Geschichtsfälscher


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 12. August 2003 06:37:51:

Eckhard von Süsskind, der in seiner ZJ-Zeit einmal im Jahre 1971 die WTG-Missionarsschule "Gilead" absolviert hatte, zitierte einmal in seiner Buchveröffentlichung ("Zeugen Jehovas. Anspruch und Wirklichkeit der Wachtturmgesellschaft") den Band drei der Russell'schen Schriftstudien in der (heute sehr seltenen) Version der 1914 gedruckten Ausgabe. Und er kommentierte zu seinem Zitat:
"Überraschenderweise findet sich ein Zitat von C. T. Russell das einen ganz anderen Sachverhalt zeigt, das Jahr 1894 ist das Jahr, in dem 'die Zeiten der Nationen' ihr Ende finden sollen."
Das Zitat lautet nach der Wiedergabe bei Süsskind:

"Nun rufe dir die Schritte ins Gedächtnis zurück, die in dem festen prophetischen Wort so wohl gegründet uns zu dieser herzerfrischenden und geisteserfrischenden Erkenntnis geleitet haben. Hinter uns sind all die prophetischen Marksteine, die auf diese Zeit als die wunderbare Periode der ganzen Weltgeschichte hinweisen. Sie haben uns gezeigt ..., daß der Lohn der Herrschaft der Heiden, 'Die Zeiten der Nationen', mit dem Jahr 1894 ausläuft." (S. 296f.)

In der heute weit leichter zugänglichen Version des Bandes drei (Ausgabe 1926) indes lautet der fragliche Text:
"Nun rufe dir die Schritte ins Gedächtnis zurück, die, in dem 'festen prophetischen Worte' so wohl gegründet sind, und zu dieser herzerhebenden und geisterfrischenden Erkenntnis geleitet haben. Hinter uns sind all die prophetischen Marksteine, die auf die Zeit als die wunderbarste Periode der ganzen Weltgeschichte hinweisen. Sie haben uns gezeigt, ... daß das Lehen der Herrschaft der Heiden, 'die Zeiten der Nationen', mit dem Jahre 1914 ausläuft."

Also die Ausgabe 1914 wollte noch den Begriff "Zeiten der Heiden" als in der Vergangenheit bereits erfüllt darstellen, um so die eigentlichen 1914-Erwartungen noch zusätzlich zu unterstreichen. Spätere Auflagen haben dann diesen Fakt wegretuschiert und stillschweigend eine Verschiebung um zwanzig Jahre vorgenommen.

Ähnlich die Sachlage bei der Russell'schen Pyramideneuphorie. Laut "Schriftstudien" Band drei (Ausgabe 1913), behauptete Russell:
"So bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1874 der chronologische Anfang der Zeit der Trübsal war, dergleichen nicht gewesen, seitdem eine Nation besteht, nein, noch auch je sein wird" (S. 327).

In der Schriftstudien-Version von 1926 indes liest man an der gleichen Stelle:
"So bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1914 der CHRONOLOGISCHE Anfang der Zeit der Drangsal war, dergleichen nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht, nein, noch auch je sein wird" (S. 330).
Auch hier wiederum, eine willkürliche nachträgliche Text-Retusche. Sarkastisch stellt Süsskind dazu die Frage:
"Hatten sich die Maße der Pyramide inzwischen verändert?"

Ein weiteres Detail in diesem Zusammenhang. Um aus der Pyramide Daten wie etwa 1874 (1914) herauslesen zu können, sieht sich Russell genötigt mit allerlei mathematischen Daten herumzujonglieren. Insbesondere wimmelt es bei ihm dabei mit Angaben die in Zoll berechnet wurden.
So schreibt Russell in Band drei der "Schriftstudien" (Ausgabe 1914):
"Da das Böse von seinem Thron gestoßen sein wird, erfahren wir, daß es 3416 Zoll beträgt, welche 3416 Jahre symbolisieren von dem obigem Datum, 1542 v. Chr. an. Diese Berechnung zeigt das Jahr 1874 n. Chr. an, als den Anfang der Periode der Trübsal markierend; denn 1542 v. Chr. plus 1874 n. Chr. macht 3416 Jahre. So bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1874 der chronologische Anfang der Zeit des Endes war" (S. 327).

Der gleiche Passus indes lautet in der "Schriftstudien"-Version von 1926:
"Da das Böse von seinem Throne gestoßen sein wird, erfahren wir, daß es 3457 Zoll beträgt, welche 3457 Jahre symbolisieren, von dem obigen Datum, 1542 v. Chr. an. Diese Berechnung zeigt das Jahr 1915 n. Chr., als den Anfang der Zeit der Drangsal bezeichnend, an; denn 1542 v. Chr. und 1915 n. Chr. geben 3457 Jahre. So bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1914 der CHRONOLOGISCHE Anfang der Zeit der Drangsal war" (S. 330)

Vergleicht man beide Ausgaben, registriert man. Das Ausgangsdatum 1542 v. Chr. ist beide mal vorhanden. Aber die Zoll-Angabe differiert. Einmal waren es 3416 Zoll; aus den später dann 3457 Zoll wurden; um so eine Datumsverschiebung um 41 Jahre "plausibel" zu machen (aus 1874 wurde so umgestaltet 1915).

Aus 1914 wird 1918
Ein weiteres von Süsskind genanntes Beispiel stellt jenes Zitat aus dem zweiten Band der "Schriftstudien" dar, wo in der Ausgabe 1913 (auch in der Ausgabe 1916) zu lesen ist:
"Die Erntezeit wird zu ihrer Ausführung vierzig Jahre in Anspruch nehmen und mit dem Jahre 1914 enden." (S. 146)

In der Schriftstudien-Ausgabe von 1926 hingegen lautet der gleiche Passus:
"Die Erntearbeit wird zu ihrer Ausführung vierzig Jahre in Anspruch nehmen und mit dem Jahre 1918 enden" (S. 145).

Auch hier wurde einfach stillschweigend eine Datums-Retusche vorgenommen.

Ein weiteres Retuschierungs-Beispiel:
"Schriftstudien" Band drei, (Ausgabe 1914) behauptet:
"Daß die Befreiung der Heiligen etwas vor 1914 stattfinden wird ... Wie lange gerade vor 1914 die letzten lebenden Glieder des Leibes Christi werden verherrlicht werden, ist uns nicht direkt gesagt" (S. 214).

In der Version von 1926 lautet die gleiche Stelle:
"Daß die Befreiung der Heiligen sehr bald nach Schluß der Ernte stattfinden wird ... Wie lange gerade nach Schluß der Ernte die letzten lebenden Glieder des Leibes Christi werden verherrlicht werden, ist uns nicht direkt gesagt" S. 216).

Also auch hier ist festzustellen, eine ursprünglich ziemlich konkrete Aussage, wurde nachträglich bewusst ins Nebulöse umformuliert.

Eindeutig auch der Vergleich.
"Schriftstudien" Band zwei. In der Ausgabe 1914 (auch Ausgabe 1916) liest man:
"Die 'Zeiten der Nationen' beweisen, daß die gegenwärtigen Regierungen alle vor dem Schluß des Jahres 1914 gestürzt sein müssen" (S. 234).

1926 lautet der gleiche Passus:
"Die 'Zeiten der Nationen' beweisen, daß die gegenwärtigen Regierungen alle von dem Jahre 1914 an gestürzt werden müssen" (S. 232)

Auch hier wurde mittels Retusche der Sinn gravierend verändert. Ursprünglich "Sturz der gegenwärtigen Regierungen vor dem Schluß des Jahres 1914".
"Nach Tisch" dann so ausgedeutet ab 1914.

Noch ein Beispiel in diesem Kontext nennt Süsskind aus Band zwei der "Schriftstudien".
In der Version von 1914 (auch Ausgabe 1916) las man:
"Daß der Herr gegenwärtig sein und sein Königreich aufrichten und seine große Macht gebrauchen muß, um die Nationen, wie eines Töpfer Gefäß, vor 1914 zu zerschlagen ist also deutlich festgestellt; denn es ist 'in den Tagen dieser Könige' - vor ihrem Sturz - d. i. vor 1914 - daß der König vom Himmel sein Königreich aufrichten wird." (S. 165).

In der Version von 1926 lautet derselbe Abschnitt:
"Daß der Herr gegenwärtig sein und sein Königreich aufrichten und seine große Macht gebrauchen muß, um die Nationen wie ein Töpfergefäß zu zerschlagen, ist also deutlich festgestellt, denn es ist 'in den Tagen dieser Könige', vor ihrem Sturze, daß der König vom Himmel sein Königreich aufrichten wird" (S. 165)

Dazu wurde zurecht festgestellt:
"Im letzten Zitat wurde die Jahresangabe nur entfernt, nicht durch eine neue ersetzt - so einfach ist das."

Ein ähnliches Zitat aus "Schriftstudien" Band 3
Süsskind zitiert zuerst aus der Ausgabe von 1914 in der zu lesen war:

"Und mit dem Ende des Jahres 1914 wird, was Gott Babylon nennt, und was die Menschen Christentum nennen, verschwunden sein, wie schon aus der Weissagung gezeigt wurde" (S. 146)

In der Ausgabe von 1926 indes lautet die Formulierung:
"Und mit dem Ende des Jahres 1914 wird Gott zu Babylon, von den Menschen Christentum genannt, ein deutliches Wehe sprechen, wie schon aus der Weissagung gezeigt wurde." (S. 141).

Auch hier eine deutliche Abschwächung ursprünglich vollmundiger Aussagen. "Babylon" sollte "verschwunden" sein. "Nach Tisch" blos noch "ein deutliches Wehe sprechen" gegen Babylon.

Auch mit dem Band sieben der "Schriftstudien" hatte sich genannter Autor auseinandergesetzt. Hierbei stützte er sich besonders auf die englischsprachige Ausgabe und setzte im Vergleich zu ihr, wie sich das in der deutschsprachigen Ausgabe ausdrückte. Ich hätte mir gewünscht, dass er dabei auch die zensierten Stellen des Band sieben, besonders ins Blickfeld genommen hätte. Bekanntlich lies Rutherford darin kriegsgegnerische Passagen abdrucken. Die WTG musste um ihr Werk im ersten Weltkrieg zu retten, dann besonders inkriminierte Stellen daraus entfernen. Meines Wissens sind die zensierten Stellen auch nicht in die deutsche Übersetzung von Band sieben mit übernommen worden.
Leider hat diese Aufgabe Süsskind nicht wahrgenommen. Sein vorrangiges Blickfeld war doch wohl auf die Abschwächung der ursprünglichen Endzeitaussagen gerichtet. Auch bei der Bewertung von Band Sieben.

Ein Beispiel dafür was er da als registrierenswert notierte, nachstehend. So schreibt er etwa auf den Seiten 41, 42:
"Die englischsprachigen Schriften der WTG nennen das Jahr 1920 als das Datum, an dem die Arbeiterbewegung ihr Ende finden soll:
"As the fleshly-minded apostates from Christianity, siding with the radicals and revolutionaries, will rejoice at the inheritance of desolation that will be Christendom's after 1918, so will God do to the succesful revollutionary movement; it shall be utterly desolated, 'even all of it'. Not one vestige of it shall survive the revages of world-wide allembracing anarchy, in the fall of 1920" (The Finished Mystery, S. 542).

Im deutschen Schrifttum der WTG dagegen sucht man das Datum 1920 vergebens. Hier lautet das obige Zitat so:
"Wie die fleischlich gesinnten Abtrünnigen der Christenheit, die für die Radikalen und Revolutionären Partei ergreifen werden, sich freuen werden über das Erbe der Verwüstung, das nach 1918 über die Christenheit kommen wird, so wird Gott mit der erfolgreichen revolutionären Bewegung verfahren: sie wird gänzlich vernichtet werden, 'insgesamt'. Keine einzige Spur von ihr soll die Verwüstungen der weltenweiten, allumfassenden Anarchie voraussichtlich um das Jahr 1921 herum überdauern" (Das vollendete Geheimnis, S. 268).

Unklar bei diesem Zitat ist mir allerdings, aus welcher deutschen Ausgabe von Band sieben, hier Süsskind zitiert. An einer Stelle gibt er an, die deutsche Ausgabe von 1922 zu zitieren. Die liegt mir nicht vor. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1925 konnte ich an der angegebenen Seite die fragliche Stelle nicht ermitteln. Da von Band sieben aber auch nur die Ausgabe von 1925 Online zugänglich ist (auf der Webseite von Oliver M.). Sonst aber keine andere Auflage davon in Deutsch, ist der Seitennachweis kompliziert. Aber aufgrund der anderen von Süsskind genannten (und überprüften) Stellen, besteht keinerlei Anlass, seine Aussage in Zweifel zu ziehen.

Aus der Schrift von Süsskind sei vielleicht abschließend noch jene Passage zitiert (S. 57)
"Ein persönliches Erlebnis des Verfassers zu diesem Thema sei hier wiedergegeben. Der Verfasser absolvierte 1971 die Missionarschule 'Gilead' der ZJ, die sich in der Hauptzentrale der WTG in Brooklyn/New York befindet. Während dieser Zeit fand weltweit ein 'Kreiskongreß' der ZJ statt, dessen Hauptvortrag den bezeichnenden Titel trug: 'Wer wird in den 1970er Jahren die Welt besiegen?' Einen Tag nach Beendigung dieses Kongresses eilte ein Lehrer der Schule in unser Klassenzimmer und rief begeistert: 'Jetzt hat alles Spekulieren ein Ende. Endlich Klarheit! Die 'Gesellschaft' hat sich festgelegt - zwar nicht auf 1975, aber auf dieses Jahrzehnt!"




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