die Bibelforscher, die Schlusssätze des Buches. Da liest man dann:

„Der Führer hatte sich als Staatschef etwa dahin ausgesprochen, daß er den 'Zeugen Jehovas', in allen aktuellen Fällen doch wehrtauglichen Männern, ja in vielen Fällen kräftigen jungen Burschen, keine Sonderstellung, also in diesem Fall keinen sicheren Schutz vor dem Tode einräumen könnte, während er vielfach älteren und alten Familienvätern den Tod im Kampf vor dem Feinde nicht ersparen könnte. Die Sektierer müßten im Kriegsfalle, also in einer Notzeit des Vaterlandes, ihre persönliche Überzeugung einem höheren ethischen Zweck gegenüber zurückstellen.

Es ist nicht leicht, gegen diese Auffassung unter allen Umständen durchschlagende Gründe geltend zu machen, es sei denn, daß man der Überzeugung sein konnte oder gar mußte, daß ein 70 Millionen Volk auch im Kriege eine verhältnismäßig doch recht kleine Schar solcher religiösen - man darf wohl sagen - Außenseiter verwinden oder, wie der moderne Ausdruck jetzt lautet, „verkraften" könnte. Ganz ausgeschlossen aber ist es, aus gerichtsherrlicher Befugnis heraus gegen eine solche Entscheidung des für die Sicherheit des Staates im Kriege erhöht verantwortlichen Staatschefs Einwendungen zu erheben, nachdem im Schoße des Oberkommandos der Wehrmacht diese Entscheidung herbeigeführt worden war. Ich muß offen bekennen, daß sie gegen mein inneres Empfinden ging, ich war und bin der Ansicht, daß man sehr wohl durch eingehende und gewissenhafte Prüfung der einzelnen Persönlichkeiten die überzeugten Bibelforscher von den etwaigen „Drückebergern" hätte scheiden und dann vor der allerletzten Konsequenz der Todesstrafe bewahren können.

Nun stand ich vor einer vollendeten Tatsache. Ich war mir von vornherein klar darüber, daß ich den § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung den Bibelforschern gegenüber mit einem weitestgehenden Verständnis anwenden und jede Rücksicht nehmen wollte, die der gebotenen Staatssicherheit und damit der gegebenen Weisung gegenüber nur irgendwie vertretbar war. Mein Bestreben wurde mir dadurch leicht gemacht, daß meine juristischen Mitarbeiter und Berater mir bei der Durchführung meiner dahingehenden Absicht bereitwilligst folgten. So wurde zunächst versucht, durch die Geistlichen der entsprechenden Konfession auf die in den Bereich des Reichskriegsgerichts tretenden Bibelforscher einzuwirken, ihnen zu zeigen, daß der Wehrdienst mit den Vorschriften, Weisungen und Tatsachen der Bibel nicht im Widerspruch stünde und ihre Auffassung daher nicht mit der „Schrift" in Einklang stünde. Diese Versuche scheiterten in den allermeisten Fällen, ja, sie wurden häufig sogar recht schroff abgelehnt. Allen Angehörigen der Inhaftierten wurde in der entgegenkommendsten Weise Zutritt zu den Beschuldigten gewährt, in der Hoffnung, daß sie einen günstigen Einfluß auf ihre betroffenen Familienmitglieder ausüben würden und könnten. Aber auch hierbei wurden seltsame Erfahrungen gemacht. Es kam nicht selten vor, daß die Angehörigen die Beschuldigten ermahnten, unter allen Umständen fest zu bleiben, sich nicht weich machen zu lassen und lieber den Tod hinzunehmen als „umzufallen". Nicht minder ernst wurde der Versuch gemacht, durch militärische Richter, also durch ernste und reife Soldaten, die Verpflichtung jedes wehrfähigen Deutschen dem eigenen Volke, der eigenen Familie, kurz dem Vaterland gegenüber ins Feld zu führen. Aber nach dieser Richtung hin war, ein Erfolg nicht wahrnehmbar. Schließlich gaben sich auch die Untersuchungsrichter selbst die denkbar größte Mühe, die Beschuldigten vom juristischen, rein menschlichen und nicht zuletzt ethischen Standpunkt aus, umzustimmen, immer im großen und ganzen mit dem gleichen negativen Erfolg. Auch eine Denkschrift, die der Militärgeistliche Jensch ausarbeitete und um deren Aushändigung an die eingelieferten Bibelforscher er meine Genehmigung eingeholt und auch sofort bedenkenlos erhalten hatte, vermochte das bedrückende Bild nicht zu ändern.

So blieb nur übrig, im angelaufenen Verfahren selbst, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. In jedem Falle wurden, wenn ein „Umfall" erfolgte, ein minder schwerer Fall angenommen, trotzdem eigentlich mit der ausdrücklichen Wehrdienstverweigerung das Delikt „vollendet" und damit die Todesstrafe verwirkt war (?)

Ja selbst, wenn nach dem Ausspruch eines Todesurteils, ja sogar nach seiner Bestätigung der Verurteilte seinen ablehnenden Standpunkt änderte, wurde das ergangene Urteil von mir aufgehoben und ein „Wiederaufnahmeverfahren" angeordnet. Letzteres war nach den Bestimmungen streng genommen nur zulässig, wenn sich nach der Urteilsverkündung bzw. Bestätigung Tatsachen ergaben, die vorher nicht hatten vorgebracht werden können, also ganz neu in die Erscheinung traten. Nun konnte das von einer späteren eintretenden Sinnesänderung des Verurteilten wirklich nicht behauptet werden, die Möglichkeit hierzu war schon vor der Verurteilung durchaus gegeben. Mein gerichtsherrliches Entgegenkommen ging sogar so weit - und meine juristischen Mitarbeiter folgten mir dabei in eigener Bereitschaft -, daß ich die Vollstreckung eines Todesurteils noch aussetzte und ein Wiederaufnahmeverfahren noch anordnete, wenn der Verurteilte noch in letzter Minute sich zum Wehrdienst bereit erklärte, also in einem Zeitpunkt, in dem von einer echten Sinnesänderung wohl kaum noch gesprochen werden konnte.

Bei all solchen Wiederaufnahmeverfahren wurde dann je nach der Hartnäckigkeit der vorher gegangenen Weigerung eine Freiheitsstrafe - meistens von 1 bis 3 Jahren Gefängnis - verhängt, die dann ausgesetzt wurde, um den Verurteilten Gelegenheit zur Bewährung an der Front zu geben, eine Maßnahme, die sich in vielen Fällen auch eines vollen Erfolges erfreuen konnte. Wenn alle Mittel versagten, um ein Todesurteil zu verhindern, dann versuchte ich in geeigneten Fällen auf dem Gnadenwege zum Ziele zu kommen. Es kam dann darauf an, dem Führer in dem Gnadengesuch den Fall durch eine geschickt formulierte Begründung menschlich so nahe zu bringen, daß er von seinem Grundsatz: „Wer für sein Vaterland an der Front kämpft, k a n n sterben, wer den Dienst für sein Volk an der Front verweigert, m u ß sterben" abzugehen in der Lage war.

Zwei markante Fälle sind in meiner Erinnerung haften geblieben, in denen es mir gelang, eine Begnadigung durchzusetzen. Bei dem ersten handelte es sich um einen ehemaligen österreichischen Kaiserjäger, der sich im 1. Weltkriege sieben Tapferkeitsauszeichnungen geholt hatte und nun im 2. Weltkrieg den Wehrdienst aus innerer Überzeugung hartnäckig verweigerte. Daß er inzwischen Familienvater geworden war, hatte seine negative Einstellung zum Wehrdienst nicht herbeigeführt, das sei ausdrücklich betont. Der Führer gab in diesem Falle, bei dem es sich um einen erwiesen äußerst tapferen Soldaten handelte, dem Begnadigungsgesuch statt.

Der andere Fall betraf einen jungen, kräftigen Bauernburschen von 19 Jahren. Er war von Kindheit an von seinen Eltern in der Mentalität der Bibelforscher erzogen worden und besaß insoweit überhaupt keine eigene Meinung und schon gar kein persönliches Urteilsvermögen. Hinzu kam, daß ihn seine eigenen Angehörigen dringend warnten, unter gar keinen Umständen etwa „umzufallen„,da er sonst der ewigen Verdammnis anheimfallen würde. Aus dieser für einen jungen Menschen äußerst komplizierten Lage fand der Beschuldigte nicht heraus und mußte daher, nachdem der vereidigte Psychiater ihn für voll zurechnungsfähig erklärt hatte, zum Tode verurteilt werden. Unter Schilderung der hier besonders schwierig und menschlich tragisch gelagerten Verhältnisse wurde von mir ein Gnadengesuch eingereicht und ihm auch entsprochen, und nun geschah etwas Außergewöhnliches: der junge Mann bat dringend darum, daß trotz seiner Begnadigung das Todesurteil an ihm vollstreckt würde, weil es nicht in der Hand der Menschen liegen könnte, die Vollstreckung eines Todesurteils zu verhindern, das Gott zugelassen hätte. Das war ein Fall, der wohl wirklich 'einmalig' genannt werden darf. Es erübrigt sich wohl, ausdrücklich zu erklären, daß der Bitte des Begnadigten nicht entsprochen wurde.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, da allen Fällen, wo der geringste Zweifel an der vollen Zurechnungsfähigkeit eines Beschuldigten bestand, auch bei allen Bibelforschern der beeidigte gerichtliche Psychiater zur Begutachtung herangezogen wurde."

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