Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Predigtdienst und Älteste

Kritiker der WTG/Zeugen Jehovas, gibt es relativ viele. Allerdings, nicht alle befinden sich auf der gleichen "Plattform". Vielfach sind es ja auch persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, die das sprichwörtliche "Fass" zum überlaufen bringen. Je nach dem Grad der vorangegangenen Erlebnisse gibt es auch einige, die es danach durchaus nicht beim "passiv" sein bewenden lassen. Man hat zu konstatieren, dass bei etlichen die theoretische Durchdringung der WTG-Ideologie erst in einer relativ späten Phase einsetzt (so sie denn erfolgt). Primär geben persönliche Verletzungen doch in nicht wenigen Fällen den Ton an. So gesehen, sind "theoretische" Ausführungen für etliche nicht das "Non plus ultra". Einige glauben für sich die Sachlage dahingehend "bewältigt" zu haben, dass nunmehr "rechtes Bibelforschen" ohne WTG-Brille der Problemlöser sei.

Ich will denjenigen diese Möglichkeit nicht absprechen. Ich bitte mir aber zu konzedieren, dass ich persönlich mich diesbezüglich als schon einen Schritt weiter gegangen betrachte. Auch stellt sich mir die Frage, ob diejenigen (vorstehend genannten) nicht letztendlich in einer "Sackgasse" landen?

Was hat der Fall des eingestellten Albert-Forum gelehrt? Nun, positiv "auferbauend" so die Intention seines Begründers, sollte es eigentlich sein. War es das? Ich, und höchstwahrscheinlich auch Albert selbst, haben Zweifel, ob diese Zielstellung je erreicht wurde. Seine diversen massiven Löschaktionen, selbst in seinem Gästebuch künden davon. Auch, dass er letztendlich das "Handtuch" geworfen hat.

Nehmen wir eine Detailfrage:

Vielen der jetzigen Zeugen Jehovas ist es eigentlich nicht so recht bewusst, dass es namentlich beim "Amt" der Ältesten in ihrer Religionsgemeinschaft, schon mal einigen "Hickhack" gegeben hat.

Die Sache fing doch damit an, dass einige Interessierte sich um Russell's Zeitschrift "Der Wachtturm" sammelten.

Schritt Nr. zwei. Russell bemühte sich um die Anwerbung von Bücherverkäufern (damals Kolporteure genannt). Die kann man vielfach als die Keimzelle sich bildender örtlicher Bibelforscherversammlungen ansprechen. Zwar wurde in diesen Versammlungen besonders das "Schríftstudien"-Büchermaterial von Russell hochgehalten und auch der "Wachtturm". Aber ansonsten war es doch so, dass diese sich bildenden Versammlungen sich ihre örtlichen Ältesten selbst erwählten.

Ein Bestimmungsrecht der "Zentrale" war so nicht vorhanden.

Das sollte Rutherford dann noch radikal ändern. Anders formuliert: Er führte die Bestimmungsgewalt der totalitären Zentrale ein. Das lief zwar nicht ohne Konflikte ab aber rückblickend hat man zu konstatieren, dass dieser Coup gelandet war.

Ein wesentliches Ergebnis dieser Entwicklung war auch der faktische Zwang zum Predigtdienst, der nunmehr für alle Zeugen Jehovas eingeführt wurde. Die WTG erdreistete sich gar, in den vierziger Jahren, von den einfachen Zeugen eine Quote von 60 Stunden einzufordern. Ein Limit, dass heute, geringfügig etwas höher, gerade mal für ihre allgemeinen Pioniere gilt.

In der ersten Auflage ihres langjährigen Standardlehrbuches "Gott bleibt wahrhaftig" findet sich schon eine diesbezügliche provokative These. Etwa, wenn man da lesen konnte:

"Jehovas Zeugen führen keine sogenannten Kirchenregister, so wie dies Religions-Organisationen tun. Doch führen sie Buch über die Predigttätigkeit aller Zeugen.

Ein jeder erstattet regelmäßig Bericht über seine Predigttätigkeit, und die Organisation führt Buch über die Arbeit eines jeden Dieners des Evangeliums. …

Wer nicht tatsächlich als ein Zeuge Jehovas predigt, ist nicht bei dieser Organisation. Solange sich jemand mit der Organisation zusammen am Predigen beteiligt, wird er als dazu gehörend anerkannt. "

Dieses Buch wurde direkt in den USA (in deutsch) gedruckt, und mit Bewilligung der amerikanischen Militärregierung für Deutschland, in hoher Auflage nach Deutschland eingeführt. Die war so groß bemessen, dass noch in den Jahren, wo es keine Besatzungsregierungen in Deutschland mehr gab, immer noch "Gott bleibt wahrhaftig" (mit grünem Einband) lieferbar war.

Später (1958) gab es noch eine revidierte Fassung davon. Die zeichnete sich durch einige kosmetische Veränderungen aus. Unter anderem war die eben zitierte Passage in der drastischen Wortwahl, darin nicht mehr enthalten (wer nicht predigt, wird nicht als Zeuge Jehovas anerkannt).

Davor gab es aber schon einen Druck, der in Deutschland direkt (in den Jahren 1947/48) veranstaltet wurde. In zwölf Einzellieferungen erschien damals schon dieses Buchprojekt unter dem Titel "Gott wahrhaftig". Das Fehlen des Wörtchens "bleibt" verdeutlicht gewisse Differenzen. Davon gab es auch noch mehr.

Unter anderem fand sich dort in der Lieferung Nr. 9 "Wer sind Jehovas Zeugen", der fragliche Text in noch verschärfterer Form. Ich zitiere nachstehend daraus (S. 137-139):

"Ein jeder der Zeugen Jehovas ist ein Prediger des Evangeliums. Wer nicht das Evangelium in derselben Art predigt wie Jesus, ist kein Zeuge Jehovas. Die bloße Behauptung, ein Prediger zu sein, macht niemand zu einem Prediger. Nur wer in Harmonie mit Gottes geoffenbarten Worte predigt erweist sich als ein solcher. Jehovas Zeugen sind eine Gesellschaft von Predigern.

Auch Jugendlichen ist das Predigen nicht nur gestattet, sondern sie werden sogar dazu aufgefordert (Ps. 148: 12,13). Alle Kinder der Zeugen Jehovas sollten in der Zucht und in der Ermahnung des Herrn erzogen und schon in jungen Jahren zu Predigern herangebildet werden.

Während Jehovas Zeugen keine Mitgliederliste führen, wie dies die Religionsorganisationen tun, wird doch ein genauer Bericht über die Tätigkeit des Predigens aller Zeugen Jehovas geführt. Ein jeder von ihnen stellt einen regelmäßigen Bericht über seine Predigertätigkeit aus, und die Organisation bucht die Arbeit, die von einem jeden ihrer Prediger geleistet worden ist. Die Tatsache, daß er ein Zeuge Jehovas geworden ist, zeigt sich in seiner Arbeit als ein Prediger. Wer nicht tatsächlich als ein Zeuge Jehovas predigt, gehört nicht zur Organisation. Solange man sich mit der Organisation am Predigen beteiligt, ist man als zugehörig anerkannt."

Inzwischen hat die WTG es gelernt die "raue Stimme" durch "Kreidefressen" etwas "wohlgefälliger" klingen zu lassen. Rund 30 000 von 190 000 haben sich in Deutschland offenbar diesem Druck entzogen. Man wird diese Zahl weiter sorgfältig zu beobachten haben.

Das ostdeutsche politische System pflegte sich als "vollendete sozialistische Menschengemeinschaft" zu verkaufen, inklusive Ausreiseverbot für das Gros seiner Bewohner. Was die diktatorischen Allüren betrifft besteht zwischen ihm und der WTG offenbar kein wesentlicher Unterschied.

Das wäre meine Interpretation in Sachen Ältestenamt bei den ZJ.

Die Alberts und Co können das natürlich auch anders sehen, indem sich sich auf "biblische" Begründungen beschränken und den soziologischen Aspekt ausblenden.

Der Frage der Entmachtung der örtlichen Ältesten in den dreißiger Jahren ging auch einmal ein Beitrag in der CV 64 nach. Zur Abrundung des Bildes, nachstehend noch seine (gekürzte) Zitierung.

Der neue WTG-Präsident J. F. Rutherford stand 1917/19 vor der Tatsache des Zusammenbruchs von Sinn und Zweck des gesamten nur für "diese Generation" seit 1874 gegründeten WTG-Werkes, als mit dem ersten Weltkrieg kein Harmagedon-Weltende gekommen war. Die WTG kommt nicht umhin, selbst zuzugeben, daß sie damals "wie ein Leichnam auf der Straße lag". Für J. F. Rutherford und die damaligen Förderer der WTG stellte sich jetzt die Frage, ob man eine solche internationale Organisation und Gemeinschaft sich nun im Selbstlauf eventuell verlaufen lassen oder beliebigen anderen Initiativen überlassen soll, oder aber, ob man sie an die Hand nimmt, um sie nunmehr ganz bestimmten neuen Zwecken und Zielen, die die Förderer bestimmen, unter den Christen und in der Öffentlichkeit dienen zu lassen. Es bietet sich dabei immer an, keine radikalen Brüche zu vollziehen, sondern an das Vorhandene anzuknüpfen und nur allmählich zu verändern, sowie den Umstand auszunutzen, daß das Verharren in Vorstellungen, die längst ihre Basis verloren haben, mitunter lange anhält.

Zwei Dinge waren da zu tun. Neue Lehren, ja eine vollkommen verschobene Endzeitschau mußte entwickelt werden. Das andere waren neue Leitungsmethoden, die gewährleisten, daß auch organisatorisch alles zusammenbleibt, wenn die Lehren immer wieder weiter verändert und neuen Situationen angepaßt werden müssen.

Es würde den Rahmen dieser Betrachtung sprengen, die ganze neue Lehrentwicklung darzustellen, die J. F. Rutherford begann. Es entstanden seit dieser Zeit auch Trennungen, um das Erbe des WTG-Gründers C. T. Russell unverfälscht fortzuführen, was das bleibende Glaubensgut betraf, bis heute. Hier nur soviel, J. F. Rutherford entwickelte nach und nach eine antikirchliche und sozialpolitisch passive … Konzeption, auf Menschen aller Art gerichtet, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden waren, sei es religiös oder politisch. Solche sollten "eingesammelt" und wiederaufgerichtet werden durch Orientierung auf die Lösung aller menschlichen und sozialen Probleme in einem künftigen Gottesreich ewigen Lebens und Glücks, nachdem diese "unverbesserliche böse Welt" dann vernichtet sei. Ein "Weltende", das man immer wieder verschieben würde, von 1914 auf 1925, dann auf 1939/45, inzwischen, auf 1975. Auch 1996/97 wird schon genannt. Die Lösung bis dahin sei, heraus aus allen anderen Gemeinschaften und Kirchen und Verneinung aller sozialpolitischen Mitverantwortung oder gar Verbesserung bestehender Verhältnisse, ganz zu schweigen von irgendeiner revolutionären Aktivität. Das Leben sei vielmehr gänzlich der weltweiten Ausbreitung dieser Verhaltensweise zu widmen.

Objektiv entstand so eine antikirchliche und sozialpolitisch negative … christliche Minderheit, die jedes Aufbegehren gegen soziale Ungerechtigkeit gründlich mit einer entsprechenden, durch die WTG zu entwickelnden Bibelauslegung, aus den Köpfen fernhält oder wieder entfernt. Welcher politischen Seite eine solche religiöse Bewegung unter den Christen dient, ist leicht zu erkennen.

Die neue geistige Konzeption war das eine. Das andere war eine dauerhafte organisatorisch-leitungsmäßige Absicherung, die durch die erforderlichen laufenden Veränderungen nicht erschüttert wird. Die Leitung unter C . T. Russell war keineswegs straff zentralisiert. Die Versammlungen waren mit ihren nach urchristlichem Muster selbst gewählten Ältesten relativ selbständig und spontan tätig, wobei C. T. Russell von allen als wegweisender Pastor betrachtet wurde, in jeder Versammlung mitgewählt. Eine solche selbständige und freie Ältestenschaft, abhängig von der souveränen Entscheidung der örtlichen Versammlungen und ihren unvorhersehbaren Beschlüssen, war absolut ungeeignet für die Fortführung der Organisation nach dem ersten Weltkrieg so, wie es der Konzeption von J. F. Rutherford und der mitentscheidenden WTG-Gönner und -Förderer entsprach. Erforderlich hierfür war die Abschaffung aller Selbständigkeit und Spontanität in den Versammlungen, an der Basis, und damit die Beseitigung der entsprechenden Leitung oder Ältestenschaft zugunsten einer straffen, zentralisierten, ja befehlshaberischen Leitung von oben. Es dauerte bis ca. 1938, bis dies als "theokratische Ordnung" durchgesetzt war.

Unter der Variante, diese zu beseitigende Ältestenschaft gegen Gott auszuspielen, ging J. F. Rutherford im Rahmen der schrittweise vorgebrachten neuen Lehren rigoros vor. Die entsprechenden Zitate aus dem WTG-Buch "Rechtfertigung" I, II von 1931 charakterisieren das. Sie mögen für sich sprechen:

"Der Wachtturm warnte die Führer der Versammlungen vor einem widerspenstigen Wege . . ." I/31

"Da diese Ältesten selbstsüchtig geworden sind, sind sie der Offenbarung der Wahrheit Gottes gegenüber blind geworden . . . erwartet sie das gleiche Geschick, das Gott für den Teufel bestimmt hat . . ." I/80

"Die Ältesten . . . diese Gott nicht rückhaltlos ergebene Klasse unter Gottes Volk . . ." I/162

"Sie sind seit 1914 in Erscheinung getreten . . . ihre selbstsüchtigen Ansichten..... ihren juckenden Ohren zu kitzeln . . ." I/163

"Die rebellischen und widersetzlichen Ältesten, die sich im Jahre 1917 von der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft getrennt und in der Gesellschaft Störungen verursacht hatten, wurden 1917 . . . in aller Form gewarnt und ermahnt, ihren Sinn zu ändern . . ." I/165

"Im Jahre 1919 wurden die widerspenstigen Ältesten von Jehovas sichtbarer Organisation gewarnt . . ." I/166

"Jene Ältesten . . . die Träume träumen . . . sie haben 'Charakterentwicklung' zu ihrer Spezialität gemacht . . . daß diese Ältesten Heuchler sind . . ." I/253

"Solche Ältesten haben kein Herzensverlangen, mit dem Lichte der gegenwärtigen Wahrheit, daß Jehova aus seinem Tempel hervorblitzen läßt, in Übereinstimmung zu kommen . . ." I/254

"Diese Handlanger des Teufels…" I/286

"Älteste, die immer noch meinen und lehren, die von dein Apostel (Römer 13:1-4) erwähnten 'höheren Gewalten' wären die Regierungen oder herrschenden Mächte dieser Welt. Durch diese Ansicht und Lehre tun sie ebenfalls dem Worte Gottes und seinem Volke Gewalt an, versprengen Gottes Volk und machen es den tierischen Regierungen der Organisation Satans zur Speise . . ." II/232

"Ein Ältester . . . wie ein stößiger, rücksichtsloser Bock . . . Diese hochnäsigen und riechenden Böcke sind fett geworden . . . haben begehrt . . . alle gute Speise vom Tisch des Herrn an sich zu nehmen, sie durchzukauen und zu beschmieren, sie darauf noch eigenem Rezept aufzutischen . . . unwillig und faul . . . Diese Egoisten trampeln auf der vom Herrn bereiteten Speise herum, suchen sie mit ihren schmutzigen Füßen zu besudeln …" II/239f

Der treue Überrest "hat sich aber nun vom Einfluß der ,Böcke' abgekehrt . . ." II/241

Bis 1932 hatte es J. F. Rutherford, der alle WTG-Publikationsmittel kontrollierte, erreicht, einen ersten entscheidenden Schritt zu tun, und in den Versammlungen "Dienstleiter" (DL) einzusetzen. Das waren meist junge, unkritische Männer, die bedingungslos begannen, die WTG-Weisungen durchzusetzen, Zu diesen gehörte in Mainz auch der spätere deutsche WTG-Zweigdiener Konrad Franke.

"Die endgültige Umstellung zu streng theokratischer Ordnung fand jedoch nicht vor 1938 statt", wann die WTG "den vollen Befehl und die volle Gewalt über die sichtbare Organisation Jehovas" übernehmen, und ihre "Gesellschaft (als) sichtbaren Vertreter des Herrn auf Erden", wie sie es formulierte durchsetzen konnte, befugt, nach ihrem Ermessen Personen einzusetzen und die Tätigkeit zu bestimmen. (Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, S. 148f)

Das Ältestenamt stand nun auf einer Stufe mit Handlangern Satans und Heuchlern. Im WT "Zum Schlußwerk organisiert", Abs. 32 (1945) wird zu diesen Zweck die Bibel selbst stranguliert: "Der Ausdruck Ältestenamt kommt in der Schrift nicht vor", und Paulus habe, wenn er in Apg. 22:5 von der Ältestenschaft sprach, "von einer jüdischen Pöbelrotte" gesprochen.

Erfüllte die damalige Beseitigung des Ältestenamtes zur Schaffung einer Befehlsstruktur von oben ihren Zweck? Ja, das kann man sagen. Sie ermöglichte es von der organisatorischen Seite her, tatsächlich mit der auf 1939/45 festgesetzten nächsten Weltende-Orientierung ohne große Erschütterungen fertig zu worden und eine weitere Generation einzuplanen (Dein Name werde geheiligt, S. 329, Abs. 14) Der neue WTG-Präsident, N. H. Knorr, triumphierte. Und in politischer Hinsicht konnte die Gemeinschaft zu einer sozial politisch negativen … Bewegung entwickelt werden, die im Bereich der kleinen Religionsgemeinschaften ihresgleichen sucht. Man nahm den Mund sogar so voll, daß man sich in der Hoch-Zeit des kalten Krieges als "Bollwerk gegen Kommunismus" rühmte (W. Amann von WTG-Zweigbüro in Wiesbaden am 26. Juli 1960 im "Westdeutschen Tageblatt", Dortmund, BRD). Jedes Bewußtsein sozialpolitischer Mitverantwortung als Christen, das unter C. T. Russell durchaus galt, konnte in den Versammlungen ausgeschaltet werden. Alles in allem, die Beseitigung der Ältestenschaft war erfolgreich.

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