Re: Graef und die Scheckaussteller


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 24. Juni 2003 08:12:19:

Als Antwort auf: Mit dem Klammersack gepudert? geschrieben von B am 23. Juni 2003 23:22:31:

Vielleicht werden wohl weiterhin einige Ungereimtheiten in der Sache übrigbleiben.
Erst mal zum zeitlichen Ablauf. Der Autor Gräf ist 1984 in die alte BRD übergesiedelt. Ab 1982 konnte er schon nicht mehr als Rechtsanwalt tätig sein. Ergo muss das ganze sich vor 1982 abgespielt haben.

Seit 1974 hatte die DDR auch mit den USA diplomatische Beziehungen (die USA-Botschaft in Deutschland hat noch heute ihren Sitz in jenem Gebäude in Berlin, wo sie schon zu DDR-Zeiten saß).

Nächster wichtiger zu nennender Schritt. Ab Anfang der 1980er Jahre gab es in Polen eine Entspannung in der Zeugen Jehovas-Politik, die in in vorangegangenen Jahren so überhaupt noch nicht denkbar gewesen wäre. (Auch in Polen waren die Zeugen Jehovas seit den 1950er Jahren einem formalem Verbot unterworfen). Das ganze fing damit an, dass in Polen (Danzig) Streiks ausgebrochen waren (Stichwort Lech Walesa). Es gab aber in den bestreikten Betrieben auch Streikbrecher. Das waren im besonderen die Zeugen Jehovas.

Das angeschlagene kommunistische Regime war von diesem Umstand äußerst angenehm berührt. Und es zahlte in der Folge einen Preis dafür. So konnten in den frühen 80er Jahren die Zeugen Jehovas schon Öffentlichkeitswirksame Kongresse dort veranstalten. Das alles sprach sich auch andernorts herum. So auch in der DDR. Allerdings waren die dortigen Hardliner zu einem ähnlichen Entgegenkommen nicht bereit.

Ich erinnere mich einer Vorladung ins Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR, Mitte der 1980er Jahre. Die dortige „Hofschranze" (nach der Wende auch als Offizier im besonderen Einsatz der Stasi entttarnt). Besagter Herr hielt mir ein dogmatischen Vortrag, als ich ihm den Fall Polen unter die Nase rieb. (Das Volk der DDR werde durch deren Volkskammer repräsentiert. Und ergo, so sein Tenor. Ich hätte keinerlei Kompetenz eigene Gedanken in Sachen Zeugen Jehovas zu formulieren. Ich solle mal lieber das „Neue Deutschland" lesen und sonst nichts. Das war es dann schon).

Immerhin gab es ab cirka 1985 zu beziffernde Aufweichungen in der Zeugen Jehovas-Politik auch in der DDR. So etwa, dass ab jenem Zeitpunkt in der Wehrdienstfrage keine Verurteilungen mehr erfolgten. Die Zeugen Jehovas wurden einfach systematisch und planmäßig in der Wehrdienstfrage „vergessen". Aber Veröffentlichungen über diesen Tatbestand gab zu DDR-Zeiten nicht. Auch nicht westlicherseits. Das wurde erst nach der „Wende", aufgrund der Aktenlage klar.

Persönlich habe ich nach 1985 auch von dieser partiellen Liberalisierung etwas mit profitiert. Dergestalt. In den Jahren zuvor hatte ich einen nervenaufreibenden Kampf um die Genehmigung gesperrte Literatur in der Berliner Staatsbibliothek einsehen zu können. Dabei bin ich auf Granit gestoßen. Es ließ sich einfach nichts bewegen, bei diesem meinem Anliegen. Nach 1985 indes ging sehr viel in der Sache, was die Jahre zuvor nicht möglich war. Auch hierbei der gleiche Tatbestand. Keine direkten Verlautbarungen des DDR-Staates. Aber wenn ich selbst erstellte Listen der ASF-Literatur in der Stabi abgab, die ich einsehen wollte, bekam ich die nach 1985 problemlos genehmigt. Das wäre in den davor liegenden Jahren nicht möglich gewesen. Ich weiß, wovon ich Rede. Mir sind Fälle bekannt, wo Leute in der DDR ins Gefängnis wandern mussten, weil sie sich George Orwells „1984" beschafft hatten. Auch der stand mit auf meiner Liste.

Also fassen wir zusammen. Es gab auch in der DDR eine Liberalisierung; wenn auch nicht in jenem Umfang wie in Polen. Den Autor Gerald Hacke hatte ich auch schon mit genannt. Hacke zitiert den Stasi-IM „Hans Voss" mit der Bemerkung, dass man in Zeugenkreisen erwarte, es käme zu ähnlichen Entwicklungen in der DDR wie in Polen. Auf Nachfrage beruft sich „Hans Voss" auf die „Mutter" (WTG) für diese Prognose. Das war aber schon Ende der 80er Jahre. Und als dieser Tatbestand dann tatsächlich eintrat; war die DDR faktisch schon nicht mehr diejenige von früher.

Noch eine Reminiszenz. Die deutsche WTG-Zentrale war in den Anfangsjahren in Barmen. In Folge des Versailler Vertrages gab es eine französische Besetzung des Rheinlandes und damit eine erhebliche Schwierigkeit von Barmen aus das „Restdeutschland" erreichen zu können. Die französische Besetzung trat nicht schon unmittelbar 1918/19 ein. Sie kam erst Anfang der zwanziger Jahre. Die zeitgenössische WTG feierte es als große „Überwaltung Jehovas"; dass sie es rechtzeitig (das heißt vor der französischen Besetzung) geschafft hatte, nach Magdeburg umzusiedeln.

Ich indes würde diese „Überwaltung Jehovas" etwas anders bewerten. Ich würde dafür formulieren. Die Vorgängerorganisationen der CIA in den USA haben da rechtzeitig den rechten Tipp gegeben der auch postwendend in die Praxis umgesetzt wurde.

Kommen wir zum Autor Graef zurück. Das sein geschilderter Fall sich so ähnlich abgespielt hat, sei nicht bestritten. Indes scheint mir, dass er beim Bericht über die „Vergatterung" des Richters im Ostberliner Obersten Gerichts; er interpretiert; aber keine Fakten vorlegt.

Aus dem Naziregime kennt man es bereits; die berüchtigten „Richterbriefe". Damals war es das Justizministerium das damit die ohnehin kaum noch bestehende richterliche „Unabhängigkeit" weiter einschränkte. Und im Falle der DDR wohl deren „Oberstes Gericht".

Hätte sich der geschilderte Fall nach 1985 abgespielt, hätte ich keinerlei Schwierigkeiten zu sagen: Passt mit ins Konzept der damals offenbar neu formulierten ZJ-Politik. Aber der Fall liegt doch wohl vor 1985. Indes grundsätzlich unmöglich ist er auch deswegen nicht.

Nur eines scheint mir immer noch überhaupt nicht bewiesen zu sein. Das die WTG (ausgerechnet die WTG) in der Sache finanzielle Mittel aufgewendet hätte. Im Kontakt zum State Department (Außenministerium der USA) steht auch die WTG, nachgewiesenermaßen. Und das die USA zur Durchsetzung ihrer Politik gegebenenfalls auch das Scheckbuch mal mit einsetzen, ist auch wahrlich keine „neue" Erkenntnis.

Wichtig aber wäre es, die DDR-Akten sind ja heutzutage weitgehend der wissenschaftlichen Forschung zugänglich; dass da nachgewiesen wird. Wer hat denn nun konkret den „Scheck" ausgestellt? Bis heute ist jedenfalls kein Beweis erbracht worden, auch nicht von Graf, dass auch die WTG zu den „Scheckausstellern" gehörte.


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