Geschrieben von Drahbeck am 03. November 2003 15:30:52:
Als Antwort auf: Edgar Noske geschrieben von D. am 25. Oktober
2003 08:01:24:
Einem Pressebericht zufolge ist der 1957 geborene Edgar Noske mit 18 Jahren bei den
Zeugen Jehovas ausgetreten. Seine Eltern verblieben aber einstweilen weiter in dieser
Religionsgemeinschaft. Noske versuchte sich mit einigen beruflichen Varianten;
schließlich gelang es ihm, sich als freiberuflicher Kriminal-Schriftsteller zu
etablieren. Ähnliches kennt man bereits von dem Fall des Mike Spillane aus den USA.
Einem seiner neueren Kriminal-Romane gab Noske den Titel "Die Eifel ist kälter als
der Tod". Darin baute er auch eine autobiographisch orientierte Szene mit ein; wie
sich nach vielen Jahren wieder einmal ein Gespräch zwischen Vater und Sohn mit
Religionsbezug ergab.
Seinem Vater lässt er in diesem Dialog sich mit den Worten verbreiten:
»Ich glaube, ich sollte vorausschicken, dass mir nicht mein Glaube abhanden gekommen
ist«, sagte er schließlich. »Im Gegenteil, ich fühle mich Gott näher denn je. Ich
habe mich nur von der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas getrennt. Meine Ämter
hatte ich schon lange zuvor niedergelegt. Ein Mann, dem die Frau weggelaufen ist und der
seine Söhne an Polizei und Bundeswehr verloren hat, macht sich nicht gut als Vorbild.«
»Wir hatten vor zwei Jahren einen Fall von sexuellem Missbrauch in der Versammlung.
Der Täter war einer der Ältesten, das Opfer die vierzehnjährige Tochter einer
verwitweten
Schwester. Die Schwester wandte sich zunächst an mich, weil sie nicht wusste, wie sie
sich verhalten sollte. Zu dritt haben wir den Fall dann dem Rat der Altesten vorgetragen.
Der Beschuldigte hat die Tat zunächst vehement bestritten, und der Rat hat Beweise
verlangt, mit anderen Worten: zwei Augenzeugen.«
»Zwei Zeugen! Wie wirklichkeitsfremd sind diese Leute? Der einzige verwertbare Beweis
wären DNA-Spuren gewesen.« »Die gab es, denn die Mutter hatte die Unterwäsche des
Mädchens aufgehoben. Mit einer Laboruntersuchung wäre der Fall jedoch öffentlich
geworden, und genau das hat der Rat zu verhindern versucht. Sie haben dem Mädchen ins
Gewissen geredet, es sollte bedenken, was es dem Ältesten mit einer Anzeige antäte.«
»So wird das Opfer zum Täter gemacht«, sagte Lemberg. »Es ist nicht das erste Mal,
dass ich von einem derartigen Fall höre. Bloß keine Negativschlagzeilen produzieren.
Schließlich strebt man ja die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts
an.«
»Die Geschichte geht noch weiter«, sagte Arnold Lemberg. »Einige Tage später hat
der beschuldigte Älteste die Tat plötzlich zugegeben. Für mich stand zweifelsfrei fest,
dass er nun ausgeschlossen und angezeigt werden würde. Weit gefehlt. Dem Rat der Altesten
genügte es, dass er die Tat bereute. Er wurde nicht einmal seines Amtes enthoben.«
»Raucher schmeißen sie raus, aber Triebtäter dürfen bleiben.«
»Das Mädchen ist darüber fast verrückt geworden und hat versucht, sich mit Tabletten
das Leben zu nehmen. Ihre Mutter hat sie gerade noch rechtzeitig gefunden und ins
Krankenhaus geschafft. Als ich das erfahren habe, ist mir der Kragen geplatzt, und ich hab
den Kreisaufseher eingeschaltet. Der erklärte sich für nicht zuständig, meinte aber
mich ermahnen zu müssen, keine unüberlegten Schritte zu tun, die dem Ansehen der
Gemeinschaft schaden würden.
Also habe ich nach Selters geschrieben und verlangt, dass der Täter ausgeschlossen und
angezeigt wird. Die Antwort war knapp und eindeutig: Der Bruder habe sich einzig vor Gott
zu verantworten. Außerdem habe er bereut, und damit sei die Sache erledigt.«
»Silent Lambs. Du hättest dich an Silent Lambs wenden müssen.«
»Was glaubst du, was ich getan habe?« Stolz verlieh Arnold Lembergs Zügen einen
gewissen Glanz, und Lemberg zollte ihm still Respekt. »Natürlich nach Abstimmung mit dem
Opfer und seiner Mutter. Gleichzeitig bin ich ausgetreten.«
»Es gab mal eine Zeit, da habe ich geglaubt, die Zeugen Jehovas seien
wenigstens moralischer als andere Religionsgemeinschaften«, sagte Lemberg. »Heute weiß
ich, dass nicht einmal das stimmt. Wobei ich das Gros der Mitläufer nicht für schlechter
halte als das Gros der Katholiken und Protestanten. Aber hier wie dort sind es die
Karrieristen, die wegen ihrer selbstsüchtigen Ziele die Moral versauen.
Was ist aus dem Täter geworden?«
»Er hat sich das Leben genommen, bevor ihm der Prozess gemacht werden konnte.«
»Hast du deswegen Gewissensbisse?«
»Nein. Nicht eine Sekunde.«
»Wie geht es dem Mädchen und ihrer Mutter?«
»Sie sind weggezogen und wohnen jetzt in Süddeutschland.«
»Kennt dich überhaupt noch jemand?«
»Von den Zeugen niemand mehr. Sie gehen mir aus dem Weg, wechseln die Straßenseite,
drehen abrupt um, als sei ihnen eingefallen, dass sie vergessen haben, den Herd
auszuschalten. Mir ist das gleichgültig. Ich besuche jetzt den Stammtisch in der
Dorfschänke.
Das ist wahrlich nicht dasselbe, aber so komme ich wenigstens hin und wieder unter Leute.
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