Re: Der "Eiertanz um die Generation"


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 26. Februar 2003 13:20:24:

Als Antwort auf: Der "Eiertaz um die Generation" geschrieben von D. am 23. Februar 2003 18:35:35:

"Was lehrt die Heilige Schrift über
Die Wiederkunft unseres Herrn, seine Parusia, Epiphania und Apokalypse". So war eine der frühen WTG-Broschüren betitelt. Deren Ausgabe von 1912 wurde als zweite Auflage bezeichnet. Letztmalig dann noch einmal im Jahre 1925 gedruckt. Diese Ausgabe nennt sich die siebenten Auflage. Im Juni 1916 druckte der deutsche Wachtturm gleichfalls den Broschürentext in seinen Spalten ab.

Die Zitierung der frühen WTG-Schriften ist ein undankbares Geschäft. Bestimmte Passagen findet man in den verschiedenen Auflagen auf unterschiedlichen Seiten. Das gleiche Problem trifft übrigens auch für die Russell'schen Schriftstudien zu.
Noch gravierender indes ist, dass sich beim genauen Hinsehen einige Modifikationen feststellen lassen.
Beispiel: In der Broschüre (7. Aufl.) liest man auf Seite 26:
"Diese Zeitlänge messend finden wir, daß die 2520 Jahre mit dem Herbst des Jahres 1914 n. Chr. ablaufen." Soweit ist der Text in allen Ausgaben identisch. Aber dies ist nur der halbe Satz. Die zweite Satzhälfte hingegen ist in den einzelnen Ausgaben unterschiedlich formuliert.

1912 liest man:
"und daß es daher nach dieser Zeit keine Welt- oder Nationen-Herrschaft mehr geben wird, während alsdann das Reich Gottes allein herrschen wird." (1912 S. 25).
1925 wird der gleiche Teilsatz wie folgt formuliert:
"und saß daher von diesem Zeitpunkte an die Welt- oder Nationen-Herrschaft hinweggetan und das Königreich aufgerichtet werden wird." (1925 S. 26)
1916 hingegen. Also doch noch relativ nahe am Erwartungstermin, lässt man diesen Teilsatz völlig verschwinden. Dafür fügt man eine Fußnote ein in der zu lesen ist:
"Der große Krieg, der im Jahre 1914 ausgebrochen ist, ist in der Schrift vorausgesagt. Er ist der Anfang der großen Drangsal. Revolution und Anarchie werden ihm folgen. Dann wird das Königreich Gottes in Macht und Herrlichkeit offenbar werden."

Noch ein paar weitere Anmerkungen zu dieser Broschüre, die ja noch ganz dem Russell'schen Gedankengut verhaftet ist (zitiert nach der siebenten Auflage).
Einleitend schon setzt der Verfasser voraus "daß wir seit 1799 in der 'Zeit des Endes' sind" (S. 8).
Er meint diese dann weiter untergliedern zu können und verkündet dazu die These:
"Nach unserem Verständnis gibt es starke Beweise dafür, daß die Parusie des Herrn im Herbst 1874 begann" (S. 20). Nicht nur das. Ein wiedergekommener "Herrn" muss auch etwas tun. Auch das glaubt Russell zu wissen:
"Wenn das nun wahr ist, was wir … dargetan haben, nämlich, daß wir jetzt in den 'Tagen des Menschensohnes' leben, und daß seine Gegenwart seit dem Herbst des Jahres 1874 datiert, so müssen wir auch glauben, daß die Auferstehung der 'entschlafenen' Heiligen kurz nach der Ankunft des Herrn an der Zeit war und stattfinden mußte. Wir sind in der Lage, nach der Heiligen Schrift mit ziemlicher Gewißheit ein gewisses Datum anzunehmen, obwohl die ganze Sache für das natürliche Auge unsichtbar ist und nur mit dem Auge des Glaubens und beim Lampenschein des göttlichen Wortes gesehen werden kann. …
Forschen wir nach der Zeit, wann am Ende dieses Zeitalters unser Herr als König aller Könige seine volle königliche Gewalt und Autorität an sich nehmen sollte, so finden wir, daß es an dem entsprechenden Datum - dreieinhalb Jahre nach dem Herbst des Jahres 1874, also im Frühjahr des Jahres 1878 - sein mußte. … Daher halten wir dafür, daß die Auferstehung der 'Toten in Christo' im Frühjahr des Jahres 1878 an der Zeit war und auch stattfand." (S. 53)

Dann nimmt er sich das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen vor, um siegesgewiss zu verkünden:
"Das Gleichnis weist hin auf eine irrige Ankündigung der Ankunft des Bräutigams (im Jahre 1844), die dem Thema beträchtliche Schmach eintrug, aber trotzdem von Nutzen war, indem sie die Jungfrauenklasse (die 'Reinen', die Geweihten zu erneuerten 'Schmücken' ihrer Wahrheitslampen - zum Prüfen des 'festen prophetischen Wortes' - aufrüttelten." (S. 21)

Im Prinzip ist er nach wie vor den adventistischen Ursprungsberechnungen verhaftet. Nur, dass er nichts mehr von 1844 wissen will. Dafür aber das Datum 1874 favorisiert.
Beleg dafür auch seine Ausführung:
"Man beachte die Übereinstimmung in den Zeitangaben. Das jüdische Zeitalter, das mit dem Tode Jakobs begann, war bis zum Tode Christi 1845 Jahre, bis zum Amtsantritt unseres Herrn 1841 Jahre 6 Monate, und bis zur gänzlichen Vernichtung der jüdischen Nation im Jahre 70 n. Chr. 1881 Jahre 6 Monate lang…
Wenn wir die obigen Maße des jüdischen Zeitalters auf das Evangelium-Zeitalter anwenden, das im Frühjahr 33 n. Chr. - dem Zeitpunkt des Todes und der Auferstehung unseres Herrn und des Pfingsttages - begann, so finden wir, daß der Zeitraum von 1841 Jahren und 6 Monaten, der demjenigen vom Tode Jakobs bis zum Amtsantritt unseres Herrn im Herbst 29 n. Chr. Entspricht, vom Frühjahr 33 n. Chr. an gerechnet, bis zum Herbst 1874 reichen würde. Die Periode des jüdischen Zeitalters, vom Tode Jakobs bis zur Verwerfung des fleischlichen Israel, findet ihre Parallele in der Zeit vom Frühjahr 33 n. Chr. bis zum Frühjahr 1878. Die Periode von 1881 Jahren und 6 Monaten, vom Tode Jakobs bis zur völligen Auflösung der jüdischen Staatsverfassung im Jahre 70 n. Chr. entspricht der Länge des Evangelium-Zeitalters vom Frühjahr 33 n. Chr. bis zum Herbst des Jahres 1914 n. Chr. " (S. 29)

Wem vor lauter Zahlenjonglierereien noch nicht der Kopf schwirrt, der wird von ihm weiter "eingeseift". Wieder an die Adventisten anknüpfend verlautbart er sich:
"Die 1260 Tage schließen mit dem Jahre 1799, die 1290 Tage mit dem Jahre 1829 und die 1335 Tage mit dem Jahre 1874. Unsere als 'Zweite Adventisten' bekannt gewesenen Freunde berechneten seiner Zeit diese Tage Daniels und wandten sie so an, wie wir es hier tun, verwarfen dann aber die Berechnung wieder, nachdem das Jahr 1874 vorüber war und sie den Herrn Jesum nicht mit leiblichen Augen in seinem Körper von Fleisch und mit den Golgatha-Wunden sahen. Sie haben diese Tage Daniels gänzlich fallen gelassen, weil sie keinen Weg sahen, dieselben über 1874 hinaus anzuwenden." (S. 32).

Ihr Erbe trat nun Russell an. Mehr noch. Diese seine Rechenkunststücke reichten ihm offenbar noch nicht aus. Er sattelt weiter drauf. Etwa wenn er schreibt:
"Wir finden, daß die Schrift in Verbindung mit diesem Jubeljahrsystem, nach dem alle 50 Jahre ein Jubeljahr wiederkehrte, anzeigt, daß nach 50 Jubeljahren oder nach 50 mal 50 gleich 2500 Jahren das große Jubeljahr folgt, und daß der Zyklus von 2500 Jahren zu zählen begann, als das fleischliche Israel sein letztes Jubeljahr beobachtet hatte. Wir finden in der Schrift, daß Israels neunzehntes Jubeljahr (626 v. Chr.) dessen letztes war. … So müssen wir den Zyklus von 2500 Jahren, der dem großen Jubeljahr vorausgeht, von dem Datum an messen, da das letzte vorbildliche Jubeljahr gehalten wurde, nämlich 626 v. Chr.; und wir finden, daß das gegenbildliche oder große Jubeljahr im Oktober 1874 angefangen haben. Wir rechnen: 625 Jahre plus 1875 n. Chr. sind 2500 Jahre mit Einschluß des Jubeljahres. Demnach mußte das große gegenbildliche Jubeljahr, das nicht wie im Vorbilde ein Jahr, sondern tausend Jahre lang ist, mit Ende (d. i. nach jüdischer Zeitrechnung mit Oktober) seinen Anfang nehmen." (S. 31)

Heute ist es bei den Zeugen Jehovas um diese Jubeljahrtheorie still. Sie wurde zuletzt von Rutherford verwandt, der damit sein 1925-Datum berechnete. Aber nicht wie Russell dabei als Ergebnis 1874 nennt. Wie ist das möglich? Ganz offenbar ganz einfach. Nur ein anderes Ausgangsdatum ansetzen. Und schon "stimmt" die Rechnung!


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