Re: Zeugen Jehovas - Sekte ??


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 07. Dezember 2003 15:38:33:

Als Antwort auf: Zeugen Jehovas - Sekte ?? geschrieben von Günter am 07. Dezember 2003 14:11:54:

Im allgemeinen Sprachgebrauch (linguistische Wortklaubereien mal beiseite lassend), ist der Begriff "Sekte" negativ besetzt. Weiter, geschichtlich haben ihn besonders die sogenannten "Großkirchen" eingeführt und auch reichlich verwandt. Inzwischen ist man auch dort etwas zurückhaltender geworden; was zum Beispiel in solchen Wortschöpfungen wie "religiöse Sondergemeinschaften" und ähnliches zum Ausdruck kommt. Diese Wortkreationen vermögen sich allerdings nach wie vor nicht gegen den "eingebürgerten" Begriff Sekte durchzusetzen.

Weiter ist feststellbar, dass die "Großkirchen" nach wie vor der Versuchung erlegen sind, der inflationären Verwendung des Begriffes Sekte Vorschub zu leisten. Insbesondere dann, wenn sie neue Konkurrenz "am Markt", den sie doch so gerne für sich allein hätten, aber nicht mehr haben, wahrnehmen. Bestes Beispiel Friedrich-Wilhelm Haak, Vater des Begriffes "Jugendreligionen". Vielfach noch nicht mal so bezeichnet, sondern einfach "Jugendsekten".
Der Begriff ist durchweg schief. Schon weil die Klientel die da beschrieben ist, in der Praxis keineswegs "nur" auf Jugendliche beschränkt ist. Kritiker meinten deshalb wohl nicht ganz zu unrecht. Haak habe da besonders auf die Jugendschutzgesetzgebung geschielt. Gelingt es eine Gruppe als "Jugend"sekte zu stigmatisieren, kann man um ein vielfaches leichter sagen:

Seht, die verletzten unsere Jugendschutzgesetze. Wird die gleiche Gruppe nur als Sekte bezeichnet, kommt der weltanschauliche Pluralismus zur Anwendung, der es dem einzelnen gestattet auch den abstrusesten Ideen anzuhängen, solange seine Öffentlichkeitswirksamkeit nicht berechtigte Interessen anderer tangiert.

Bestes Beispiel. Ablehnung von Bluttransfusionen durch Zeugen Jehovas, die unter ungünstigen Konstellationen Todesfolgen haben können. Die Rechtsprechung hat nun entschieden, begeht einer, so religiös verblendet, faktischen Selbstmord, reicht das nicht aus, den Staatsanwalt deshalb zu belangen. Trifft eine ähnliche Sachlage im Falle minderjähriger Kinder zu, kann das schon ganz anders aussehen.

Der "Definitionsmacht" der "Großkirchen" schließe ich mich nicht an. In meiner Sicht sind die "Großkirchen" verweltlichte Sekten, durchaus im Sinne der Negativwertung des Begriffes Sekten. Ihre Verweltlichung hat allerdings dazu geführt, dass etliche Negativerscheinungen die mit dem Begriff Sekten assoziiert sind, bei ihnen nicht oder nicht vordergründig in Erscheinung treten. Gleichwohl blüht auch innerhalb der "Großkirchen" noch ein gewisser "Sektenweizen" (willkürliches Beispiel "Opus Dei" und anderes mehr).

Erfahrungsgemäß sind Intoleranz, Hasstheologie und ähnliches - auch zu nennen Fanatisierung, besondere Merkmale des Negativbegriffes Sekten. Genau solchem kann man in beträchtlichem Umfange auch in Großkirchenähnlichen Gebilden, wie dem Islam beispielsweise begegnen. Diese Negativmerkmale sind also nicht identisch mit soziologischer Kleinheit oder Größe einer Organisation. In meiner Sicht entscheidet sich die Verwendung des Negativbegriffes Sekte nicht an theologischen oder linguistischen Kriterien.

Je Verweltlichungsarmer eine solche religiöse Organisation ist, umso eher würde ich ihr die Kriterien des Sektentums (im weltlichen Sprachgebrauch) zubilligen; auch wenn sie sich "Körperschaft des öffentlichen Rechts"; "Freikirche" oder wie auch immer nennen mag. Namen sind da Schall und Rauch.

Was die Züchtung von Fanatismus und Intoleranz anbelangt, haben die Zeugen Jehovas nach wie vor einen ungünstigen Stellenwert in einer "Wertungstabelle". In der Sache sind sie daher für mich eine Sekte. Formaljuristisch aber nicht. Formaljuristisch sind sie eine Religionsgemeinschaft wie andere, mit unterschiedlichen Eigenheiten und keineswegs mit jenem "Verweltlichungsgrad" der es auch mir ratsam erscheinen ließe, das Wort Sekte lieber dreimal herunterzuschlucken, bevor es einmal ausgesprochen wird.


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