Re: Willi Töllner


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 25. Mai 2002 09:41:49:

Als Antwort auf: Re: KZ geschrieben von Heini am 24. Mai 2002 19:52:56:

Lieber Heini,
Ich bedanke mich ich für Dein letztes schon etwas ausführlicheres Votum. Irritiert hat mich dabei allerdings Deine Aussage: "Leider ist mein beitrag von gestern verschwunden."
Das verstehe ich nun wieder nicht. Unter

Parsimony.2592 ist er doch zu lesen. Da hat sich doch zu keinem Zeitpunkt etwas verändert!

Was ist zu Willi Töllner sonst noch zu sagen? Zu sagen ist, dass die WTG in Ihrem 1974-er Jahrbuch (Deutschlandbericht) auf ihn zu sprechen kam. Allerdings in anonymer Form! Nirgends wird dort sein Name genannt. Im besagtem Jahrbuch konnte man bezüglich des KZ Buchenwald lesen, dass die dortigen Zeugen Jehovas von der aktuellen WT-Literatur in der Regel abgeschnitten waren. Neuzugänge wurden deshalb "ausgequetscht" was sie denn über aktuellere WTG-Aussagen zu berichten wüssten. In der Regel konnte dies nur mündlich realisiert werden, dergestalt, dass der Neuzugang erzählte, was ihm diesbezüglich so im Gedächtnis haften geblieben war. Die WTG kommentiert: "Manchmal wurden die Informationen genau vermittelt, manchmal aber auch nicht."

Und im gleichem WTG-Kommentar liest man auch den Satz: "Es gab auch Brüder, die versuchten, anhand der Bibel das Datum festzustellen, an dem sie befreit werden würden, und obwohl ihre Argumente schwach waren, griffen doch einige hoffnungsvoll nach diesem „Strohhalm"."
Im weiteren Verlauf dieses Berichtes kommt die WTG nun auf Töllner zu sprechen (der wie gesagt, nicht namentlich genannt wird). Über ihn schreibt sie:
"In dieser Zeit wurde ein Bruder, der ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis hatte, nach Buchenwald gebracht. Zuerst war seine Fähigkeit, sich zu erinnern und anderen die Dinge mitzuteilen, die er gelernt hatte, eine Quelle der Ermunterung für die Brüder. Aber im Laufe der Zeit wurde er ein Idol, „das Wunder von Buchenwald", und seine Äußerungen, sogar seine persönliche Meinung, wurden als maßgebend betrachtet. Von Dezember 1937 bis 1940 hielt er jeden Abend einen Vortrag, insgesamt also etwa 1 000 Vorträge, und viele davon wurden in Kurzschrift mitgeschrieben, damit sie vervielfältigt werden konnten. Obwohl es viele ältere Brüder im Lager gab, die die Fähigkeit hatten, Vorträge zu halten, war dieser Bruder der einzige, der dies tat. Alle, die nicht völlig in Übereinstimmung mit ihm waren, wurden als „Feinde des Königreiches" und als „Achans Familie" bezeichnet und sollten von den „Treuen" gemieden werden. Fast vierhundert Brüder waren mehr oder weniger bereit, diese Vorkehrung anzuerkennen."

Die Schattenseite dieser durchaus als charismatisch zu nennenden Persönlichkeit beschreibt die WTG indirekt mit den Worten, dass Töllner diejenigen, die ihm nicht bedingungslos unterwürfig waren, kalt abblitzen ließ. Zitat WTG: "Auch sie waren ins Lager gebracht worden … . Zwar wandten einige von ihnen biblische Grundsätze nicht völlig an. Doch wenn sie mit den Verantwortlichen Verbindung aufnehmen wollten, damit auch sie aus der geistigen Speise Nutzen ziehen konnten, die in Buchenwald erhältlich war, betrachteten diese es als „unter ihrer Würde", solche Angelegenheiten zu besprechen."

Dann nennt die WTG noch einen "Kronzeugen" namentlich, der zu den von Töllner "geschassten" gehörte:
"Wilhelm Bathen aus Dinslaken … erzählt, wie es ihm persönlich erging: „Als ich wußte, daß ich auch ausgeschlossen war, war ich seelisch derart herunter und deprimiert, daß ich mich fragte, wie so etwas möglich sein könne. . . . Ich habe oft auf den Knien gelegen und zu Jehova gebetet, er möge mir ein Zeichen geben. Ich fragte mich, ob ich etwa selbst daran schuld sei und ob auch er mich ausgeschlossen habe. Da ich eine Bibel hatte, habe ich darin bei verdunkeltem Licht gelesen und fand großen Trost bei dem Gedanken, daß dies mir zur Prüfung widerfahren sei. Sonst wäre ich zugrunde gegangen, denn es war ein gewaltiger Schmerz, von der Gemeinschaft der Brüder ausgeschlossen zu sein."

Abschließend kommentiert die WTG, dass sie Töllner eine "übertriebene Ansicht über die eigene Wichtigkeit" attestiere und dass dies zu Spaltungen unter den Zeugen Jehovas in Buchenwald geführt habe.

Was die WTG im gleichem Atemzug nicht sagt ist; dass erst 1938 ihre berüchtigte "Theokratie" endgültig durchgesetzt wurde. Das es davor noch in den örtlichen Bibelforscher/Zeugen Jehovas-Versammlungen "Wahlälteste" gab. Gegen die hatte Rutherford zwar immer schärfer werdende Attacken gestartet. Aber wie gesagt. Erst 1938 war es endgültig so weit, dass auch der letzte "Wahlälteste" verschwunden und durch von der WTG bestimmte Funktionsträger ersetzt wurde.

Wie der Name "Wahlälteste" schon sagt, bestimmte die örtliche Versammlung, in eigener Kompetenz, wem sie mit diesem Amt betraute. Es ist schon verständlich, dass da eben die gewählt wurden, die von ihrer Persönlichkeit her, die besten Anlagen dazu hatten. Die Wahlältesten waren der WTG besonders deshalb ein Dorn im Auge, weil sie nicht selten, zu unabhängig von der WTG waren. Letztere wollte jedoch um jeden Preis ihre Diktatur durchsetzen. Und da störten in der Tat die "Wahlältesten".

Vielleicht kann man es so einschätzen, dass auch Töllner wesentlich noch von dem Wahlältestensystem geprägt wurde. Und dass er von seiner Veranlagung her, über einige überdurchschnittliche Fähigkeiten verfügte, scheint ja schon aus dem vorzitierten hervorzugehen.

In seiner Dissertation merkt nun Detlef Garbe an, dass zwischen den Sachsenhausener Zeugen Jehovas unter Erich Frost und denen von Buchenwald unter Willi Töllner, auch nach 1945 noch gewisse Spannungen sichtbar wurden. Die Buchenwalder Gruppe kennzeichnet er als die "Radikaleren", während er der Sachsenhausener Gruppe glaubt das Prädikat "Gemäßigter" zuerkennen zu können.

Zitat Garbe:
"Während die Buchenwalder Gruppe der Auffassung war, daß die "Gemäßigteren das unerschrockene, allein auf Jehova vertrauende Bekenntnis einer zu weit gehenden Kompromißbereitschaft opferten, waren jene der Ansicht, daß die Glaubensbrüder in Buchenwald eigensinnige Ausleger seien, die eine Priesterherrschaft über den 'Wachtturm' anstrebten, durch ihre Bewunderung Töllners einen "Kult" errichteten und "Heiligenverehrung" betrieben."

Von Frost weiss man, dass er in der WTG-Hierarchie nach 1945 sehr schnell aufstieg. Von Heinrich Ditschi, auch einer der führenden Funktionäre in der Nazizeit, der beispielsweise die zweite Protestaktion der Zeugen Jehovas in Deutschland während der Nazizeit ("Offener Brief an das Bibelgläubige und Christus liebende Volk Deutschlands") maßgeblich verantwortete. Von besagtem Ditschi weiß man, dass er nach 1945 zumindest zeitweise Kreisdiener der WTG war, bevor auch er "geschasst" wurde; weil er der WTG-Spitze zu unabhängig war. Von beiden Genannten weiß man, dass sie mit höheren WTG-Posten betraut wurden. Nichts ähnliches ist im Falle Töllner bekannt.

Wenn Heini beispielsweise schreibt:
"Andererseits denke ich, er war lange nicht so schlimm, wie die Ältesten, die man schon selbst mitgemacht hat oder von denen man liest, die buchstäblich über Leichen gehen, nein W.T war eher einer, der sicherlich noch mit "menschlicher unvollkommenheit "(vielleicht etwas zuviel, dafür dass er eigentlich "gesalbt" war) durchgeht.
Einen dieser wirklich "schlimmen" Ältesten hatte er noch zu seinen Lebzeiten zu ertragen, das ist ihm auch schwer abgegangen."

Weiter betont Heini, dass Töllner in seiner örtlichen Versammlung doch relativ gut gelitten war. Zwar nicht für die WTG-Apparatschiks, die das auch dadurch dokumentieren, dass sie ihn im WTG-Deutschlandbericht nicht einmal namentlich nennen. Aber gut gelitten war er offenbar durchaus bei einer Reihe der einfachen Zeugen Jehovas in seiner örtlichen Versammlung. Beleg dafür ist meines Erachtens durchaus auch die Aussage in obigem Posting:

"Willi Töllner ist sogar heute, ca. 20 Jahre nach seinem Tod noch eine "Ikone", sogar ältere Leute nannten ihn "Onkel Willi"… ich weiß nur, dass in einem Jahrbuch von buchenwald berichtet wurde und von einem bestimmten Bruder, der sich ja nicht korrekt verhalten hatte (ohne namen), da hat er sich auf der bühne ziemlich aufgeregt!
Trotzdem ist sicher nur einem verschwindend geringen Anteil der brüder aufgefallen, dass "Onkel Willi" sich über seine eigene "schlechte Presse" aufregte, denn er galt, wie gesagt, als DER liebe Onkel schlechthin! Mit Nimbus!
Keiner würde denken, dass ausgerechnet ER derjenige sein sollte!"

Zum Fall Töllner, in seiner Buchenwalder Zeit berichtet Garbe noch:
"Zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Bibelforscher-Häftlingen - bei denen Einvernehmen herrschte, daß die Gebote der Bibel einem Christen die Herstellung von Waffen und Munition verbieten - führte jedoch die Frage, wo die Grenzziehung bei der Ablehnung von "Kriegsdiensten" jeweils genau zu verlaufen habe. Für die "Gemäßigten" galt nur die direkte Mitwirkung an der Herstellung von zur Tötung bestimmten Kriegsgerät als Arbeit für den Krieg, während für die "Radikaleren" auch andere Tätigkeiten eine Unterstützung für die Kriegsführung darstellten, die - so ihre Ansicht - deshalb ebenso aus Glaubensgründen zu verweigern seien. Beispielsweise kam es zu einem solchen Konflikt, als in einer Werkstatt im KZ Buchenwald die Produktion von Skiern aufgenommen wurde, weil man erfahren hatte, daß die Bretter für die im russischen Winter steckengebliebenen Wehrmachtseinheiten bestimmt waren. Willi Töllner, der Wortführer der Bibelforschergemeinde in Buchenwald, verkündete, daß die in der Werkstatt eingesetzten Zeugen Jehovas auch diese Arbeit verweigern müßten, da es sich bei den zur Ausrüstung der Truppe dienenden Skibrettern um Kriegsgerät handele.

Die Mehrheit der Zeugen Jehovas folgte willig diesem Beschluß, doch eine kleinere Gruppe schloß sich der Beurteilung Töllners nicht an. Diese Gruppe argumentierte, daß man mit Skibrettern niemanden töten könne und es deshalb etwas anderes sei, an deren Herstellung mitzuwirken, als Granaten zu produzieren. Diese Arbeit zu verweigern, beschwöre unnötigerweise eine Strafaktion durch die SS herauf, die es gerade auch im Sinne der kranken und geschwächten Glaubensgeschwister zu verhindern gelte. Außerdem müsse es erlaubt sein, dem eigenen persönlichen Gewissen zu folgen und nicht dem Gewissen eines anderen. Als die in der Werkstatt für die Ski-Produktion eingesetzten Zeugen Jehovas, die sich zu der Minderheitsauffassung bekannten, dort die Arbeit nicht einstellten, wurden sie wegen ihres als "unbiblisch" gewerteten Verhaltens kurzerhand aus der Buchenwalder Bibelforschergemeinschaft ausgeschlossen."

Zeitgenössisch (das heißt aus dem Jahre 1946) liegt noch ein weiterer Bericht vor, der Töllner ein respektables Zeugnis ausstellt (Man kann dazu auch vergleichen "Geschichte der ZJ" S. 629, 630). In diesem Bericht konnte man lesen:
"An einem Osterfeiertag erging der Befehl an die Bibelforscher, sich geschlossen auf dem Appellplatz einzufinden. Als ich über den Platz ging, sah ich, wie ein Oberscharführer diese Gruppe in zwei Teile stellte: Ein Teil bestand nur aus jüngeren Leuten im wehrfähigem Alter, der andere aus älteren Jahrgängen. … Es entstand nun eine sehr interessante Debatte zwischen dem SS-Mann und dem Sprecher der Bibelforscher. Der Sprecher der Bibelforscher, ein glänzender Redner, entwickelte ein … Programm, als wäre er in Freiheit. … 'Soldat sein heißt töten!' waren seine ersten Worte. 'Du sollst nicht töten! Krieg ist ein Verbrechen am Volke, besonders wenn ein einzelner Mensch sich als Gottesvertreter aufspielt, wenn er ohne das Volk zu fragen, Gesetze macht und auf seine alleinige Macht gestützt, anderen Völkern Kriege erklären kann.'
Der SS-Mann machte Einwendungen. … Der Sprecher war sich seiner Sache sicher, so dass der SS-Mann ihn als Schwätzer lächerlich machen wollte und einen anderen Sprecher aus ihrer Mitte wünschte, der nur kurz auf seine Fragen zu antworten hätte. Niemand von den anderen hunderten Bibelforschern meldete sich zum Worte. Der Sprecher blieb derselbe.
Ich traute meinen Ohren nicht, als er die versprochene Heimkehr zu Frau und Kindern von dieser Stelle nochmals zurückwies und sagte: 'Warum wollt ihr nicht alle zehntausend Häftlinge entlassen, die genau so unschuldig hier sind wir Bibelforscher?' Seine letzten Worte, trotz Protest des SS-Mannes, lauteten:
'Wir bleiben hier; denn es kommt die Stunde, wo das Unwetter hereinbrechen wird um die ganze Menschheit zu bestrafen. Wir wollen mit Geduld abwarten, bis uns Jehova ein Zeichen gibt. Dann erst werden wir dieses Lager verlassen. Der ganze Erfolg der zweistündigen Debatte war, dass nur zwei Bibelforscher unterschrieben. Sie waren sterbenskrank, die Tuberkulose fraß sie auf. Sie gingen nur heim zu Frau und Kind um zu sterben. …"

Auch dieser Bericht ist in der WTG-Literatur nicht zitiert. Würde sie ihn zitieren, ergäbe sich folgerichtig die Frage nach dem darin genannten Zeugen Jehovas-Sprecher in Buchenwald. Dies beinhaltet dann auch, dass man die Zusatzfrage stellen kann, ob die bisherigen WTG-"Würdigungen" überhaupt Töllner "gerecht" geworden sind. Diese Frage ist zu verneinen. Den WTG-Appratschiks geht es nur um den "Glanz" ihrer Organisation. Der Einzelne, der einen maßgeblichen Anteil daran hat, ist für sie im Zweifelsfalle "der letzte Dreck"!


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