Re: Warum sich um den Kram anderer kümmern?


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 13. Mai 2004 13:05:02:

Als Antwort auf: Re: Warum sich um den Kram anderer kümmern? geschrieben von Abaddon am 13. Mai 2004 11:13:30:

Es ist sicherlich richtig, dass ein Vergleich im Wortsinne, bei der Verwendung der Vokabel „Taufscheinchrist" hinkt. Schon wegen des Prinzips der Erwachsenentaufe bei den Zeugen, die ja in der Regel eine bewusste Entscheidung voraussetzt, nachdem das dafür notwendige Euphorieklima herbeigeführt wurde. Respektive die von Kindheit an eingeatmete Indoktrination ihre Wirkung zeitigt. Wirkung auch deshalb zeitigt, weil eine anders geartete Entscheidung, in der Regel erst mal mit einem familiären Bruch identisch ist. Und wenn die Familienverhältnisse halbwegs geordnet sind, was ich mal voraussetze, werden sich die wenigsten in diesem Klima, zu dem Zeitpunkt wo traditionellerweise die Taufe ansteht, zu einer anders gearteten Entscheidung durchringen.

Das kommt, wenn es denn kommt, in der Regel später. Auch die WTG weiss, die entscheidenden Weichen werden im Frühkindalter gestellt. Was Hänschen gelernt, vergisst es als Hans nicht so schnell. Diejenigen, die sich von der WTG wieder abseilen, sind und werden wohl die Minderheit bleiben. Auch aus anderen totalitären Organisationen, man vergleiche mal den Bericht des Wolfgang Leonhard („Die Revolution entlässt ihre Kinder"), wird man vergleichbares nachweisen können.

Was das Thema Wehrdienst anbelangt, bestehen auch da in der Tat qualitative Unterschiede zu anderen Kirchen und Gemeinschaften. Unbestritten sind auch in der Gegenwart die Zeugen Jehovas die Gruppe, die da am aktivsten in Erscheinung tritt. Nur, man vergesse nicht den Schwenk in der Wehrersatzdienstfrage. Faktisch über Nacht (1996) „erlaubte" das Gewissen der überwältigenden Mehrheit aller in Betracht kommenden Zeugen Jehovas, diesen nunmehr tun zu können. Während davor das gleiche Gewissen dies nicht erlaubte. Wer das als Ausdruck von Fremdsteuerung und Gruppendruck wertet, wird wohl der Wahrheit sehr nahe kommen.

Dann noch dies. Zeugen Jehovas in Deutschland sind mehr oder weniger erst in der Zeit n a c h dem ersten Weltkrieg präsent. Die es davor hierzulande schon gab, waren eine geringe Zahl. Teilweise auch noch in die Schismagruppen nach dem Machtantritt Rutherfords aufgegangen. Man kann wirklich sagen, schon in den zwanziger Jahren waren mindestens 90% der deutschen Bibelforscher/ZJ erst nach 1918 zu dieser Organisation hinzugekommen.

Was hatte man vor 1918, organisatorisch schon an materiellen Reichtümern in Deutschland? Außer dem Barmer Büro, und der zusätzlichen Mitteilung in den deutschen WT-Jahrgängen vor 1918, dass alles sei noch defizitär. Brooklyn müsse ständig Zuschüsse gewähren. Also vor 1918 und auch danach in der Inflation, sah es mit materiellen deutschen Besitztümern der WTG mal mager aus.

Da bietet sich doch der Vergleich beispielsweise zu den Siebenten-Tags-Adventisten an. Die konnten schon einige Jahrzehnte früher auf deutschem Boden Fuß fassen. Und nicht zu übersehen. Sie verfügten schon in den Jahren vor 1914 über bedeutende Immobilien und sonstige materielle Werte. Durch den ausbrechenden Weltkrieg waren sie genauso herausgefordert. Und da kam die „Nagelprobe". Wehrdienst zu leisten ist Verrat sagten einige aus ihren Reihen. Sie standen auch zu dieser Meinung. Das waren für sie keine leeren Worte. Aber sie konnten sich trotzdem nicht durchsetzen. Warum? Weil die verantwortlichen Funktionäre der STA sich darüber im klaren waren: Wird das die offizielle Position der Gesamtorganisation, schlägt der Staat erbarmungslos zurück. Und sie, die Funktionäre, in Personalunion auch faktischer Nutznießer der materiellen Besitztümer der STA, haben einiges zu verlieren. Also wählte man den Weg des lavierens. Und jene, die sich partout dem nicht beugten, wurden zur Separation gezwungen. Die Separierten bestehen zwar noch heute. Aber auch sie sind zeitlebens nie über den Status einer Splittergruppe innerhalb des Adventismus hinausgekommen.

Den Bibelforscher/Zeugen Jehovas ist diese Art von Belastungsprobe schon aus dem Grunde erspart geblieben, weil sie zur fraglichen Zeit nichts nennenswert materielles als Organisation zu verlieren hatten. Das sollte sich dann zwar noch zur Zeit des Hitlerregimes ändern. Aber da bestand schon eine grundlegend andere Ausgangsposition.

Das Hitlerregime machte Tabula rasa mit den Zeugen. Nicht „nur" wegen der Wehrdienstfrage (das sicher auch). Aber die Wehrpflicht wurde in Deutschland erst 1935 wieder eingeführt. Der Konflikt ZJ/Hitlerregime datierte schon davor, und hatte auch primäre andere Hauptursachen.

Die Geschichte ist weiter gegangen. Heute besitzt die WTG in Selters, (auch Wien und Thun) große Liegenschaften. Der Staat begünstigt sie auch ohne KdöR-Status schon dahingehend, dass er ihre Druckerzeugnisse als nicht kommerziell einstuft, was erhebliche Steuerersparnisse zur Folge hat. Theoretisch gibt es noch etliche örtliche ZJ-Versammlungen, die formal den „e.V. Status" haben. In den diesbezüglichen juristischen Schriftsätzen indes ist eindeutig festgeschrieben. Sollte es aus was auch immer für Gründen zur einer Auflösung der örtlichen e.V. kommen, verfällt das materielle Eigentum der WTG. Sämtliche Königreichssaal-Neubauten der letzten Jahre, sind Grundbuchmäßig auf dem Namen der WTG eingetragen. Auch so ist im Konfliktfall abgesichert, dass die materiellen Werte in der alleinigen Befugnis der WTG bleiben.

Diesem Lande ist in den letzten Jahrzehnten ein Krieg auf dem eigenen Territorium erspart geblieben (was hoffentlich auch so bleiben möge). Sollte sich diese Großwetterlage, aus welchen Gründen auch immer einmal verändern; wird sich die deutsche Funktionärsschicht der Zeugen in der gleichen Situation befinden, wie weiland schon die Funktionärsschicht der Adventisten zur Zeit des ersten Weltkrieges.

Wer die Geschichte der Mennoniten, der Quäker (oder der Church of Brethen in den USA) detailliert einmal nachgegangen ist, der weiss, dass auch vormalige Wehrdienstverweigererorganisationen einknicken, wenn die Rahmenbedingungen sie dazu zwingen.


ZurIndexseite