Re: Neuanfang Wiesbaden


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 30. Mai 2004 06:30:43:

Als Antwort auf: Re: Neuanfang Wiesbaden geschrieben von Drahbeck am 29. Mai 2004 21:08:46:

Ein Beispiel aus dem Bereich der kleineren Religionsgemeinschaften, wie Religionen durch die Besatzungsmächte massiv gefördert wurden, kann man auch aus der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft" (Ausgabe Februar 1947 S. 60) entnehmen. Da schreibt eine Evelyn Francis (London):

„Anfang September 1946 erhielt ich von der Britischen Kontrollkommission für Deutschland die Erlaubnis, die Gemeinden der Christengemeinschaft in der englischen Zone zu besuchen. In der Nacht vom 12./13. September konnte ich die deutsche Grenze überschreiten. …Ich war mir bewußt, dass ich als der erste Bote und Abgesandte nach dem Kriege alle englischen Freunde bei den deutschen Freunden zu vertreten … hatte.

Die Reise wurde mir ermöglicht durch die englische Besatzungsarmee, in die ich zum Zwecke des Reisens und der Unterbringung als Mitglied aufgenommen wurde. Das war notwendig, weil noch keine Zivilreisen von Engländern nach Deutschland erlaubt waren. Als ich mich zu meinem eigenen Erstaunen mit Papieren ausgerüstet fand, auf denen es unter meinem Namen hieß 'Oberst V.I.P.' (very important Person, sehr wichtige Persönlichkeit), schien mir das doch ein Zeichen für die Anerkennung, die die Gesamtchristengemeinschaft heute bereits als in sich gegründete Kirche errungen hat. Das war für mich um so günstiger, als ich bei aller Hilfe, die ich durch die Behörden erfuhr, doch volle Freiheit behielt mein eigenes Programm durchuführen, so daß ich meine ganze Zeit auf das Zusammensein mit den deutschen Gemeinden verwenden konnte."

Ähnliche Grundsätze dürften auch im Falle der Zeugen Jehovas zur Anwendung gekommen sein.

Blies man den Religionen „Zucker in den Allerwertesten" um es mal krass zu formulieren, so sah es am anderen Ende des Spektrums ganz anders aus. Die in der Weimarer Republik eine beachtliche nominelle Mitgliedschaft erreichenden Freidenker-Organisationen, konnten sich nach 1945 nicht mehr erholen; sowohl in Ost wie West.

Im Osten deshalb, weil die dortige sogenannte Einheitspartei jeglichem Pluralismus abhold war. Zaghafte Ansätze zur organisatorischen Neuformierung wurden radikal niedergebügelt.
Der Osten war sich klar. Religion wird weiter leben. Auch nach 1945. Auch in seinem Machtbereich. Was er aber wollte und auch weitgehend durchsetzte, war eine „amputierte" Religion. Am besten eine solche, die sich auf „Halleluja"-Gesänge reduzierte und ansonsten nichts von sich hören und sehen ließ. Ganz so, hat es dann mit dieser Zielstellung nicht geklappt, das ist zur Genüge bekannt. Aber in dieser Konzeption war einfach kein Platz mehr vorgesehen für Religionskritiker, als die sich die Freidenker doch verstanden. Deshalb ihre Unterdrückung; deshalb auch die Hofierung des SED-Transmissionsriemen Ost-CDU und anderes mehr.

Im Westen gab es zwar theoretisch Pluralismus; praktisch war der aber erst mal vom Geldbeutel diktiert. Nur wer Geld und Macht hatte, konnte sich auch artikulieren. So ist aus der Literatur bekannt, dass der Springer-Presse der nicht sachlich dementierte Vorhalt gemacht wird, in der Gründungsphase sich des Wohlwollens, wenn nicht gar mehr, der CIA erfreut zu haben. Das war die Presse-Verblödungs-Konzeption, wie sie den Amerikanern vorschwebte. „F… und besoffen sein. Des kleinen Mannes Glücklichsein". Genau diese Konzeption bediente Springer. Sex eingestreut in ansonsten eher der Unterbelichtung, denn der Bildung dienenden Presseerzeugnissen.

Um zum Thema zurückzukehren. Es ist bezeichnend, dass es den Freidenkern nicht gelang, schon zu Zeiten der Besatzungsmächte, organisatorische Ansätze wieder zu beleben. Das war erst möglich, nachdem die Besatzungszeit vorüber war und hatte zur Folge, dass in den erfolgten Weichenstellungen, der Zug für sie bereits abgefahren war. Kahl/Wernig etwa schreiben in ihrem 1981 erschienenen Buch „Freidenker. Geschichte und Gegenwart" (S. 62):
„Zunächst waren es die drei Alliierten, die in ihren Westzonen einer überregionalen Freidenkerorganisation Widerstände entgegensetzten. In dem Maße, wie sich die westlichen Besatzungsmächte gegenüber den klerikalen Forderungen offizieller kirchlicher Kreise, die durch den antifaschistischen Widerstand einzelner christlicher Persönlichkeiten unter der Naziherrschaft ihr durch Kollaboration diskreditiertes Image wieder aufzuputzen verstanden, zugänglich zeigten verhielten sie sich andererseits reserviert gegenüber den Bestrebungen der Freidenker, die sich als atheistisch und sozialistisch definierten. Im Zuge ihrer … Neuordnungspläne Deutschlands betrachteten sie die Freidenkerbewegung als überflüssig oder lästige Erinnerung an eine frühere Kampfgemeinschaft."


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