Re: Tertullian


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 07. Juli 2004 15:42:54:

Als Antwort auf: Re: Falls es hier immer noch jemanden interessiert geschrieben von Ottonio am 07. Juli 2004 12:17:38:

Zu dem von Ottonio mit genannten Tertullian vielleicht noch ein paar Ergänzungen. Nicht direkt in Beziehung zum Thema stehend, aber doch indirekt.
Der um 160 in Afrika (Karthago) geborene Tertullian hatte einen Vater, der Offizier in der römischen Armee war. Er absolvierte eine Juristenlaufbahn. Erst gegen das Jahr 195 schloss sich Tertullian den Christen an; und zwar einer Gruppe, die wir im heutigen Sprachgebrauch eher den Sekten zuordnen würden, den Montanisten. Die Mehrheit der Christen hatte die Endzeit-Naherwartung zu jener Zeit bereits beerdigt. Nicht so die Montanisten.

Für die WTG ist Tertullian auch dergestalt interessant, dass sich bei ihm eine Ablehnung des Essens von Blutwurst nachweisen lässt, wovon auch der nachstehende Auszug aus seinem "Apologetikum" kündet:


Gleichwohl wird grosskirchlicherseits Tertullian als derjenige bezeichnet, der zuerst den Begriff "Trínität" als festem kirchliches Dogma in den kirchlichen Sprachgebrauch einführte. Das wiederum passt der WTG nicht so recht, und sie bemüht sich das nach Kräften wegzuerklären.

Aus seinem "Apologetikum" ein paar Auszüge, entnommen der Edition "Bibliothek der Kirchenväter".
"Wir sind also beim zweiten Anklagepunkt angekommen, dem der Verletzung einer noch höheren Majestät, da ihr ja dem Kaiser mit größerer Furcht und erfinderischer Ängstlichkeit dient als dem olympischen Jupiter selbst. ...

Wir beten allezeit für alle Kaiser um ein langes Leben, um eine ungestörte Herrschaft, um die Sicherheit ihres Hauses, um tapfere Heere, einen treuen Senat, ein rechtschaffenes Volk um die Ruhe des Erdkreises und welche Wünsche sie immer als Mensch und als Kaiser haben mögen. ...

Die Christen gelten also deshalb für Feinde des Staates, weil sie den Kaisern keine sinnlosen, lügenhaften und vermessenen Ehrenbezeugungen zollen, weil sie als Anhänger der wahren Religion auch die Festlichkeiten des Kaisers mehr im Herzen als durch Ausgelassenheit feiern....

Wir werden aber auch noch auf einen anderen Titel hin der widerrechtlichen Schädigung angeklagt: man sagt, wir seien unnütz für das geschäftliche Leben. Wie? Leute, die mit euch zusammenleben, Leute von derselben Lebensweise, Kleidung, Einrichtung und denselben Bedürfnissen des Lebens? ...
Wir betreiben mit euch zusammen die Schifffahrt, TUN MIT EUCH KRIEGSDIENST (Herhorhebung von mir), treiben Ackerbau ..."

Worum ging es Tertullian? Einmal doch wohl um ein spartanisches Leben, auch gesponsert aus der Endzeit-Naherwartung. Auf die Neuzeit übertragen: Der Hitlergruß hätte in ihm einen scharfen Widersacher gefunden. Er hielt auch nichts von der römischen Philosophie "Brot und Spiele"; verwahrt sich strikt dagegen, etwa Zirkusveranstaltungen und ähnliches als Christ zu besuchen. Seine mit zu nennende Schrift "Vom Kranze des Soldaten", ist meines Erachtens indes KEIN Beleg, einer prinzipiellen Wehrdienstgegnerschaft. Vorbehalte hatte er ohne Zweifel. Menschenverherrlichung ist ihm zuwider. Aber er sagt auch, wie zitiert "Tun mit euch Kriegsdienst". Ihn daher zum Ahnvater der Kriegsdienstverweigerer zu küren, erscheint angesichts dessen etwas deplatziert.
Seine Sympathie für die Montanisten spiegelt sich denn auch in solchen Thesen wider, wie der: „Da auch die Zeiten der Erfüllung der gesamten Hoffnung in der Heiligen Schrift festbestimmt sind, auf das sie nicht früher verwirklicht glaube als bei der Wiederkunft Christi, so strecken sich unsere seufzenden Wünsche nach dem Untergang dieses Säekulums und damit nach dem Vergehen dieser Welt zu dem großen Tag des Zorns und der Vergeltung."

Seine Anfälligkeit für allerlei Datenspekulationen, kann man auch dem nachfolgenden Textausriss entnehmen

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Im 5. Jahrhundert war es dann einem Papst noch vergönnt, die Schriften des Tertullian in die Liste der verbotenen Literatur zu setzen. Ein Zeichen dafür, dass die jetzt schon total verweltlichte Kirche nicht mehr die Hinweise auf eine gewisse Distanz zum Staat, aus der Zeit des Urchristentums, ertragen konnte.

Da Tertullian auf die montanistische Endzeit-Naherwartungslinie eingeschwenkt war, stellte es für ihn auch keinen Bruch dar, sich auch auf jene Schriften aus der Periode des Frühchristentums zu berufen, welche die siegreiche Catholica nicht mehr gebrauchen konnte und denen sie daher die Aufnahme in den Bibelkanon verwehrte.
Symptom dafür ist auch die Aussage:
"Wenn er sagt, er wisse sehr gut, daß das Buch Henoch von gewissen Leuten nicht als kanonisch angenommen werde, aber er machte sich nichts daraus, sondern zitierte es wie eine inspirierte Schrift."

Es ist somit ein Paradebespiel dafür, dass offenbar Licht und Schatten mehr als kräftig vermengt waren, und dass eine Interessegeleitete Vermarktung durch Gruppen in der Neuzeit, mehr als fragwürdig ist.


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