Es ist etliches faul


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 31. Mai 2001 18:33:45:

Ein umfänglicher Text "Es ist etliches faul" wurde jetzt wieder Online gestellt. Ohne die dazugehörigen Anmerkungsnummern.

In der Frage der Bewertung der Zeugen Jehovas offenbaren sich immer wieder unterschiedliche Ansätze. Zum Beispiel dergestalt, dass man meint, die wären doch auf ihre Art "glücklich". Die Frage ist, nur wie lange und um welchen Preis.

Es ist etliches faul ...

Ein geflügeltes Wort will wissen: „Es ist etliches faul im Staate Dänemark". „Nur" „im Staate Dänemark"? Ganz sicher nicht. Die Geschichte der Bibelforscher hat eines gezeigt. Im Vergleich zu ihren zeitgenössischen kirchlichen Kontrahenten, haben sich die Bibelforscher vielfach als die progressiveren erwiesen.

Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen. Auch bei den Zeugen Jehovas gilt. Sie sind als die „Progressiven von gestern" - zugleich die Konservativen von heute!

Eine Betrachtungsweise, die sich auf die Zeit 1933-45 beschränkt, ergibt notwendigerweise ein Zerrbild, da der geistesgeschichtliche Rahmen der damaligen Verhaltensweise nicht ausreichend reflektiert wird. Zudem wird dieser geschichtliche Aspekt gleichzeitig dazu benutzt, um das gegenwärtige Tun und lassen der Zeugen Jehovas als rechtens darzustellen. Dies kann in dieser Verallgemeinerung nicht akzeptiert werden.

Es ist feststellbar, dass etliche Autoren, die über die Zeugen Jehovas publiziert haben, die aber selbst nie Zeugen Jehovas gewesen sind, an einem bestimmten Punkt eine unbestimmte "Wischi-Waschi"-Formulierung zu benutzen belieben. Wenn sie auf die Zeit 33-45 zu sprechen kommen, dann bringen sie ihre Hochachtung, beispielsweise den damaligen Wehrdienstverweigerern unter den Zeugen Jehovas zum Ausdruck.

In beiläufigen Nebensätzen koppeln sie das dann mit der sinngemäßen Anmerkung; „wie man auch sonst immer zu Lehre und Praxis der Zeugen Jehovas stehen mag." Dies ist der springende Punkt. Der Verfasser dieser Studie sieht den kardinalen Unterschied darin, dass er nicht nur eine unbestimmmte „wie auch immer Meinung" vertritt, sondern auch in diesem „schwammigem" Bereich, möglichst „Ross und Reiter" ggf. beim Namen benennt.

Verfolgt man die religiöse Szene der letzten Jahre, so fällt auf, dass immer neue Namen am Horizont auftauchen. Gurus aus Indien, neben militanten Antikommunisten aus Südkorea, selbst die Prostitution als Werbemittel einsetzende „Propheten" aus Amerika hat es schon gegeben. Um einige dieser Gruppen ist es dann im laufe der Zeit wieder still geworden; andere Namen tauchten dafür wieder neu auf. Aber indem es so ist, offenbart sich zugleich auch eine innere Kraftlosigkeit dessen, was man herkömmlicherweise unter Christentum verstand bzw. versteht.

Wenn im Freidenkertum der 1920-er Jahre die These verbreitet war, dass, wenn die Zwangskirche zerfällt, eine um so buntere Schar von fanatischen „Heiligenklubs" übrigbleibt bzw. entsteht, dann hat auch die neuere Entwicklung diese These bestätigt. [1]

Damit ist aber nun noch nicht gesagt, dass nunmehr die weltgeschichtliche „Stunde des Atheismus" geschlagen hätte. [2] Eine solche Interpretation wäre zu weitgehend. [3] Kennzeichen der Religion ist, dass sie auch soziale Wurzeln hat (und sei es nur, die besonders bei den kleineren Religionsgemeinschaften, relativ enge Kommunikation der Mitglieder untereinander). [4] Die Religion reflektiert somit - vielfach - soziale Defizite der Menschheit.

Wenn einzelne Religionsvertreter dabei gewisse, schon an Hasadeurtum erinnernde Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen entwickelt haben, so bekommen sie - früher oder später - die Rechnung dafür in besonders poinitierter Gegnerschaft, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen hervorgehend, repräsentiert. Ein solcher Fall liegt offenbar auch bei den Zeugen Jehovas vor. [5] Seitens der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" wurde einmal, verlautbart, dass man den Eindruck gewonnen habe, dass wohl über keine andere Religionsgemeinschaft, soviel kritisches Material vorliege, wie gerade bei den Zeugen Jehovas.

Wobei allerdings diese Kritiken auch noch einer ebenfalls nicht unkritischen Bewertung unterzogen werden müssen. Diese Feststellung kontrastiert zu der anderen Feststellung, dass es wohl kaum eine andere Religionsgemeinschaft gegeben hat, die ein solch hohes Maß an widerständigem Verhalten im Hitlerregime praktiziert hat, wie gerade die Zeugen Jehovas. Ihre dortige Widersetzlichkeit (nicht politisch aber vielfach doch gewissensmäßig motiviert) gilt es in ihrem geistesgeschichtlichen Rahmen einzuordnen.

Für viele Zeugen Jehovas sind nicht sosehr die dogmatischen Bezüge ihrer Religion motivierend, sondern nicht zuletzt das den Rahmen der Unverbindlichkeit übersteigende soziale Geflecht der Mitgliedern untereinander, die wiederum aufgrund ihrer Dogmatik, eine Eingrenzung eben vorrangig nur auf die eigene Mitgliedschaft erfahren hat. Sie befinden sich vielfach in einem „Labyrinth".

Wenn sie eines Tages erkennen, dass sie die Dogmatik der Zeugen Jehovas nicht länger mehr mitzutragen vermögen, ist ihr Lebensstil schon so einseitig geprägt, dass es ihnen schwer fällt, neu wieder Fuß zu fassen. Dies mag im Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt sein. Aber es sind genügend Fälle bekannt, wo dieser Aspekt zu menschlichen Katastrophen geführt hat. [6]

Andere wiederum haben sich, ob solcher Erfahrungen ein seelisch „dickes Fell" zugelegt, wieder andere sehen ihren neuen Lebensinhalt in der aktiven Bekämpfung jener Religion, die sie zutiefst verletzt hat. Wirklich kompetente Beobachter, haben denn auch in ihrer Einschätzung jenen Aspekten, einen nicht unwichtigen Platz zugewiesen.

Damit ist noch nicht gesagt, dass gegen solche Tendenzen nun unbedingt der weltliche Staat eingreifen müsste. [7] Menschliche Katastrophen gibt es auch auf anderen Ebenen, auch und nicht zuletzt im nichtreligiösen Bereich. Aber es ist das legitime Recht der von solchen Praktiken Betroffenen, die Öffentlichkeit darüber zu alarmieren. [8]

Bezogen auf die USA zitiert Hunt z. B. einige Stimmen: „Nach vierzigjähriger Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas sagt Carmen Gigliotti, dass ein großer Teil der Wachtturmlehren in erster Linie darauf abziele, die Mitglieder von ihrer Umwelt zu isolieren. Individualität lässt sich auf diese Weise leichter ersticken; außerdem stärkt er die Kontrolle des Kultes - wobei den Mitgliedern fortwährend versichert wird, gerade die Anpassung an den Kult errette. …

Auf seine Jahre als Zeuge Jehovas zurückblickend, sagt Clark Barrington zurückblickend: 'Ich wurde einer so starken Gehirnwäsche unterzogen, dass ich mich wie ein Hund mit einer Leine um den Hals fühlte. Jedesmal, wenn ich aus der Reihe trat, verspürte ich den kleinen Ruck, der mich wider zurückzog. … Eines Tages stieß ich auf einen Artikel, in dem stand, dass es unter den Zeugen Jehovas viermal so viele Nervenzusammenbrüche gebe wie unter der übrigen Bevölkerung. Ich wusste, weshalb. … Die Gesellschaft verfügt wahrlich über eine lange Tradition wechselvollster Offenbarungen und gezielter Verschleierungen. Nachdem sich Clark die lange Liste angeschaut hatte, musste er widerstrebend zugeben, dass die Verantwortlichen ihre Misserfolge bewusst zu vertuschen suchten: 'Sie kehren sie unter den Teppich, die ganze Sache kam mir vor wie ein Wachtturm-Watergate!'" [9]

Über einen prominenten Ex-Zeugen Jehovas wird berichtet:

„Da wir nur Freundschaft mit Glaubensbrüdern schließen durften, lernten Michael (Jackson) und ich (La Toya Jackson) in der Privatschule, die wir … besuchten, kaum Mitschüler kennen. Wir freundeten uns mit einem Mädchen an, dass auch bei den Zeugen Jehovas war. Dorles wurde meine erste und einzige Freundin außerhalb der Familie. Jeden Tag nach dem Mittagessen lasen wir zusammen die Bibel und wir gingen auch gemeinsam in den Königreichssaal. [10]

Während einer Versammlung forderte Dorles mutig einen der sogenannten 'Altesten' heraus. 'Warum werde ich gerettet und meine Eltern nicht?' fragte sie unbefangen. 'Auch wenn sie keine Zeugen sind, sind sie doch sehr gute, liebe Menschen.' Die Antwort des Ältesten war typisch. Er zitierte die Schriftstelle, die seinen Standpunkt untermauerte, aber er ging im Grunde nicht auf Dorles Frage ein. …

Eines Tages fing mich Rebbies Ehemann Nathaniel ab, der auch zu den Ältesten gehörte. 'La Toya', sagte er, 'Du darfst nie wieder mit Dorles sprechen. Nie wieder.' 'Aber warum denn?' 'Sie ist ausgeschlossen worden.' Wer aus der Glaubensgemeinschaft hinausgeworfen wird, musste von Stund an gemieden werden." [11]

In ihren Selbstdarstellungen zur NS-Zeit findet man bei den Zeugen Jehovas kaum kritische Akzente. Das notwendige Gleichgewicht herzustellen bleibt Außenstehenden vorbehalten. Fahle äußert z. B.: „Die aus religiösen Gründen kriegsfeindlich eingestellten Personen verfügten über eine aus ihrem Glauben schöpfende Kraft, die sie teilweise zu todesverachtenden Handlungen und Haltungen befähigte. … Dennoch waren Nationalsozialismus und Bibelforschertum nicht in jeder Hinsicht wesensverschieden. Auch die Zeugen Jehovas waren einer totalitären, streng hierarchisch aufgebauten Gemeinschaft unterworfen: Ihre Persönlichkeit schloss eine Integration in die nationalsozialistische 'Volksgemeinschaft' aus. Sie verstanden sich als Gesandte Gottes, als seine Prediger, die den Konflikten zwischen Staaten bzw. den großen weltlichen Auseinandersetzungen der Zeit neutral, ja gleichgültig gegenüberstanden." [12[

Wenn man will kann man auch die Nazis für diese These mit heranziehen. [13] Etwa, wennn Höß ausführt, dass bei vielen Gelegenheiten Himmler auf den gläubigen Fanatismus der Bibelforscher verwiesen habe. „Genauso fanatisch, so unerschütterlich wie der Bibelforscher an Jehova glaubte, genau so müsse der SS-Mann an die Idee des Nationalsozialismus, an Adolf Hitler glauben. Erst wenn alle SS-Männer solch gläubige Fanatiker ihrer Weltanschauung geworden wären, wäre der Staat auf Dauer gesichert." [14]

Hetzer fasst seine Einschätzung des Grundkonfliktes in die Worte zusammen, dass die „Verneinung des Rechtes eines Staates, die Bekenner der Lehre jenseits von in der Bibel wörtlich angeführten Pflichten, etwa der Steuerzahlung, weiter in Anspruch zu nehmen … zur Ablehnung der Legitimität des Nationalsozialismus (führte). Dies gab ihrem Konflikt mit Staat und Partei schließlich einen verbissenen, von pragmatischen Überlegungen ungetrübten Charakter. … Sie setzten aber in diesem Kampf ungeahnte, von metaphysischen Auserwähltheitsansprüchen getragene Energien ein." [15]

Einen beachtlichen Kommentar kann man auch bei Heuzeroth nachlesen. [16] Die Rede ist von „bedenklichen Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialisten und den Zeugen Jehovas." Angeführt wird, dass beide Organisationen hierarchisch „nach dem Führerprinzip aufgebaut" sind und von ihren Mitgliedern absoluten Gehorsam verlangen, „wobei sie weder Widerspruch noch wirkliche Freiheit des Denkens dulden. Wer bei den Zeugen Jehovas Meinungen äußert, die auch nur einen Hauch von der offiziellen Lehrmeinung abweichen, gilt als von Satan inspiriert. Der Rassenwahn der Nationalsozialisten und ihrer Einschätzung, Repräsentanten der Herrenrasse zu sein, steht auf Seiten der Zeugen Jehovas der Glaube an eine besondere Auserwähltheit gegenüber. Den Ausdruck 'Gottes Volk' reservieren sie nur für ihre eigene Glaubensgemeinschaft."

Dieser Kommentar geht so weit (vielleicht zu weit) auch noch zu äußern:

„Die Nationalsozialisten sprachen von der Endlösung des Judentums, während für die Zeugen Jehovas der Endkampf zwischen Gut und Böse unmittelbar bevorsteht. Nach dieser Schlacht von Harmagedon wird Jesus als 'größter Feldherr aller Zeiten' ein 'tausendjähriges Reich' errichten." [17]

Der Rechtsanwalt Erwin Fischer meinte: „Diese Sekten nehmen den Begriff einer totalitären Religion wieder auf, obwohl gerade sie vornehmlich Nutznießer der Religionsfreiheit sich zu Toleranz bekennen müssten." [18]

Zeugen Jehovas sind dafür bekannt, das sie einen hohen Anteil ihres „Zeitkontigentes" für die Interessen ihrer Religionsgemeinschaft einsetzen. Das führt mitunter dazu, dass im bürgerlichen Beruf arbeitslos gewordene Zeugen Jehovas, keinerlei sonderliche Anstrengungen unternehmen, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Ein Beispiel in dieser Richtung ist bei Kosak abgedruckt:

„Arbeitslosengeld erhält nur der, der der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, also bereit ist, eine angemessene, ihm angebotene Position anzutreten. Das sei bei einem Zeugen Jehovas nicht gegeben, so befand ein niedersächsisches Arbeitsamt. Der Mann sei nämlich nicht bereit, einen Job zu akzeptieren, der ihm in der Woche 40 Arbeitsstunden auferlege. Er wolle nur eine Tätigkeit haben, die ihn 22 bis 26 Stunden pro Woche in Anspruch nehme, weil er in der übrigen Zeit seiner Glaubensgemeinschaft dienen wolle." [19]

Die Leitung der Zeugen Jehovas ist dafür bekannt, dass sie ein scharf kalkulierender Rechner ist. [20] Mancher Manager könnte diesbezüglich, ob ihrer Methodik „vor Neid erblassen." Für Gewerkschaften hingegen dürfte sie hingegen das Paradebeispiel frühkapitalistischer Ausbeutung sein. Es ist bezeichnend, dass sie, die sich da rühmen ihre Mitgliedschaft zu gesetzestreuen Bürgern zu erziehen, dass sie selbst gegebenenfalls bereit sind ohne Skrupel diese Grenze zu überschreiten, wenn es ihren Interessen dienlich ist.

Ein Beispiel stellte die Frage der Kongressverpflegung bei öffentlichen Veranstaltungen der Zeugen Jehovas dar. In den 1950-er Jahren entwickelte diese sich zu einem lukrativem Geschäft. Für den auf diesen Veranstaltungen durchgeführten Kantinenbetrieb in eigener Regie, wurden die Waren zu Großhandelspreisen eingekauft und dann über ehrenamtlich fungierende Mitglieder, auf der Veranstaltung mit entsprechenden Aufschlägen weiter veräußert. Der dabei erzielte Gewinn landete in den Kassen der Wachtturmgesellschaft.

Um dem ganzen einen „nichtkommerziellen" Anstrich zu geben, wurde ein Teil dieser Verpflegung, über Essenmarken zu einem relativ niedrigen Preis abgegeben. Wobei aber zu berücksichtigen ist, dass dabei keinerlei Lohnkosten anfallen. Alles was hingegen über diese „Grundversorgung" hinausging (Getränke, Imbissangebot et.) brachte dafür satte Gewinne, da auch dafür keine Lohnkosten anfielen, diese Waren jedoch nur mit einem entsprechendem Gewinnaufschlag abgegeben wurden.

Diese Praxis erregte schließlich auch die Aufmerksamkeit des Fiskus und brachte der Wachtturmgesellschaft eine Klage des Bundesfinanzhofes ein. Mit Urteil vom 12. 7. 1962 wurde sie zur Zahlung entsprechender Umsatzsteuer verurteilt. Ihre dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht am 4. 10. 1965 zurückgewiesen. [21]

Seit jener Zeit werden die Veranstaltungen der Zeugen Jehovas ohne Kantinenbetrieb durchgeführt. Die Mitgliedschaft wird aufgefordert, sich ihre Pausenverpflegung selbst mitzubringen. Die Möglichkeit, bei Zahlung entsprechender Umsatzsteuer diesen Kantinenbetrieb weiter durchzuführen, betrachtet man offenbar als nicht attraktiv genug.

Ein anderes Beispiel stellt die Frage der Krankenversicherung dar. „Infolink" hat diesen Fall einmal anhand einer diesbezüglichen internen Anweisung der Zeugen-Leitung vom 1. 5. 1983 näher erläutert. Danach werden Zeugen Jehovas, die bereit sind in deren hauptamtlichen Dienst zu treten, ohne gleichzeitig noch ein „weltliches" Teilzeitarbeitsverhältnis zu unterhalten, aufgefordert, eine bestehende Krankenversicherung zu beenden. Diesen Hauptamtlichen wird seitens der Zeugen-Leitung nur ein gering bemessenes Taschengeld zum Lebensunterhalt gewährt, das so gering bemessen ist, das dafür keinerlei Steuerpflicht anfällt. [22]

In der Praxis haben denn auch etliche dieser Hauptamtlichen sich eine geviewte Schnorrermentalität angeeignet um so wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Sie lassen sich eben von der Mitgliedschaft mit Geldwerten Ersatzleistungen „freiwillig beschenken." Auch für diese „Geschenkleistungen" besteht keine Steuerpflicht. [23]

Was aber nun, wenn sie in die Verlegenheit kommen sollten, medizinische Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen? Dazu hat man folgenden „Dreh" entwickelt. Die Krankenkasse DAK , Geschäftsstelle Ludwigshafen, gewährt in solchen Fällen auf Antrag die medizinische Leistung. Die Betroffenen werden aufgefordert sich nur an diese Geschäftsstelle und nirgendwo anders hinzuwenden. Notwendige Erklärungen über die Einkommensverhältnisse dazu, werden nur über die Zeugen-Leitung an diese Geschäftsstelle weitergeleitet und es wird ausdrücklich dazu aufgefordert, diesbezüglich keinen Direktkontakt aufzunehmen.

Infolink kommentiert das mit der Anmerkung, dass dort wahrscheinlich einige Zeugen Jehovas „an einflussreicher Stelle sitzen, mit denen man vermutlich unter der Hand so einiges verabredet hat." Der „Hammer" kommt aber noch dergestalt, dass die Betroffenen, die ja keiner Krankenkasse angehören, zu allem Hohn noch aufgefordert werden, die verauslagten Beträge in Ratenzahlungen abzuzahlen. Dazu heißt es in der internen Anweisung der Zeugen-Leitung: „Die Kosten werden nicht von der DAK übernommen, sondern uns zur Zahlung aufgegeben, und Ihr müsst sie uns dann erstatten…" [24]

In einem müden Dementi, versucht B..., im Auftrage der WTG, diese Sachlage herunter zu spielen: „Diese seit 1991 nicht mehr gültige Verfahrensweise begründete keine Rechtspflicht des einzelnen Sondervollzeitdieners zur Rückzahlung der verauslagten Kosten für Gesundheitspflege. Ihm wurde, verbunden mit der Bitte um einen Rückzahlungs-Vorschlag, der verauslagte Betrag mitgeteilt. Außerdem wurde ein internes Buchungskonto angelegt um Rückzahlungen entsprechend verbuchen zu können.

Nach Auskunft der WTG-Zentrale in Selters wurde aber keiner der Vollzeitdiener in irgendeiner Weise genötigt, entsprechende Zahlungen vorzunehmen." [25]

Man gibt also zu, dass solche Praktiken durchaus bis Anfang der 90-er Jahre aktenkundig sind. Erst nachdem, zu jenem Zeitpunkt Kritiker auch die Frage der Rentenversicherung aufgerollt hatten, sah man sich zum stillschweigenden modifizieren dieser Sachlage genötigt. Nicht jedoch zu einer grundsätzlichen Reform. Ein solches Beispiel sagt einiges über den Ausbeutercharakter dieser Organisation aus!

Ein häufiger „Knackpunkt", der das Fass zum Überlaufen bringt, sind auch die vielfach unterschwellig bei den Zeugen Jehovas lancierten Endzeiterwartungen. Ein Beispiel liefert Lemke, wenn er betont:

„Ich weiß noch, wie geredet wurde, als damals die KSZE-Konferenz stattfand. Jeder Zeuge Jehovas sah darin die Erfüllung einer Prophezeiung, des 'Ausruf von Frieden und Sicherheit'; anschließend kommt die Vernichtung der alten Welt. Ich erinnere mich genau, wie unsere Aktivitäten noch hektischer wurden." [26]

Als nach 1989 der DDR-Staat zusammengebrochen war, der sich auch als für die Ewigkeit gegründet wähnte, wurde auf einem der ersten Kongresse für die DDR-Zeugen Jehovas, deren Koordinator Helmut Martin groß herausgestellt. [27] War er es doch gewesen, der zusammen mit anderen Zeugen Jehovas, im DDR-Amt für Kirchenfragen, die Wiederzulassungsurkunde entgegen genommen hatte. Die DDR-Tageszeitung „Neues Deutschland" hatte zudem in diesem Zusammenhang ein Interview mit ihm veröffentlicht. [28] Dies im Sinn behaltend ist es interessant zu wissen, dass am 28. 6. 1996 der Berliner Rundfunksender SFB 3 eine Sendung ausstrahlte unter dem Titel: „Zwischen Harmagedon und Babylon." Autor dieser Sendung war Marko Martin, Enkel des vorgenannten Helmut Martin.

Martin Marko berichtet darin freimütig, dass sein Vater (also der Sohn des Helmut Martin) immer mehr in Widerspruch zur Doktrin der Zeugen Jehovas geraten war. Seine eigenen Erfahrungen umschreibt er mit den Worten, dass ihm die „penetrante Selbstgefälligkeit der religiösen Miniatur-DDR" gestört habe. Seinen Kernsatz kann man vielleicht sehen in der Aussage:

„Kaum verhüllter Hass der sich auftut, wenn man wagte dieses ungelebte Leben zu hinterfragen. Daher fiel es mir nicht schwer wegzugehen, aus der religiösen, wie aus der politischen DDR."

Josy Doyon, bekannt geworden durch ihr 1966 erstmals erschienenes Buch „Hirten ohne Erbarmen", repräsentiert den Typ der publizistisch gewordenen ehemaligen Zeuginnen Jehovas, von denen es mittlerweile einige gibt. Eine Besprechung dieses Buches meinte einmal, dass es ein fraulich ansprechendes Buch sei. Man wird dem sicherlich beipflichten können.

Aber sie hat nach 1966 auch noch weitere Erfahrungen gemacht. Einen Einblick davon gibt sie uns auch in ihrem Buch „Unheimliche Fallensteller". Zehn Jahre habe ich ein „Hundedasein" in einer Sekte geführt. Mit diesen Worten beschreibt sie ihre einschlägigen Erfahrungen. Dennoch blieb es ihr nicht erspart, dass sie auch in der nachfolgenden Phase ihres Lebens unliebsame Erfahrungen machte. Insbesondere machte ihr zu schaffen, dass eines ihrer Kinder einen ebenfalls fragwürdigen Weg einschlug:

„Der einzige Trost dabei war, dass er nicht noch in meiner verflossenen Sekte gelandet war. Nein, er hatte die 'Aussteigergilde' gewählt, die in meinen Augen und nach meinen bisherigen Erfahrungen einer waschechten Sekte in nichts nachsteht." [29]

Dieser Bericht offenbart zugleich, dass der alte und immer wieder neue Generationenkonflikt, zugleich einer der Faktoren ist, die Menschen einen Weg einschlagen lassen, den „nachzuvollziehen", ihre engsten Angehörigen sich oftmals außerstande sehen. In der Regel profitieren die Zeugen Jehovas davon, indem sie den „Generationskonfliktsflüchtlingen" eine neue Heimat anbieten. Indes zeigt sich beim näheren Hinsehen, dass auch sie vor diesen Erosionserscheinungen nicht verschont bleiben. [30]

Bei den Wissenschaftlern, die sich, instrumentalisiert von der Wachtturmgesellschaft, dieser beispielsweise für Wandervorträge, die das Lob der Zeugen Jehovas in der NS-Zeit singen, zur Verfügung stellten, fällt auf, dass sie die vorstehend beschriebene Konfliktlage kaum, oder nur äußerst marginal, reflektieren. Die Geschichte der Zeugen Jehovas nur auf die Zeit 1933-45 einzugrenzen und die anderen wichtigen Aspekte außer Betracht zu lassen, ergibt ein Zerrbild, dass nicht unwidersprochen hingenommen werden kann. [31]

Letztendlich müssen auch grundsätzliche Fragen mit angerissen werden, die nicht „nur" den Zeugen Jehovas „Bauchschmerzen" bereiten werden. „Die Kritik der Religion ist für Deutschland im Wesentlichen beendet. Sie endet mit der Kritik der gesellschaftlichen Zustände, die Religion erforderlich macht."

Mit diesen sinngemäßen Worten äußerte sich circa im Jahre 1843 ein Mann namens Karl Marx über die Religion. Er krönte seine These an anderer Stelle mit der Aussage, dass die Philosophen (und Religionen) die Welt lediglich verschieden interpretiert hätten - dass es aber darauf ankäme, sie zu verändern. [32] Nun ist der Veränderungsversuch des sogenannten „Wissenschaftlichen Sozialismus" nicht „nur" in ökonomischer Hinsicht gründlich daneben gegangen. Wer heute noch von Marx redet, läuft Gefahr als nicht ganz auf der „Höhe der Zeit" stehend angesehen zu werden. Hat also, da der „Marxismus/Leninismus" abgedankt hat, hat dafür nunmehr als Alternative die Religion recht? Ihre Vertreter möchten es gerne so darstellen. Diese These aufnehmend wird man nunmehr von Marx abweichen müssen.

Marx war mit der Religion „fertig". Er meinte unter Hinweis auf Kirchenkritiker wie David Friedrich Strauß, Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach, dass die Religion so zu sagen „abgewirtschaftet" hätte. Das es vergebliche Liebesmüh wäre, sich mit ihr ideologisch weiter zu befassen. Es gäbe wichtigeres zu tun. Nun hat die tatsächliche Geschichte den sogenannten „Marxismus/Leninismus" für abgewirtschaftet erklärt.Gewiße Religionsvertreter fühlen sich als eindeutige Sieger über ihn.

Zwar nicht als K. O. - Sieger, aber doch als „Sieger nach Punkten". Daher sei in Abweichung von Marx, die Kritik der Religion als noch nicht beendet erklärt. Daher sei diesen „Siegern nach Punkten" einige notwendige Fragen gestellt. Es sei gestattet, dies am Beispiel einer speziellen Religionsgemeinschaft näher zu verifizieren.

„Kommt her zu mir alle, die ihr niedergedrückt und belastet seid; ich will euch Ruhe schaffen! Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig (oder liebreich) und von Herzen demütig: So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht." Mit diesen Worten soll sich nach der biblischen Überlieferung der historische Jesus an seine Jünger gewandt haben. [33]

An anderer Stelle werden dem Jesus die Worte zugeschrieben: „Jesus aber sagte zu seinen Jüngern: 'Wahrlich ich sage euch: Für einen Reichen wird es schwer sein, ins Himmelreich einzugehen. Nochmals sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgeht, als das ein Reicher in das Reich Gottes eingeht.'" [34]

Diese Aussagen beinhalten ja nun eine grundsätzliche Charakteristik, nämlich die: Das es nicht die „Saturierten" sind, die sich in erster Linie von der Botschaft des Christentums angesprochen fühlten. Die „Klientel" des Jesus ist eher am anderen Ende der sozialen Skala anzusiedeln - zumindest in der ersten Generation. Indem eine Generation der anderen folgte, verwischen sich diese Konturen im laufe der Zeit. Das Christentum „verbürgerlichte".

Von Zeit zu Zeit gab es jedoch gewisse „Neuaufbrüche". Sie bemühen sich insbesondere darum, an den Elementen des Urchristentums neu anzuknüpfen. Von einer solchen Gruppe, ursprünglich in den 1870-er Jahren entstanden, war schon die Rede. [35]

Es war im November 1978, als die Weltöffentlichkeit durch eine Meldung aus dem südamerikanischen Staat Guayana aufgeschreckt wurde. Eine bis dahin weitgehend unbekannte religiöse Sekte machte Schlagzeilen. Schlagzeilen makabrer Art. Ein amerikanischer Kongreßabgeordneter war zusammen mit einer Delegation nach Guayana gefahren, um sich an Ort und Stelle ein Bild über diese Gruppe zu machen. Sein Reisetrip basierte darauf, dass Angehörige von Sektenmitgliedern die Sektenleitung beschuldigten, eine Art Konzentrationslager geschaffen zu haben, und das die hörigen Sektenmitglieder wirtschaftlich versklavt würden.

Der Kongreßabgeordnete musste seine Expedition letztlich mit dem Leben bezahlen. Wohl konnte er sich an Ort und Stelle selbst ein Bild machen. Wohl konnte er einige für den Sektenleiter unangenehme Fragen stellen. Als jedoch einige Bewohner dieser Sektenkolonie den Besuch des Abgeordneten zum Anlass nahmen den Wunsch zu äußern; er möge sie wieder in die Vereinigten Staaten mit zurücknehmen. Da war das schon vorher arg angespannte Nervenkostüm des Sektenführers endgültig überfordert.

Er gab Anweisung, dass die Delegation nach dem verlassen der Sektenkolonie heimtückisch ermordet werden sollte. Er plante dazu einen „Flugzeugabsturz" im Dschungel zu inszenieren, so dass das ganze nach einem „gewöhnlichen Unfall" aussehen sollte. Sein Plan ging nicht voll auf. Wohl wurden etliche Kommissionsmitglieder ermordet; aber es gab doch noch Überlebende dieses Mordanschlages.

In seiner ausweglosen Situation ordnete der Sektenführer den Selbstmord durch das Trinken von mit Zyankali versetzten Getränken an. Die Bilder und Nachrichten über dieses Massaker erschütterten die Welt. [36] Eine bemerkenswerte Polarisierung trat danach ein. Das Thema religiöse Sekten wurde nunmehr auch von der Sensationspresse vermarktet. Neue Vorwürfe gegen andere religiöse Gruppen wurden in der Öffentlichkeit laut. Sie liefen letztendlich auf ähnliches hinaus. Auf den Vorwurf der Werbung mit unlauteren Mitteln und der anschließenden wirtschaftlichen Versklavung.

Auch die „Großkirchen" sahen sich veranlasst in diese Diskussion einzutreten.

Ihre Reaktion war zwiespaltig. Einerseits war die Tendenz die religiöse Konkurrenz madig zu machen, nicht zu übersehen. Andererseits war den Kirchen das Aufgreifen dieser Thematik durch die Sensationspresse durchaus nicht recht. Es gab kirchliche Stimmen die, so weit gingen zu sagen, da werde ein neuer Kirchenkampf, „vergleichbar" dem Hitler'schen Kirchenkampf in Szene gesetzt. Die Diskussion darüber ist bis heute nicht zum Abschluss gekommen.

Es fällt aber auf, dass besonders die Ungereimtheiten einiger, erst seit den 1970-er Jahren sich bemerkbar machender religiöser Gruppen in den Vordergrund traten. Blickte man indes weiter zurück auf andere Gruppen, die bereits früher entstanden waren, so war ein partielles ausblenden feststellbar. Sicherlich spielt als Ursache dafür auch der Neuigkeitswert eine entsprechende Rolle.

Die „Volkstempel"-Sekte des Jim Jones geriet in die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit. Ihr Neuigkeitswert lag besonders in ihrer Kurzschlusshandlung begründet. Diesen Aspekt einmal ausblendend gilt es auch die Ursachen dieses „Kurzschlusses" im Besonderen zu sehen. Es war die Art und Weise wie die Sektenleitung mit den ihnen Hörigen umsprang. Andere Gruppen sind nicht, indem Maße öffentlichkeitswirksam geworden. Bedeutet das nun, dass sie harmloser sind? Bedeutet es, dass sie keine Kritiker auch aus den eigenen Reihen gefunden haben?

Worin unterscheidet sich der Vorwurf, es seien „Hirten ohne Erbarmen" von den Vorwürfen gegen andere Gruppen? Im Prinzip in nichts. [37] Lediglich das die Zuspitzung in direkte Mordaktionen wie im Falle Guayana ausbleibt.

Bei der uns interessierenden Organisation fängt es schon damit an, das die eigene Mitgliedschaft einem strengen Management unterworfen wird. Eines ihrer Dogmen besagt, dass es der Mitgliedschaft nicht gestattet sei - auch nicht in Notsituationen - sich eine Bluttransfusion geben zu lassen. Was jedoch, wenn dieses Dogma in der Praxis nicht beachtet wird? In wohlformulierten Worten ist von einer „vorverlagerten Gewissensentscheidung" die Rede, die man doch bei der Taufe getätigt habe.

Und so wird denn auch in einem internen Lehrbuch dieser Organisation von 1960 [38] den Übertretern dieses Dogma der Rausschmiss aus ihrer Organisation angedroht, wobei die bisherigen Opfer für diese Organisation keinerlei Berücksichtigung finden. Lediglich, wenn der in der Notlage sich befindende bereut und zerknirscht seine „Verfehlung" eingesteht und die Beauftragten dieser Organisation um Entschuldigung bittet, ist man eventuell bereit „Gnade vor Recht" ergehen zu lassen.

Unmissverständlich ist indes die Anweisung das, wenn der Betreffende sich rechtfertigt, „dass dann alle Einschränkungen (gelten), die jemandem auferlegt werden, dem die Gemeinschaft entzogen wird. Die gleichen Maßnahmen müssen ergriffen werden, wenn jemand eine Transfusion für seine Frau oder sein Kind gutheißen würde." [39]

Im Internet wurde dieser Aspekt mal mit dem sarkastischen Kommentar einer ehemaligen Zeugin Jehovas versehen: „Meine Eltern hatten große Probleme mit der Blutfrage einmal, weil sie an uns Kindern hingen und dann auch, weil sie selbst den Bibeltext nicht so fanatisch interpretierten. Als sie mit einem verantwortlichen Bruder über ihre Probleme sprachen, wurde ihnen mit einem warmherzigen und freundlichen Lächeln gesagt, dass sie natürlich die freie Entscheidung hätten, sich im Falle eines Falles selbst aus der Gemeinschaft der ZJ auszuschließen oder eben den Anordnungen der Organisation zu folgen. Es sei ihre Entscheidung, ob sie für sich und ihre Kinder für ein ewiges Leben in Gottes neuer Ordnung oder mit der Annahme einer Bluttransfusion eben letztendlich für die ewige Vernichtung entscheiden würden. Warmherzig …, nicht?!"

Wer so rigoros - im Namen der Religion - meint über das Leben und die Gesundheit anderer entscheiden zu können. Derjenige muss es sich gefallen lassen, auch unangenehme Fragen gestellt zu bekommen und auch in Vergleiche gesetzt zu werden, die ihm nicht „schmecken".

Es konnte nicht die Aufgabe dieser Studie sein, die billige Polemik der Sensationspresse oder der „Bildzeitungen für Intellektuelle" modifiziert zu wiederholen. Es kann nicht die Aufgabe sein, nur Schattenseiten aufzuzeigen und die potentiellen Widersacher dieser Organisation von Kritik zu „verschonen". Einige von ihnen haben ihren Teil abbekommen.

Es gehört mit zur Geschichte dieser Organisation, dass sie durch ihr Verhalten sowohl die Nazis als auch die Kommunisten zeitweilig bis zur Weißglut gereizt hatten. Die sich dafür wiederum mit unlauteren Mitteln rächten.

Es gilt zusammenfassend anzuerkennen, dass es sich hierbei um Nonkonformisten handelt die, wenn man ihre Absonderlichkeiten akzeptiert, durchaus als wertvolle Bürger einzuschätzen sind - in Gesellschaftsordnungen, die durch das Stichwort „Evolution" gekennzeichnet sind. Hingegen in Gesellschaftsordnungen, unter dem Stichwort „Revolution (unter was auch immer für Vorzeichen) bilden sie das exemplarische Beispiel der „Konterrevolution", durch ihre „Nonkonformität".

Schon in den Anfängen der Bibelforscherbewegung in Deutschland, kam dass zum Ausdruck. Ihre Wurzeln reichen zwar in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, aber wirklich größere Beachtung in der Öffentlichkeit erlangten sie erst in der Zeit danach. Der Eindruck, den sie bei den damals kompetenten Kritikern, die in der Regel kirchlich orientiert waren, hinterlassen haben, gibt z.B. die Bemerkung wieder:

„Die Bibelforscher können es nicht lassen, die Antisozialisten, die Kapitalisten und die Kirche in einem Atem zu nennen. Damit machen sie Eindruck bei den Arbeitermassen, damit stellen sie die Kirche bloß, als ob sie die Schleppenträgerin der herrschenden Klasse sei!" [40]

1924 meint Allgeier: „Es ist eine auffallende Tatsache, dass die Ernsten Bibelforscher gerade in Arbeiterkreisen begeisterte Anhänger finden, die sonst von Bibel und allem, was damit zusammenhängt, wenig wissen wollten." Der gleiche Autor fragt dann weiter: „Sollte sich diese merkwürdige Erscheinung innerlich so erklären, dass sie bewusst oder unbewusst dieselbe Grundstimmung wiederfinden, nur in der Bibel dazu auch eine Form, die dem auf das Anschauliche gerichteten Geist des einfachen Mannes besser entspricht als die abstrakte Fassung eines philosophierenden Theoretikers?" [41]

Sekten, so ärgerlich sie in der Weimarer Republikzeit auch für die Kirchen waren. Sie wurden jedoch von diesen immer noch als das „kleinere Übel" eingeschätzt. Dem atheistischen Freidenkertum galt der Kampf und da konnte man in der Wahl der Bündnispartner nicht wählerisch sein. Auch die Kirchen mussten sich mit dem Faktum auseinandersetzen, dass der Nationalsozialismus zunehmend erstarkte.

Wohl hatten einige Kirchenvertreter schon vor 1933 durchaus kritische Anfragen an diesem. Wohl war ihnen bewusst, dass die nationalsozialistische Floskel vom „positivem Christentum" das er angeblich verträte, dass aber zugleich durch die vielsagende Einschränkung ergänzt wurde, es habe sich am „germanischem Moral- und Wertgefühl" zu messen, dass dies eine heuchlerische „Christentumsbegünstigung" sei. Aber man stand trotz allem, vor der Frage: „Was tun?"

Die politische Entwicklung wurde nicht primär von den Interessen der Kirchen diktiert. Sie hatten faktisch nur die Möglichkeit, auf den „fahrenden Zug mit aufzuspringen" oder sich in eine extreme Außenseiterposition zurückzuziehen und diesbezüglich nichts zu tun. Es stellte sich heraus, dass sie es vielfach vorzogen den Versuch zu unternehmen, auch im Falle des Nationalsozialismus" „ein Bein in der Tür zu haben".

Symptomatisch dafür ist die Äußerung eines Theologieprofessors aus dem Jahre 1932, der da bezüglich der Diskussion um den Nationalsozialismus die Meinung vertrat:

„In der Geschichte des Aufbrechens der 'proletarischen' Bewegung in Deutschland im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts finden sich zu dem allen bemerkenswerte Parallelen, natürlich mit völlig anderen Vorzeichen. Deshalb kann die Kirche heute keinen größeren Fehler begehen, als wenn sie den damals begangenen Fehler bloßer Kritik an der in der Bewegung zutage tretenden Einseitigkeiten, Übersteigerungen, Fehlern, Leidenschaften, Gehässigkeiten wiederholte." [42]

Es machte sich auch innerhalb der Kirchen eine gewaltige Polarisierung bemerkbar. Einerseits jene Kräfte, die Nationalsozialismus und Christentum zu „einem Guß" zusammenzufügen bestrebt waren und das taktische Werben der Nationalsozialisten als „Bestätigung" ihrer Synthesevorstellungen missdeuteten.

Andererseits jene, die nach einiger Zeit praktischer Erfahrung, zunehmend auf den Erhalt des konventionellen dogmatischen Grundgerüstes des herkömmlichen Christentums pochten. Aber auch in jenen, sich in potentieller Distanz zum Nationalsozialismus bewegenden Kreisen, war man trotz einiger Vorbehalte, doch zu einer grundsätzlich wohlwollenden Wertung bereit.

Ein Beispiel liefert Köberle, der in einem 1935 veröffentlichten Buche beklagt, „dass unheimlich die Gefahr wachse, dass wir auf eine volksentfremdete Kirche und den Kirchen entfremdetes Volk hintreiben." Nach seiner Meinung, sei der Protestantismus der Vorkriegszeit „unter der Vorherrschaft von Schleiermacher und Ritschl, von Harnack und Ernst Troeltsch immer mehr zur Religionsphilosophie und Religionspsychologie, zum positivistischen Materialismus und zur ethischen Methaphysik geworden. Das geistige und sittliche Chaos der Nachkriegszeit brachte dem Freidenkertum und der antichristlichen Propaganda im Lebensraum des deutschen Volkstums zweimal sieben fette Jahre." [43]

Er bemerkt weiter, dass das evangelische Deutschland das Werk Adolf Hitlers, darum „freudig begrüßt" habe, dass „es sich der von ihm geführten Bewegung willig zur Verfügung gestellt hat in der zweifachen Hoffnung und Gewissheit: hier hat Gott einen Mann zu geschichtlichem Handeln berufen, der unser Volk befreien darf sowohl von der antichristlichen wie der anarchistischen Gefahr des Bolschewismus. Darum war der Jubel echt und der Denk ehrlich, mit dem das deutsche Luthertum, der deutsche Protestantismus diese einschneidende Zeitenwende bejahte." [44]

Im Zweiten Weltkrieg erstickte dann dieser „Jubel". Jenes menschenverachtende System, wurde auch für die Kirchen zum „Mene Tekel" zum Zeichen an der Wand, dass man zu spät erkannt und richtig einzuschätzen gewusst hatte. Im Rückblick nach 1945 wurde auch den Kirchen gewahr, dass, wenn die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges dies nicht verhindert hätten, es nach der „Endlösung des Judentums", es auch eine solche für das Christentum gegeben hätte. Hitler selbst hatte dazu am 8. 2. 1942 in seinen „Tischgesprächen" erklärt:

„Der größte Volksschaden sind unsere Pfarrer beider Konfessionen. Ich kann ihnen jetzt die Antwort nicht geben, aber alles kommt in mein großes Notizbuch. Es wird der Augenblick kommen, da ich mit ihnen abrechne ohne langes Federlesen. Ich werde über juristische Zwinsfäden in solchen Zeiten nicht stolpern. Da entscheiden nur Zweckmäßigkeitsvorstellungen. Ich bin überzeugt, in zehn Jahren wird das ganz anders aussehen. Denn um die grundsätzliche Lösung kommen wir nicht herum." [45]

Auch die Bibelforscher hatten sich mit dem heraufziehenden Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Akklamationskundgebungen, wie bei den Kirchen feststellbar, sind bei ihnen vor 1933 nicht nachweisbar. Anders die Situation im Jahre 1933. Aber in jenem Jahre standen sie bereits „mit dem Rücken an der Wand." Es ging in jenem Jahre für sie bereits um Sein oder Nichtsein. Die Kirchen als ihre vormaligen Gegner und der Nationalsozialismus hatten sich ihnen gegenüber zu einer Koalition zusammengefunden.

Aus den Kreisen der gegenwärtigen Gegner der Zeugen Jehovas hat man ihr Verhalten im Jahre 1933 vielfach kritisiert. Sicher gibt es einige Aspekte diesbezüglich kritisch bewerten. Aber es gilt auch nüchtern zu sehen, dass diese Gegner der Zeugen Jehovas sich diesbezüglich vielfach an Strohhalmen anklammern. Ein besonderes Beispiel dafür ist die von den Zeugen Jehovas-Gegnern lancierte Interpretation, die Versammlungsstätte, in der sie bei ihrer Kundgebung vom 25. Juni 1933 zusammengekommen waren, sei „mit Nazifahnen geschmückt gewesen". Die Gegner behaupten dies, die Zeugen Jehovas bestreiten dies. [46]

Selbst wenn es so gewesen sein sollte - was keinesfalls „erwiesen" ist - steht eine solche Nebensächlichkeit in keinem Verhältnis zu den wirklichen Grundfragen. Bei jener Zusammenkunft ging es bereits um die ausgesprochenen Verbote. Es ging aber keinesfalls darum, wie beispielsweise bei den auf Hitler orientierten Deutschen Christen nachweisbar, den Nationalsozialismus möglichst noch „von rechts zu überholen.".

Der Verfasser dieser Studie, kritisiert an den Zeugen Jehovas einiges und wird dies auch weiterhin tun. Er schließt sich aber Ihnen und unabhängigen Wissenschaftlern in der These an, dass die gegenwärtigen Kirchen kein Recht haben, dass Verhalten der Zeugen Jehovas speziell im Jahre 1933 mit scheinmoralischen Krokodilstränen zu beklagen. Wenn es darum geht „Schutt aufzuräumen", dann hätten auch die Kirchen mit ihrer eigenen Geschichte mehr als genug zu tun!


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