Re: Blessuren blieben


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 02. August 2004 06:46:40:

Als Antwort auf: Re: Zur Abrundung geschrieben von Drahbeck am 31. Juli 2004 15:36:56:

Im Rahmen einer Diplomarbeit für das Pädagogikstudium, beschreibt die Autorin, Ursula Neitz, unter dem Titel "Weltenwechsel", aufgrund von Texteditionen, vorher auf Band aufgenmmener Interwiews, den Entwicklungsweg zweier vormaliger Zeuginnen Jehovas näher. Wie schon der Titel "Weltenwechsel" andeutet, sind diese Biographien letztendlich nicht "bruchlos" verlaufen. Die Autorin, selbst eine ZJ-Sozialisation hinter sich habend, empfand offenbar das darstellen von Fällen, außerhalb der eigenen Biographie, als geeignet, entsprechende Konfliktsituationen deutlich zu machen. Inwieweit ihre gewählten Fälle typisch sind, mag man mit einem Fragezeichen versehen. Aber als generell untypisch kann man sie sicher nicht bezeichnen.

Ihr zweites Fallbeispiel, von ihr "Anja" genannt, unterscheidet sich schon mal dadurch, dass ihre Eltern der ansonsten Zeugentypischen Mißachtung höherer Bildungsstufen für ihre Kinder, so nicht stattgaben. Immerhin brachte es auch dann die "Anja" zum Pionier für die Zeugen Jehovas. Zusammen mit ihrem Mann zogen sie gar in ein Gebiet, wo die Zeugen noch nicht so präsent waren, um den dortigen Versammlungsaufbau zu stärken. Hier allerdings mussten sie alsbald erfahren, dass ihr zusehends immer liberaler verstandenes Zeugen Jehovassein (grob gesprochen den lieben Gott eine guten Mann sein lassen und mehr der Gemeindesoziologischen Seite zugetan. Das "Brüder und Schwestersein" also allzu wörtlich verstanden). Das diese Tendenz durchaus nicht im Sinne der WTG liegt und entsprechende Maßregelungen nach sich zog.

Diese Ernüchterung, die sich in Trippelschritten der Entfernung von der WTG fortsetzt, sollte noch andere Ernüchterungen nach sich ziehen. Beispielsweise die, dass bisher als Grundlage auch der eigenen Ehe gesehene Zeugen Jehovassein, nach dessen Wegfall die Frage verschärft auf die Tagesordnung setzte: Welche Grundlage gibt es denn für die weitere Ehe noch? Offenbar gab es auf diese Frage keine Antwort im Sinne eines Happyend.
Insofern hier ein Fall vorliegt, der nicht von prinzipieller Bildungsfeindlichkeit geprägt ist, konnte "Anja" durch Forcierung ihrer Bildungsanstrengungen, etwa durch die Aufnahme eines Studiums, sich einen gewissen Ausgleich verschaffen.

Das andere Fallbeispiel, von der Autorin "Clara" genannt, hingegen hatte Eltern die auf dem Bildungsfeindlichen Kurs der WTG mitschwammen. Auch hier blieb eine Ernüchterung letztendlich nicht aus. Diese Ernüchterung äußert sich beispielsweise in solchen Passagen wie:

"Es war da auch wieder so, dass ich viele Sachen gar nicht mitmachten durfte - damals war ich ja erst 15 als ich meine Lehre anfing. Und zu den Weihnachtsessen der Firma da durfte ich immer nicht mitgehen , das hat den Chef schon geärgert und ich musst mir dann seinen Ärger anhören. Ich würde das Betriebsklima verderben, wenn ich nicht mitmachen würde. Dabei konnte ich doch gar nichts machen, mein Vater hätte mich nie gehen lassen."

Auch sie fühlt sich durch die raue Wirklichkeit in der vergleichsweisen Situation einer Nichtschwimmerin, die von einem 5 Meter Sprungturm ins kalte Wasser gestoßen wurde. Den "Sprung" hat sie zwar überstanden, aber "Blessuren", auch dauerhafter Art, die blieben. Auch davon kann man in diesem Buch lesen.

Erschienen auch im Buchhandel, im IKS Garamond Verlag, Jena , in der Reihe "Religio". ISBN 3-934601-81-2


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