Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Rutherford's „Schlüssel des Himmels"

Markig verkündet Rutherford in seiner 1932 erschienenen Broschüre „Schlüssel des Himmels":

„Diesem Gebote gehorchend gehen jetzt die wahren Nachfolger Christi Jesu mit der Botschaft vom Königreiche Gottes zu den Menschen und unterrichten sie über die Wahrheit, um das Volk instand zu setzen, sich zum Empfang des Königreiches zu bereiten. Sie kommen mit der Botschaft in Buchform zu Ihnen ins Haus. … Die Feinde der Wahrheit möchten die Menschen glauben machen, daß diese Predigt des Evangeliums vom Königreiche Propaganda wäre, und bringen darum diese falsche Behauptung vor. Die Zeugen Jehovas suchen jedoch keineswegs irgend jemand zum Anschluß an irgendeine Organisation anzuwerben, sondern dem Gebote des Herrn gehorchend, verkündigen sie lediglich dem Volke die Wahrheit über sein Königreich. Demnach können sie keine Propaganda betreiben."

Und an anderer Stelle in dergleichen Broschüre verbreitet er sich mit den Worten:

„Eine Weigerung, die Botschaft anzuhören, oder die Vernichtung der Bücher, die sie enthalten, wird keinen entschuldigen zu sagen, er hätte nicht gewußt, daß dieser große Akt Gottes bald ausgeführt werden würde. Die Schlacht von Harmagedon rückt eilends heran."

Die Widersprüchlichkeit dieser Aussage liegt offenbar. Einerseits wird vorgegaukelt, es ging nicht um den Anschluss an „irgendeine Organisation". Um „irgendeine" geht es sicherlich nicht. Wohl aber um den Anschluss an jene, die wie gelesen sich berufen fühlt, vor „Harmagedon" mittels diverser Bücher zu warnen, und die droht, selbst wenn diese Bücher vernichtet würden, gälte jene Warnung weiter. Wenn das mal nicht eine Steigerung des Druckes ist, sich dieser Organisation anzuschließen; mit dem feinen Unterschied: Ein Anschluss zweiter Klasse. Kein formaljuristischer Akt; wohl aber moralischer und Gruppendruck, der den in der Praxis viel wirksamer denn alle formaljuristischen Floskeln ist.

Wer nicht predigt, wird nicht als Zeuge Jehovas anerkannt, las man dann einige Jahre später in dem WTG-Buch „Gott bleibt wahrhaftig". Hier schon legte Rutherford den Grundstein dazu. Bücherverkauf, später dann mehr aufs „predigen" umfunktioniert, wobei der Verkaufsaspekt mehr ins zweite Glied zurücktrat, keinesfalls aber prinzipiell aufgegeben wurde, sei gemäß Rutherford, der „Schlüssel zum Himmel".

Nun verstehen etliche Konkurrenzkirchen unter „Schlüssel zum Himmel" etwas grundsätzlich anderes. Die bekommen denn prompt auch in dieser Broschüre „ihr Fett weg"; etwa wenn über sie ausgesagt wird:

„Aus demselben Beweggrunde hat Satan die Menschen seit vielen Jahrhunderten gelehrt, daß alle Stürme, das Ungeziefer und anderes Unheil darum über das Volk käme, weil es seine Kirchen nicht genügend mit Geld unterstütze und ihnen nicht ergeben sei; deshalb hätte es sich Gottes Mißfallen zugezogen und sende er ihm diese Heimsuchungen."

Angesichts solcher Aussagen muss man doch wohl die Frage so stellen: Wer da das bessere Ausbeutungsrezept hat. Ein wirklich qualitativer Unterschied, wenn jemand permanent den Spendenbeutel vor die Nase gehalten bekommt, und wenn das Spendenvolumen nicht die gewünschte Höhe erreicht, sich entsprechende Drohpredigten anhören darf. Oder wenn jemand dazu motiviert wird, sich permanent als Bücherverkäufer für Rutherford zu betätigen. Treppauf , treppab. Ein wirklich „qualitativer Unterschied" zwischen diesen formal unterschiedlichen Ausbeutungsmechanismen, ist ohnehin nicht erkennbar.

Aber es ist offensichtlich. Das Geschäft mit der Angst (egal ob unter dem Firmenschild „Hölle" oder „Harmagedon") kann nur dann gedeihen, wenn es wirklich angsteinflößende Rahmenbedingungen gibt. Die gab es Anfangs der dreißiger Jahre sehr wohl. Sowohl in Deutschland, die dem braunen Rattenfänger den Aufstieg ermöglichten, als auch in den USA.

Als Zeitzeuge berichtet William Schnell beispielsweise, wie Zeugen Jehovas in den USA selbst alte Autobatterien und Autokühler im Tausch für die WTG-Literatur entgegennahmen. Damit wird deutlich, das weite Verelendungsprozesse, als Folge der Weltwirtschaftskrise stattgefunden hatten, die zu solchen Ergebnissen führten.

Auch in der hier besprochenen Broschüre, findet man dafür Belegstellen. Etwa wenn Rutherford ausführt:

„Die Vereinigten Staaten sind das reichste Land unter der Sonne. Der materielle Reichtum dieses Landes übersteigt alle Schätze Salomos, und doch gibt es in diesem Lande Millionen, die bitteren Mangel an Nahrung und Kleidung leiden. Der Landwirt, der mit großen Auslagen und großer Mühe eine Getreideernte erzielt hat, muß damit zu Markte fahren und sie dort unter seinen Gestehungskosten verkaufen. Der arme Arbeiter in der Stadt, der diesen Weizen nötig hat, wird gezwungen, dafür mehr als viermal soviel zu bezahlen, wie der Farmer erhielt. Jemand erntet dabei einen Profit für etwas, woran er nicht gearbeitet hat. Das Gut des Landwirts ist stark hypothekarisch belastet, und dafür muß er hohe Zinsen entrichten. Außerdem muß er seine Steuern bezahlen. Falls er die Zinsen und die Steuern nicht aufbringen kann, verliert er nicht nur die Früchte seiner Arbeit, sondern auch seine Heimstätte. Er leidet sehr unter der drückenden Last und verzweifelt, weil er keinen Ausweg sieht. Er hat mehrere Kinder, die er innig liebt, und ihr Anblick zerreißt ihm das Herz vor Mitleid und Kummer. Er hat für sie keine Zukunftsaussichten. Die Regierung fährt fort, sein hartverdientes Geld zum Bau Kriegsschiffen, Flugzeugen und andern Werkzeugen der Zerstörung zu verschleudern, aber irgendwelche Abhilfe zu schaffen, unterläßt sie.

Der Mann, der in der Fabrik oder in der Werkstatt schwer arbeitet, sucht seinen Lebensunterhalt zu sichern und für eine Zeit, wo er sein Geld noch nötiger haben wird, zu sparen. Er legt seine Ersparnisse in einer Bank an. Die Bank aber wird entweder unrichtig oder verbrecherisch geführt, sie geht bankrott, und seine Ersparnisse gehen in Rauch auf. Dazu kommt noch, daß ihm sein Lohn verkleinert wird, oder gar, daß er ganz entlassen wird, und so sieht er sich schließlich ohne Arbeit und sich und seine Familie mittellos. Schwer lastet die grausame Hand der Bedrückung auf ihm; er fühlt und sieht sie; aber er weiß nicht, wie und woher ihm irgendwelche Erleichterung kommen soll.

Ein Geschäftsmann betreibt seit einiger Zeit einen rechtmäßigen kleinen Handel, wodurch er sich einen ehrlichen Lebensunterhalt verschafft. Eine gigantische Korporation erscheint auf dem Schauplatz, unterbietet den kleinen Geschäftsmann, bis er ruiniert und aus seinem Geschäfte vertrieben ist; hierauf schraubt sie die Preise der Waren, die das Volk nötig hat, wieder hinauf. Das Ende vom Liede ist, daß der kleine Händler aus dem Dasein verschwindet und das Volk leidet. So werden sowohl der Geschäftsmann als auch seine Kunden von der riesigen Macht der Korporationen bedrückt.

In den letzten Jahren ist das Bestreben darauf gerichtet gewesen, den Reichtum und die Macht in den Händen einiger weniger zu vereinigen. Heute kontrollieren etliche wenige, überaus reiche Leute die Finanzmänner des Landes, die Industrie-Konzerne, die Tagespresse, die Nahrungsmittelvorräte, die öffentlichen Beamten, ja, tatsächlich alles, während die Volksmassen unter der Bedrückung leiden und am Rand der Verzweiflung angelangt sind. Eines jeden Hand scheint gegen seinen Mitmenschen zu sein, die Eigenliebe führt das Zepter, und selten wird einer gesehen, der bestrebt ist, seinen Mitgeschöpfen zu helfen.

Solche Rahmenbedingungen, wie von Rutherford auch beschrieben, sind üblicherweise Rahmenbedingungen, die direkt davon Betroffene zu revolutionieren vermögen. „Revolution" ist allerdings nicht gleich „Revolution". Es fragt sich, wohin denn ihr Pendel ausschlägt. Das konnte man in den dreißiger Jahren auch besonders in Deutschland studieren. Die vermeintlich das „Revolutionserbe" gepachtet habenden Kreise, die da in der Sowjetunion ihre „Sonne" zu sehen glaubten, müßten erfahren. Sie bekamen Konkurrenz. Mehr noch, die Konkurrenz wurde immer stärker, und finanziell gehätschelt um ihren Aufstieg zu befördern. So konnte schließlich ein Hitler für sich die Macht usurpieren, und seine Gegner, die vermeintlichen Revolutionäre, fanden sich in den Hitler'schen KZs wieder.

Die Situation in den USA unterschied und unterscheidet sich auch heute noch dadurch, dass dort alles weit mehr sich auf der irrationalen Ebene, der Verklärung irdischer Interessengegensätze in der Form der Religion sich widerspiegelt. Das ist das eigentlich traurige an der Sache, die Verneblung irdischer Interessengegensätze.

Hitler, auch durch Finanzspritzen aus den USA, zeitweiliger Sieger in diesem Ringen, hat wohl einen ebenbürtigen Demagogiekollegen in den USA gehabt, der offenbar, wie man bildlich auch sehen kann, von seiner Demagogie auch persönlich, ganz gut leben konnte!

 

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