Re: Zur Abrundung


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 31. Juli 2004 15:36:56:

Als Antwort auf: Re: Zur Abrundung geschrieben von Volker am 31. Juli 2004 11:14:06:

Ich denke mal, man sollte bei solch abwertenden Urteilen, auch einmal die Frage stellen. Weshalb gibt es diese Schroffheit? Könnte es nicht sein, dass sich dahinter auch eine irreversible Verletzung offenbart!?
Es ist meines Erachtens zu oberflächlich, nur an einer gewissen Schroffheit Anstoß zu nehmen; ohne zugleich den Versuch des Verstehens, wenigstens mal zu starten.

Verletzungen irreversibler Art können vielerlei Gründe haben. Erfahrungsgemäß ist es selten nur "einer". Eher ist es da ein ganzer Katalog solcher Gründe, die sich da angesammelt hat. Irgendwie wird sich das früher oder später bemerkbar machen; dieweil das mit der "heilen Welt" bei den Zeugen Jehovas, vorne und hinten nicht stimmt. Auch anfängliche Revolutionäre können im laufe der Zeit noch abgeklärter werden. Insofern sollte man jedem einen entsprechenden Entwicklungsspielraum zubilligen.

Zur Zeit sehe ich mir gerade ein Buch etwas näher an (Ursula Neitz: Weltenwechsel). Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich sicherlich darauf noch mal etwas ausführlicher zu sprechen kommen. Frau Neitz stellt auch ein Fallbeispiel mit vor, dass sie "Clara" nennt. Wie in einem Brennglas widerspiegeln sich da die ZJ-typischen Probleme. Angefangen von der Erziehung zum Außenseitertum in den Schuljahren, über die Beschränkung der Bildungsmöglichkeiten (eine einfache Ausbildung tut es doch auch), bis zu solchen Details. Beide Eltern sind beruflich stark eingespannt. Auch ohne ZJ-Glauben hätte man sie als überlastet einschätzen können. Nun haben sie aber noch zusätzlich den ZJ-Glauben. Und was zu befürchten war trat ein.

An unpassendster Stelle macht sich diese Überlastung bemerkbar. Mit der Folge. Die Mutter ereilt ein zeitweiliger Ausschluss. Der wiederum hat zur Folge, dass der Vater seinen Ältestenposten verliert. Tränen hat er darüber vergossen. Wie die Autorin richtig feststellt. Nicht so sehr wegen des Schicksals, dass seine Ehefrau ereilte, sondern wegen der sich daran anschließenden Konsequenz: Dem Verlust seines Ältestenamtes.

Sie fangen sich wieder. Werden wieder treue Zeugen. Wie selbstverständlich orientiert ihre Erziehung auch dahin. Die Kinder haben den gleichen Weg einzuschlagen. Die "freiwillige" Taufentscheidung der Tochter kommt so, auch nur mittels massiven familiären Druck zustande. Ehekandidaten - nur aus den Reihen der ZJ denkbar. Und da war dann tatsächlich ein solcher vorhanden. Von "Auswahl" sollte man dabei lieber wohl nicht reden. Alle reden massiv auf sie ein. Den, nur den, kannst Du als Heiratskandidaten wählen.

Die Ehe läuft mehr schlecht als recht. Bis eines Tages es die junge Frau vorzieht, mitsamt ihrem Kind, quasi über Nacht die Ehewohnung zu verlassen. Eine eigene Wohnung hatte sie sich kurzfristig besorgt. Mit dieser Kurzskizzierung mag als dann erst mal sein bewenden haben. Das sie heute keine Zeugin mehr ist, versteht sich selbstredend. Aber welch abgrundtiefe Kluft an Verletzungen, irreversibler Art sich da auch auftun können, kommt meines Erachtens auch in dem Zitat über die nachfolgende Episode zum Ausdruck:

"Mein Vater ist letztes Jahr gestorben und ich sollte nicht kommen, nicht zum Essen zu meiner Mutter kommen. Auf der Beerdigung hat niemand mit mir gesprochen. Ich stand da, als würde ich - ja - nicht dazu gehören. Niemand hat mir kondoliert. Sie taten alle so, als wäre ich eine Fremde - als würde ich nicht dazugehören zu der Familie. Tue ich ja auch nicht mehr. Jedenfalls nicht zu deren Leben."


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