Gerstenmaier


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 23. Mai 2002 16:34:23:

Er war eine "schillernde Persönlichkeit". Geredet werden soll einmal von Eugen Gerstenmaier (1906-1986) in der alten Bundesrepublik zuletzt, bis zu seinem nicht ganz freiwilligen Rücktritt am 31. 1. 1969, Bundestagspräsident. Eigentlich ist er kein Thema für dieses Forum. Und der Anlass über ihn zu sprechen ist auch relativ dürftig. Nur ein unbedeutender Nebensatz, indem er seinerseits einen Zeugen Jehovas positiv würdigt.

Gerstenmaier stand in der alten BRD für eine bestimmte Politik. Der Verlag der seine Autobiographie veröffentlichte, macht dies auch auf dem Schutzumschlag deutlich durch ein Foto, dass Gerstenmaier zusammen mit dem Bundeskanzler Konrad Adenauer abbildet. Im Verlauf der Autobiographie charakterisiert sich Gerstenmaier selbst als einer, der es aus Prinzip ablehnte, mit den ostdeutschen Machthabern in irgendwelche Verhandlungen einzutreten. Bestenfalls wäre er bereit gewesen mit Moskau zu sprechen, aber niemals mit Ostberlin.

Wie man weiß konnte sich diese "glasharte" Linie, die lange Jahre in der BRD dominierend war, doch nicht auf Dauer durchhalten lassen. Angesichts dessen kann man es schon verstehen, das Ostberlin an der Demontage von Gerstenmaier interessiert war, was letztendlich auch gelang. Der Ansatzhebel, jedenfalls der wirksamere dabei war, dass Gerstenmaier sich vom Staat alte BRD auch für seine Rolle als "Widerstandskämpfer" im Naziregime finanziell entschädigen lassen wollte. Das ruchbar werden, des damit zusammenhängenden, brach im letztendlich "das Genick".

Zur Erinnerung. Zeugen Jehovas, die im Naziregime als Wehrdienstverweigerer hingerichtet wurden, respektive deren Erben, haben von der BRD keinerlei finanziellen "Ausgleich" zuerkannt bekommen. Gerstenmaier sah seine Rolle etwas anders. Am Tag des Hitlerputsches am 20. 7. 44, hielt er sich in der Berliner Verschwörerzentrale "Bendlerblock" mit auf und wurde dort auch festgenommen. Während die anderen dortigen Akteure mit ihrem Leben bezahlen mussten, wurde Gerstenmaier "lediglich" zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang.

An diesem Punkt setzte Ostberlin, aus seiner vorgenannten Interessenlage an und ließ über die Kirchenabteilung der Stasi eine "Dokumentation" "Vom SD-Agenten P38/546 zum Bundestagspräsidenten" veröffentlichen. Die Stasi unterstellt nun, dass dieses "relativ milde" Urteil ursächlich in einer Doppelagentenfunktion Gerstenmaiers begründet sei, neben Kontakten zu den Verschwörern auch solche zu den Naziverfolgungsbehörden. Gerstenmaier seinerseits bestreitet dies. Ostberlin fuhr weiteres "scharfes Geschütz" auf. Man analysierte seine Biographie und stellte dabei auch fest, er war in der Nazizeit Mitarbeiter des "Kirchlichen Außenamtes". Letzteres wurde, insbesondere in Devisenfragen staatlicherseits subventioniert. Auch Gerstenmaier kann dies nicht bestreiten. Weiter analysierte man die Berichte, die Gerstenmaier für diese und andere Institutionen schrieb, und beschrieb auch die als "braungetönt". Gerstenmaier wendet sich zwar gegen diese Interpretation mit allen Mitteln. In der Sache kann jedoch auch er nicht bestreiten, dass man solches Schrifttum, heute gelesen, als "braungetönt" charakterisieren kann.

Damit soll der Überblick über Gerstenmaier beendet sein.

Nach dem 20. Juli 1944 war auch Gerstenmaier kein "freier Mann" mehr. Und nun sei dazu noch ein Abschnitt aus seiner Autobiographie zitiert:

"Ich sah mich in der Zelle um. Sie war geräumig und hell. Eine alte Schlafstelle, verrostetes Eisen, ein alter Klapptisch, der Kübel in der Ecke und von oben bis unten in mehreren Sprachen bekritzelte Wände - es hätte schlimmer sein können. Als ich mir den riesigen Holzboden ansah, ahnte ich, daß dieses Lokal eine üble Wanzenbude sein werde. Ein alter, müder und milder Wachtmeister sah nach mir. Ich fragte ihn nach Wanzen. Er schüttelte langsam und kummervoll den Kopf. Bald darauf meldete sich ein Kalfaktor mit einem Kübel Wasser. Er hieß mich nicht nach Kalfaktorenart den Boden putzen. Er tat es selbst. Offensichtlich hatte sich in seinem Kollegenkreis bereits herumgesprochen, daß jetzt nicht Feldpostmarder und Fahrraddiebe in das alte Loch - es wurde unter Johann Hinrich Wichern gebaut - eingezogen waren, sondern hochfeine Todeskandidaten. Ihnen gegenüber waren die herkömmlichen Zuchthausmanieren nicht am Platz. Vielleicht hatten sich die Kalfaktoren an die besseren Manieren aber auch schon in dem Militärgefängnis gewohnt, als das die Lehrterstraße zeitweilig diente. Es mag auch sein, daß der Einfluss eines wahren Juwels unter den Kalfaktoren, Theo Baensch, eines Ernsten Bibelforschers, so groß war, daß er sich geltend machte."

Nähere Einzelheiten, über den von ihm so positiv Genannten, teilt Gerstenmaier nicht mit. Da bietet es sich an, einen anderen Zeitzeugenbericht, über das gleiche Gefängnis Lehrterstraße mit heranzuziehen, der schon etwas ausführlicher und teilweise auch wertend ist. Vor jener Zitierung, noch eine Zwischenbemerkung. Friedrich Zipfel hat in seinem "Kirchkampf in Deutschland" auch einige Gerichtsurteile dokumentiert, die auf einige erst 1944 erfolgte Verhaftungen von Zeugen Jehovas Bezug nehmen. Einige dieser Fälle hat er weiter analysiert und dabei registriert, dass in einigen Fällen, die verhängten Todesurteile nicht vollstreckt wurden. Mit in diesem Zusammenhang nennt er auch den bekannten Fall Horst-Günther Schmidt. Beachtlich nun der Kommentar, den Zipfel diesem Umstand angedeihen lässt. Er schätzt ein, dass die Urteilsvollstreckung seitens der Gestapo aus dem Grunde hinausgezögert wurde, weil sie gedachte, die derart noch "Erhaltenen" für weitere beabsichtigte Verhaftungen, als Zeugen zu benutzen. Wenn sie erst mal wie beabsichtigt, einen "Kopf kürzer" gemacht wurden, wäre diese Option auch entfallen. Vielleicht sollte man diesem Aspekt durchaus nicht unbeachtet lassen!

Nun zu dem, was Hans Lilje in seinem Buch "Im finstern Tal" zu einem ähnlichen Sachverhalt auch schrieb:
"Wegen ihrer absoluten Wahrheitsliebe benutzte die Gestapo sie (die Ernsten Bibelforscher") sehr gern in den verschiedenen Gefängnissen als 'Kalfaktoren'; denn in ihrer Wahrheitsliebe gingen sie stets so weit, daß sie auch die Grenzen der Kameradschaftlichkeit nicht gelten ließen. So war es für die Gestapo leicht, mit ihrer Hilfe die andern Gefangenen zu beaufsichtigen ... Nun dienten sie auch bei uns und trugen unleugbar ein Element der Menschlichkeit in das dunkle Haus. Nicht alle von ihnen sind dem landeskirchlichen Pfarrer freundlich begegnet, aber meist waren sie gütig und umgänglich. Noch in ihrer schwärmerischen Einseitigkeit waren sie menschlicher als viele der SS-Jünglinge, die brutal und in jeder Hinsicht formlos waren ..."


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