Saladins Sicht der Dinge

Wenn ein Buch das Wort "Jehova" mit in seinem Titel führt, ist es vielleicht verständlich, dass sich auch unsereiner für das betreffende Schriftstück etwas näher interessiert. Da veröffentlichte bereits im vorigen Jahrhundert ein Engländer namens Stewart Ross, unter dem Pseudonym Saladin ein Buch mit dem Titel "Jehovas gesammelte Werke". Es erschien auch in deutscher Übersetzung, erlebte mehrere Auflagen und erfreute sich massiver Kritik aus kirchlichen Kreisen. Einer seiner Kritiker, war der Theologieprofessor Friedrich Loofs, der in seinem "Anti-Haeckel" dagegen zu Felde zog. Dies auch aus dem Grunde, weil Haeckel, ein geschichtlich hervorgetretener Multiplikator der Evolutionstheorie, sich in seinen "Welträtseln" stark auf Ross (alias Saladin) stützte.

Zuletzt (oder besser zu vorletzt) neu aufgelegt (in deutsch) wurde das Buch im Jahre 1937. Also in der Hitlerzeit. Die Großkirchen hatten zwar gehofft, mit dem Anbruch des Jahres 1933 auch eine Wendung zu ihren Gunsten herbeiführen zu können, indem das Hitlerregime erklärte, mit den marxistischen Freidenkern nichts gemein zu haben, und die Kirchen zollten zu diesem Programmpunkt lauthals Beifall. Indes es kam doch etwas anders, als die Kirchen sich das vor 1933 vorgestellt hatten.

Schon Ende 1933 war es klar, dass ihr Trojanisches Pferd namens "Deutsche Christen", massiv an politischem Marktwert verloren hatte. Immer lauter meldeten sich in den nachfolgenden Jahren jene zu Wort, die durchaus nichts mehr mit dem Christentum am Hut hatten. Zwar wollten auch sie nichts mit dem Marxismus gemein haben. Da bestand schon ein gewisser breiter Konsens. Das hinderte aber nicht daran, die alte Religionskritik, in neuer Verpackung, nunmehr als "Deutschglaube" zu offerieren.

Die Neuverlegung des Ross'schen Buches im Jahre 1937, ist in diesem Kontext anzusiedeln.

"Deutschglaube" ist nur ein grober Überbegriff. Unter seinem Dach sammelten sich eine Reihe von Gruppen, durchaus von sektiererischer "Qualität". Diesem Sektierertum ist es auch zuzuschreiben, dass keine von ihnen in organisatorischer Hinsicht (abgesehen von Rudimenten) dauerhaft überlebt hat. Eine der wenigen überlebenden Sekten aus diesem Spektrum, ist der von Erich und Mathilde Ludendorff gegründete "Verein". Die machten in den zwanziger und dreißiger Jahren durchaus mal hohe Schlagzeilen, und waren nebst Freidenker der "Buhmann" Nummer zwei für die "Großkirchen". "Buhmann Nummer drei" in dieser Wertigkeit, wären dann die Bibelforscher / Zeugen Jehovas.

Man kann Ross (Saladin) nicht unterstellen, dass er im besonderen auf der Ludendorff-Linie lag. Das ist sicherlich nicht der Fall. Er war im Prinzip ein Freidenker der alten Schule. Gleichwohl wurde er von den Ludendorfferianern in besonderem Maße vereinnahmt.

Dies wird auch dadurch deutlich, dass ein photomechanischer Nachdruck im Jahre 1978 der Saladin-Buchausgabe von 1937, noch heute mit einem sektiererischen Vorwort Made in Ludendorff "glänzt".

Wer mit Religionskritik nichts am Hut hat, den möchte ich bitten, spätestens an dieser Stelle mit dem weiteren lesen dieses Textes abzubrechen. Wer von diesen Skrupeln nicht so geplagt ist, dem seien nachstehend noch ein paar Zitate aus dem Saladin-Buch (kommentarlos) zur Kenntnis gegeben:

S. 4:

Der oberflächliche Leser ahnt nicht, wie groß die Zahl der Bücher ist, die schon existierten, ehe der Geist die Bibel für unser Seelenheil zu schreiben anfing.

Ich gebe nun eine Liste derjenigen Werke, die der Geist beim Schreiben vor sich hatte und deren er Erwähnung tut.

Verlorengegangene Bücher, von denen im Alten Testament zu lesen ist.

Das Buch der Kriege Jehovas (4. Mose XXI, 14),

Das Buch des Bundes (2. Mose XXIV, 7).

Das Buch des Frommen (Josua X, 13; Sam. I, 18).

Das Buch der Geschichte Salomos (1. Kön. XI, 41).

Das Buch der Tagesgeschichte der Könige Israels (1. Kön. XIV, 19 und an achtzehn anderen Stellen in den Büchern der Könige; auch in 2. Chron. XX. 34 und XXXIII, 18).

Das Buch der Tagesgeschichte der Könige von Juda (1. Kön. XIV, 29 und an zwölf anderen Stellen der Bücher der Könige).

Die Geschichte Samuels, des Sehers (1. Chron. XXIX, 29).

Die Geschichte Gads, des Sehers (1. Chron. XXIX, 29).

Tagesgeschichte des Königs David (1. Chron. XXVII, 29).

Die Geschichte Nathans, des Propheten (2. Chron. IX, 29).

Die Prophezeiung Ahias, des Siloniters (2. Chron. 29).

Die Geschichte Iddos, des Sehers, gegen Jerobeam, den Sohn Nebats (2. Chron. IX, 29).

Das Buch der Geschichte Schemajas, des Propheten (2. Chron. XII, 15).

Das Buch Iddos, des Sehers, da er die Geschlechter verzeichnet (2. Chron. XII, 15).

Die Erklärung des Propheten Iddo (2. Chron. XIII, 22).

Das Buch der Könige von Juda und Israel (2. Chron. XVI, 11 und an sechs anderen Stellen im selben Buche.)

Die Geschichte Jehu (2. Chron. XX, 34).

Die Memoiren des Hyrkanos (erwähnt im 1. Buche der Makkabäer).

Die Bücher Jasons (im II. Buche der Makkabäer, 2).

Die Geschichte Urias (2. Chron. XXVI, 22).

Dreitausend Sprüche Salomos (erwähnt in 1. Kön. IV, 32).

Tausendfünf Lieder (ebenda).

Mehrere andere Bände desselben Autors, deren in dem eben zitierten Buche gedacht wird.

Die von Jehojakim verbrannte Rolle mit den Prophezeiungen des Jeremias (Jerem. XXXVI).

Eine andere Prophezeiung desselben über Babylon (Jerem. 1,1).

Memoiren oder Beschreibungen derselben Autoren, deren in Makk., II Erwähnung getan wird.

Die Prophezeiung Jonas (erwähnt im Buche Jonas).

Alle diese Werke können eingegeben gewesen sein. Ich kann nicht behaupten, daß ich dies durch Eingebung sage, bin aber dennoch geneigt zu glauben, daß das Buch des Frommen, das Buch Idos, sowie der übrige Krempel, unreife, jugendliche Erzeugnisse des Geistes waren. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß er die Arbeiten aus der Jugendzeit ins Feuer wandern ließ, nachdem er das Wesentlichste aus denselben seinen neueren Schriften einverleibt hatte. Wie schade ist es doch, daß er sie verbrannte! Mit welch frommen Enthusiasmus wir sie lesen würden, diese Wahrzeichen am Wege geistiger Entwicklung, auf dem der einzige Geist wandelte, der sich je mit dem Bücherschreiben befaßte! Doch vielleicht stöbert noch einmal ein Tischendorf … die knabenhaften Produktionen des Geistes auf.

S. 8f.

Bücher, die aus dem jüdischen Kanon ausgeschlossen sind und von einigen frühen Christen als apokryphisch angesehen werden, die aber kürzlich von der röm.-kathol. Kirche für kanonisch erklärt wurden:

Baruch, Tobit, Judith, Weisheit, Ekklesiastikus.

Die zwei Bücher der Makkabäer.

Der Gesang der drei Kinder im feurigen Ofen

Die Geschichte der Susanna.

Die Geschichte von Bel und dem Drachen.

Bücher, die nur von einigen Juden anerkannt und von anderen verworfen werden:

Das Gebet Manasses (den Apokryphen beigefügt).

Das dritte und vierte Buch Esra (ibid.).

Das dritte und vierte Buch der Makkabäer in der Septuaginta.

Die Genealogie Hiobs und die Rede seiner Frau, am Ende des griechischen Textes des Buches Hiob.

Der 151. Psalm, am Ende der griechischen Psalmen.

Ein Gespräch Salomos am Ende des Buches der Weisheit.

Die Einleitung vor den Klageliedern Jeremiä, im gewöhnlichen lateinischen und griechischen Texte.

Andere apokryphische Bücher ähnlicher Art, welche verloren gingen:

Das Buch Henoch.

Das Buch der Assumtion Mose.

Die Assumtion, Apokalypse, oder die Geheimnisse des Elias.

Die Geheimnisse des Jeremias.

Schriften voller Fabeln und Irrtümern, die verloren gegangen sind:

Die Erschaffung des Adam.

Die Offenbarung Adams.

Genealogie, oder Söhne und Töchter Adams.

Chams Buch der Magie.

Eine Abhandlung betitelt Seth

Die Assumtion Abrahams.

Jetsira, oder über die Schöpfung; dem Adam zugeschrieben.

Das Buch der zwölf Patriarchen.

Die Reden Jakobs und Josefs.

Die Prophezeiung des Habakkuk.

Eine Sammlung der Prophezeiungen Hesekiels.

Die Prophezeiung des Eldad und Medad.

Die Abhandlung von Jannes und Jambres.

Das Buch des Königs Og.

Jakobs Leiter und mehrere andere Traktate.

S. 9:

Das ist eine Liste von anständigem Umfange, o Herr der Heerscharen! - aber dafür hast du auch die ganze Ewigkeit dazu gehabt, um soviel hervorzubringen. …

Mit geziemender Ehrerbietung möchte ich es dem Herrn nahelegen, doch besser aufzupassen, wenn er wieder mal ein Buch schreibt, welches für das Schicksal ungezählter Millionen bestimmend sein soll, und dafür zu sorgen, daß dieses Buch nicht verlorengehe oder vernichtet werde. Mit der Bibel ist er ganz und gar nicht vorsichtig gewesen.

S. 102:

Ich hätte da noch eine recht heikle Geschichte zur Hand, o Herr. Dein Sohn befahl vor 1800 Jahren seinen Leuten: "Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur." Ich möchte Deine Aufmerksamkeit gern auf die Tatsache lenken, daß dieser Armeebefehl in einer anerkennenswerten Weise bis jetzt nicht ausgeführt worden ist …

S. 103:

Im Ganzen genommen zeigt dies uns, daß zwei Drittel der ganzen Welt noch heidnisch sind … Bedenke, o Herr, daß in diesen großen Zahlen meine Wenigkeit noch unter den Christen zu finden ist, - und Du weist ja, welche Sorte Christ ich bin! Unter den "Gebildeten" aller Kulturländer gibt es Hunderttausende von Menschen, die mit mir denken, sofern sie überhaupt denken; ich aber lade Dich ein, alle diese meine Gesinnungsgenossen als "Christen" in Deine Volkszählung einzutragen, wenn diese ungeheuerliche statistische Lüge irgend etwas zu Deinem Ruhme beitragen mag.

S. 117:

Man darf allerdings nicht vergessen, daß Pünktlichkeit niemals eine hervorstechende Charaktereigenschaft des Herrn der Heerscharen gewesen ist. Mag sein auch, daß es der Mangel dieser wertvollen Eigenschaft war, der seinen Sohn veranlaßte, den ehrenwerten Zimmermannsberuf an den Nagel zu hängen und zunächst Laien-Prediger zu werden. … Und er prophezeite, wie schon erwähnt, er würde noch vor dem Erlöschen der damaligen Generation zur Erde zurückkehren; diese Generation ist nun schon seit achtzehnhundert Jahren verschwunden, und kein Jesus ist wiedergekommen! Wohl mag man zu erwarten berechtigt sein, daß er sich nunmehr tummelt!

Bis in unsere Tage hinein gibt es unter seinen Anhängern Schwachköpfe genug, die an diese Prophezeiung glauben, die sozusagen ihre abonnierte Droschke an der nächsten Eisenbahnstation stehen haben, um dort die "Ankunft des Herrn" zu erwarten. Man gibt zu, daß die Welt eigentlich noch nicht recht auf seinen Empfang vorbereitet ist, und vielleicht ist das der Grund, warum er immer noch nicht kommt. Es heißt, alle Reiche sollen sein Eigen sein, sobald er erscheint, sollte er aber etwa morgen früh eintreffen, so würde er die betrübende Erfahrung machen, daß er eigentlich nur eine herzlich geringe Anzahl von Reichen als sein Eigentum reklamieren könnte. Seinem Evangelium hat er eine Arbeitszeit von fast zweitausend Jahren vergönnt, - und doch gibt es auf dem Angesicht dieser Erde viele Millionen Menschen, die nie etwas von ihm gehört haben, und, was das Schlimmste ist, sogar viele Millionen, die zwar von ihm hörten, aber trotzdem nichts von ihm wissen wollen!

Kein Wunder, daß er bei einem solchen Stand der Dinge keine Lust mehr hat für eine "Wiederkehr". Die Welt ist auf seinem Empfang nicht nur nicht vorbereitet, sondern, was weit schlimmer ist, sie wird für ihn alle Tage noch weniger empfangsbereit, als vorher. Er hätte am besten getan, im finsteren Mittelalter zu kommen, denn damals würde er noch viel mehr Christentum vorgefunden haben als heutzutage. Die christlichen Länder waren damals wirklich christlich; heute aber sind sie es kaum mehr dem Namen nach.

S. 149:

Die Städte Assyriens waren schon 2000 Jahre vor deinem Christus aus Ziegelstein gebaut; und Leinwand, so fein, als du sie heute nur weben könntest, bildete schon das Leichentuch von Mumien vornehmer Ägypter - 4000 Jahre vor Beginn der christlichen Ära. Die Bibliothek von Alexandria enthielten 800 000 Bände, alle natürlich durch vor-christliche "Heiden" und "Ungläubige" verfaßt; und die Museen Alexandriens lehrten Philosophie, Mathematik, Geschichte, Biologie, Zoologie, Astronomie, Chemie, Anatomie und Medizin - lange bevor dein Neues Testament, mein lieber Aegir Schulze, zusammengestoppelt und der Welt als göttliche "Offenbarung" aufgehalst war.

Doch das Christentum schleuderte die Welt in devote Unwissenheit und fromme Barbarei zurück. Jahrhundertelang gab es in den Ländern zwischen dem mohammedanischen Sevilla und dem gleichfalls mohammedanischen Bagdad keine Hochschulen für Philosophie oder sonstige Wissenschaft. "Vom dritten bis zum dreizehnten Jahrhundert", schreibt Draper, "gab das Christentum der Welt keinen Mann von wissenschaftlichem Genie; und "acht Jahrhunderte lang", schreibt Buckle, "gab es im ganzen christlichen Europa nicht vier Menschen, die es wagten, eine unabhängige Meinung zu äußern." Es gab nur ganze Abteien voll zeichnender Mönche und einige tausend katzenbuckelnder Adliger und untertäniger Diener, die sich in Unwissenheit, Schmutz und Blutvergießen wälzten. Tortur-Instrumente und teuflische Inquisitionsmaschinen bildeten ihre großen Erfindungen und Entdeckungen; und ihr ganzer Eifer beschränkte sich leider mit nur allzuviel Erfolg auf die Verwandlung ganzer Städte und Länderstrecken in eine feuergeschwärzte und bluttriefende Wildnis. Man schätzt z. B., daß durch das erste arianische Schisma über eine Million Menschen zugrunde gingen; eine weitere Million kam durch die karthaginischen Streitigkeiten ums Leben; das Sarazenen-Gemetzel in Spanien kostete sieben Millionen Menschen das Leben; fünf Millionen Menschen haben die acht Kreuzzüge verschlungen; die Religionskriege brachten zwei Millionen Sachsen und Skandinavier um; eine weitere Million verschlangen die konfessionellen Schlächtereien gegen die Niederländer, Albigenser, Waldenser und Hugenotten; die justinischen Religionskriege haben gar volle einhundert Millionen Menschen umgebracht, - und bei alledem sind hier noch nicht einmal die zahlreichen Opfer kleinerer Verfolgungen und geheimer Morde, und ebensowenig die Vernichtung von zwanzig bis dreißig Millionen Peruanern und Mexikanern mit inbegriffen! Der "große" und tapfere Karl der "Große" hat an einem einzigen Tage einmal viertausendfünfhundert Deutsche getauft und dann - geköpft.

Als die Christen mit roher Gewalt die Mohammedaner aus Spanien verdrängten, fanden sie in Sevilla u. a. eine Sternwarte vor. Was in aller Welt diese "Ungläubigen", die sie vertrieben hatten, in so einem merkwürdigen Gebäude mit seltsamen Instrumenten eigentlich getrieben hatten, das war ihnen ein Rätsel, - und so machte sich christliche Blödheit über das Observatorium her und verwandelte es schnell in einen Glockenturm.

Die Mohammedaner hatten bereits eine tiefe Kenntnis in medizinischen Wissenschaften; die christliche Medizin aber bestand in Wallfahrten nach heiligen Schreinen und heiligen Brunnen und im Gebrauch von teuer bezahlten, geweihten Talismanen und gefälschten Heiligen-Reliquien.

S. 187

"Welch großartigen Fortschritt eure freidenkerische Bewegung macht!" Bemerkte mir eines Tages einer meiner kirchlichen Gegner mit beabsichtigtem Spotte; "welch einflußreiche Namen auf eurer Seite stehen, wie schrankenlos ist die Überfülle eurer Legate und Erbschaften und Stiftungen, wie bedeutend die architektonische Großartigkeit eurer Tempel!"

Ich bemerkte diesem Diener des Herrn hierauf ganz einfach, daß der Tag gar nicht so fern zu sein scheint, an dem ein erleuchteter Fürst das Freidenkertum ebenso plötzlich zur Herrschaft bringt, wie es ja auch dem Christentum über Nacht so ergangen ist. Ich erinnerte den Herrn Gegner daran, daß das Christentum schon dreihundert Jahre alt war, ehe es so einflußreich und geistersättigend geworden war, wie das aggressive Antichristentum es bis zu dieser Stunde ist. Doch es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen den sogen. Frühchristen der ersten Jahrhunderte und den aggressiven "Ketzern" unserer Tage; bei den letzteren befindet sich der Marschallstab gewöhnlich in den Händen ernster, aufrichtiger und gebildeter Männer; bei den ersteren waren es eine Anzahl aufdringlicher und gewissenloser Schismatiker, die beispielsweise Marcion, Basilides, Saturnius, Blastes, Tation, Montanes, Manichäus usw. usw., die sich zu Führern einer ganz außergewöhnlich unwissenden und verbrecherischen Rotte von Anhängern aufwarfen.

Wenn damals zwischen Konstantin und Livinius nicht eine erbitterte Fehde ausgebrochen wäre, so würde man in den Tempeln des Christentums heutzutage ebensowenig einen Gottesdienst vorfinden, wie zwischen den aufrechten Riesensteinen der alten Druiden in Wales. Dadurch aber, daß er sich für das Christentum erklärte, warf Konstantin in die damals noch schwankende Waagschale die brutale Gewalt eines trotzigen, fanatischen und verräterischen Pöbels, wodurch sich das Schicksal gegen seinen Nebenbuhler Licinius entschied, der 324 n. Chr. geschlagen, entthront und später meuchlings ermordet wurde - alles zur größeren Ehre Gottes und seines Christus. Daß das Christentum heute noch existiert, hat es keinerlei Kreuzigung auf irgendeinem Golgatha zu verdanken, sondern einfach dem siegreichen blutigen Schwert, das auf der milvianischen Brücke den Purpur der Cäsaren für den erbärmlichen Konstantin gewann.

Man lasse auf unserer Seite einen Kaiser auferstehen, dem der Ehrgeiz kriegerischer Eroberungen das Schwert in die Hand drückt, der sich aber gleichzeitig gegen das Christentum erklärt, - und unsere heutige Minorität würde sich ganz in derselben Weise in einem Augenblick, wie durch den Stab des Zauberers verwandelt, in eine überwältigende Majorität umbilden. Die stumpfsinnigen Menschenhaufen, die bloß dazu da sind, die Zahl der Bekenner eines Glaubens aufzubauschen, sie wollen in der Wirklichkeit nicht viel bedeuten. Ihnen ist ja die Welt der Geister nur eine Wildnis, eine Wüste, über welche die ungebildeten Millionen stets in der Richtung des Thrones und des Altars dahinrasen. Auf solche tote Zahlen gebe ich gar nichts; das Christentum könnte mit demselben Rechte, mit dem die Kirche die unwissende Menge als "Christen" zählt, eine halbe Million Schafe an Köpfen und Schwänzen mit Taufwasser besprengen und diese dann ebenfalls als Christen ausgeben.

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