Re: Frenssen


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 14. August 2002 15:34:08:

Als Antwort auf: Denkblockade geschrieben von Drahbeck am 11. August 2002 11:49:39:

Soll man jenen Bibelspruch aus Prediger 1:9 wieder einmal bemühen, der davon kündet, "dass es eigentlich nichts Neues unter der Sonne gäbe". Die Versuchung es zu tun, ist nicht gering; obwohl es vom grundsätzlichen her solcherart "Fundamentierung" nicht unbedingt bedarf.

Eine bedeutende geschichtliche Zäsur in diesem Lande war bekanntlich das Jahr 1945 mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Siegermächte, allen voran die USA, pflegten neue "VIP" besonders wichtige Personen, zu installieren. Hielten die Sowjets es in ihrem Machtbereich damit, eilends ein paar emigrierte Kommunisten rezuexportieren; so hießen die "VIP" für die Amis in nicht seltenen Fällen, Personen aus der Religionszene. Sieben mal sieben fette Jahre bestanden den Kirchen nunmehr im westlichem Einflussbereich bevor. Noch heute zehren sie davon, obwohl ihre "Weidegründe" inzwischen etwas magerer geworden sind.

Religion und Religion kann bekanntlich durchaus zweierlei sein. "Großkirchlich" geprägtes Christentum und "sektiererisch" geprägtes dergleichen Art. Noch vor vierzig Jahren konnten die "Großkirchen" registrieren, dass so mancher der am Totalitätsklima der "Sekten" scheiterte, in den "Großkirchen" noch eine Alternative sah. Twisselmann beispielsweise, der da programmatisch verkündete vom Zeugen Jehovas nunmehr zum "Zeugen Jesu Christi" geworden zu sein.

Damals gab es noch kein Internet. Die Orientierungsmöglichkeiten der "Aussteiger" tendierten daher mehr in der für sie greifbaren "religiösen Szene" in ihrem unmittelbaren regionalem Umfeld. Das Internet sollte da auch eine neue Perspektive eröffnen.

Noch immer, dass ist unbestritten, gibt es Neuaussteiger, die als ersten Orientierungsschritt nunmehr meinen, auch "bloß" zum Zeugen Jesu Christi geworden zu sein. Sieht man indes genauer hin, stellt man doch so manchen Misston fest. Nicht jeder begnügt sich heutzutage damit, bloß zum "Zeugen Jesu Christi" umgetauft zu sein. Manche stellen gar ketzerische Fragen, die selbst den "Neu-Zeugen Jesu Christi" die Haare zu Berge stehen lassen.

Ist dies so grundsätzlich verwunderlich, bei einer Organisation wie den Zeugen Jehovas? Ich glaube kaum. Aber ich räume ein, dass diese weitergehenden Fragen schon so manchen der "auf der Kippe steht", das "Blut in Wallung geraten" lässt. Soll man diese Fragen ergo also grundsätzlich unterdrücken? Das wäre doch die andere Seite der "Medaille" Meines Erachtens muss in einer freiheitlichen Gesellschaft der Einzelne solche Spannungssituationen ertragen können. Wie er sich dann entscheidet oder nicht entscheidet, bleibt trotzdem letztendlich ihm überlassen.

Noch mal das Beispiel von "vor vierzig Jahren" aufnehmend. Twisselmann wurde wieder Mitglied der Evangelischen Kirche, zahlte treu deren geforderte Kirchensteuern und machte im Rahmen dieser Organisation auch noch eine gewisse Karriere als dortiger Pastor. Sehe ich mir via Internet diejenigen heutigen "Twisselmann-Verschnitte" näher an, so fällt mir besonders ins Auge, dass trotz aller inhaltlichen Nähe zu den Positionen Twisselmanns, kaum einer seiner "heutigen Jünger" noch den Schritt tut, nunmehr in die Kirche oder eine andere adäquate Organisation (Adventisten, Neuapostolen usw.) einzutreten.

Inhaltlich steht der eine oder andere ihnen durchaus nahe. Auch kirchliche Infrastruktur nutzt der eine oder andere durchaus gerne. Aber den entscheidenden Schritt, nun diesen Organisationen auch de jure wieder beizutreten, regelmäßig Kirchensteuer oder den Zehnten zu zahlen, tut heutzutage fast keiner mehr aus der Zeugen Jehovas-Aussteigerszene. Damit wird deutlich, dass die Großkirchen auch auf diesem Gebiet einen beträchtlichen Imageverlust schon erlitten haben.

Kürzlich hatte ich mal in einem anderen Thread die Studie eines Referenten der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zitiert, die dieser dem "Freidenkertum" seit Anfang der 1990-er Jahre gewidmet hatte. Fincke beschreibt darin auch deren desolaten Zustand. Auch das kann man nur bestätigen. Ein zweiter Vorsitzender eines solchen Vereins meinte einmal, bezüglich der Geschichte seines Vereins, dass der sich mit der Gründung einer hauptamtlichen Geschäftsstelle "die total unterfinanziert" gewesen sei, arg verhoben habe. Das jene Büroräume wieder aufgegeben werden mussten und dass der Verband noch heute an den dabei aufgelaufenen Schulden schwer zu knappern hat. Dies bestätigt durchaus die These, dass auch die ideologisch-organisatorischen Pedants zu den Großkirchen nichts "zu lachen haben". Also auch sie verzeichnen nicht, dass einzelne Aussteiger sie nun vielleicht finanziell "kräftigen" würden.

Ähnliches registrieren auch andere Organisationen: Gewerkschaften, Parteien. Es ist unübersehbar; dass die Bereitschaft des deutschen Michels, die zahlende Kuh zu spielen, erheblich nachgelassen hat.

Organisationen auf beiden Seiten der Barrikade haben daher in der Regel nichts zu lachen. Wenn nun fast keiner der den Kirchen doch noch relativ Näherstehenden den entscheidenden Schritt tut, sie durch seinen Beitritt auch materiell zu kräftigen. Warum soll dann in dieser Konstellation das aussprechen von Kirchenkritik zu tabuhaft sein?

Zurückkehrend zur Eingangsfrage, ob es etwas Neues unter der Sonne gäbe? Die 1920er Jahre schon, waren nicht nur für die Bibelforscher eine Blütezeit. Sie waren selbiges auch für das atheistisch orientierte Freidenkertum. Das brachte schon damals "das Blut" der Kirchen in Wallung. Ihr Strohhalm hieß Nationalsozialismus. Versprach doch der den "Bolschewismus" auszurotten und damit auch die unliebsame Freidenkerkonkurrenz. So wurde "vor Tisch" spekuliert. Nach Tisch mussten die Kirchen, noch in der Nazizeit registrieren. Nix da mit Ausrottung des Freidenkertums. Selbiges erhebt unter anderem Firmenschild immer frecher sein Haupt.

Hätte es nicht nach 1945 eine erneute Kirchenrenaissance gegeben, würden wir wohl uns heute auch nicht um die Zeugen Jehovas herumstreiten; dieweil die in dieser Konstellation auch keine größere Bedeutung hätten erlangen können.

Immer vorausgesetzt unter freiheitlichen Verhältnissen, die es 33-45 selbstredend nicht gab. Trotz dieser Einschränkung erhob aber auch in dieser Phase die Religionskritik zusehends ihr Haupt. Sie verkaufte sich damals als Deutschglauben, denn mit "Bolschewismus" wollte man partout nichts zu tun haben. Zu den in den wissenschaftlichen Bibliotheken weitgehend sekretierten (das heißt gesperrten) Büchern, gehören auch solche zum Komplex "Deutschglauben", dieweil dieser zugleich bewusst politisch akzentuiert, auf der politischen Schiene der Nazis mitfuhr. Nur diesem Umstand ist die heutige Sekretierung dieses Schrifttums zuzuschreiben. Liest man also etwas aus diesem Bereich ist man heute gehalten, sehr wohl die darin auch enthaltene politische Tendenz der Nazis "wir sind das Herrenvolk", äußerst kritisch zu werten. Das steht oder sollte außer Frage stehen.

Ein Buch aus diesem Spektrum ist beispielsweise das 1938 in seiner 42. Auflage (276.- 280 Tausend) erschienene Buch von Gustav Frenssen "Der Glaube der Nordmark". Frenssen, ehemals evangelischer Pfarrer, profilierte sich darin auch zu einem Sprecher des "Deutschglaubens". Meine Vorbehalte dazu, glaube ich vorstehend deutlich genug genannt zu haben. Aber bemerkenswert finde ich es schon, wie sich auch diese "Geistesströmung" mit dem herkömmlichen Christentum auseinandersetzte..
Nachstehend mal ein paar Zitate aus jenem Buch
.
Im Vorwort liest man als zusammenfassende Einschätzung dieses Autors (S. 9, 10):
"Einige nennen ihn unfromm. Denn fromm ist ihnen nur ein Mensch, der glaubt, daß diese Welt sündig sei und daß Jesus Christus vor nunmehr 1938 Jahren, nachdem bereits Jahrhunderttausende menschlicher Geschichte vorangegangen waren, als Gottes Sohn geboren sei, um die Menschen aus sündigem Zustand in die verlorene Gemeinschaft mit Gott zurückzuführen, und der das deshalb glaubt, weil ein Buch früherer Zeit und fremder Rasse es so lehrt.

Wer im christlichen Sinn fromm sein will, muß an Wunder glauben: an jederzeit mögliche, die Naturgesetze umstoßende Eingriffe Gottes in das Naturgeschehen. Die Natur hat für den Christen keinen Eigenwert und keine Eigengesetzlichkeit. Und er sieht im Reichtum geistiger Entwicklung letztlich nur zwei Punkte von Bedeutung: Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies - und zweitens den Erdenwandel und die Auferstehung Christi. Bis Jesus wiederkehrt, um sein Reich jenseits aller Natur und menschlichen Geschichte herrlich aufzurichten, geschieht für den wahren Christen eigentlich nichts mehr, was bedeutsam ist.

Weil die Frömmigkeit Frenssens keinen persönlichen Gott kennt, nennen ihn seine Kritiker gottlos, ja sprechen von 'bolschewistischer Gottlosigkeit'. Aber nicht Gott stirbt, sagt Frenssen: es stirbt nur die christliche Vorstellung von ihm. Sie werfen ihm Mangel an Klarheit vor, denn sie kommen von der Kirche, die an feste Lehrsätze gewöhnt ist. Frenssen will keine neue Kirche gründen oder dafür werben, denn Gott ist für ihn nicht in Dogmen zu fassen. Vielleicht ist gerade die ihm vorgeworfene 'Verschwommenheit' ein Ausdruck tieferer Frömmigkeit, als sie jene besitzen, die über Gott genau Bescheid wissen."

Und im eigentlichen Text (S. 54) meint er einmal:
"Es treten nun manche auf, die sagen: 'Die und die Leute haben die Schuld, die haben den christlichen Glauben untergraben und vernichtet. Die und die Leute haben es auf dem Gewissen; die haben den Herrn Christus vom Thron gestoßen.' Man nennt die Namen Lessing, Goethe, Nietzsche, Darwin, und eine Anzahl von Gelehrten und Forschern. Es werden auch gewisse Neuere, jetzt Wirkende beschuldigt, daß sie den christlichen Glauben in unserem Volke zerstören."

Zu den "Neueren" zählt sich dann auch "Frenssen". Ob sein Anspruch sich in die "Ahnengalerie" Lesssing, Goethe, Nietzsche, Darwin mit hineinzustellen, nicht maßlos überzogen ist, kann man in der Tat zu Recht fragen. Es geht im Prinzip daher auch in keiner Weise um diesen Herrn Frenssen, der da in der Tat ein kleines Licht gewesen ist. Worum es geht ist zu verdeutlichen, in Abwandlung eines Lieblingsbibelspruches der Zeugen Jehovas:
"Wann immer sie sagen - jetzt haben wir die Religionskritik ausgebootet - wird sie eine kalte Überraschung erwischen!"
Es ist also der Bibelspruch zu bestätigen, dass es da kaum "Neues" unter der Sonne gäbe.


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