Er wurde der WTG geistig zu unabhängig


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von D. am 10. Juli 2003 17:05:46:

In der CV 126 gelesen. Ein Erlebnisbericht aus der DDR, als es die DDR noch gab. Vieles darin mag für Alt-Bundesrepublikanische Ohren ungewohnt klingen. Einiges indes vielleicht auch nicht. So mag denn jeder seine eigene Meinung zu diesem Bericht sich bilden. "Viele Wege führen nach Rom" sagt man. Im übertragenem Sinne. Viele Wege können auch von der WTG wieder wegführen. Nachstehend einiges aus diesem Bericht:

Die Entscheidung für diesen Zeugnisbrief fiel, nachdem ich erfahren mußte, daß kein zuständiger Bruder bereit ist, sich offen und aufrichtig ernstester Kritik an der Organisation zu stellen und gegen sie sprechende Tatsachen zu widerlegen. Mein eigener Ältester schlug als Antwort auf Bemängelung seines untheokratischen Verhaltens wütend die Tür vor mir zu. Ich empfinde es als eine christliche Verantwortung, hierüber nicht zu schweigen. Möge meine Erfahrung für alle eine Hilfe sein.

Wie es begann
Ich wurde 1955 in Dresden geboren und wuchs in einem anderen christlichen Elternhaus auf. In der Schulzeit ging ich manchmal nebenbei in die Christenlehre . Die Jahre verflossen. Ich lernte einen Beruf und ging dann in meines Vaters Betrieb arbeiten. Nun war ich auch in dem Alter, wo ich etwas mehr Wert auf die Mode, Haarfrisur usw. legte. Sicher in jugendlicher Übertreibung. So erregte ich damit auch Anstoß. Deshalb wurde ich mit einem Arbeitskollegen in Verbindung gebracht, der Zeuge Jehovas war. Sie wollten mir helfen, Dieser Bruder W. M. erzählte mir bald alles aus seiner religiös-politischen Sicht: Von neuen gesellschaftlichen " Systemen ", von einer Vernichtung der jetzigen politischen Gesellschaft in "Harmagedon", vom Teufel, von den negativen Erscheinungen der heutigen politischen Gesellschaftsform. Das regte mich zum Vergleichen an. Ich las die Bibelverse, auf die ich dazu hingewiesen wurde und hörte immer wieder die Bibelerklärungen von Jehovas Zeugen dazu. Weil das im Namen Gottes vorgetragen wurde, war ich allem gegenüber völlig arglos.
In der folgenden Zeit erhielt ich öfter abgezogene Exemplare von "Wachtturm" und "Erwachet". In meiner mangelhaften religiösen und gesellschaftlichen Bildung und Übersicht fand ich bald Gefallen an dieser Literatur, fand sie glaubwürdig und studierte eifrig die Bibelerklärungen. Wie wir alle unter Hinweis auf Errettung oder Vernichtung angehalten sind, suchte ich bald alle Gelegenheit, teils auf Arbeit oder auf der Straße, andere Menschen nach den Weisungen der Organisation anzusprechen und ihre Wahrheit zu verbreiten.

Ein Widersinn machte mich schon mal stutzig
Mit meiner neuen Erkenntnis hatte ich also nicht hinter dem Berg gehalten. Auch meine Eltern bezogen sofort Stellung dagegen. Da hatte ich natürlich Angst, ihnen die Wachtturm-Schriften zu zeigen. Eines Tages lese ich einen abgezogenen Wachtturm. Meine Schwester überraschte mich und will wissen was ich lese. "Das geht Dich nichts an." Sie erzählte es meinen Eltern, die ich dann anlog, wie es die Organisation in "theokratischer Kriegslist" verlangt. "Ich habe doch gar nichts." Aber sie glaubten mir nicht. Es ist schlimm, wie man für die Organisation die eigene Familie belügen muß. Vor meinem Vater konnte ich die Literatur erfolgreich verheimlichen. Meine Mutter fand sie in meiner Abwesenheit. So wurde die Konfrontation und Spaltung zu meinen Eltern unaufhaltsam vertieft. Der Bruder M. festigte das mit den Worten: "Wenn Du den Glauben der Zeugen Jehovas annimmst, dann zeigst Du praktisch mit Deiner Kontrastellung, daß nur Du recht hast, und das sollst Du ja auch tun!" Als ich ihm erzählte, wie die Wachtturmschriften gefunden wurden, sagte er: "Jehova hat im Moment der Suche die Blicke Deines Vaters abgelenkt." "Ja, aber wo war denn Jehova, als meine Mutter alles fand? Er hätte sie doch mit Blindheit schlagen müssen. Wie können meine Eltern so widersinnig von Gott gegen mich ausgespielt werden? Was wird uns hier zugemutet? Zitieren die Zeugen Jehovas nicht Gott, wie sie ihn gerade brauchen? Aber das wurde in mir wieder verdrängt. Die Anstachelung zur Konfrontation war stärker, was sich bei jungen Menschen leicht ausnutzen läßt. Es wurde also zu einem Exempel, womit ich den Stempel für noch weiteres Interesse an den WT-Schriften setzte.

Meine Liebe wird ausgenutzt
Trotz Verbot meiner Eltern ging ich zum Bruder M. ins Studium. Einige Zeit später riet er mir, das Studium zum Bruder P. zu verlegen, um sich nicht zu gefährden. Arglos befolgte ich es. Meine Eltern haben dann mit meinen neuen Erkenntnissen viel Ärger mit mir gehabt. Sie haben alles versucht. Aber wer keine genaue Einsicht, Übersicht und Erfahrung hat, kann nichts schaffen. Alles Reden und Überzeugenwollen nützte ihnen also nichts.

Nach längerer Zeit lernte ich eine junge Schwester kennen. Meine Eltern sahen nicht gern, daß ich eine Zeugin Jehovas heiratete. Aber das konnten sie nicht verhindern. Sie gaben sich damit zufrieden und meinten: sie müssen sich miteinander verstehen. Ich merkte aber, wie es von der Organisation ein Hinhalten gab, ehe unsere Ehe Zustimmung fand. Für mich war das von der Taufe nicht abhängig. Sie aber wollten das. Sie nutzten also meine Liebe erpresserisch für die Organisationserweiterung aus. Mir war es egal, ob vor oder nach der Taufe. Ihnen aber nicht. So siegten sie in diesem Punkt über mich. Es ist nur gut, daß "Liebe blind macht". So wurde ich davor behütet, genau so berechnend zu sein wie sie.
Ich fürchte nur, daß die Organisation jetzt nach meiner Abkehr genauso berechnend fortfährt, nur umgekehrt. Ich habe inzwischen erfahren, wie sie mit ihrer Verteufelungsmethode schon andere Ehen und Familien kaputtgemacht hat, wo einer der Partner mit ihnen nicht mehr mitmachen wollte.

Wachtturm-gemäß religiös-politisch aktiv
Nach unserer Heirat nahm ich am Studium bei Bruder W. teil. Ich ging auch mit meiner Frau oder Bruder W. "von Haus zu Haus in die Häuser, auf Friedhöfe oder zu anderen Menschen, um sie für den Glauben der Organisation zu gewinnen. Ein halbes Jahr machte ich ein Studium mit einem jungen Menschen. Er hatte aber nicht immer Zeit, wie wir wollten und so brachen wir ab. Weil sich durch unsere Heirat weitreichende Verbindungen unter den Zeugen Jehovas ergeben haben, erzählte ich von diesem jungen Mann. Wir suchten ihn nun zu dritt wieder auf. Dieser Mann konnte manche Dinge nicht begreifen. Aber was er begriff , setzte er auch in die Praxis um. Also verließ er durch den antikommunistischen und antisowjetischen wie staatsfeindlichen Einfluß der Organisation die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft, wurde ihr Feind und ging als Wehrersatzdienstverweigerer ins Gefängnis. So weit hatten wir ihn gebracht, obwohl er noch nicht getauft war. Mit Bruder W. und P. hatten wir noch einen anderen jungen Mann zu betreuen. Er war aus dem Strafvollzug gekommen. Auch bei ehemaligen Verletzern von Staatsgesetzen sieht die Organisation einen möglichen Ansatzpunkt. Ich möchte ihm heute wirklich helfen. Vielleicht liest er diesen Zeugnisbrief.

Außerdem ging ich öfter mit Bruder W. samstagabends in ein bestimmtes Gebiet. Sonntagvormittags ging ich meist allein in das mir von einem Altesten zugewiesene Gebiet. Dabei wurde ich informiert über Adressen von Angehörigen der Staatssicherheit und der Polizei, damit ich bei ihnen nicht vorspreche. Ich war sehr aktiv und sprach bei vielen Leuten vor.

Ich werde innerlich kritisch
Mit der Zeit wurde mir das ständige Drängen zum Studium der Bibel nur im Sinne der Literatur zu viel. Ich merkte, wie jeder andere Gedanke und Wissensbereich unterdrückt wurde. Ich bin doch nicht als Unmündiger unter Vormundschaft, dachte ich manchmal. Man muß sich doch auch mit anderen Wissensgebieten beschäftigen dürfen. Man ißt ja auch nicht jeden Tag das gleiche.

In der Wachtturm-Literatur waren ja auch andere Quellen angegeben, religiöse, politische, wissenschaftliche, philosophische. Dadurch angeregt und bestätigt las ich auch andere Philosophen zum Beispiel. Ich erfuhr Tatsachen, die ich bisher nicht kannte. So kam ich zu einem anderen Nachdenken über die Bibel und die Religion, als es der Wachtturm erlaubt. Ich machte mir ernste Gedanken und brachte sie auch bei den Versammlungen vor in dem arglosem Glauben, alle Probleme stellen zu dürfen, die mich beschäftigen. Aber ich mußte mit der Zeit feststellen, daß ich zu einem "schwarzen Schaf" gestempelt wurde. Sie brachten mir bei, mir nicht so viele Gedanken über alles zu machen. Wir sollten alles Jehova überlassen, er werde alles für uns regeln. So geht es nun wirklich nicht. Sie unterdrücken ja im Namen Gottes völlig begründete Fragen. Das wird für einen selbst nachdenklichen Menschen zur Zwangsjacke, noch dazu, wo ich anderen predigen und antworten muß. Aber auch die kritische Erkenntnis kommt, nur sie wächst nur von Anstoß zu Anstoß, nicht auf einmal. Das Vergewissern ist oft mühsam, zeitaufwendig und langwierig.


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