Geschrieben von Drahbeck am 13. April 2003 15:40:47:
Als Antwort auf: Gedanken zur NWÜ fortsetzung geschrieben von
Wolfgang am 13. April 2003 14:11:42:
Lukas 23 Vers 43 ist geschichtlich gesehen eine "Lieblingsbibelstelle" der
Zeugen Jehovas. Ihr Gründer hielt sich ja bekanntlich zugute "den Wasserstrahl auf
die Hölle" gerichtet zu haben. Bei der diesbezüglichen Argumentation spielte auch
Lukas 23:43 eine wesentliche Rolle. Je nachdem wie man sie nun interpretiert
Dabei wurde auch nach Bündnispartnern im kirchlichem Raum Ausschau gehalten. Ein solcher
war offensichtlich der auch als Bibelübersetzer bekannt gewordene Ludwig Reinhardt.
Nachstehend zitiere ich mal die dazu bezügliche Detailpassage aus der "Geschichte
der ZJ":
In der theologischen Auseinandersetzung zwischen den Bibelforschern und ihren
kirchlichen Kritikern spielte die Bibelstelle in Lukas 23 Vers 43 eine dominante Rolle. Es
geht in diesem Text darum das Jesus einen mit ihm gekreuzigten [1] Übeltäter versprochen
habe, er werde mit ihm im Paradies sein. Die theologische Streitfrage dabei war die
Interpunktion dieses Textes.
Hieß es nun richtig: Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies
sein."
Oder trifft die Variante zu: Wahrlich ich sage dir heute: Du wirst mit mir im
Paradies sein."
Die Kirchen entschieden sich im allgemeinen für die erste Variation, während die
Bibelforscher eindeutig der zweiten Variante den Vorzug geben. Dieser Streit hat
grundsätzliche Bedeutung. Würde es zutreffen, dass die Interpretation: ich sage
dir heute" zutreffend ist, beinhaltet dies, dass Paradies als zukünftige
Möglichkeit. So deuten es auch die Zeugen Jehovas. Hingegen: Heute wirst du mit mir
im Paradies sein" beinhaltet die Himmel-Hölle Lehre, von der nach dieser Lesart alle
beim Tode betroffen sein würden.
Die Auslegung der Zeugen Jehovas fand bei den Kirchen nur wenig Gegenliebe, wie
überhaupt dort eine Aktualisierung" von Endzeiterwartungen (wie bei den Zeugen
Jehovas) nicht die Regel ist. Folglich wurde auch ihre Darstellung abgelehnt.
Es gibt aber auch Ausnahmen. Das wären dann kirchliche Kreise, die Endzeiterwartungen des
Urchristentums positiv bewerten und einer Aktualisierung" nicht unbedingt
grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Ein solcher Fall liegt bei Ludwig Reinhardt
vor. Im Jahre 1878 hatte er eine eigene Bibelübersetzung vorgelegt. [2] Reinhardt vertrat
Positionen, wie sie auch von den Bibelforschern vertreten werden:
Für uns und unsere Zeit ist aber die Erkenntnis von höchster Wichtigkeit, dass die
der ganzen Bibel zugrundeliegende Welt- und Lebensanschauung eine der kirchlichen
Orthodoxie nicht nur völlig fremde, sondern ihr geradezu entgegengesetzte ist. Der
einseitige und verkehrte Spiritualismus unserer Kirchen, gegen welche sich eine immer
gewaltigere und teilweise berechtigte materialistische Bewegung erhoben hat, ist nicht
biblisch, sondern stammt aus der platonischen Philosophie, welche von den Kirchenvätern
der Bibel und kirchlichen Orthodoxie unbewusst untergeschoben und auch die Reformatoren
noch völlig beherrschte." [3]
Zu dem fraglichen Bibeltext äußert er: Die jetzt übliche Interpunktion dieser
Stelle ist ohne allen Zweifel falsch und konnte nur darum aufkommen und zur Herrschaft
gelangen, weil die katholische Theologie der platonischen Welt- und Lebensanschauung
huldigte." [4]
Es lag in der Konsequenz von Reinhardts Auffassung, dass er sich dazu durchrang die
Sozialdemokratie unbefangener zu beurteilen, als dies bei anderen kirchlichen Kreisen der
Fall war: Das wahre Christentum und die ideale Sozialdemokratie sind also an sich
keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern sie sind vielmehr, wie Ursache und Wirkung,
Seele und Leib usw. die beiden einander bedingenden Seiten einer und derselben Sache,
nämlich der gerechten und göttlich gewollten Gesellschaftsordnung." [5]
Genau diese Auffassung vertrat auch die frühe Bibelforscherbewegung, angereichert mit
Endzeitdatenspekulationen. Letzteres ist bei Reinhardt nicht der Fall.
Reinhardt erlangte nicht die Breitenwirkung wie die Bibelforscher. Aber die konservativen
Gegner verschiedener Couleur registrierten aufmerksam, dass beide Bibelforscher wie
Reinhardt, den politischen Bestrebungen der Sozialdemokratie nicht grundsätzlich
ablehnend gegenüberstanden. Da die Bibelforscher Öffentlichkeitswirkung erzielten, lag
es in der Konsequenz, dass die Konservativen innerhalb und außerhalb der Kirchen sich auf
die Bibelforscher einschossen.
Es ist interessant festzustellen, dass Reinhardt auch in Korrespondenz zu einigen
Bibelforschern stand. In dem Schreiben vom 16. 1. 1908 an einen amerikanischen
Bibelforscher teilt er mit, dass er von Russells Schriftstudien" zu diesem
Zeitpunkt schon die Bände 1 bis 5 (in Englisch) zur Kenntnis genommen habe.
Es war sicher Balsam für die Seele" der Bibelforscher, wenn Reinhardt sein
Schreiben mit den Worten ausklingen ließ: Die mir zugesandten Zeitungsabschnitte
sende ich Ihnen anbei zurück. Sie haben mich recht interessiert, besonders diejenigen,
worin sich die Katholiken für ihre Hölle wehren. Ohne Hölle hat die katholische
Priesterschaft verlorenes Spiel, darum fahren Sie nur fort, tapfer gegen diese
altheidnische Irrlehre zu kämpfen; mit ihr steht und fällt alle widergöttliche
Priesterherrschaft.
Bitte, grüßen Sie Br. Russell recht herzlich von mir und
seien Sie mit ihm und Ihrem ganzen Werke der reichen Gnade unseres Gottes und Heilandes
empfohlen. In brüderlicher Liebe. L. Reinhardt." [6]
Sakramentalismus
oder Endzeiterwartung
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