Re: Stasi


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 04. Juli 2002 09:56:55:

Als Antwort auf: Stasi geschrieben von Drahbeck am 28. Juni 2002 10:34:31:

Kürzlich veröffentlichten im Verlag "Edition Ost" unter dem Titel "Die Sicherheit" einige vormalige Stasi-Generäle und adäquate "Koryphäen" einen Selbstbeweiräucherungsopus. Voluminös ausgestaltet, auf zwei Bände ausgewalzt. In zwei Punkten stimme ich mit den dortigen Herrschaften überein. Das nämlich eine Offenlegung einschlägiger Akten via einer "Gauckbehörde" für den altbundesrepublikanischen Bundesnachrichtendienst und analoges, nach wie vor aussteht. Mutmaßlich auch weiter ausstehen wird. Sehr zum Glück einiger "IM" dieser Dienste. Interessant fand ich auch die Anmerkung, dass man der Abteilung "Bildung und Forschung" in der Gauckbehörde vorwirft. Wenn es in Altbundesrepublikanische Gefilde geht, erlahmt im Forscherdrang zusehends, bis hin zu der Unterstellung hier wird in dieser Richtung Zensur ausgeübt (von den Dienstherren der Gauckbehörde bzw. auch "Selbstzensur" ihrer Bedientesten).

Der zweite Punkt. Das die USA-Präsidenten Bush Senior und Junior, für die von ihnen verantwortete Politik ausdrücklich auch den Einsatz "verdeckter Aktionen" gutheißen und forcieren. Im Klartext. Genau das gleiche tat auch die Stasi, aber nicht "nur" sie! Man kann weitergehen und letztendlich auch den Gesamtkomplex Zeugen Jehovas diesem Bereich "verdeckte Operation" zuordnen. Im vorgenannten Opus zwar so nicht expressis verbis ausgesprochen. Letztendlich aber erklärbar dadurch, dass die Zeugen Jehovas nicht sein Hauptthema sind.

Weinerlich mutet auch die Aussage an. Herr Erich Honecker hätte ihm zugeleitete Stasiberichte mit dem Bemerken abgetan (sinngemäß): Die lesen sich ja wie Berichte aus der Westpresse. Ergo könne er darauf verzichten. Zweckorientiert erscheint mir auch die These, die geschassten Stasichefs Zaisser und Wollweber wären deshalb gefeuert worden, weil der Stasiapparat der SED zu mächtig erschien. Und Mielke sich aufgrund dieses Traumas nicht wagte, der SED gegenüber nachhaltig genug aufzutreten. Der apologetische Zweckcharakter einer solchen These ist meines Erachtens evident.

In Band I dieses Opus werden beiläufig auch die Zeugen Jehovas mit gestreift. Die sie betreffenden Aussagen, seien hier mal kommentarlos zitiert. Ein Kommentar zu Ihnen erlaube ich mir aber doch noch dergestalt, indem ich anschließend daran auf das Thema "Fachschulabschlußarbeiten" an der Juristischen Hochschule der Stasi zu sprechen komme.
Vorgenannte Stasigeneräle schreiben in Band I S. 608:

"Eine Ausnahme bildete die 1950 durch Urteil des Obersten Gerichts der DDR wegen Kriegshetze (Rechtfertigung eines Atomkriegs), Hetze gegen die DDR (bei einer Veranstaltung in der Berliner 'Waldbühne' im Juli 1949 und deren anschließender Publizierung im 'Wachtturm') sowie wegen Spionage und des Boykotts staatlicher Maßnahmen (insbesondere Aufrufe zur Nichtbeteiligung an Wahlen) verbotenen Sekte 'Zeugen Jehovas'. Von ihrem Hauptsitz in den USA und ihrer westdeutschen Zentrale in Wiesbaden (später: Selters) wurde sie im Osten Deutschlands wirksam. Sie war antikommunistisch ausgerichtet und gesellschaftlich destruktiv. Die Maßnahmen des MfS, die vor allem in den 50er Jahren wiederkehrende Verhaftungen von Funktionären und Kurieren geprägt waren, die dann oft zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, haben sich jedoch als nicht geeignet erwiesen, die von religiösem Wahn und Fanatismus getriebenen Aktivitäten dieser Sekte zu unterbinden.

Diese Maßnahmen sind nur aus der Zeit und dem herrschenden Zeitgeist zu erklären. Der Kalte Krieg strebte seinen Höhepunkt entgegen, die Gegenseite unternahm alles für ein roll back der politischen Entwicklung in Osteuropa.

Anfang der 60er Jahre wurde in der DDR begonnen, im Umgang mit den 'Zeugen Jehovas' neue Gegenstrategien zu entwickeln. Die Aufklärung über diese Sekte und oppositionelle Gruppen einstiger Sektenangehöriger wurden gefördert. Die letzten Verhaftungen von 'Zeugen Jehovas' wegen ihrer Tätigkeit für die Sekte erfolgten Mitte der 60er Jahre. Anschließend wurden ausschließlich ordnungsrechtliche Maßnahmen angewandt (Auflösung von Versammlungen, Einschränkung der Einschleusung und Verbreitung der Sekten-Literatur, Behinderung besonders aufdringlicher Werbe-Aktivitäten).

Eine Ausnahme bildeten Inhaftierungen solcher 'Zeugen Jehovas', die jeglichen Wehrdienst, auch den Dienst als Bausoldat, verweigerten. Sie wurden nach § 256 des StGB der DDR (Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung) verurteilt. Aus vergleichbarem Grund wurden auch in der BRD zahlreiche 'Zeugen Jehovas' als Totalverweigerer inhaftiert. Aber: Während alle einst in der DDR inhaftierten Wehrdienstverweigerer inzwischen rehabilitiert wurden, ist von analogen Maßnahmen in den alten Bundesländern nichts bekannt.

Wer heute von 'Leid und Trauer', die das MfS über Zeugen Jehovas gebracht habe, spricht, sollte nicht vergessen, daß diese Sekte auch heute noch das Leben vieler Menschen zerstört. Oft schon als Kinder und Jugendliche werden Menschen durch massive Indoktrination mit dem Schreckenszenario angeblich bevorstehenden Weltuntergangs zur Aufgabe beruflicher Qualifizierungen, zum Verzicht auf gesellschaftlichen Aufstieg sowie zur absoluten Unterordnung jeglicher persönlicher Interessen unter die Gebote der Sekte verleitet."

Soweit das Zitat. Wer die einschlägige Publikation des ZJ Waldemar H. kennt, der weiß das die Stasi an ihrer sogenannten "Juristischen Hochschule" auch einige Fachschulabschlußarbeiten zum Thema Zeugen Jehovas schreiben ließ. Sie geben querschnittsartig, einen markanten Überblick über Geisteshaltung und Praxis dieser staatlichen Terrorinstitution. Bemerkenswerterweise ist es seitens der WTG relativ still um diese Publikation. Und dies obwohl sich auch mit ihr der Nachweis führen lässt, wie unseriös der "DDR"-Staat mit den Zeugen Jehovas umsprang. Der wunde Punkt ist offenbar der, dass der differenzierte Blick in die Details der Sachlage nicht nur ein Gefühl des "Heroismus" erzeugt, nach dem Motto: Seht wie schlecht es uns ergangen und wie standhaft wir waren. Sondern dass er indirekt zugleich kritische Rückfragen an die Adresse der WTG mit provoziert. Rückfragen, denen die WTG sich bis heute nicht offen und ehrlich stellt.

Dies kommt schon in der gleichfalls den Zeugen Jehovas zuzuordnenden Publikation von Nattland/Geist zum Ausdruck in der man auch lesen kann, bezogen auf die NS-Zeit:
"Im Laufe der Zeit ist das Verhalten der Ernsten Bibelforscher auf sehr unterschiedliche Art und Weise beurteilt worden, wobei das Spektrum von 'unpolitischer Flucht Unterprivilegierter' über 'passivem' oder 'religiös begründeten Widerstand … ohne Gewaltanwendung' bis hin zu 'vergeblichem Martyrium' reicht." …
Dies ist aber nicht die einzige kritische Frage, die sich die heutigen Bibelforscher mit Bezug auf ihre 'Brüder' aus dieser Zeit stellen müssen. So bleibt beispielsweise die (theologische) Frage offen, wie das Erwarten einer 'Wiederkehr Christi' - als wesentliche Kraftquelle für ihr Standhalten - zu bewerten ist. Es muss ferner gefragt werden, inwiefern es notwendig war, in verschiedenen Schriften einen dergestalt anklagenden Stil zu wählen, wie es der Fall war, und inwieweit dieser Stil Einfluss auf das Ausmaß der Verfolgung hatte." Analoge kritische Rückfragen gälte es auch im Falle "DDR" zu stellen.

Zwei solche Stasi-Fachschulabschlußarbeiten (die von Hinze und Tietz) sind dem ZJ Waldemar H. bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Buches, nicht bekannt geworden. Er erwähnt sie nicht und referiert sie erst recht nicht. ...
Ostdeutschland


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