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Geschrieben von Drahbeck am 24. September 2003 06:42:47: Als Antwort auf: Re: Der Fall Wilting geschrieben von Drahbeck am 22. September 2003 19:22:29: Was kommt "nach" den Zeugen Jehovas? Das ist eine Frage die viele umtreibt.
So auch Joseph Wilting aus Norwegen, dessen Lebensbiographie durch vier Jahrzehnte
Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas geprägt war. In seinem ersten Buch "Das Reich
das nicht kam" hat er sich und anderen darüber Rechenschaft abgelegt. Da kam ihm zugute in seiner Nachbarschaft freundlichen Menschen zu begegnen, die einer
Art Freikirche angehören. Den sogenannten "Smith'schen Freunden". Hierzulande
nicht so sehr bekannt. Gleichwohl in Norwegen so an die 7.000 an der Zahl. Dort fand er
und seine Familie einen ersten Neuanschluss. Besonders beeindruckte ihn die Herzlichkeit
mit der er in diesen Kreisen aufgenommen wurde. Das war doch die "Saite seiner
Seele", die ihn besonders ansprach. Tief beeindruckt war er auch durch tätige,
kostenfreie (wenn auch nicht kostenlose) Nachbarschaftshilfe. Er zieht den Vergleich. In
diesem Umfang hat er ähnliches nicht bei den Zeugen Jehovas kennengelernt. Wer sich dort
verausgabt tut es für die WTG. In der Regel jedoch nicht für seine Mitchristen in seinem
unmittelbarem Umfeld. Der Preis hieß im Falle dieser "Freikirche": "Nur wir." "Nur
wir sind die wahren Christen". Das kannte Wilting schon aus ZJ-Tagen. Er hätte sich
nun dieser Anforderung unterordnen können. Es so halten wie die anderen "Smith'schen
Freunde" streng autoritär auf deren Führung ausgerichtet zu sein. Ja sie fast
anzubeten. Zumindest sie jedenfalls mehr zu zitieren bei allen passenden oder unpassenden
Gelegenheiten, als etwa die Bibel. Der Chronist indes hat festzustellen: Wilting hat es nicht geschafft. Er ist dort an
dieser Klippe gescheitert. In Wiltings eigenen Worten: Einmal ist keinmal, sagte sich wohl auch Wilting. Es fällt schon mal auf, dass er bei seiner "Suche" besonders jene Formen des Christentums nicht in die nähere Betrachtung einbezog, die andere vielleicht als liberal oder meinetwegen auch verweltlicht bezeichnen. Die waren für ihn "kein Thema". Da er mit den Smith'schen Freunden doch wohl nicht so recht glücklich geworden war, versuchte er es als nächstes mit pfingstlerisch orientierten Gruppen. Auch hierbei beeindruckte ihn wiederum die Herzlichkeit, mit der auch dort potentiellen Neuzugängen begegnet wird. Angesprochen hat ihn weiter, dass im Vergleich zur "trocken rationalen" Zeugenreligion dort auch besonders der Bereich des Emotionalen weit größeren Stellenwert findet. Etwa im Gesang und vielem anderem mehr. Auch damit hätte Wilting leben können. Er war auch dazu willens. Trotzdem klappte es letztendlich auch diesmal nicht so recht. "Du musst ein Baby sein", fordert eine bestimmte Religionsgemeinschaft, die
bei Wilting zwar namentlich nicht vorkommt. Aber in der Tendenz sehr wohl. Hätte er das
geschafft, dann hätte es diesmal geklappt. Nüchtern hat man festzustellen. Wilting hat
es nicht geschafft. In seinen eigenen Worten liest sich das so: In der Nach-ZJ-Zeit sind viele Weichenstellungen möglich. Eine davon, bewusst weiter Christ sein zu wollen. Gerade bei vielen freikirchlichen Christen ohne ZJ-Trauma zeigt es sich, dass sie besonders dem erlebten Gemeinschaftsgefühl einen hohen Stellenwert beimessen. Auch für von den Zeugen Jehovas Kommende ist das vielfach ein sie besonders ansprechender Aspekt. Wer die Entscheidung trifft, dies sei das wesentliche, diesem Kriterium muss auch meine Nach-ZJ-Zeit entsprechen, wird in nicht seltenen Fällen in eine ähnliche Entscheidungssituation wie Wilting hineingeraten. In Deutschland wird er dabei wohl kaum auf "Smith'sche Freunde"; sehr wohl aber auf etliche andere Freikirchen oder Freikirchenähnliche Gemeinschaften stoßen. Lässt er sich auf sie ein, wird ihn früher oder später auch die Frage einholen: "Schaffe ich es wieder nur ein Baby zu sein"? Ich fürchte indes für etliche dieses Genres, die da liberale Varianten meinen grundsätzlich ausschließen zu sollen. Sie werden ähnliche Erfahrungen wie Wilting sammeln. Sie haben jetzt - sofern sie denn "wollen" - zumindest die Chance das schon mal vorher "durchzuchecken", was sie denn ihre Entscheidungsoption letztendlich kosten wird. Das zweite Wilting-Buch bietet eine gute Möglichkeit dazu. Wilting seinerseits zog sich nach einigen Erfahrungen vorgenannter Art zeitweilig auf die Position zurück, eine Art "Individualchrist" nunmehr sein zu wollen. Anders formuliert. Christ ohne feste - de jure - Organisationsbindung. Dies mag in seinem Fall, biographisch erklär- und verstehbar sein. Letztendlich beantwortet es aber nicht die Frage: Was wählt denn der, der da meint eines organisatorischen Korsetts weiterhin zu bedürfen? Wilting's Wahl wurde geschildert; und auch hinzugefügt, dass von seinem Ansatz her sich eine gewisse Zwangsläufigkeit ergab. Es muss gestattet sein auch darauf hinzuweisen, dass ein anderer Ansatz, nicht unbedingt in die fundamentalistische Ecke führen muss, wie sie hier offenbar vorliegt. Auch dies blieb nicht seine letzte Entscheidung. Die ist wohl in seiner Aussage auf S.
301 zu sehen, es nunmehr - spät - auch mal mit den "Großkirchen" zu versuchen. Eines wird man wohl auch noch sagen können. Dieses Buch kann nicht nur für den Umkreis Zeugen Jehovas interessant sein. Es ist es gleichermaßen, wenn nicht gar noch größer; auch für den Bereich Pfingstbewegung, Charismatiker und ähnliches. Die Zeugen Jehovas sind von den Großkirchen vielfach geächtet. Die Pfingstler hingegen nicht. Pfingstler und Großkirchen sind sich zwar auch nicht "grün". Aber dennoch duldet man sich gegenseitig, verschweigt schamhaft was nicht zu verschweigen eigentlich angesagt wäre. In diesem Punkt macht Wilting das "Spiel" nicht mit. Letztendlich kommen auch die Pfingstler und Verwandte in seinem Buch nicht gut weg. Und ich meine, im Gegensatz zu den großkirchlichen "Schönrednern". Wilting legt hier berechtigt den Finger in eine Wunde! Ergänzend noch. Der Übersetzer dieses Buches aus dem Norwegischen hat in seiner Familie auch einen Fall mit Bezüglichkeit zu den "Smith'schen Freunden". Er ist da ähnlich Betroffener wie manche Familienangehörige, die sich auch außerstande sehen, den Zeugen Jehovas-Glauben anzunehmen. Die Merkmale religiösen Totalitarismus wiederholen sich eben in vielgestaltiger Form. Aus dem zweiten Wilting-Buch hat er daher auch ein Kapitel Online gestellt, das speziell die "Smith'schen Freunde" abhandelt. griess.st1.at/herre03.htm |