Als die theokratische Diktatur noch nicht ganz so perfekt war


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von D. am 04. Mai 2002 22:57:15:

Als die "theokratische" Diktatur noch nicht ganz so perfekt war
Rückblick auf den Fall Halle (Saale)
Auszugweise entnommen aus der CV 86 (September 1976)

In Halle verließen im Zusammenhang mit dem falschen Endzeittermin von 1925 die Mehrzahl aller (102 von 150) seinerzeit die WTG. In der entscheidenden Zusammenkunft stimmten 102 für den damaligen Hallenser Altesten Br. Karl Berke und gegen den damaligen Leiter des Bibelhauses und WTG-Vertreter Paul Balzereit, Magdeburg. WTG-Präsident Rutherford erhielt in Halle überhaupt keine Stimme. Er hatte als Hauptverantwortlicher völlig das Vertrauen verloren. Pilgerbruder Georg Rabe damals: "Da sieht man doch, daß die Versammlung nicht in Harmonie ist mit dem Werke des Herrn. Die Persönlichkeit erkennt ihr nicht an, sonst würdet ihr sie gewählt haben. Im Gegensatz zu den Persönlichkeiten stehen heißt im Gegensatz zum Werke stehen. Wenn ihr zu den Persönlichkeiten kein Vertrauen habt, habt ihr auch zum Werke keins. Br. Rutherford keine Stimme, Br. Binkele (Zentraleurop. WTG-Büro Bern) nur eine, Br. Balzereit nur 60, wie könnt ihr da in Harmonie mit dem Werke sein?"

Als Br. Rabe aufforderte, aufzustehen, wer für Br. Rutherford sei, protestierte die Versammlung dagegen, sich Entscheidungen .aufzwingen zu lassen, Zuvor hatten Br. Rabe und Br. Bobsin versucht die Wahl von WTG-Vertrauten durchzusetzen. Als dadurch Erregung entstand, griff Br. Bobsin zu … Einschüchterungen, indem er die Protestierenden mit Kommunisten verglich.

Einige Tage später setzte die WTG in Halle eine "wichtige Besprechung" an. Die Leitung übernahmen die Br. Bobsin und H. Dwenger, den später WTG-Zweigdiener Erich Frost bei der Gestapo als "unverheirateten Sonderling" denunzierte. Es sollte Klarheit darüber geschaffen werden, wer für die WTG sei. Als ein Bruder mit dem WT nachwies, daß die WTG kein Recht habe, sich in die Wahl der Versammlung zu mischen, unterbrach ihn Br. H. Dwenger ebenfalls mit … Einschüchterungen. Die Bibelhausbrüder würden die WTs selbst kennen, aber jetzt sei eine "andere Zeit"! Die dadurch entstandene Erregung und große Unruhe wurde versucht, durch Aufforderung zum Gebet zu unterdrücken! 91 bekannten sich unter diesen Bedingungen zur WTG. Nur diese 91 wurden dann am nächsten Tag eingeladen.

… Am nächsten Sonntag setzte die WTG dann eine neue Ältestenwahl an, zu der nur noch eine nichtwahlberechtigte Minderheit von 70 erschien. Paul Balzereit, Heinrich Bobsin und Heinrich Dwenger wurden so zu Ältesten für Halle gewählt. Alle anderen galten als abgesetzt, Kasse und Bücherlager wurden ihnen abgenommen. Als Hauptgegner der WTG wurde Br. Berke behandelt. In einem besonderen Schreiben von WTG-Präsident Rutherford, USA, an die Versammlung in Halle vom 16. 2. 1925, wurde Br. Berke entsprechend "bloßgestellt" …

Eine Krise und ein Aderlaß waren mit dem erneuten falschen Weltendetermin von 1925 sowieso nicht zu vermeiden. So war die WTG 1924/25 dabei, verstärkt Älteste zur Wahl zu bringen, die ihr bedenkenlos folgten, die "Flucht nach vor" anzutreten und die zu erwartenden Spaltungen selbst zu provozieren und die zu erwartende Opposition möglichst schon vorher aus der Organisation auszuschließen, selbst um den Preis des Verlustes der Mehrheit aller in den Versammlungen wie in Halle. … Die Äußerung von Heinrich Dwenger, die WTG kenne selbst ihre WTs, aber jetzt sei eine "andere Zeit", zeigt, wie die WTG nunmehr keine Skrupel mehr hatte, gestern dies, heute das und morgen das erneute Gegenteil davon als "göttliche Wahrheit" durchzusetzen.

Die Hallenser Ältesten Br. Hoppe, Br. Strödke und Br. Berke schilderten diese Entwicklung. "Nicht lange, nachdem das Bibelhaus nach Magdeburg verlegt war, hatten wir dauernd von dort Besuch und waren bald durch den Einfluß von dort zu einer Ortsgruppe von Magdeburg abgesunken. Die Versammlung wurde langsam aber sicher immer mehr entmündigt. Bei jeder Gelegenheit mußte erst einmal das Bibelhaus gefragt werden. Warnungen vor übertriebenen und selbstsicheren Erwartungen bezüglich des Jahres 1925 galten als ketzerisch, ja der Glaube an das Jahr 1925 wurde als Prüfstein für die kleine Herde hingestellt. Br. Balzereit und seine Vertrauten sprachen von bevorstehenden Spaltungen in Halle, obgleich die allermeisten davon keine Ahnung hatten, noch je solche Absichten besaßen. Bruder Berke, der die Gefahr sah, galt es unschädlich zu machen.

Hierzu bildete sich hinter dem Rücken der Versammlung heimlich ein Komitee von Brüdern, den Vertrauten des Bibelhauses, an der Spitze der Erntewerksvorsteher von Halle, Br. Schreiber, der gegen den Willen der Versammlung dazu ernannt war und kein Vertrauen genoß. Doch das Bibelhaus verharrte darauf. Jedenfalls wird sich der Herr auf die Dauer nicht zu solchen bekennen, die uns wiederum, und zwar bezüglich des Jahres 1925, in die Irre führten und uns mit suggestiver Kraft antrieben, im Hinblick auf dieses Jahr großer Ereignisse (!) ein Werk zu verrichten, welches letzten Endes der Verkündigung des Evangeliums sehr schaden und den Glauben vieler an die Bibel erschüttern wird. …

Die WTG-Verantwortlichen seien "ungetreue Knechte", wenn sie nun behaupten, "ihre Zeitrechnungen seien richtig (mit 1925), nur der Herr verziehe, und die anfangen, ihre Mitknechte zu schlagen und (entgegen den Richtlinien der Gesellschaft, WT 1920, S. 115) Macht ausüben und Autorität sich anmaßen, indem sie sich den armen (zum großen Teil noch unmündigen) Kindlein präsentieren als von Gott Berufene, unter allen Umständen zu respektierende Repräsentanten, ja ihre Person mit der Gesellschaft, der Organisation des Herrn identifizieren, um ihre Vertrauenswürdigkeit und die Unerschütterlichkeit ihrer Stellung darzutun und die Geschwister einzuschüchtern. Ungetreue Knechte, die sich ferner eine Unachtsamkeit noch der anderen in der Lehre zuschulden kommen lassen, so daß wir einen Fehlschlag nach dem anderen erleben." So die Altesten Br. Hoppe, Strödke und Berke, Halle, über die Umstände von 1925.

Am 3. Februar 1925 schrieben die Hallenser Ältesten Br. Hoppe und Br. Strödke an die WTG: "Was tut ihr? Ihr setzt alles daran, unsere Rechte und unsere Glaubensfreiheit zu beschränken, uns zu zwingen, uns eurem Willen unterzuordnen und dem Willen der Minderheit zu fügen. Wir würden euch dankbar sein, wenn ihr euer Vorgehen gegen uns und eure aufgestellten Grundsätze irgendwo aus dem Wachtturm oder sonstwie mitgeteilten Richtlinien der Gesellschaft begründen würdet."

Es war zwecklos. … Die Weichen für eine zukünftige "theokratische" Diktatur waren längst in Brooklyn gestellt. Die WTG fegte ohne Skrupel ihre eigenen biblischen Grundsätze der ursprünglichen Tätigkeit und die sich darauf berufenden Ältesten hinweg. … Die Brüder Hoppe und Strödke schrieben: "Br. Balzereit sagte schon Anfang 1924 zu Br. Pilz, es stünden Spaltungen in Halle bevor, er solle sehen, daß er auf der richtigen Seite bleibt. Wer brachte Br. Balzereit diese Meinung bei, wer arbeitete darauf hin, daß diese Spaltung unter Gewaltanwendung von seiten des Bibelhauses vollzogen wurde? Unter Ausschluß der meisten Kinder Gottes setztet ihr bei der Ältestenwahl am 7. September v. J. euren Willen durch und ließet von einer nicht wahlberechtigten Versammlung Alteste wählen, wie sie euch wohlgefielen, nämlich Br. Balzereit, Br. Bobsin und Br. Dwenger. Diese so konstituierte Versammlung soll die zu "Recht" bestehende Versammlung in Halle sein! So etwas wagt ihr uns gegenüber zu behaupten?"

Um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen muß heute zu den Hallenser Vorgängen von 1925 hinzugefügt werden, daß die Brüder Paul Balzereit (sen.) und Heinrich Bobsin zu denen gehören, die später aus den WTG-Verstrickungen herausfanden und nach 1945 einen hervorragenden Anteil an der Gründung freier christlicher Gemeinden an (einigen) Orten in der DDR hatten, wo die endzeitlichen Abwege der WTG erkannt wurden. Solche WTG-Getreue wie Br. Konrad Drebinger in Halle als Gruppendiener noch 1945 stempelten natürlich solche Freigewordenen zu "Abtrünnigen". Nun dürfte Konrad Drebinger selbst, im September 1976 ist sein 82. Geburtstag, zu der wieder vergehenden Generation gehören. Für seinen "Mitkämpen" gegen diese vermeintlichen " 'Abtrünnigen', Stefan Ignatzy, Halle, ist 1976 der 86. Geburtstag! So vergeht jene 1914-Generation unaufhaltsam.


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