Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Tour de Raison

Politische DDR-Kritik an den Zeugen Jehovas

Die CV 80 veröffentlichte auch einen angeblich "eingesandten" Artikel über die "Verstrickungen der Wachtturmgesellschaft". Sieht man ihn sich allerdings näher an, so kann meines Erachtens kein Zweifel darüber bestehen, dass (auch er) vom Spiritus rector der CV, dem Dieter Pape verfaßt worden ist. Deutlich wird dies auch daran, dass er beispielsweise kommentierend aus dem seinerzeitigen "Goldenen Zeitalter" zitiert.

Die ganze Diktion dieses Artikels läuft auf eines hinaus: Die Zeugen Jehovas mögen sich doch bitte auf das Niveau eines "Halleluja-Vereins" beschränken. Da auch Pape registriert, dass dem so nicht ist, spießt er namentlich jene Aspekte auf, die eine politische Dimension beinhalten. Meines Erachtens kann man über das von ihm vorgetragene durchaus diskutieren. Obwohl nicht zu übersehen ist, dass die Gesamtdiktion dieses Artikels stramm auf der politischen DDR-Linie liegt. An einigen Stellen erschien es mir aber doch angebracht, ein paar Ergänzungen einzufügen [in eckige Klammern gesetzt]. Etwas gekürzt konnte man in diesem Artikel lesen:

Es mutet recht befremdend an, wenn man so sieht, in was die Zeugen Jehovas als eine Religionsgemeinschaft über ihre Leitung, die Wachtturmgesellschaft (WTG), nicht alles verstrickt waren und sind. Das läßt sich kaum und oft in keiner Weise mehr mit dem Anspruch vereinbaren, eine ausschließlich religiöse Gemeinschaft zu sein, die daneben oder einbezogen nicht noch andere Ziele verfolgt. Da muß man zu der Schlußfolgerung kommen, daß hier nicht alles stimmen kann, was vorgegeben wird. ... Eine Anzahl Geschehnisse, Sachverhalte und Vorkommnisse mögen das ... zeigen.

Ihr Präsident Rutherford war amerikanischer Rechtsanwalt und Richter. Er wurde mit der Leitung der Gemeinschaft während des Krieges (1918) in den USA zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt wegen Übertretung des Spionagegesetzes. Wenn es auch nicht Gegenstand der Anklage war, so stand doch noch folgendes im Hintergrund ... Bevor Rutherford und andere am 8. Mai 1918 verhaftet wurden, hatte der amerikanische Armeegeheimdienst im Februar 1918 durch Beschlagnahme eines Funkgerätes in der New Yorker Zentrale der WTG deren geheime Nachrichtentätigkeit für gewisse deutsch-amerikanische Finanzkapitalisten zerschlagen. Es half nichts, daß die WTG danach umschwenkte und am 15. März und 15. April 1918 sich zu politischen Kompromissen mit der nun herrschenden Kriegspartei in den USA bereit erklärte, den Kriegseintritt der USA anerkannte, die kriegsfeindlichen Seiten aus dem Band 7 der Schriftstudien herausriß und zum Gebet für den Sieg der amerikanischen Waffen aufrief. Im WT-Buch "Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben" heißt es darüber: "Wir haben nicht die Absicht, der Aushebung oder dem Krieg entgegenzuarbeiten". So wurden die Seite 247 bis 253 aus dem Buch .Das vollendete Geheimnis' (engl.) herausgeschnitten. In Übereinstimmung mit einer vom Kongreß der USA gefaßten Resolution und der Proklamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten wird angeregt, daß das Volk des Herrn allenthalben den 30. Mai zu einem Tag des Gebets und Flehens mache. Möge Gott Lob und Dank dargebracht werden für den verheißenen wunderbaren Ausgang des Krieges. Überlegt einmal, warum wohl die WTG das alles machte. Warum wohl. Es war doch in der Zeit, wo 1914 die Schlacht von Harmagedon stattfinden sollte und nicht stattfand. Genau verfolgt ist festzustellen, daß Rutherford schon 1909 wußte, daß Harmagedon 1914 nicht kommt. Nach dem Krieg schrieb er dann, daß 1925 der "Befreiungsmorgen" hereinbrechen würde. Als 1925 wieder nichts eintrat, wurde 13 Jahre lang keine Zeit mehr angegeben.

Zur damaligen Zeit um 1930 hattte die WTG auch 12 Radiosender und Verträge mit vielen kommerziellen Rundfunkstationen. Auch das gibt zu denken. Warum verkauften diese kapitalistischen Rundfunkstationen der WTG so viele Sendezeit, wenn gleichzeitig alle fortschrittlichen oder auch kommunistischen Kräfte vom Rundfunk ferngehalten wurden? Hatten die Kompromisse der WTG im Kriege ein "Vertrauenskapital" aufgebaut? Oder wurden die laufenden Harmagedonversprechungen als ein willkommenes Mittel zur Ablenkung vom sozialen Kampf gegen den Kapitalismus betrachtet? [Hier überzeichnet Pape. Er läßt außer Betracht, daß das WTG-Rundfunkengagement keineswegs dauerhaft war, dass sie vielmehr zunehmend aus diesem Medium "vertrieben" wurde] .

Die angestrebte Massenverbreitung der WTG-Zeitschrift "Das Goldene Zeitalter" bestätigt das offensichtlich. In Nr. 10 vom 15. Mai 1931 hieß es z. B.: In kurzer Zeit erhöhte sich die Abonnementzahl von 350 000 auf 400 000 und nun heißt die Devise 500 000. Wir sind sicher, daß jeder Leser drei bis vier andere interessieren kann.

Es gab damals auch einen politischen Film, "Im Westen nichts Neues", eine Art Antikriegsfilm. Die WTG schrieb: Alle Welt hat gehört von dem Verbot des Filmes. "Das Goldene Zeitalter" ist in der Lage, in der nächsten Nummer seinen Lesern reichhaltiges Bildmaterial und anderes über diesen Film zu veröffentlichen. Sicher werden viele Leser eine Anzahl dieser Nummer wünschen Wir sind bereits drei Stück dieser Nummer zum Ausnahmewerbepreis von 10 Pfennig abzugeben und durch unsere Austräger aushändigen zu lassen. - Vergeblich sucht man hier eine Beziehung zum Evangelium. Alles ist nur reine Zweckpropaganda, ein Reiten auf der Welle des damaligen politischen Pazifismus und ein Locken mit "verbotenen Früchten". Sind das nicht eher Werbetricks als Predigtmethoden Jesu? [Auch diese Aussage kann so nicht kommentarlos bleiben. Pape erwähnt nicht, dass gerade die Nazis es waren, die eine gezielte Kampagne gegen "Im Westen nichts neues" in Szene setzten. Die diesbezügliche Filmvorführungen beispielsweise mit "Stinkbomben" platzen ließen und auch ansonsten allerlei Druckmittel einsetzten um gegen den diesbezüglichen Pazifismus dieses Romans und Films vorzugehen. Wenn die WTG in dieser Auseinandersetzung sich auf die Seite der pazifistischen Kräfte stellte .- Die offiziellen Kirchen standen nicht dort - Dann kann man das meines Erachtens nicht generell "negativ" bewerten. Ich halte es bei der Bewertung solcher geschichtlichen Vorgänge eher mit der These, die meines Erachtens auf die WTG viel besser passt: "Die Progressiven von gestern - die Konservativen von heute!" ]

Im Buch "Regierung" S. 239 (1928) wurde die grundsätzliche Verurteilung von Kommunismus, Sozialismus und Sowjetregierung mit den Worten verkündigt: "Die Sowjetregierung ist kein Erfolg gewesen und wird es nie sein. Der Bolschewismus . . . wird von vielen anderen Nationen und Regierungen der Erde mit Recht gefürchtet." Im "Goldenen Zeitalter" vom 1. Januar 1932 gibt es zwischendurch aber solche Töne: "Während wir erkennen, daß nur das Königreich des Herrn die verworrenen Verhältnisse der Erde wieder in Ordnung bringen kann, ist es doch offensichtlich, daß auch die Sowjets die Verderbtheit des kirchlichen, des politischen und finanziellen Systems erkennen. Sie lehnen diese Systeme ab. Da sie nun diese unheilige Dreieinigkeit angreifen, werden sie von der Presse' besonders von so konservativen Zeitungen wie die Londoner 'Daily Mail', angefeindet und verleumdet. Ich bin zweimal in Rußland gewesen und möchte gern das dritte Mal in das Land gehen. wo ich gerade da Gegenteil von dem erlebte, was in den blutrünstigen Zeitungsberichten geschildert ist. Ich habe dort viel Anstand und Zuvorkommenheit gefunden. Unter der alten Regierung waren viele Frauen zur Unsittlichkeit verdammt, die jetzige Regierung bemüht sich, Moral und Sitte zu heben." Das ist natürlich keineswegs eine Entlarvung der kapitalistischen Propaganda über die Sowjetunion. Die WTG sichert sich gleich zu Beginn deutlich ab, indem sie sagt, "nur das Königreich", , d. h. nur durch ihr Harmagedon könne, auf Erden Ordnung geschaffen werden. Auch die Sowjets können das also nicht. Die Quintessenz ist somit, das die WTG hier nur "die Kirchen mit den Waffen ihrer Feinde zu schlagen" versucht oder antiklerikale Äußerungen vor den Karren ihres eigenen Kirchenkampfes zu spannen versucht. Dabei werden einige Zugeständnisse an die Sowjetregierung in sittlicher Hinsicht gemacht, um seriös zu erscheinen. Auch erschien das, soweit bekannt ist, nur im deutschen "Goldenen Zeitalter" in einer Zeit vor der faschistischen Machtergreifung, in der die Hitlerfaschisten noch mit antikapitalistischer Demagogie arbeiteten. Es muß wieder gefragt werden, sind das Predigtmethoden Jesu? Das ist doch nichts weiter als geschickte Ausnutzung politischer Situationen um selbst "hochzukommen".[Auch vorstehende Aussage fordert zur Präzisierung heraus. In "Regierung" schoß Rutherford nicht "nur" Breitseiten gegen die Sowjetunion. Es laßen sich auch solche gegen politische Kräfte in den USA nachweisen. Auch das verschweigt Pape. Meines Erachtens bedienten die Bibelforscher/Zeugen Jehovas zu damaliger Zeit eine ähnliche "Klientel" wie die Kommunisten. Der wesentliche Unterschied bestand nur darin, dass für die Kommunisten das Thema Religion in der Regel "abgetan" war, während die Bibelforscher eben eine religiöse Sozialisation als ihre grundlegende Ausgangsbasis ansahen. Was die Beschreibung der Verhältnisse in der Sowjetunion anbelangt, läßt sie ein wesentliches Element außer Betracht. Den Totalitarismus. Die Niederwalzung alles dessen was nicht auf der Lenin/Stalin-Linie lag. Im übrigen hat gerade die zitierte Passage aus dem GZ eine scharfe Drohung zur "Abrechnung" provoziert seitens der Nazis: die das GZ auch abdruckte. Insofern ist die von Pape vorgenommene Bewertung des Pro-Sowjetunion-Artikels im GZ so nicht hinnehmbar.] ...

Auch die Vietnamkriegsstimmung wurde ausgenutzt. In "Erwachet" vom 22. 9. 1965 wurde ein Artikel gebracht, in dem eine scheinneutrale Haltung eingenommen wird: "Das Vietnamproblem hat bestimmt zwei Seiten. Es ist gut, sie beide zu kennen. Ungeachtet, welche Ansicht jemand in dieser Sache vertreten mag . . .'. Indem die WTG aber von "Rebellen" in Vietnam spricht und von "einer wirklichen Bedrohung" durch "die Ausbreitung des Kommunismus" in Vietnam, hat sie die Haltung der USA-Regierung eingenommen und propagiert diese. Sie hat damit eine verbrecherische Kriegspolitik unterstützt, die nun in den USA selbst verurteilt wird. Wieder. Christliche Evangeliumsverkündigung? Das ist doch Ausnutzung politischer Konjunktur! Man fragt sich nur noch, wofür, für wen.

Auch die WTG-Haltung zum faschistischen Umsturz 1973 in Chile ist bezeichnend. Sicher ist keinem aufrichtigen Christen die faschistische Unmenschlichkeit in Chile gleichgültig, wenn man z. B. vor den Augen der Mutter ihrem drei Monate alten Kind die Arme bricht. Nicht einmal ein Stichwort zu diesem Terror gibt es in den Registern des "Wachtturm" und "Erwachet" seit 1973. Der einzige Registerhinweis lautet "Chile: wandern 8. 12. 24-28 (1973)". Man denkt es werden vielleicht Urlaubswanderungen in Chile empfohlen. Das faschistische Regime in Chile wird von der WTG nicht angegriffen und entlarvt, sondern auffallend geschont.

Das alles und vieles andere muß einem Betrachter auffallen. Sind das nicht Verstrickungen, die alles andere besagen, als eine "neutrale" und "unpolitische" Tätigkeit? ...

ZurIndexseite